Art. 140 und 185 StGB. Zwischen Raub nach Art. 140 StGB und Geiselnahme nach Art. 185 StGB besteht Idealkonkurrenz, wenn die Bedrohung der Geisel bezweckt, den Schalterbeamten zum Öffnen des vom Schalter getrennten Kassenraumes zu verhalten .
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Das Kriminalgericht hat bei einem Überfall auf eine Bank zwischen dem Tatbestand der Geiselnahme und demjenigen des Raubes echte Idealkonkurrenz angenommen. Vor Obergericht war u.a. streitig, ob ein Tatbestand (Raub oder Geiselnahme) den anderen Tatbestand konsumiere. Dies wurde vom Obergericht verneint mit folgenden Erwägungen:
Raub und Geiselnahme sind verschiedene Tatbestände. Der Unrechtsgehalt des Raubes besteht im Angriff auf das in fremdem Gewahrsam stehende Eigentum, vorliegend der Bank, und in der Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Gewahrsamsinhabers, hier der Bankangestellte. Der Unrechtsgehalt der Geiselnahme liegt demgegenüber im Angriff auf die persönliche Freiheit der Geisel, in casu des Kunden, sowie in der Beeinträchtigung der Willensfreiheit der genötigten Person, in casu der Bankangestellten. Daraus erhellt, dass keiner der beiden Tatbestände den Unrechtsgehalt der Tathandlung voll ausschöpft. Der Raubtatbestand erfasst nicht den Angriff auf die Geisel und die Geiselnahme nicht jenen auf fremdes Vermögen und fremden Gewahrsam (BGE 113 IV 67 E. 3). Anderseits überschneiden sich Art. 140 StGB und Art. 185 StGB nicht unerheblich. Dies schliesst, wie das Bundesgericht in BGE 113 IV 67 zum früheren Raubtatbestand, dem Art. 140 StGB weitgehend entsprechenden Art. 139 aStGB, ausführt, jedoch Idealkonkurrenz nicht aus, sondern betrifft das Ausmass der gemäss Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB vorzunehmenden Straferhöhung. In diesem Sinne äusserte sich das Luzener Obergericht bereits im Fall LGVE 1987 I Nr. 56. Ein Teil der Lehre vertritt die Auffassung, dass bei Gewalt gegen Dritte wie beispielsweise gegen "Sympathiepersonen" das Opfer "auf andere Weise widerstandsunfähig gemacht wird" und in diesen Fällen der Tatbestand des Raubes anwendbar sei (vgl. Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkomm., Zürich 1997, 2. Aufl., N 6 zu Art. 140). Niggli und Riedo (Niggli/Riedo, Basler Komm., N 183 zu Art. 140) präzisieren, dass beim "Dreiecksraub" das Ziel des Täters nicht die Freiheitsberaubung der Geisel sei, sondern deren Bedrohung zwecks Nötigung des Gewahrsamsinhabers. Bei einer solchen Konstellation werde die Geiselnahme durch den Tatbestand des Raubes konsumiert. Gleicher Auffassung sind auch Delnon und Rüdy (Delnon/Rüdy, Basler Komm., N 52 zu Art. 185). Koch (zitiert bei Trechsel, a.a.O., N 6 zu Art. 140) will immer dann den Tatbestand des Raubes als erfüllt betrachten, wenn sich die Gewalt gegen am Tatort anwesende Menschen richtet. Rehberg (Jörg Rehberg, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Zürich 1999, 15. Aufl., S. 269) nimmt hingegen unter Hinweis auf BGE 113 IV 64, ohne darauf aber näher einzugehen, bei Geiselnahme zum Zwecke des Raubes nach Art. 140 StGB echte Konkurrenz zwischen diesen beiden Tatbeständen an. Schubarth und Albrecht (Schubarth/Albrecht, Komm. zum Schweizerischen Strafrecht, Bes.Teil, Bd. 2, Bern 1990, S. 76 zu Art. 139 aStGB) schliessen sich unter Hinweis auf BGE 113 IV 63 ff. dieser Meinung an. Nach Stratenwerth, der die vom Bundesgericht in BGE 113 IV 64 vertretene Auffassung ablehnt, hätte das Urteil dort nur auf Geiselnahme lauten sollen (Stratenwerth in: "recht" 1988 S. 101). Jenny (Stratenwerth/Jenny, Schweizerisches Strafrecht, Bes.Teil I, Bern 2003, 6. Aufl., § 13 N 141) äussert sich angesichts der geteilten Auffassung der Lehre dahingehend, dass bei einer mit Raub verbundenen Geiselnahme dieser letztere Tatbestand Vorrang haben dürfte.