In dem vorliegenden Gerichtsverfahren vor dem Obergericht des Kantons Zürich ging es um einen Beschuldigten, der wegen Sachbeschädigung angeklagt war. Der Beschuldigte wurde schuldig gesprochen und erhielt einen Verweis. Die Kosten des Verfahrens wurden ihm auferlegt, und die Eltern haften solidarisch für diese Kosten. Der Beschuldigte und die Oberjugendanwaltschaft legten Berufung ein, wobei die Vorinstanz das Urteil bestätigte und der Beschuldigte die Kosten des Berufungsverfahrens tragen musste. Der Beschuldigte war Teil einer Gruppe von Kindern, die einen Feuerlöscher in einer Garage beschädigt hatten. Die rechtliche Würdigung ergab, dass der Beschuldigte schuldig war und kein Raum für einen Sachverhaltsirrtum bestand. Die Strafe wurde auf einen Verweis festgelegt, und die Kosten des Verfahrens wurden dem Beschuldigten auferlegt.
Urteilsdetails des Kantongerichts ZK1-09-44
Kanton: | GR |
Fallnummer: | ZK1-09-44 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 07.12.2009 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Rückführung eines Kindes |
Schlagwörter : | Gesuch; Recht; Gesuchs; Irland; Kindes; Verfahren; Rückführung; Schweiz; Aufenthalt; Tochter; Sorge; Gesuchsteller; Sorgerecht; Kanton; Über; Graubünden; Bundesgericht; Gesuchsgegnerin; Kantons; Verbringen; Staat; Haager; Mutter; Übereinkommen; Zeitpunkt; ändig |
Rechtsnorm: | - |
Referenz BGE: | 133 III 584; |
Kommentar: | - |
Entscheid des Kantongerichts ZK1-09-44
Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni
_____
Ref.:
Chur, 07. Dezember 2009
Schriftlich mitgeteilt am:
ZK1 09 44
15. Dezember 2009
(Eine gegen dieses Urteil beim Bundesgericht erhobene Beschwerde ist mit Urteil
vom 02. Februar 2010 teilweise gutgeheissen worden).
Urteil
I. Zivilkammer
Vorsitz
Michael Dürst
RichterInnen
Brunner und Schlenker
Redaktion
Aktuarin Thöny
In der Zivilsache
des X., Gesuchsteller, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. iur. Silvia Däppen-
Müller, Bahnhofstrasse 8, 7000 Chur,
gegen
Y., Gesuchsgegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Heinz Lüscher,
Weisse Gasse 14, 4001 Basel,
betreffend Rückführung eines Kindes,
hat sich ergeben:
I. Sachverhalt
A.
X.
(italienischer
Staatsangehöriger)
und
Y.
(schweizerische
Staatsangehörige) haben eine gemeinsame Tochter, A., geboren am 25. Februar
2007 in B.. Die Familie wohnte zunächst in C. und D. und zog sodann am 1.
November 2008 nach Irland. Im Frühling 2009 erfolgte die Trennung und X. zog
aus der gemeinsamen Wohnung aus, blieb jedoch in Irland wohnhaft.
B.
Anfang August 2009 reiste Y. erstmals in die Schweiz und meldete sich am
10. August 2009 bei der Einwohnerkontrolle in D. an. Danach kehrte sie nach
Irland zurück, um den endgültigen Umzug in die Schweiz zu organisieren.
C.
Am frühen Morgen des 3. September 2009 verliess Y. zusammen mit ihrer
Tochter A. Irland und reiste in die Schweiz ein.
D.
Ebenfalls am 3. September 2009 setzte der zuständige District Court of
Ennis X. auf dessen Gesuch hin zusammen mit Y. als „joint guardian“
(Sorgeberechtigter) ein und entschied, dass die Tochter A. den Gerichtsbezirk
nicht ohne Einwilligung des Gerichts verlassen dürfe.
E.
