Die Beschwerdeführerin X. reichte eine Klage beim Bezirksgericht Plessur ein, die arbeitsrechtliche Streitigkeiten behandelte. Der Bezirksgerichtspräsident forderte X. auf, die Eingabe in Papierform nachzureichen und eine Rechtsvertretung zu ernennen. X. beschwerte sich beim Kantonsgericht von Graubünden gegen diese Anordnung. Das Gericht entschied, dass X. keine offensichtliche Unfähigkeit zur Prozessführung zeigte und hob die Anweisung zur Bestellung einer Rechtsvertretung auf. Die Rüge der Rechtsverzögerung wurde als unbegründet abgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens wurden X. und dem Kanton Graubünden je zur Hälfte auferlegt.
Urteilsdetails des Kantongerichts ZK2-12-34
Kanton: | GR |
Fallnummer: | ZK2-12-34 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 12.11.2012 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Fristansetzung für Eingabe und Ernennung Rechtsvertretung |
Schlagwörter : | Recht; Bezirksgericht; Eingabe; Klage; Rechtsbegehren; Gericht; Verfügung; Frist; Entscheid; Anwalt; Anordnung; Plessur; Papierform; Rechtsverzögerung; Rechtsvertretung; Parteien; Bezirksgerichtspräsident; Beilage; Anwältin; Massnahme; Schweizerische; Verfahren; Kündigung; Massnahmen; Klageschrift |
Rechtsnorm: | Art. 106 ZPO ;Art. 130 ZPO ;Art. 29 ZPO ;Art. 319 ZPO ;Art. 49 ZPO ;Art. 50 ZPO ;Art. 69 ZPO ;Art. 93 BGG ;Art. 95 ZPO ; |
Referenz BGE: | 132 I 1; |
Kommentar: | Viktor Lieber, Donatsch, Hans, Schweizer, Hansjakob, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Art. 134 OR StPO, 2014 |
Entscheid des Kantongerichts ZK2-12-34
Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni
____
Ref.:
Chur, den 12. November 2012
Schriftlich mitgeteilt am:
ZK2 12 34
5. Dezember 2012
Entscheid
II. Zivilkammer
Vorsitz
Pritzi
RichterInnen
Hubert und Michael Dürst
Aktuar ad hoc
Trümpler
In der zivilrechtlichen Beschwerde
der X., Beschwerdeführerin,
gegen
die Verfügung des Instruktionsrichters am Bezirksgericht Plessur vom 16. August
2012 in Sachen Y . , Beschwerdegegnerin, gegen Beschwerdeführerin,
betreffend Fristansetzung für Eingabe und Ernennung Rechtsvertretung,
hat sich ergeben:
I. Sachverhalt
A.
Mit elektronischer Eingabe vom 5. August 2012 reichte X. beim Bezirksge-
richt Plessur eine Klage hinsichtlich einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit ein. Vor-
gängig fand zwischen den betreffenden Parteien eine Schlichtungsverhandlung
statt, welche allerdings erfolglos blieb. Die vom Vermittleramt Plessur ausgestellte
Klagebewilligung enthielt folgende Rechtsbegehren der klagenden Partei:
„1. Die Beklagte solle durch Urteil veranlasst werden, die Gültigkeit
einer Kündigung gegenüber der Klägerin frühestens zum Ende No-
vember
2012 anzuerkennen.
2. Unter Kostenfolge zu Lasten der beklagten Partei.“
In der elektronischen Eingabe an das Bezirksgericht Plessur vom 5. August 2012
formulierte X. folgende Rechtsbegehren:
„1. Die Beklagte wird durch Rechtsurteil veranlasst die selber festge-
legten Vertragsfristen einzuhalten. Laut gültigem Arbeitsvertrag ist
eine drei-
monatige Frist auf Ende Mai Ende November fest-
gelegt und eine
der Vertragspartei im März zur Kenntnis ge-
brachte Kündigung kann sich
lediglich auf den nächstmöglichen
Kündigungstermin beziehen zum 30.11.2012 (Arbeitsvertrag, L-GAV
II Art. 6 Abs. 2).