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich vom Sachverhalt in BGE 113 IV 64 dadurch, dass der Täter dort den Raub bereits vollendet, anschliessend eine Postkundin als Geisel genommen und sie mit einer Schusswaffe direkt bedroht hat, um seiner Forderung nach mehr Geld gegenüber der Postbeamtin Nachdruck zu verleihen. BGE 113 IV 64 ist zumindest im Ergebnis vergleichbar mit dem vorliegenden Fall. Zwar änderte der Angeklagte hier seinen ursprünglichen Plan, zum Zweck des Raubes die Schalterbeamtin direkt zu bedrohen, indem er die Geisel im Schalterraum zwecks Erzwingung des Zutritts in den Kassenraum nahm und dort angelangt den geplanten Raub ausführte. Hinsichtlich der subjektiven Seite kann zwar ein einheitliches Ziel (Beraubung der Bank) angenommen, aber kaum von einem einheitlichen Entschluss gesprochen werden. Die Figur der sogenannten natürlichen Handlungseinheit, die das Bundesgericht dann anerkennt (BGE 98 IV 106 und 111 IV 149), wenn mehrere Einzelakte kraft ihres "engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs ¿ bei natürlicher Betrachtungsweise ¿ als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen", fällt hier ausser Betracht. Dort hat es sich um Fälle gehandelt, in denen die Einzelhandlungen denselben Tatbestand erfüllt haben oder durch einen einheitlichen Willensentschluss gekennzeichnet waren (vgl. BGE 98 IV 97 ff. und 111 IV 149). Im vorliegenden Fall diente die Geiselnahme nicht der unmittelbaren Durchführung des Raubes, sondern bezweckte den Einlass des Angeklagten in den Kassenraum, der vom Schalterraum der Bank durch das Desk und das Sicherheitsglas räumlich getrennt war. Darauf weist der Umstand hin, dass der Kunde im Kassenraum nicht mehr unter der direkten Waffendrohung des Angeklagten stand, sondern dieser sich auf die das Geld herausgebende Bankangestellte konzentrierte. Der Angeklagte brachte die Geisel nicht in seine Gewalt, um die angestrebte Herausgabe des Geldes und damit die Vermögensverschiebung direkt zu erzwingen, sondern um das im Schalterraum der Bank angetroffene "Hindernis" (Schutz der Schalterbeamtin durch das Sicherheitsglas) im Hinblick auf die Verübung des Raubes im Kassenraum zu überwinden. Die Geisel setzte er bei der Ausführung des Raubes im Kassenraum nicht zwecks Unterstützung bzw. Verstärkung der Drohung gegen die Bankangestellte ein, weshalb die Geiselnahme nach Art. 185 StGB nicht im Raubtatbestand nach Art. 140 StGB aufgeht.
Die Entscheidung für echte Gesetzeskonkurrenz zwischen Raub und Geiselnahme lässt sich auch mit dem unterschiedlichen Rechtsgüterschutz begründen, wobei sich die Rechtsgüter allerdings überschneiden. So schützt der Raubtatbestand nicht nur das Vermögen, sondern auch die persönliche Freiheit des Einzelnen. Die Geiselnahme als Angriff auf die Freiheit des Einzelnen beinhaltet gleichzeitig einen Angriff auf die Rechtsgüter zweier verschiedener Opfer (Niggli/Riedo, a.a.O., N 7 zu Art. 140; Delnon/Rüdy, a.a.O., N 5 zu Art. 185). Die Geiselnahme wird deshalb nicht als mitbestrafte Vortat durch den Raubtatbestand konsumiert, weil der Unrechtsgehalt bei der Begehung beider Delikte unter dem Gesichtspunkt des Erfolges einerseits und der Schuld anderseits grösser ist, als wenn der Angeklagte nur die Vortat oder die Nachtat ausgeführt hätte (vgl. BGE 129 IV 57 E. 3.1).
II. Kammer, 23. Dezember 2003 (21 03 136)
(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde am 21. Januar 2005 abgewiesen.)
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