Art. 91 und 212 Abs. 1 ZPO; Art. 330a OR. Streitwert eines Arbeitszeugnisses
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Vor der Schlichtungsbehörde Arbeit verlangte der Kläger (Arbeitnehmer) von der Beklagten (Arbeitgeberin) die Abänderung seines Arbeitszeugnisses. Eine Einigung kam nicht zustande. Da ein entsprechender Antrag des Klägers im Sinne von Art. 212 Abs. 1 ZPO vorlag und die Schlichtungsbehörde einen Streitwert von höchstens Fr. 1'000.-annahm, entschied diese in der Sache selbst. Vor Obergericht machte die Beklagte geltend, die Schlichtungsbehörde hätte nicht in der Sache entscheiden dürfen, sondern dem Kläger eine Klagebewilligung ausstellen sollen.
Aus den Erwägungen:
5.2. Ob die Vorinstanz zur Entscheidfällung kompetent war, hängt somit vom Streitwert der Klage ab. Dieser bestimmt sich durch das Rechtsbegehren wird sofern wie hier das Rechtsbegehren nicht auf eine bestimmte Geldsumme lautet vom Gericht festgesetzt, sofern sich die Parteien darüber nicht einigen ihre Angaben offensichtlich unrichtig sind (Art. 91 ZPO).
5.2.1. Der Kläger verlangte im Schlichtungsgesuch vom 2. Mai 2011 die Abänderung des Arbeitszeugnisses. Einen bestimmten Streitwert nannte er nicht. Die Akten geben auch keinen Anhaltspunkt, dass sich die Parteien auf einen Streitwert geeinigt hätten. Es lag daher an der Schlichtungsbehörde, den Streitwert festzusetzen. Sie führte dazu aus, Zeugnisstreitigkeiten seien vermögensrechtlicher Natur. Vielfach - und so auch die Praxis des Arbeitsgerichts des Kantons Luzern werde für den Zuspruch eines Arbeitszeugnisses als Streitwert ein Monatslohn eingesetzt, währenddem für eine blosse Berichtigung des Arbeitszeugnisses in der Regel ein erheblich tieferer Wert veranschlagt werde. Hier gehe die Schlichtungsbehörde von einem Streitwert von höchstens Fr. 1'000.-aus, womit ihre Zuständigkeit für ein Urteil gegeben sei. Zu prüfen ist, ob dieser Streitwert angemessen ist.
5.2.2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Zeugnisprozesse vermögensrechtlicher Natur (BGE 116 II 379 E. 2b S. 380; Urteil des Bundesgerichts 4C.60/2005 vom 28.04.2005 E. 1). Begründet wird dies damit, dass der Anspruch auf ein Zeugnis (Art. 330a OR) dem Arbeitnehmer das wirtschaftliche Fortkommen erleichtern soll (BGE 74 II 44). Der Klage auf Ausstellung Formulierung eines Arbeitszeugnisses ist demnach ein Streitwert beizumessen.
Der Streitwert wird in erster Linie durch die Parteien einvernehmlich festgesetzt (Rehbinder/Stöckli, Berner Komm., Art. 330a OR N 23). Sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig ist, stellen die Gerichte auch bei Zeugnisstreitigkeiten auf den von den Parteien angegeben Streitwert ab (Urteil des Bundesgerichts 4C.337/2004 vom 05.11.2004 E. 6.; BGE 116 II 379 E. 2b S. 380). Geben die Parteien keinen Streitwert an ist dieser streitig, setzt das Gericht den Streitwert fest. Unter der Herrschaft der kantonalen Zivilprozessordnungen entwickelten sich in den Kantonen unterschiedliche Regeln für die Festlegung des Streitwertes nach richterlichem Ermessen. Die Spannweite reicht von einem symbolischen Betrag von Fr. 50.-- (Kanton Bern) bis zu einem Monatslohn und mehr (z.B. Kanton Zürich, Aargau, Thurgau; s. Hinweise bei Rehbinder/Stöckli, a.a.O., Art. 330a OR N 23; Michel Heinzmann/Willi Egloff, Das zukünftige arbeitsgerichtliche Verfahren im Kanton Bern, in: ZBJV 146 [2010] S. 1058; Urteil des Bundesgerichts 8C_151/2010 vom 31.08.2010 E. 2.4). Das Arbeitsgericht und das Obergericht des Kantons Luzern sind praxisgemäss von einem Streitwert von einem Monatslohn ausgegangen (Urteil des Obergerichts 11 07 32 i.S. S.A. gegen CH-S. AG vom 25.05.2007 E. 1; Urteil des Obergerichts 11 06 13 i.S. M.A. gegen M.K. AG vom 11.05 2006 E. 1; Urteil des Obergerichts 11 08 446 i.S. J.H. gegen B AG vom 05.01.2009 E. 1). Ob nach der Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts auf Bundesebene eine solche Diskrepanz bei den Streitwerten noch tolerierbar ist, ist fraglich.