Die Beklagte wird durch Rechtsurteil zur Einhaltung von vertragli-
chen Verpflichtungen veranlasst. Auch wenn die Annahme von Ar-
beitsleistungen freibleibend ist, sind monatliche Lohnzahlungen
und monatliche
Lohnabrechnungen bis zu einem Vertragsende
zu erfolgen (OR Art. 324
III. Abs. 1.1).
Gerichtlich zu vermerken sei die zukünftig bestehende Möglichkeit
der Beklagten zur Annahme von verfügbaren Arbeitsleistungen, bis
zur Abmeldung seitens der Klägerin (z.B. bei Antritt einer neuen Ar-
beitsstel-
le) bis zu einem Vertragsende. Gleichermassen
sei der bisherige
Annahmeverzug der Beklagten zu vermerken,
wodurch bereits eine
Schadensminderung willentlich verhindert
worden ist.
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Die Beklagte soll durch Rechtsurteil zur Ausstellung einer schriftli-
chen Begründung veranlasst werden über eine Kündigung seitens
der ehema-
ligen Direktion im März (OR Art. 335 Abs. 2).
[ ]
Gerichtlich zu vermerken sei die Pflicht der Beklagten zur Ausstel-
lung
eines qualifizierten Zeugnisses und einer Endabrechnung zum
letzten Arbeitstag,
Vertragsende
(L-GAV
Art. 14
Abs. 3,
OR
Art. 330a).
2. Kostenfolgen sollen zu Lasten der beklagten Partei gehen.
3. Antrag auf vorhergehenden Erlass / Entscheid zu vorsorglichen
Massnahmen (nach ZPO Art. 261). Die kumulativ erforderlichen Vo-
rausset-
zungen sind gegeben, mit Verletzung bestehender An-
sprüche, mit nicht
leicht und teils unmöglich wieder gutzumachen-
der Nachteile, weiterhin
mit der dringlichen und verhältnismässi-
gen Möglichkeit der Behebung
drohender Nachteile, in angemes-
senem Rahmen.“
B.
Mit Schreiben vom 16. August 2012 bestätigte der Bezirksgerichtspräsident
den Eingang der Klageschrift und forderte X. auf, bis zum 7. September 2012 die
Eingabe und Beilagen in Papierform nachzureichen. Dies sei bereits deshalb not-
wendig, weil lediglich der Arbeitsvertrag und die Klagebewilligung als Beilage beim
Bezirksgericht eingetroffen seien. Ferner sei vorliegend das strittige Arbeitsver-
hältnis nach schweizerischem Recht definitiv beendet worden. Es stünden der
Klägerin allenfalls finanzielle Ansprüche und weitere Rechte, wie ein Arbeitszeug-
nis und dergleichen, zu. Trotzdem habe sie das Rechtsbegehren vor Vermittleramt
anders formuliert, sodass fraglich sei, ob überhaupt auf die Klage mit diesen
Rechtsbegehren eingetreten werden könne. Da es offensichtlich sei, dass die Klä-
gerin den Prozess nicht selbst führen könne, werde ihr eine Frist bis zum
7. September 2012 gesetzt, dass sie eine Anwältin einen Anwalt beauftrage.
Sollte sie dieser Aufforderung nicht innert Frist Folge leisten, müsse ihr eine An-
wältin ein Anwalt gerichtlich bestellt werden.
C.