In der Folge leitete X. in Irland ein Verfahren betreffend internationale
Kindesentführung ein. Mit Eingabe vom 28. Oktober 2009 liess er beim
Kantonsgericht
von
Graubünden
gestützt
auf
das
Haager
Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) ein Gesuch um Rückführung seiner
Tochter A. nach Irland einreichen, wobei er die folgenden Anträge stellte:
„1. Es sei die Rückführung von A., geb. 25. Februar 2007, in den Distrikt
Ennis, Irland, anzuordnen.
2. Es seien mit dem Rückführungsentscheid Vollstreckungsmassnahmen
zu verbinden.
3. Für die Dauer des Verfahrens sei der Gesuchsteller zu berechtigen,
seine Tochter A. einmal wöchentlich einen halben Tag in der Schweiz
zu besuchen.
4. Es sei festzustellen, dass das von der Gesuchsgegnerin eingeleitete
Verfahren beim Kreisamt Domleschg bzw. Bezirksgericht Hinterrhein
von Amtes wegen auszusetzen ist, bis die Zuständigkeit des zuerst
angerufenen District Court Ennis (Irland) feststeht.
5. Es sei dem Gesuchsteller die unentgeltliche Prozessführung und
Verbeiständung durch die Unterzeichnende zu gewähren.
6. Unter
Kosten-
und
Entschädigungsfolge
zulasten
der
Gesuchsgegnerin.“
Seite 2 — 12
F.
Mit Verfügung vom 1. November 2009 trat die Vorsitzende der I.
Zivilkammer des Kantonsgerichts von Graubünden auf das Begehren des
Gesuchstellers um Feststellung der Sistierung des beim Kreisamt Domleschg bzw.
Bezirksgericht Hinterrhein hängigen Verfahrens (Ziff. 4 seines Rechtsbegehrens)
nicht ein.
G.
In ihrer Vernehmlassung vom 10. November 2009 liess Y. das folgende
Rechtsbegehren stellen:
„Das Gesuch um Rückführung auch nur um vorübergehende
Rückführung der Tochter A. für die Dauer der in Irland hängigen
Verfahren sei abzuweisen.
Ein allfälliges Gesuch um definitive Übersendung der Tochter an den
Vater sei abzuweisen.
Die Mutter wendet sich selbstverständlich nicht gegen ein Gespräch
oder gegen eine Mediation allerdings mit der evtl. Massgabe, dass
vorgängig über das Wohl der Tochter durch die zuständige Fachstelle
oder die Fachärztin gutachterlich berichtet wird.
Es sei unter evtl. Einbezug und Berücksichtigung des entsprechenden
Gutachtens der zuständigen Fachstelle der Fachärztin dem
Gesuchsteller ein angemessenes Besuchsrecht unter angemessenen
Sicherheitsauflagen zu gewähren.
Es sei nach Möglichkeit ebenfalls im vorliegenden Verfahren der
Gesuchsteller zu angemessenen Unterhaltsbeiträgen an die Mutter für
die Tochter zu verpflichten.
Es seien der Gesuchsbeklagten und der Tochter die Bewil igung der
unentgeltlichen Prozessführung mit dem Unterzeichnenden als Anwalt
zu gewähren.
Die Schriftensperre von Mutter und Tochter seien aufzuheben.
Unter o/e Kostenfolge.“
H.
In der Folge einigten sich die Parteien über eine Regelung des
Besuchsrechts für die Dauer des vorliegenden Verfahrens, welche mit Verfügung
vom 19. November 2009 respektive 26. November 2009 gerichtlich genehmigt
wurde.
I.
Nach Einholung einer entsprechenden Stellungnahme beider Parteien
verzichtete die Vorsitzende der I. Zivilkammer des Kantonsgerichts von
Graubünden mit Verfügung vom 25. November 2009 aufgrund fehlender
Erfolgsaussichten auf die Anordnung eines Mediationsverfahrens im Sinne von
Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über internationale Kindesentführung und die
Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (BG-KKE)
und teilte den Parteinen mit, dass über die Abnahme der beantragten Beweismittel
Seite 3 — 12
nach durchgeführter Hauptverhandlung mit persönlicher Anhörung der Parteien
entschieden werde.