5.2.3. Soweit ersichtlich, musste sich das Bundesgericht seit Einführung der Schweizerischen Zivilprozessordnung noch nicht ausdrücklich zu dieser Frage äussern (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_385/2011 vom 07.10.2011 E. 1.2). Noch in der jüngsten Vergangenheit lehnte es das Bundesgericht ab, den Streitwert in Verfahren betreffend Ausstellung Inhalt eines Arbeitszeugnisses absolut nach einer bestimmten Anzahl Monatslöhnen zu bestimmen. Im Sinne eines allgemeinen Grundsatzes berücksichtigte es die Erschwerung des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers. In Betracht fallen dabei Kriterien wie Beruf, Qualifikation, Funktion, Dauer des Arbeitsverhältnisses, Lohnniveau und die Situation auf dem Arbeitsmarkt (Urteil des Bundesgerichts 8C_151/2010 vom 31.08.2010 E. 2.5-2.8). Allerdings ist die Ausgangslage für das Bundesgericht eine andere als für die erstinstanzlichen Gerichte. Das Bundesgericht hat nur zu prüfen, ob der in der Vorinstanz angenommene Streitwert angemessen ist. Ein Abweichen davon drängt sich nur auf, wenn der Streitwert überhaupt streitig ist und die Parteien substanziierte Ausführung zum Streitwert machen, die es dem Bundesgericht erlauben, den Streitwert ohne weiteres zu schätzen. Demgegenüber stehen die erstinstanzlichen Gerichte häufig vor der Aufgabe, den Streitwert für die Ausstellung bzw. Abänderung eines Arbeitszeugnisses zu bestimmen, ohne dass sich die Parteien selber dazu äussern. Deshalb ist es notwendig, ihnen eine einfache und zuverlässige Methode zur Bestimmung des Streitwertes eines Arbeitszeugnisses an die Hand zu geben (a.M. Susanne Janssen, Die Zeugnispflicht des Arbeitgebers, Bern 1996, S. 164). Weil es schlechterdings unmöglich ist, die genannten Bewertungskriterien (Beruf, Qualifikation, Funktion, Höhe des Lohns, Dauer des Arbeitsverhältnisses, Arbeitsmarkt) so in eine Argumentationskette einzuordnen, dass am Schluss eine bestimmte Zahl herauskommt (JAR 1990 S. 220), bleibt das Obergericht bei seiner Praxis, den Streitwert von Arbeitszeugnissen grundsätzlich auf einen Monatslohn festzulegen, und zwar auf einen Bruttomonatslohn, da sich dieser Lohn in der Regel sicher bestimmen lässt. Soweit ersichtlich, halten auch die Gerichte des Kantons Zürich an ihrer bisherigen Praxis von einem Monatslohn fest (siehe Internetauftritt: http://www.gerichte-zh.ch/themen/arbeit/hilfen/prozesskosten.html; dito Praxis in Deutschland: http://www.arbeitszeugnis.de/Streitwert.php). Bei Zeugnisstreitigkeiten nur von einem bloss symbolischen nur wenige hundert Franken hohen Streitwert auszugehen (JAR 1996 S. 342 ff.), wird der vermögensrechtlichen Natur der Streitsache nicht gerecht. Arbeitszeugnisse stellen eine wesentliche Entscheidungshilfe für Arbeitgeber dar, wenn es um die Einstellung von neuen Mitarbeitenden geht. Ein gutes Arbeitszeugnis erleichtert deshalb die Stellensuche ganz erheblich (Edi Class, Das Arbeitszeugnis und seine Geheimcodes, 6. Aufl., S. 10 f.). Der Arbeitnehmer erhofft sich ein Zeugnis, das ihm wenn möglich zu einer besseren, zumindest aber zu einer gleichwertigen Anstellung verhilft. So gesehen ist der Streitwert von einem Bruttomonatslohn bei Zeugnisstreitigkeiten gerechtfertigt. Die Parteien haben es in der Hand, dem Gericht Argumente vorzutragen die zu einer Anpassung des sonst üblichen Streitwertes nach oben nach unten führen können, um so dem Einzelfall gerecht zu werden. Das Gericht wird seinerseits verpflichtet, die Abweichung vom sonst üblichen Streitwert zu begründen.