Gegen das Schreiben vom 16. August 2012 erhob X. am 21. August 2012
mit elektronischer Post Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden. Sinn-
gemäss beantragt die Beschwerdeführerin damit die Aufhebung der Verfügung
vom 16. August 2012, wozu sie geltend macht, dass die Anordnung der Bestellung
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einer Rechtsvertretung in ihrem Fall nicht zulässig sei. Es bestünde bei einem
erstinstanzlichen Gericht grundsätzlich keine Anwaltspflicht. Es dürfe angenom-
men werden, dass viele nicht perfekte in üblichem Format erstellte Eingaben
an das Gericht gelangten. Zudem erscheine es befremdlich, dass bei verschiede-
nen Schrifteingaben die Formulierung eines Rechtsbegehrens unbedingt und not-
wendigerweise dieselbe sein müsse. Vorliegend sei fraglich, ob und inwiefern bei
ihr eine offensichtliche Unfähigkeit zur Prozessführung bestehe, welche den
Zwang zur Anwaltsvertretung rechtfertige. Die richterliche Anordnung, einen
Rechtsbeistand zu beauftragen, bedeute ein finanzielles Erschwernis und eine
Rechtsverzögerung. Wenn ferner bei einer Klageschrift ein Antrag auf vorsorgliche
Massnahmen gestellt werde, sollte eine entsprechende Bearbeitung des Antrages
erfolgen. Der blosse Hinweis auf einen früheren Entscheid was, wie vorliegend,
die indirekte Ablehnung des neuen Antrages bedeute genüge nicht. Ferner kön-
ne die Einreichung der Eingabe und Beilagen in Papierform, wie es von ihr ver-
langt worden sei, umgehend erfolgen, doch gelte es zu beachten, dass die Einga-
be mit elektronischer Post beim Bezirksgericht Plessur am 5. August 2012 voll-
ständig erfolgt sei. Sofern die Beilagen zur Klageschrift teilweise nicht beim Be-
zirksgericht eingetroffen wären, hätte sofort eine Mitteilung an die Beschwerdefüh-
rerin erfolgen können. Das diesbezügliche Schreiben des Bezirksgerichtspräsiden-
ten habe die Beschwerdeführerin frühestens am 21. August 2012 abholen können,
wodurch eine Rechtsverzögerung entstanden sei.
Auf die weiteren Ausführungen in der Rechtsschrift sowie im angefochtenen
Schreiben wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegan-
gen.
II. Erwägungen
1.
Die vom 21. August 2012 datierende Eingabe der Beschwerdeführerin ist
als „Beschwerde“ bezeichnet und richtet sich gegen Anordnungen im Schreiben
des Instruktionsrichters am Bezirksgericht Plessur vom 16. August 2012. Zum ei-
nen wird im erwähnten Schreiben des Instruktionsrichters der Beschwerdeführerin
gemäss Art. 130 Abs. 3 ZPO eine Frist zur Nachreichung der elektronisch übermit-
telten Eingabe in Papierform angesetzt. Zum anderen wird die Beschwerdeführe-
rin innert gleicher Frist zur Mandatierung einer Rechtsvertretung aufgefordert. Für
den Fall, dass sie dieser Aufforderung nicht innerhalb der angesetzten Frist Folge
leiste, müsse ihr das Gericht gemäss Art. 69 ZPO eine Anwältin einen Anwalt
bestellen. Obschon die Beschwerdeführerin ihre Eingabe an das „Kantonsgericht
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Graubünden (Oberaufsicht des Bezirksgerichtes)“ adressiert hat, ergibt sich aus
dem Inhalt der Beschwerde zweifelsfrei, dass die Beschwerdeführerin ihre Einga-
be nicht als Aufsichtsbeschwerde gemäss Art. 66 Abs. 1 des Gerichtsorganisati-
onsgesetzes (GOG; BR 173.000) verstanden haben will. Ihre Argumentation be-
zieht sich weder auf die Geschäftsführung des Bezirksgerichtes Plessur noch auf
die Justizverwaltung als solche (vgl. Art. 62 Abs. 1 GOG). Vielmehr wird die
Rechtmässigkeit der Anordnungen des Bezirksgerichtspräsidenten im Schreiben
vom 16. August 2012 in Zweifel gezogen. Damit erweist sich die Eingabe vom
21. August 2012 klarerweise als zivilrechtliche Beschwerde (i.S.v. Art. 319 ff.
ZPO), deren Zulässigkeit es im Folgenden zu prüfen gilt.