J.
Mit Verfügung vom 26. November 2009 (ERZ 09 265) erteilte die
Vorsitzende der I. Zivilkammer des Kantonsgerichts von Graubünden X. für das
vorliegende Verfahren die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne
von Art. 26 Abs. 2 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte
internationaler Kindesentführung. Mit Eingabe vom 3. Dezember 2009 liess Y. die
mit Verfügung vom 25. November 2009 verlangten Unterlagen zur Begründung
ihres bereits in der Vernehmlassung vom 10. November 2009 gestellten Gesuches
um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung einreichen. Der Entscheid
über dieses Gesuch (ERZ 09 272) ist noch ausstehend.
K.
Anlässlich der mündlichen Hauptverhandlung vor dem Kantonsgericht von
Graubünden vom 7. Dezember 2009 waren beide Parteien sowie deren
Rechtsvertreter anwesend. Es wurden keine Einwände gegen die Zuständigkeit
und Zusammensetzung des Gerichts erhoben. Nachdem das Beweisverfahren
unter Vorbehalt des Entscheides über die Beweisanträge der Parteien sowie der
formfreien richterlichen Befragung geschlossen wurde, hielten die Parteivertreter
ihre Vorträge. Die Rechtsvertreterin des Gesuchstellers bestätigte ihre Anträge
gemäss Gesuch vom 28. Oktober 2009, währenddem der Rechtsvertreter der
Gesuchsgegnerin seinen Antrag um Regelung des Unterhalts zurückzog, an den
übrigen Begehren jedoch festhielt. Die Rechtsvertreterin des Gesuchstellers gab
eine schriftliche Ausfertigung ihres Vortrags zu den Akten. In der Folge wurden die
Parteien formfrei befragt, wobei die Befragung von X. in englischer Sprache
durchgeführt wurde.
Auf die Begründung der Anträge sowie das Ergebnis der formfreien Befragung
wird, soweit erforderlich, im Folgenden eingegangen.
II. Erwägungen
1.
Im vorliegenden Verfahren zu beurteilen ist ein Begehren um Rückführung
eines Kindes im Sinne des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über
die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen (HKÜ; SR
0.211.230.02). Dabei geht es um die Regelung der Rechtshilfe zwischen den
Vertragsstaaten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Respektierung und
Durchsetzung ausländischen Zivilrechts steht (vgl. BGE 133 III 584 E. 1.2 S. 584
f.). Die Hilfeleistung erfolgt vorab durch die zentrale Behörde jenes Staates, in
Seite 4 — 12
welchen das Kind entführt worden ist in welchem es zurückbehalten wird und
zwar gestützt auf einen bei ihr direkt eingereichten durch Vermittlung einer
anderen Behörde zugegangenen Antrag (vgl. Art. 9 HKÜ). Die innerstaatliche
Zuständigkeit für die Beurteilung von Rückführungsgesuchen, einschliesslich der
Massnahmen zum Schutz von Kindern, richtet sich in der Schweiz nach dem
Bundesgesetz über internationale Kindesentführung und die Haager
Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (BG-KKE; SR.
211.222.32). Dieses sieht als einzige Instanz das obere Gericht des Kantons vor,
in dem sich das Kind zum Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs aufhält (Art. 7
Abs. 1 BG-KKE). Da sich A. zurzeit in D. aufhält, ist demzufolge das
Kantonsgericht von Graubünden für die Beurteilung des Rückführungsbegehrens
von X. zuständig.
2.
Beim Rückführungsentscheid darf weder über die elterliche Sorge noch
über die Obhut befunden werden; vielmehr bleibt die betreffende Entscheidung
dem Richter des Herkunftsstaates vorbehalten (Art. 16 und 19 HKÜ). Alleiniges
Thema des Rückforderungsprozesses ist die Prüfung der Voraussetzungen für die
Rückführung; sind diese gegeben, muss die Rückführung ohne materielle Prüfung
angeordnet werden, soweit nicht ausnahmsweise einer der Ausschlussgründe im
Sinne von Art. 12 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1 2 Art. 20 HKÜ gegeben ist (vgl.
