Art. 146 StGB; § 11 Sozialhilfegesetz. Wer als Sozialhilfeempfänger der Sozialhilfebehörde die Erzielung eines Erwerbseinkommens verschweigt, macht sich des Betrugs durch Schweigen schuldig. Die Meldepflicht des Sozialhilfeempfängers nach § 11 Abs. 2 Sozialhilfegesetz begründet für ihn eine gesetzliche Garantenpflicht.
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Der Angeklagten wird vorgeworfen, sie habe von März 2000 bis September 2003 Sozialhilfeleistungen von netto rund Fr. 100'000.-bezogen, gleichzeitig aber bei der X. AG ein Nettoeinkommen von Fr. 27'163.10 erzielt. Dieses Erwerbseinkommen habe sie dem Sozialamt verschwiegen, weshalb ihr zu hohe Sozialhilfeleistungen ausbezahlt worden seien. Damit habe sie sich des gewerbsmässigen Betrugs nach Art. 146 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Mit Urteil vom 9. Juli 2004 sprach das Kriminalgericht des Kantons Luzern die Angeklagte vom Vorwurf des gewerbsmässigen Betruges nach Art. 146 Abs. 2 StGB frei. Das Obergericht hiess die Appellationen der Staatsanwaltschaft sowie der betroffenen Gemeinde (als Privatklägerin) gut und sprach die Angeklagte des gewerbsmässigen Betrugs nach Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB schuldig.
Aus den Erwägungen:
Gemäss § 11 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes (SRL Nr. 892) hat der Hilfebedürftige bei der wirtschaftlichen Sozialhilfe, der Inkassohilfe, der Bevorschussung und der Mutterschaftsbeihilfe über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vollständig und wahrheitsgetreu Auskunft zu geben und die zur Abklärung erforderlichen Unterlagen beizubringen. Der Hilfebedürftige hat Änderungen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse sofort zu melden (§ 11 Abs. 2 Sozialhilfegesetz). Diese im Sozialhilfegesetz verankerte Meldepflicht hinsichtlich veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse begründet auf Seiten des Sozialhilfeempfängers eine Garantenpflicht (vgl. zur auf Gesetz beruhenden Garantenpflicht: Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allg.Teil I, 2. Aufl., Bern 1996, § 14 N 12 ff.). Der Sozialhilfeempfänger wird von Gesetzes wegen verantwortlich erklärt, eine Änderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse der Sozialhilfebehörde gegenüber von sich aus zu deklarieren (vgl. Stratenwerth, a.a.O., § 14 N 13 f.).
Die Angeklagte gesteht, zu Beginn ihres Sozialhilfebezugs vom Sozialamt darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, dass sie Änderungen ihrer Einkommenssituation zu melden habe. Unbestritten bezog sie in der Zeit von März 2000 bis September 2003 netto rund Fr. 100'000.-wirtschaftliche Sozialhilfe und erzielte im gleichen Zeitraum überdies ein Erwerbseinkommen von Fr. 27'136.10, welches sie im Bewusstsein um ihre Meldepflicht gegenüber dem Sozialamt nicht deklarierte. Die Angeklagte hat sich zwar keiner besonderen Machenschaften bedient, um das Sozialamt zu täuschen. Da sie aber dem Sozialamt ihr Erwerbseinkommen nicht bekanntgab, ging dieses davon aus und durfte aufgrund der gesetzlich statuierten Meldepflicht auch davon ausgehen, dass die Angeklagte nach wie vor über kein solches Einkommen verfüge. Es war für das Sozialamt schlicht nicht überprüfbar, ob die Angeklagte eine Erwerbstätigkeit aufnahm nicht. Es ist in diesem Zusammenhang auch zu beachten, dass die Sozialbehörden die Menschenwürde des Hilfebedürftigen zu achten (§ 7 Sozialhilfegesetz) und Tatsachen, die sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben wahrnehmen, geheim zu halten haben (vgl. § 14 Sozialhilfegesetz). Dem Sozialamt können auch unter diesem Aspekt keine gezielten Nachforschungen abverlangt werden, weshalb