2.
Gemäss Art. 319 ZPO sind mit zivilrechtlicher Beschwerde nicht berufungs-
fähige erstinstanzliche Endentscheide, Zwischenentscheide und Entscheide über
vorsorgliche Massnahmen (lit. a), andere erstinstanzliche Entscheide und prozess-
leitende Verfügungen in qualifizierter und gewöhnlicher Form (lit. b) sowie Fälle
von Rechtsverzögerung (lit. c) anfechtbar. Vorliegend handelt es sich bei dem
Schreiben des Bezirksgerichtspräsidenten vom 16. August 2012 offensichtlich
nicht um einen Endentscheid, Zwischenentscheid Entscheid über eine vor-
sorgliche Massnahme. Gegebenenfalls handelt es sich um eine prozessleitende
Verfügung um einen anderen erstinstanzlichen Entscheid im Sinne von
Art. 319 lit. b ZPO. Als prozessleitende Verfügungen werden Anordnungen des
Gerichts, die im Laufe eines Prozesses zu treffen sind, angesehen. Sie bestimmen
im Wesentlichen den formellen Ablauf und die konkrete Gestaltung des Verfah-
rens (vgl. Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006
7221, 7376). Anders als qualifizierte prozessleitende Verfügungen, gegen welche
die Beschwerde als Rechtsmittel jeweils explizit im Gesetz vorgesehen ist, können
gewöhnliche prozessleitende Verfügungen nur angefochten werden, wenn durch
sie ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht (vgl. Art. 319 lit. b Ziff. 1
und 2 ZPO). Vorliegend handelt es sich bei den Anordnungen gemäss Art. 69
ZPO und Art. 130 Abs. 3 ZPO offensichtlich nicht um qualifizierte prozessleitende
Verfügungen, da sich aus den betreffenden Normen des Gesetzes keine Anfecht-
barkeit mittels Beschwerde ergibt (Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO). Folglich ist für die
Anfechtung dieser prozessleitender Anordnungen ein nicht leicht wiedergutzuma-
chender Nachteil darzutun (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO). Zum einen wurde die Be-
schwerdeführerin aufgrund von Art. 130 Abs. 3 ZPO aufgefordert, innert einer be-
stimmten Frist ihre Eingabe in Papierform dem Gericht zu übermitteln. Zum ande-
ren wurde ihr, für den Fall, dass sie nicht innert Frist selbst eine Anwältin ei-
nen Anwalt mandatiere, aufgrund von Art. 69 ZPO die Bestellung eines Rechtsver-
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treters in Aussicht gestellt. Inwiefern vorliegend, durch die Anordnung, die Unter-
lagen in Papierform nachzureichen, der Beschwerdeführerin ein nicht leicht wie-
dergutzumachender Nachteil droht bzw. entstehen soll, wird nicht dargelegt und ist
auch nicht ersichtlich. Hierbei ist allerdings zu erwähnen, dass in der neueren Leh-
re überwiegend die Meinung vertreten wird, dass neben rechtlichen auch tatsäch-
liche Nachteile die Anfechtung einer gewöhnlichen prozessleitenden Verfügung
rechtfertigen können (vgl. etwa DIETER FREIBURGHAUS/SUSANNE AFHELDT, in: Tho-
mas Sutter-Somm/Franz Hasenböhler/Christoph Leuenberger [Hrsg.], Kommentar
zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Zürich 2010, N 13 zu Art. 319;
KURT BLICKENSTORFER, in: Alexander Brunner/Dominik Gasser/Ivo Schwander
[Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Zürich/St. Gallen