Urteil 5A_ 105/2009 des Bundesgerichts vom 16. April 2009).
3.
Das Verbringen eines Kindes über die Landesgrenze ist dann
widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person,
Behörde sonstigen Stelle allein gemeinsam nach dem Recht des
Staates zusteht, in welchem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen
Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und dieses Recht im
Zeitpunkt des Verbringens Zurückhaltens allein tatsächlich ausgeübt
wurde ausgeübt worden wäre, wenn das Verbringen Zurückhalten nicht
stattgefunden hätte (Art. 3 lit. a und b HKÜ). Das genannte Sorgerecht kann
insbesondere kraft Gesetz, aufgrund einer gerichtlichen behördlichen
Entscheidung aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates
wirksamen Vereinbarung bestehen. Massgeblich ist also die Sorgerechtslage, wie
sie beim Verbringen bestanden hat; dieser Status quo ante soll wiederhergestellt
werden, weshalb ein Verbringen kurz vor einer erwarteten Entscheidung keinen
Rückführungsanspruch zu begründen vermag und insbesondere auch ein
nachträgliches Missbilligen durch einen Gerichtsentscheid nicht von Art. 3 HKÜ
erfasst wird (vgl. Entscheid 5A_713/2007 des Bundesgerichts vom 28. Februar
2008 E. 3 mit weiteren Hinweisen).
Seite 5 — 12
a)
Zu beachten ist zunächst, dass das Sorgerecht nach dem Recht desjenigen
Staates massgeblich ist, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen
Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. Art. 3 lit. a HKÜ). Das
Haager Übereinkommen enthält keine Definition des „gewöhnlichen Aufenthalts“.
Der Begriff muss vertragsautonom ausgelegt werden, insbesondere ist die
Legaldefinition von Art. 20 Abs. 1 lit. b IPRG nicht massgeblich. Dabei ist er
grundsätzlich gleich zu bestimmen wie der nämliche Anknüpfungspunkt des
Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das
anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSÜ;
SR 0.211.231.01). Von Bedeutung ist somit der tatsächliche, eigene
Lebensmittelpunkt des Kindes. Neben einer physischen Präsenz von einer
gewissen Dauer und Regelmässigkeit kommt es auf den Ort der engsten
familiären Beziehung zwischen Kind und Umwelt an. Insbesondere wird der
gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht von einem Elternteil rechtlich abgeleitet.
Die tatsächliche Eingliederung in neue Lebensverhältnisse (beispielsweise nach
einem Umzug) setzt einen gewissen Zeitablauf voraus. Grundsätzlich kann von
einer Sechsmonatefrist ausgegangen werden. In Abweichung vom Erfordernis des
zeitlichen Elements kann in den Fällen schon mit Beginn der tatsächlichen
Niederlassung ein gewöhnlicher Aufenthalt als begründet angenommen werden, in
denen dieser Aufenthalt von Anfang an auf längere Dauer ausgerichtet ist. Mit
anderen Worten begründet ein Kind im Normalfall eines Umzugs (d.h. nicht im
Entführungsfall) mit den sorgeberechtigten Eltern sofort einen gewöhnlichen
Aufenthalt. Zeitweilige Unterbrechungen der Anwesenheit schliessen das (Weiter-
)Bestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus, solange der
Lebensmittelpunkt erhalten bleibt (vgl. zum Ganzen: Urteil des Bundesgerichts
5P.367/2005 vom 15. November 2005 E. 5.4 mit weiteren Hinweisen;
Bach/Gildenast, Internationale Kindesentführung, Bielefeld 1999, N. 62; Urteil des
Bundesgerichts 5P.128/2003 vom 23. April 2003 E. 3.2).
