Art. 190 Abs. 3 StGB. Werden bei einer Vergewaltigung keine Waffe und auch kein anderer gefährlicher Gegenstand eingesetzt, kann daraus noch nicht auf fehlende Grausamkeit geschlossen werden.
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Im Appellationsverfahren vor Obergericht war umstritten, ob die Vergewaltigung, die der Täter an einem vierjährigen Mädchen verübt hatte, als grausam im Sinne von Art. 190 Abs. 3 StGB zu qualifizieren sei. Das Obergericht bejahte diese Frage.
Aus den Erwägungen:
3.2.3. Zu prüfen bleibt, ob die Handlungen des Angeklagten als qualifizierte Tatbegehung nach Art. 190 Abs. 3 StGB anzusehen sind. Nach dieser Bestimmung erhöht sich die Strafandrohung, wenn der Täter grausam handelt, wobei das Gesetz als Beispiele für die Grausamkeit das Verwenden einer gefährlichen Waffe eines gefährlichen Gegenstands aufführt. Noch zum alten Recht (bereits der frühere Art. 195 Abs. 3 aStGB sah Grausamkeit in der Tathandlung als Qualifikationsmerkmal für alle Sexualdelikte vor) hielt das Luzerner Obergericht fest, dass Grausamkeit dann vorliege, wenn der Täter aus irgendwelchen Gründen wesentlich mehr Schmerzen und Nachteile zufügt, als zur Erreichung seines an sich schon verbrecherischen Zieles notwendig wäre (LGVE 1976 I Nr. 328). In der Botschaft zum 1991 revidierten Sexualstrafrecht (in Kraft seit 1.10.1992) wird die Grausamkeit als Rohheit, Gefühllosigkeit und Quälerei beschrieben, die das Tatbestandsmerkmal der Gewalt in körperlicher und/oder psychischer Hinsicht steigert. Grausamkeit ist dann gegeben, wenn der Täter dem Opfer wissentlich und willentlich besondere Leiden zufügt, die über das Mass dessen hinausgehen, was schon zur Erfüllung des Grundtatbestandes gehört (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 26.6.1985, in: BBl 1985 II 1074 f.). In Rechtsprechung und Literatur findet sich diese Definition sinngemäss wieder: Grausamkeit liegt vor, wenn der Täter seinem Opfer psychische physische Qualen zufügt, die über das hinausgehen, was für die Erzwingung des Geschlechtsverkehrs erforderlich ist (vgl. Philipp Maier, Basler Komm., N 46 zu Art. 189 StGB; derselbe, Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht; Zürich 1994, S. 363; Rehberg, AJP 1993 S. 23; vgl. auch BGE 119 IV 49 E. 3d S. 53). Der Täter fügt dem Opfer aus Sadismus, Brutalität Gefühllosigkeit dem Schmerz andern gegenüber Qualen zu, die nicht unvermeidbare Folge des Grunddelikts (der Vergewaltigung) sind (Pra 83 [1994] Nr. 91 E. 3). Die grausame Behandlung des Opfers muss dabei nicht direkt mit der Tat als solche im Zusammenhang stehen, sie kann auch vor nach der Verübung des eigentlichen Delikts erfolgen (Rehberg/Schmid, Strafrecht III, 8. Aufl., Zürich 2003, S. 398). Ebenso kann sie sich unter Umständen aus der hemmungslosen Ausnützung der körperlichen Überlegenheit ergeben (SJZ 71 [1975] S. 114; LGVE 1976 I Nr. 328 E. 1b).
3.2.3.1. Das Kriminalgericht räumte bei der Begründung seiner rechtlichen Qualifikation der Tat ein, dass der Angeklagte bei der Vergewaltigung keine gefährlichen Gegenstände verwendete. Es gelte jedoch zu beachten, dass bereits seine in Anwesenheit des Kindes vorgenommenen Gewalthandlungen gegenüber der Grossmutter G. in die Phase des Gefügigmachens von E. fielen. Indem das Mädchen habe mitansehen müssen, wie seine Grossmutter brutal verletzt und eingesperrt wurde, habe der Angeklagte ihm geistig-seelische Qualen zugefügt. Überdies habe sich die Tat alleine schon durch die Wahl eines Kleinkindes als Opfer durch besondere Rücksichtslosigkeit ausgezeichnet. Bereits von der Anatomie der kindlichen Geschlechtsorgane her sei nämlich bei einer Vergewaltigung eines Kleinkindes mit der Zufügung von erheblichen körperlichen Schmerzen zu rechnen. Die von E. erlittenen physischen und psychischen Verletzungen verdeutlichten, dass die Gewaltanwendung massiv gewesen sei. Seine gefühllose Vorgehensweise komme im Übrigen auch anhand der durch die anale Penetration verursachten Verletzungen zum Ausdruck. Sein Handeln sei deswegen als grausam zu bezeichnen.