2011, N 39 zu Art. 319; ADRIAN STAEHELIN/DANIEL STAEHELIN/PASCAL GROLIMUND,
Zivilprozessrecht, Zürich 2008, § 26 N 31; MATTIA FRONZAROLI, in: Isaak Mei-
er/Miguel Sogo, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 2010, S. 470 f.), doch
sind vorliegend gerade auch solche tatsächlichen Nachteile nicht ersichtlich. Ins-
besondere erleidet die Beschwerdeführerin keine finanziellen Nachteile, da die
Aufforderung, die elektronischen Unterlagen nachzureichen, das Verfahren weder
verteuert noch wesentlich verzögert (vgl. dazu auch hinten Erwägung 4). Sofern
die Beschwerdeführerin demnach in ihrer Eingabe auf die Anordnungen des Be-
zirksgerichtspräsidenten gemäss Art. 130 Abs. 3 ZPO Bezug nimmt, kann man-
gels nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteils nicht auf die Beschwerde ein-
getreten werden. Anders verhält es sich allerdings in Bezug auf jene Rügen der
Beschwerdeführerin, welche die Anordnung, eine Anwältin einen Anwalt zu
beauftragen, betreffen. Das Vorgehen des Bezirksgerichtspräsidenten nach
Art. 69 ZPO bedeutet für die Beschwerdeführerin eine nicht unwesentliche Ver-
teuerung des Verfahrens, indem bei ihr neu Kosten für eine Rechtsvertretung an-
fallen, welche sie durch das selbstständige Erheben der Beschwerde vielleicht
gerade zu vermeiden gesucht hat. Durch die Anordnung, eine Anwältin einen
Anwalt zu mandatieren, verteuert sich das Verfahren, was für die Beschwerde füh-
rende Person einen finanziellen Aufwand bedeutet und entsprechend einen tat-
sächlichen Nachteil darstellen kann. Hierbei verhält es sich grundsätzlich nicht
anders, wie wenn ein Gericht eine Expertise auf Kosten einer Beschwerde führen-
den
Person
anzuordnen
gedenkt
(vgl.
hierzu
u.a.
STAEHE-
LIN/STAEHELIN/GROLIMUND, a.a.O., § 26 N 31; BLICKENSTORFER, in: Brunner/Gas-
ser/Schwander, a.a.O., N 39 zu Art. 319). Dadurch, dass die Beschwerdeführerin
ein wirtschaftliches Interesse an der Aufhebung Abänderung der entspre-
chenden prozessleitenden Verfügung hat, erscheint die Beschwerde vorliegend
diesbezüglich zulässig. Damit ist auch bereits gesagt, dass die (nicht einheitliche)
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Rechtsprechung zu Art. 93 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG;
SR 173.110) nicht unbesehen auf Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO übertragen werden
kann, was im Übrigen auch die herrschende Meinung in der Lehre ist (vgl. BLI-
CKENSTORFER, in: Brunner/Gasser/Schwander, a.a.O., N 39 zu Art. 319; FREIBURG-
HAUS/AFHELDT, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, a.a.O., N 13 zu
Art. 319 in fine; FRONZAROLI, in: Meier/Sogo, a.a.O., S. 470; STAEHELIN/STAE-
HELIN/GROLIMUND, a.a.O., § 26 N 31; das Genügen eines tatsächlichen Nachteils
auch in Bezug auf Art. 93 BGG bejahend: FELIX UHLMANN, in: Marcel Alexander
Niggli/Peter Uebersax/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Bundesgerichtsgesetz - Basler
Kommentar, 2. Aufl., Basel 2011, N 3 ff. zu Art. 93). Somit ergibt sich, dass auf die
vorliegende Beschwerde insoweit einzutreten ist, als dass diese die gerichtliche
Bestellung einer Rechtsvertretung (Art. 69 ZPO) betrifft.