b)
Im vorliegenden Fall steht fest und ist unbestritten, dass Y. und X. nicht
verheiratet sind. Gemäss geltendem irischem Recht ist somit die Mutter des
Kindes alleinige Inhaberin des Sorgerechts, sofern keine anderslautende
Vereinbarung ein anderslautender Gerichtsentscheid vorliegt. Wie Y. in der
richterlichen Befragung anlässlich der Hauptverhandlung vom 7. Dezember 2009
zu Protokoll gab, reiste sie am 31. Juli 2009 zusammen mit der Tochter A. für zwei
Wochen in die Schweiz, um ihre Rückkehr zu organisieren. Am 10. August 2009
meldete sie sich bei der Einwohnerkontrolle der Gemeinde D. an (act. 06/7). Damit
begründete sie bereits zu diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in D.,
Seite 6 — 12
da sie sich mit der Absicht des längeren Verbleibens dort niederliess. In diesem
Zusammenhang ist unerheblich, dass Y. danach kurzzeitig nach Irland
zurückkehrte, um den dortigen Aufenthalt abzuschliessen und ihre persönlichen
Gegenstände in die Schweiz zu versenden, zumal es sich dabei lediglich um eine
zeitlich eng begrenzte Unterbrechung der Anwesenheit handelte. Aufgrund der
Aussagen von X. steht fest, dass er anfangs August zwar erste Kontakte mit
seiner Rechtsvertretung aufgenommen hatte, jedoch zu diesem Zeitpunkt noch
kein Verfahren betreffend Sorgerecht in Irland anhängig war. Demzufolge war Y.
bei ihrer Einreise in die Schweiz am 31. Juli 2009 alleinige Inhaberin des
Sorgerechts über A. und hatte demzufolge auch das Recht, den Aufenthaltsort
ihres Kindes zu bestimmen. Da der Aufenthalt in der Schweiz zusammen mit ihrer
Tochter auf längere Dauer ausgerichtet war und an die Stelle des bisherigen
Lebensmittelpunktes treten sollte, was mit der Anmeldung bei der
Einwohnerkontrolle der Gemeinde D. am 10. August 2009 belegt wird, begründete
A. gemäss der vorstehend zitierten Praxis somit bereits zu diesem Zeitpunkt einen
gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz. Daran vermag auch nichts zu ändern,
dass der District Court of Ennis X. am 3. September 2009 - und damit nachträglich
zusammen mit Y. als „joint guardian“ einsetzte und entschied, dass die Tochter
A. den Gerichtsbezirk nicht ohne Einwilligung des Gerichts verlassen dürfe. Nach
dem Gesagten steht fest, dass A. am 3. September 2009 ihren gewöhnlichen
Aufenthalt bereits in der Schweiz hatte.
c)
Die Tatsache, dass das Haager Übereinkommen für die Widerrechtlichkeit
strikt auf den Zeitpunkt des Verbringens abstellt, womit gemäss einhelliger Lehre
auch spätere Entscheide unbeachtlich sein müssen, steht im Zusammenhang mit
den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes: Die rechtsunterworfenen Parteien müssen objektiv wissen
beziehungsweise in Erfahrung bringen können, welches Recht zu einem
bestimmten Zeitpunkt gilt und ob sie mit ihren Handlungen allenfalls dagegen
verstossen (Urteil 5A_713/2007 des Bundesgerichts vom 28. Februar 2008). Y.
wurde gemäss eigenen Aussagen erst am 31. August 1. September 2009 mit
Zustellung der Vorladung darüber in Kenntnis gesetzt, dass X. ein
Sorgerechtsverfahren anhängig gemacht hatte. Diese Aussage deckt sich mit
derjenigen des Gesuchstellers, wonach dieser unmittelbar nach seiner Rückkehr
aus Italien am 31. August 2009 beim Gericht in Irland um eine rasche Ansetzung
einer Verhandlung ersucht hatte. Damit durfte die Mutter als alleinige Sorgerechts-
inhaberin am 31. Juli 2009 im Vertrauen auf die damalige Rechtslage gutgläubig
aus Irland ausreisen und musste nicht damit rechnen, dass sie damit gegen ein
Seite 7 — 12
allfälliges behördliches Sorgerecht verstossen könnte. Damit ist auch der Einwand
des Gesuchstellers, wonach das irische Gericht während hängigem Verfahren
aufgrund des sogenannten „Ward of Court“ zum Inhaber des Sorgerechts werde,
für das vorliegende Verfahren unbehelflich.