5.2.4. Die Faustregel eines Bruttomonatslohns als Streitwert gilt für Klagen auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses (Vollzeugnis) im Sinne von Art. 330a OR. Dieses gibt nicht nur Auskunft über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern es äussert sich ebenso zu Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers. Es hat alle wesentlichen Tatsachen und Bewertungen zu enthalten, die für dessen Gesamtbeurteilung von Bedeutung sind (Class, a.a.O., S. 15, Janssen, a.a.O., S. 18, Rehbinder/Stöckli, a.a.O., Art. 330a OR N 6). Bei Klagen auf Änderung (Berichtigung und/oder Ergänzung) eines Arbeitszeugnisses kommt je nach der Bedeutung der Änderung ein entsprechend tieferer Streitwert zur Anwendung. Richtschnur ist dabei, welche Bedeutung die streitige Textpassage für das wirtschaftliche Fortkommen des Arbeitnehmers hat. Sind Berichtigungen Ergänzungen streitig, die die übrigen Zeugnisaussagen zur Führung und Leistung des Arbeitnehmers bestätigen relativieren, kann das Gericht zur Überzeugung kommen, dass sich eine Reduktion des Streitwerts nicht rechtfertigt. Demgegenüber kann eine bewertungsneutrale Berichtigung Ergänzung (z.B. Beginn des Stellenantritts stimmt nicht) zu einem sehr geringen Streitwert führen. Eine zahlenmässige Vorgabe der Streitwerthöhe im Sinne einer Faustregel (z.B. Klage auf Berichtigung eines Zeugnisses = ½ Bruttomonatslohn) drängt sich bei Klagen auf Änderung eines Arbeitszeugnisses nicht auf. Immerhin wird sich nur ausnahmsweise ein Streitwert rechtfertigen, der die Spruchkompetenz der Schlichtungsbehörde begründet, wenn Zeugnisaussagen streitig sind, die den Arbeitnehmer in ein ungünstigeres Licht stellen und das sonst gute Zeugnis relativieren.
Bei Klage auf Ausstellung Änderung eines einfachen Zeugnisses (Arbeitsbestätigung) ist es gerade umgekehrt. Das einfache Zeugnis gibt ausschliesslich Auskunft über die Dauer der Anstellung und die ausgeübte Funktion. Bemerkungen über Leistung und Verhalten sowie der Kündigungsgrund dürfen darin nicht enthalten sein (Class, a.a.O., S. 19; Rehbinder/
Stöckli, a.a.O., Art. 330a OR N 5). Hier müssen schon besondere Umstände vorliegen, dass der Streitwert die Spruchkompetenz der Schlichtungsbehörde (bis Fr. 2'000.-- [Art. 212 Abs. 1 ZPO]) übersteigt. Eine reine Arbeitsbestätigung erleichtert kaum das wirtschaftliche Fortkommen, wird doch diese in der Arbeitswelt im Allgemeinen gedeutet, dass die Leistungen und/oder das Verhalten des Arbeitnehmers zu beanstanden waren (Janssen, a.a.O., S. 19).