die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Angeklagte auch objektiv nicht überprüfbar war (vgl. zur fehlenden Überprüfbarkeit der Angaben des Sozialhilfeempfängers auch die in SJZ 93 [1997] S. 285 zitierte Rechtsprechung). Dass die Angeklagte allenfalls auf gezieltes periodisches Nachfragen seitens des Sozialamtes hin die Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit deklariert hätte, wie das Kriminalgericht zu ihren Gunsten annimmt, kann offen bleiben und vermag an der hier generell fehlenden Überprüfbarkeit jedenfalls nichts zu ändern, wie die Staatsanwaltschaft zu Recht geltend macht. Der Umstand, dass die Privatklägerin im relevanten Deliktszeitraum von März 2000 bis September 2003 bei der Angeklagten nie nachfragte, ob sich ihre Einkommenssituation geändert habe, führt hier nicht dazu, dass Arglist ausscheidet. Die Privatklägerin hat ihre Opfermitverantwortung dadurch wahrgenommen, dass sie die Angeklagte zu Beginn des Sozialhilfebezugs zugestandenermassen darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie veränderte wirtschaftliche Verhältnisse dem Sozialamt von sich aus zu melden habe. Es wäre sicherlich wünschbar, wenn das Sozialamt die Sozialhilfeempfänger periodisch über allfällige Veränderungen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse befragen würde. Der Privatklägerin aber wegen dieser fehlenden periodischen Nachfrage den strafrechtlichen Schutz unter dem Aspekt der Opfermitverantwortung zu versagen, geht nach Auffassung des Obergerichts zu weit. Damit würde die Verantwortung vom Sozialhilfeempfänger auf die Sozialhilfebehörde verschoben. In der Verantwortung steht mit Bezug auf die Deklaration veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse aber, gestützt auf die gesetzliche Ordnung gemäss § 11 Abs. 2 Sozialhilfegesetz, der Sozialhilfeempfänger. Vorliegend hat die Privatklägerin unter dem Gesichtspunkt ihrer Opfermitverantwortung die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen dadurch beachtet, dass sie die Angeklagte zu Beginn ihres Sozialhilfebezugs auf die Meldepflicht aufmerksam gemacht hatte. Damit ist auch die Arglist gegeben.
Zusammenfassend ist daher Folgendes festzuhalten: Dadurch, dass die Angeklagte in der Zeit von März 2000 bis September 2003 ihr Erwerbseinkommen von Fr. 27'136.10 gegenüber dem Sozialamt verschwieg und in diesem Zeitraum netto rund Fr. 100'000.-wirtschaftliche Sozialhilfe bezog, täuschte sie die Privatklägerin über ihre Anspruchsvoraussetzungen für den Sozialhilfebezug, versetzte diese in einen Irrtum und erhielt im Umfang des von ihr erzielten Erwerbseinkommens zu hohe Leistungen ausbezahlt. Bei der Privatklägerin ist im Umfang dieser zuviel ausbezahlten Beträge ein Vermögensschaden eingetreten (vgl. § 30 Abs. 1 und 2 Sozialhilfegesetz i.V.m. Ziff. E.1.2 der SKOS-Richtlinien). § 11 Abs. 2 Sozialhilfegesetz begründet eine gesetzliche Garantenpflicht. Das Verschweigen des Erwerbseinkommens durch die Angeklagte ist wegen dieser gesetzlichen Garantenpflicht als arglistig zu bezeichnen. Die Angeklagte hat im Übrigen zugestandenermassen vorsätzlich und in Bereicherungsabsicht gehandelt. Sie gab diesbezüglich zu Protokoll, sie habe nur den Lebensstandard für ihre Tochter und sich selber "etwas" erhöhen wollen. Die Angeklagte hat somit den objektiven und subjektiven Tatbestand des Betrugs nach Art. 146 Abs. 1 StGB erfüllt. Der Deliktsbetrag beläuft sich auf das von ihr in der Deliktsperiode erzielte Nettoeinkommen von insgesamt rund Fr. 27'000.--, da dieses Einkommen geringer ist als die von ihr bezogene Sozialhilfe (vgl. § 30 Abs. 1 und 2 Sozialhilfegesetz i.V.m. Ziff. E.1.2 der SKOS-Richtlinien).
II. Kammer, 23. November 2004 (21 04 174)