d)
Zusammenfassend ergibt sich, dass Y. zum Zeitpunkt des Verbringens von
A. ein alleiniges Sorgerecht über ihre Tochter hatte, weshalb das Verbringen nicht
als widerrechtlich im Sinne von Art. 3 HKÜ zu qualifizieren ist. Demzufolge
mangelt es an einer notwendigen Voraussetzung zur Begründung des
Rückführungsanspruches nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ. Das Gesuch von X. ist daher
abzuweisen. Damit erübrigt es sich, auf den Antrag der Gesuchsgegnerin um
Einholung eines fachärztlichen Gutachtens über das Kindeswohl sowie um
Abklärung des Standes des in Irland hängigen Verfahrens näher einzugehen.
4.
Selbst unter der Annahme, dass die Voraussetzungen nach Art. 3 lit. a und
b HKÜ erfüllt wären und ein widerrechtliches Verbringen vorläge, was im
konkreten Fall jedoch nicht zutrifft, wäre im übrigen von einer Rückführung von A.
nach Irland abzusehen. Der in Art. 13 Abs.1 lit. b HKÜ statuierte Ausschlussgrund
sieht vor, dass ein Rückführungsanspruch entfällt, wenn die Rückgabe mit einer
schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen seelischen Schadens für das
Kind verbunden ist das Kind auf eine andere Weise in eine unzumutbare
Lage bringt. Eine Konkretisierung dieser Bestimmung erfolgt in Art. 5 BG-KKE.
Darin wird ausgeführt, dass eine solche unzumutbare Lage insbesondere dann
vorliegt, wenn die Unterbringung beim das Gesuch stellenden Elternteil
offensichtlich nicht dem Wohl des Kindes entspricht, der entführende Elternteil
unter Würdigung der gesamten Umstände nicht in der Lage ist es ihm
offensichtlich nicht zugemutet werden kann, das Kind im Staat zu betreuen, in
dem es unmittelbar vor der Entführung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
die Unterbringung bei Drittpersonen offensichtlich nicht dem Wohl des Kindes
entspricht. Mit den in Art. 5 BG-KKE umschriebenen Voraussetzungen, welche
kumulativ vorliegen müssen, wird somit klargestellt, wann von einer unzumutbaren
Lage im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ auszugehen ist, wobei die in diesem
Punkt bisher sehr strenge Bundesgerichtspraxis offenbar etwas gemildert werden
soll (vgl. Monique Jametti Greiner, Der neue internationale Kindesschutz in der
Schweiz, in: FamPra.ch 2/2008, S. 298 ff.).
a)
Aufgrund der konkreten Situation fällt im vorliegenden Fall eine
Unterbringung von A. bei X. ausser Betracht. Dieser hält sich gemäss eigenen
Aussagen zurzeit in E. bei seiner Mutter auf. Anlässlich der Hauptverhandlung
Seite 8 — 12
vom 7. Dezember 2009 führte er aus, keine Wohnung in Irland mehr zu haben.
Sein bisheriger Vermieter habe ihm jedoch zugesichert, jederzeit wieder eine
Wohnung übernehmen zu können. Auch könne er ohne Weiteres wieder im Hostel
arbeiten, wo er bis anhin tätig gewesen sei. Er wünsche sich, zusammen mit Y.
die Betreuung von A. zu übernehmen und so zu organisieren wie vor deren
Rückkehr in die Schweiz. Alleine könne er nicht für seine Tochter sorgen, sondern
müsste sie vielmehr in der Zeit, in welcher er arbeite, d.h. während 3-4 Tagen pro
Woche, in eine Kinderkrippe geben. Unter diesen Umständen liegt eine
Unterbringung beim Vater nicht im Interesse des Kindes, zumal es sich bei A.