3. a) Die Beschwerdeführerin geht in ihrer Beschwerde davon aus, dass mangels
Anwaltspflicht bei erstinstanzlichen Gerichten viele nicht perfekte Eingaben erfol-
gen. Es erscheine befremdlich, dass bei verschiedenen Schrifteingaben die For-
mulierung eines Rechtsbegehrens unbedingt und notwendigerweise dieselbe sein
müsse. In diesem Zusammenhang habe der Bezirksgerichtspräsident in Frage
gestellt, ob überhaupt auf ihre Klage eingetreten werden könne. Entgegen der An-
sicht der Beschwerdeführerin spricht der instruierende Richter in seinem Schrei-
ben vom 16. August 2012 nicht die Problematik einer Klageänderung aufgrund
unterschiedlich formulierter Rechtsbegehren an. Der Bezirksgerichtspräsident
zweifelt vielmehr daran, dass die von der Beschwerdeführerin formulierten
Rechtsbegehren überhaupt zulässig sind, da ein Arbeitnehmer nach schweizeri-
schem Recht bei strittiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses (nebst Rechten wie
Anspruch auf ein Arbeitszeugnis etc.) nur finanzielle Ansprüche (und nicht einen
Beschäftigungsanspruch) geltend machen könne. Obschon er dies in seinem Ent-
scheid vom 26. Juni 2012 betreffend vorsorgliche Massnahmen zu Handen der
Beschwerdeführerin ausgeführt habe, habe die Beschwerdeführerin vor dem Ver-
mittleramt die Rechtsbegehren anders formuliert. Vor Vermittleramt wurde nicht
ein beziffertes Forderungsbegehren gestellt, sondern mit dem Rechtsbegehren
verlangt, dass die Arbeitgeberin anerkenne, dass die Kündigung frühestens per
Ende November 2012 gültig sei. In Anbetracht dieser Formulierung zweifelt der
Bezirksgerichtspräsident in seinem Schreiben vom 16. August 2012 daran, dass
überhaupt auf die Klage (mit diesem Rechtsbegehren) eingetreten werden kann.
Aus dem Vorgehen der Beschwerdeführerin schliesst der Bezirksgerichtspräsi-
dent, dass diese offensichtlich nicht in der Lage ist den Prozess selbst zu führen.
Seite 7 — 11
b)
Art. 69 Abs. 1 ZPO verlangt für die gerichtliche Bestellung einer Anwältin
eines Anwaltes ein offensichtliches Unvermögen der nicht vertretenen Partei.
Ein solches liegt nicht bereits vor, wenn in der Sache aussichtslose Anträge ge-
stellt, prozessuale Fehler begangen, unrichtige Rechtsauffassungen vertreten
generell unvernünftiges Prozessverhalten an den Tag gelegt wird. Nur wenn
sich aufgrund einer Gesamtbetrachtung ergibt, dass die Partei gar nicht erkennt,
was relevant und was unwichtig ist und was wann unternommen werden muss, ist
ihr ein Rechtsvertreter zu bestellen (ROGER MORF, in: Myriam A. Gehri/Michael
Kramer [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Zürich 2010,
N 3 zu Art. 69 mit zahlreichen Hinweisen auf die Zürcher Rechtsprechung zum
altrechtlichen Art. 29 Abs. 2 ZPO/ZH). Grundsätzlich muss die Partei demnach
ausser Stande sein, ihre Rechte vor Gericht selbst zu vertreten, was nicht zuletzt
bei fehlender Postulationsfähigkeit anzunehmen ist (vgl. BGE 132 I 1). Vorliegend
wirft die Beschwerdeführerin durch ihr Verhalten, insbesondere durch die Formu-
lierung (und Ausweitung) ihrer Rechtsbegehren, verfahrensrechtliche Fragen auf,
