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Urteil Obergericht (LU)

Zusammenfassung des Urteils 21 97 140 : Obergericht

Eine Person namens V.________ wurde bei einem Vorfall in einem Bahnhofstunnel angegriffen und verletzt. Nachdem er medizinisch behandelt wurde, forderte er eine Entschädigung von 120'000 CHF für materielle Schäden, Schmerzensgeld und Anwaltskosten. Die Behörde gewährte ihm jedoch nur 3'000 CHF für die immateriellen Schäden. V.________ legte Rekurs ein, um höhere Beträge zu erhalten, aber sein Rekurs wurde abgelehnt und die Entscheidung der Behörde bestätigt.

Urteilsdetails des Kantongerichts 21 97 140

Kanton:LU
Fallnummer:21 97 140
Instanz:Obergericht
Abteilung:II. Kammer
Obergericht Entscheid 21 97 140  vom 18.11.1997 (LU)
Datum:18.11.1997
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 32 Abs. 2 und 90 Ziff. 2 SVG; Art. 4a Abs. 1 VRV. Die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h in der Nacht ausserorts auf einer unbeleuchteten Hauptstrasse kann eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG darstellen.
Schlagwörter : Geschwindigkeit; Angeklagte; Geschwindigkeitsüberschreitung; Sicherheit; Gefährdung; Bundesgericht; Gefahr; Verkehrsregel; Höchstgeschwindigkeit; Umstände; Strecke; Rechtsprechung; Täter; Verkehrsvorschrift; Verletzung; Verhalten; Fahrlässigkeit; Strassenverkehr; Hauptstrasse; Sinne; Bundesgerichts; Verkehrsregeln; Strassenverkehrs; Umständen
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:118 IV 188; 118 IV 277; 118 IV 285; 122 II 228; 122 IV 173; 123 II 37;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts 21 97 140

Der Angeklagte fuhr nachts auf einer unbeleuchteten Hauptstrasse ausserorts mit übersetzter Geschwindigkeit, weshalb er einer zivilen Polizeipatrouille auffiel. Bei der von den Polizeibeamten durchgeführten Nachfahrkontrolle wurde nach Abzug der Sicherheitsmargen eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 28 km/h festgestellt. Streitig war, ob diese Geschwindigkeitsüberschreitung eine qualifizierte Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG darstelle. Dies wurde vom Obergericht bejaht mit folgenden Erwägungen:

Art. 90 Ziff. 2 SVG ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit abstrakt konkret gefährdet hat. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben (BGE 123 II 37 E. 1 lit. b). Ob indes eine konkrete, eine erhöhte abstrakte eine bloss abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt nicht von der verletzten Verkehrsregel ab, sondern von der Situation, in welcher die Verletzung erfolgt. Die erhöhte abstrakte Gefahr setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung Verletzung voraus (BGE 122 II 228 E. 3 lit. b). Bei den Vorschriften über die Geschwindigkeit handelt es sich um grundlegende Verkehrsregeln. Sie sind wesentlich für die Gewährleistung der Sicherheit des Strassenverkehrs. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von deutlich mehr als 30 km/h kein Zweifel daran bestehen, dass die Sicherheit des Strassenverkehrs unabhängig von den übrigen konkreten Umständen in schwerer Weise gefährdet wird. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von knapp mehr als 30 km/h hänge die Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab (BGE 118 IV 188, 119 IV 156). Das Bundesgericht hat in BGE 122 IV 173 E. 2 lit. c präzisierend festgehalten, dass diese für Autobahnen geltende Rechtsprechung nicht unbesehen auf andere Konstellationen übertragen werden darf. Wer auf nicht richtungsgetrennten Autostrassen die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 30 km/h überschreite, begehe ungeachtet der konkreten Umstände eine grobe Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG. In BGE 123 II 37 E. 1 lit. d wurde festgehalten, dass auch eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um 25 km/h gleich zu qualifizieren sei. Zur Frage, welche Geschwindigkeitsüberschreitung ausserorts bei einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h genüge, um ungeachtet der konkreten Umstände den Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG zu erfüllen, hat das Bundesgericht bisher noch nicht Stellung genommen. Immerhin hat es bereits festgehalten, dass auf Hauptstrassen ausserorts mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h generell mit Geschwindigkeiten von über 90 km/h nicht gerechnet werden müsse (BGE 118 IV 277 E. 5 lit. b).

Subjektiv verlangt Art. 90 Ziff. 2 SVG ein rücksichtsloses sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Dies ist immer dann zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also unbewusst fahrlässig handelt. In solchen Fällen bedarf die Annahme grober Fahrlässigkeit einer sorgfältigen Prüfung. Sie wird nur zu bejahen sein, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ebenfalls auf Rücksichtslosigkeit beruht und daher besonders verwerfbar ist (BGE 118 IV 285 E. 4).

Im vorliegenden Fall muss dem Angeklagten ein schwerwiegend regelwidriges Verhalten im Strassenverkehr angelastet werden, da er die Geschwindigkeit auf einer längeren Strecke überschritten hat. Vorgeworfen wird ihm eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 28 km/h auf einer Ausserortsstrecke. Diese Strecke wies mehrere Kurven auf. Es bestand daher die Gefahr, dass der Angeklagte infolge überhöhter Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn hätte gelangen können. Der Polizeibeamte, welcher als Beifahrer im nachfahrenden Polizeifahrzeug sass, gab denn auch zu Protokoll, dass ihm bei der Nachfahrt mulmig geworden sei. Die Fahrt erfolgte nachts, weshalb der Angeklagte grösstenteils auf seine eigene Fahrzeugbeleuchtung angewiesen war, welche die Strecke auf eine Distanz von 50/75 m (Abblendlicht) bzw. 100 m (Fernlicht) ausleuchten können muss. Mit einer Geschwindigkeit von 108 km/h hätte er jedoch einen Anhalteweg von rund 105 m benötigt (bei einem Bremsverzögerungswert von 6 m/s2). Es war dem Angeklagten dementsprechend nicht immer möglich, innerhalb der überblickbaren Strecke anzuhalten. Zudem ist auch nachts mit plötzlich auftauchenden Hindernissen zu rechnen. Bei den gesetzlich vorgesehenen Geschwindigkeitsbeschränkungen handelt es sich um wichtige Verkehrsvorschriften. Es kann mit Fug gesagt werden, dass gerade das Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit eine der häufigsten Unfallursachen ist. Der Angeklagte verletzte hier eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise. Er hätte sich der von ihm geschaffenen Gefährdung bewusst sein müssen und sich nicht bedenkenlos über die Sicherheit anderer hinwegsetzen dürfen. Es ist ihm daher zumindest ein grobfahrlässiges Verhalten anzulasten. Der Angeklagte hat somit die objektiven und subjektiven Voraussetzungen von Art. 90 Ziff. 2 SVG erfüllt.





(Das Bundesgericht hat am 9. Februar 1998 über die Nichtigkeitsbeschwerde die Abschreibung verfügt.)



Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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