6.- Im konkreten Fall hat der Kläger der Beklagten einen Zeugnisvorschlag unterbreitet, den die Beklagte weitgehend zum Zeugnis erhob. Streitig ist ausschliesslich der letzte Absatz. Der Kläger versuchte schon aussergerichtlich, diesen durch einen vom ihm vorformulierten Absatz zu ersetzen. Die Beklagte weigerte sich mit der Begründung, der Arbeitgeber könne den Beendigungsgrund erwähnen, wenn dieser zur Schilderung des Gesamtbildes notwendig sei, und fügte an, dies sei bei den besonderen Umständen im Zusammenhang mit dem 13. April 2010 hier gerechtfertigt. Die Parteien konnten sich in der Folge nicht einigen. Im Gegenteil. Die Beklagte doppelte im Schreiben vom 10. März 2011 nach, sie erachte es aufgrund der besonderen Umstände und des Verhaltens der Geschäftsleitungsmitglieder als unbedingt nötig, die Art und Weise der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Darstellung eines richtigen Gesamtbildes im Zeugnis zu erwähnen. Als Alternative bot sie dem Kläger die Ausstellung einer Arbeitsbestätigung an. Ein Vergleich des erteilten Zeugnisses mit dem vom Kläger gewünschten zeigt deutlich, dass der streitige Absatz das Gesamtbild des Zeugnisses erheblich tangiert. Während der vom Kläger gewünschte Absatz das gute Zeugnis abschliessend bestärkt, relativiert der letzte Absatz das an sich gute Arbeitszeugnisses vom 31. Mai 2011 ganz entscheidend. Der letzte Absatz erweckt Zweifel an der Loyalität des Klägers gegenüber dem Arbeitgeber, was seine Chancen bei einem zukünftigen Arbeitgeber für eine Kaderstelle mindert. Streitig ist somit kein nebensächlicher Punkt im Zeugnis, weshalb die (nicht weiter begründete) Streitwertfestsetzung von Fr. 1'000.-- durch die Schlichtungsbehörde der Wichtigkeit der Sache für die Parteien nicht gerecht wird. Indes entkräftet der letzte Absatz das Zeugnis nicht vollends. Versierte Personalverantwortliche würden den Kläger kaum einzig wegen des letzten Absatzes im Arbeitszeugnis zum Voraus als möglichen Kandidaten für eine (Kader-)Stelle ausschliessen, sondern sich bei ihm nach seiner Sicht der Dinge, wie es zum Abgang kam, erkundigen, zumal was gerichtsnotorisch ist - die Vorgänge bei der Beklagten für Schlagzeilen in der Presse sorgten. So gesehen rechtfertigt sich eine Reduktion des Streitwerts. Ermessensweise wird der Streitwert auf rund drei Viertel eines Bruttomonatslohns festgesetzt. Der Bruttomonatslohn (ohne Berücksichtigung der Spesen) betrug zuletzt Fr. 12'308.--, was abgerundet einen Streitwert von Fr. 9'000.-ergibt.
7. Der angenommene Streitwert von Fr. 9'000.-- übersteigt die Entscheidkompetenz der Schlichtungsbehörde (Art. 212 Abs. 1 ZPO), weshalb ihr Urteil vom 15. Juni 2011 aufzuheben ist. Die Streitsache ist an die Schlichtungsbehörde zurückzuweisen, damit sie dem Kläger die Klagebewilligung ausstellen kann (Art. 209 Abs. 1 ZPO). Bei diesem Ausgang hat sich das Obergericht nicht (weiter) materiell zum Zeugnisstreit zu äussern. Dies wird Aufgabe des Arbeitsgerichts sein, sofern der Kläger klagt.
1. Abteilung, 14. Dezember 2011 (1C 11 32)