welche durch das Gericht beantwortet, d.h. entschieden werden müssen. Wie von
der Vorinstanz angedeutet wurde, könnte der von der Beschwerdeführerin zu ver-
antwortende Sachverhalt im für sie schlechtesten Fall zu einem Nichteintretens-
entscheid führen. Allerdings ist vorliegend auch klar, dass die Beschwerdeführerin
einen Hochschulabschluss (Magister) besitzt und ihre Rechtsbegehren immerhin
so formuliert hat, dass deren Zielgerichtetheit ersichtlich ist. Ob das von der Be-
schwerdeführerin Gewollte tatsächlich von ihr rechtlich eingefordert werden kann
nicht, ist eine Frage, die das Bezirksgericht zu prüfen hat. Ebenso ist festzu-
stellen, dass die Beschwerdeführerin mit vorliegendem Rechtsmittel eine prozess-
leitende Verfügung angefochten hat, ohne dass hierzu eine entsprechende
Rechtsmittelbelehrung nötig gewesen wäre. Es kann somit davon ausgegangen
werden, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich weiss, was sie wann zu un-
ternehmen hat. Selbstredend tragen nicht vertretene prozessund postulationsfä-
hige Parteien das Risiko, dass sie das Verfahren unzweckmässig führen und da-
durch prozessuale Nachteile gar materielle Rechtsverluste erleiden. Dieses
Risiko tragen die nicht vertretenen Parteien aufgrund ihrer Eigenverantwortung.
Da vorliegend nicht erstellt ist, dass die Beschwerdeführerin offensichtlich eine
anwaltliche Vertretung braucht, um den Prozess zu führen, ist die Beschwerde in
diesem Punkt gutzuheissen und die vorinstanzliche Anweisung zur Bestellung ei-
ner Rechtsvertretung nach Art. 69 ZPO aufzuheben.
4.
Die Beschwerdeführerin erhebt ferner die Rüge der Rechtsverzögerung,
was gemäss Art. 319 lit. c ZPO auch ohne einen anfechtbaren Entscheid zulässig
Seite 8 — 11
ist. Rechtsverzögerung liegt vor, wenn ein Gericht eine Schlichtungsbehörde
eine Prozesshandlung nicht innert angemessener Frist vornimmt, einen Entscheid
nicht in angemessener Frist eröffnet begründet zustellt (vgl. CHRISTOPH LEU-
ENBERGER/BEATRICE UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Bern
2010, N 12.66). Die Beschwerdeführerin will eine Rechtsverzögerung des Be-
zirksgerichts Plessur darin erkannt haben, dass dieses, nach Empfang der (un-
vollständigen) elektronischen Beilagen am 5. August 2012, erst mit Schreiben vom
16. August 2012 die Nachreichung der Klageschrift und Beilagen in Papierform
verlangt hat. Sofern die Beilagen zur Klageschrift teilweise nicht eingetroffen sei-
en, hätte eine Mitteilung an sie sofort umgehend erfolgen können. Dabei
übersieht die Beschwerdeführerin, dass die Vorinstanz innert wenigen Tage nach
Erhalt der Eingabe bei ihr um Nachreichung der Unterlagen in Papierform nach-
suchte. Wenn eine Behörde - noch dazu an einem Sonntag eine elektronische
Eingabe empfängt, die eingereichten qualifiziert signierten und zeitgestempelten
Dokumente innert wenigen Tagen prüft und in der Folge sogleich zur Nachrei-
chung von Unterlagen in Papierform auffordert, stellt dies mit Sicherheit ein Vor-
gehen „innert angemessener Frist“ und damit keine Rechtsverzögerung dar. Die
Rüge der Rechtsverzögerung ist daher vorliegend offensichtlich unbegründet und
nicht zu hören.
5.