Der Verteidiger demgegenüber spricht sich in seiner Eventualbegründung zu einem Schuldbefund betreffend Vergewaltigung dafür aus, dass nur der Grundtatbestand von Art. 190 StGB zu bejahen sei. Eine Vergewaltigung eines erst vier Jahre alten Kindes stelle nicht schon per se eine grausame Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 3 StGB dar. Die Vergewaltigung von E. sei ohne gröbere Gewaltanwendung verlaufen. Das Kind habe die Tragik seiner Vergewaltigung möglicherweise auch nicht allzu stark traumatisierend erlebt. Es habe auch keine schwerwiegenden Verletzungen davon getragen. Der Angeklagte habe E. sodann auch nie mit einer Waffe einem anderen gefährlichen Gegenstand bedroht.
3.2.3.2. Die Ausführungen der Verteidigung überzeugen nicht. Wohl ist nicht zu verkennen, dass der Angeklagte bei der Vergewaltigung von E. keine Waffe und auch keinen anderen gefährlichen Gegenstand bei sich trug. Daraus kann nun jedoch noch nicht auf fehlende Grausamkeit im Sinne von Art. 190 Abs. 3 StGB geschlossen werden. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei der Erwähnung einer "Waffe" bzw. eines "anderen gefährlichen Gegenstands" im Gesetz lediglich um eine beispielhafte Aufzählung; die Grausamkeit kann unzweifelhaft auch auf andere Weise zum Ausdruck kommen. Dies ist umso mehr bei einem vierjährigen Kind als Opfer der Fall, sind doch dort aufgrund der körperlichen Überlegenheit des Täters derartige Nötigungsmittel zum Vornherein nicht notwendig. Der Angeklagte hat in verschiedener Hinsicht seine Brutalität und Gefühllosigkeit manifestiert, wie vom Kriminalgericht zu Recht festgehalten wurde. Zum einen hat er dem Mädchen durch die vaginale und anale Penetration (welche Handlungen als Tateinheit anzusehen sind) entgegen der Vorbringen der Verteidigung erhebliche Verletzungen zugefügt. Nebst der schweren psychischen Traumatisierung erlitt E. gemäss Bericht des Kantonsspitals Luzern vom 10. April 2003 schwere anale Verletzungen, eine Kontusion am Kinn sowie Kratzwunden an Unterschenkel und Knöchel. Das Mädchen gab dem Täter deutlich zu erkennen, dass es Schmerzen hatte. Auch wenn eine Vergewaltigung eines kleinen Mädchens aus anatomischen Gründen zum Vornherein mit grösseren Schmerzen für das Opfer verbunden ist, so kann dieses Argument bei der Beurteilung des Kriteriums der Grausamkeit nicht zu Gunsten des Angeklagten verwendet werden. Im Gegenteil demonstrierte der Täter, dass ihm die zugefügten Verletzungen und Schmerzen des Opfers offenbar gleichgültig waren und ihn nicht von seinem Handeln abbringen konnten. Gerade dadurch legte er eine beispiellose Gefühllosigkeit und Brutalität an den Tag, welche nur als Grausamkeit im Sinne des Gesetzes verstanden werden kann. Die besondere Strafschärfung bei grausamer Tatbegehung rechtfertigt sich nämlich nicht in erster Linie in den Tatmotiven des Delinquenten, sondern vielmehr im besonderen Übel, welches durch das grausame Vorgehen dem Opfer beigefügt wird (so schon LGVE 1976 I Nr. 328 E. 1b). Die vom Angeklagten in Tateinheit zur Vergewaltigung vollzogene Penetration in den Anus waren bei E. überdies mit Qualen verbunden, welche gerade nicht als notwendige Folge des Grunddelikts anzusehen sind. Dass E. unmittelbar vor der Tat mitansehen musste, wie ihre Grossmutter vom Angeklagten brutal niedergeschlagen und schwer verletzt wurde, hat ihr Leiden und ihre Angst unzweifelhaft noch weiter vergrössert. Unter Berücksichtigung der gesamten Tatumstände und der Art und Weise der Tatbegehung muss das Vorliegen der Grausamkeit als Qualifikationsmerkmal bejaht werden. Die Tat des Angeklagten gegenüber E. ist somit in Übereinstimmung mit der Vorinstanz als Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 3 StGB zu qualifizieren.
II. Kammer, 5. November 2007 (21 06 100)