In ihrer Beschwerde erwähnt die Beschwerdeführerin einleitend, dass bei
ihr eine begründete Besorgnis zur Befangenheit des Richters vorliege. Inwiefern
der vorinstanzliche Richter befangen sein soll, wird von ihr sodann aber nicht aus-
geführt. Soweit aus den Akten ersichtlich, wurde bei der Vorinstanz kein Aus-
standsgesuch gemäss Art. 49 ZPO gestellt. Entsprechend wurde auch kein mit
Beschwerde anfechtbarer Entscheid erlassen (Art. 50 ZPO), sodass diesbezüglich
auch kein taugliches Beschwerdeobjekt vorliegt. Auf den in der Beschwerde erho-
benen Vorwurf der Befangenheit ist daher nicht einzutreten. Gleiches gilt im Übri-
gen für die vorgebrachte Rüge, dass ein blosser Hinweis auf einen früheren Ent-
scheid betreffend vorsorgliche Massnahmen nicht als Begründung für eine „indi-
rekte“ Ablehnung eines neuen Antrags genüge. Entgegen der Ansicht der Be-
schwerdeführerin wurde mit der prozessleitenden Verfügung vom 16. August 2012
nicht über den einstweiligen Rechtschutz entschieden. Vorsorgliche Massnahmen
wurden weder angeordnet, abgelehnt anderweitig behandelt, womit sie auch
nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde sein können.
6.
Gemäss Art. 114 lit. c ZPO dürfen bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsver-
hältnis bis Fr. 30'000.-- den Parteien weder Gebühren noch Auslagen des Gerichts
auferlegt werden. Vorliegend beziffert die Beschwerdeführerin ihren Anspruch in
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ihrer Klageschrift auf unter Fr. 30'000.-während in der Klagebewilligung noch ein
Streitwert von über Fr. 30‘000.-vermerkt ist. Nach bisheriger Praxis (vgl. PKG
1993 Nr. 5) bleibt eine erst in der Prozesseingabe erfolgte Reduktion des Streit-
werts ohne Einfluss auf die Verfahrensart und die Kostenpflichtigkeit des Verfah-
rens. Demnach sind auch vorliegend die Kosten des Beschwerdeverfahrens, be-
stehend aus den Gerichtskosten und der Parteientschädigung (Art. 95 ZPO), den
Parteien gemäss Art. 106 Abs. 2 ZPO nach ihrem Obsiegen bzw. Unterliegen auf-
zuerlegen. Die Beschwerdeführerin dringt mit einem ihrer Begehren insofern
durch, dass ihr nicht aufgrund von Art. 69 ZPO, d.h. wegen Unvermögens, gericht-
lich ein Anwalt eine Anwältin bestellt werden kann. Sie unterliegt danach aber
in den weiteren Punkten. Es rechtfertigt sich daher die Kosten des Beschwerde-
verfahrens zur einen Hälfte der Beschwerdeführerin und zur anderen Hälfte dem
Kanton Graubünden aufzuerlegen. Ein offenkundiger Verfahrensfehler der Vorin-
stanz, welcher eine Überbindung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf die
Vorinstanz rechtfertigen würde (vgl. PKG 2004 Nr. 11), ist vorliegend nicht ersicht-
lich. Eine Parteientschädigung wurde keine verlangt (vgl. dazu BENEDIKT
A. SUTER/CRISTINA VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger,
a.a.O., N 11 zu Art. 95).
Seite 10 — 11
III. Demnach wird erkannt
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Anweisung der Bestel-
lung einer Rechtsvertretung nach Art. 69 ZPO aufgehoben. Ansonsten wird
die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1‘500.-gehen je zur Hälfte
zulasten der Beschwerdeführerin und des Kantons Graubünden.
3.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 72 des Bundesgerichtsgeset-
zes (BGG) Beschwerde in Zivilsachen an das Schweizerische Bundesge-
richt geführt werden. Die Beschwerde ist dem Bundesgericht schriftlich, in-
nert 30 Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entschei-
dung in der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen.
Für die Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Vorausset-
zungen und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 72 ff. und
Art. 90 ff. BGG.
4.
Mitteilung an:
Seite 11 — 11
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