noch um ein Kleinkind handelt, dessen Hauptbezugsperson selbst nach
Darstellung des Gesuchstellers die Mutter ist, so dass ein abrupter Wechsel in den
Betreuungsverhältnissen dem Kindeswohl offensichtlich widersprechen würde.
b)
Ist dem Kind die Unterbringung beim Vater nicht zumutbar, ist zu prüfen, ob
die Mutter in der Lage ist, ebenfalls in den Staat des bisherigen Aufenthaltes des
Kindes zurückzukehren, um es dort persönlich betreuen zu können. Gemäss
Haager Übereinkommen muss das Kind nämlich nicht zum verletzten Elternteil
zurückgeführt werden, sondern hat lediglich in den Staat zurückzukehren, in
welchem es bis dahin gewöhnlich gelebt hat. Dabei wird vom entführenden
Elternteil grundsätzlich erwartet, dass er das Kind in den Herkunftsstaat begleitet,
da er aus dem vorangegangenen Rechtsbruch keinen Vorteil soll ziehen können
und ihm die Berufung auf eine durch die Ablehnung der Begleitung selbst
geschaffene Gefahr für das Kindeswohl grundsätzlich verwehrt ist. Eine
Weigerung des entführenden Elternteils zur Rückkehr in den Herkunftsstaat kann
daher nur dann beachtlich sein, wenn sie sich auf objektiv nachvollziehbare
Gründe abstützt und eine eigentliche Notsituation vorliegt, in welcher
vernünftigerweise nicht mit einer Rückkehr zu rechnen ist, sei dies, weil der
entführende Elternteil bei einer allfälligen Rückkehr mit einer Gefängnisstrafe zu
rechnen hat, die eine Trennung vom Kind nach sich zieht, weil eine sehr
enge Familienbeziehung zur Schweiz besteht (vgl. Jametti Greiner, a.a.O., S.
299).
c)
Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass Y. in der Schweiz wieder als
Primarlehrerin zu arbeiten begonnen hat und die Betreuung der Tochter durch die
Schwägerin, die Mutter und eine Freundin gesichert ist, während sie in Irland ihren
eigenen Angaben zufolge Sozialhilfe beziehen musste. Um in Irland auch
weiterhin Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen zu können, müsste sie
wieder eine Arbeit finden, was sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen als
äussert schwierig erweisen dürfte. Zudem könne sie die Rückkehr nach Irland zum
Seite 9 — 12
jetzigen Zeitpunkt gar nicht finanzieren. Die Weigerung der Gesuchsgegnerin,
nach Irland zurückzukehren, ist daher objektiv nachvollziehbar. Dabei ist wohl
einzuräumen, dass es sich bei den genannten Gründen vorwiegend um solche
wirtschaftlicher Natur handelt, welche für sich alleine genommen nicht zu einer
Abweisung des Rückführungsgesuches führen könnten. Vorliegend ist indessen
zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Vaters in Irland ebenfalls nicht
gesichert erscheint und eine dauerhafte Übertragung der Obhut auf den Vater bei
den gegebenen Umständen offensichtlich nicht in Frage kommt. Bei der
Gesuchsgegnerin handelt es sich dagegen klarerweise um die für das Kind primär
Sorge tragende Person, der in Anbetracht der wirtschaftlichen und sozialen
Rahmenbedingungen eine Rückkehr in die Schweiz auch von einem irischen
Gericht kaum auf Dauer verwehrt werden kann. Dies gilt umso mehr, als die
Parteien erst relativ kurze Zeit in Irland gelebt haben und ihr Aufenthalt gemäss
der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Gesuchsgegnerin an der
Hauptverhandlung von vornherein befristeter Natur war, wenn auch der Zeitpunkt
der Rückkehr noch unbestimmt war. Unter diesen Umständen würde die
Rückführung von A. offensichtlich darauf hinauslaufen, dass das Kind nur deshalb
nach
Irland
zurückgeführt
werden
müsste,
um
dort
nebst
dem
Sorgerechtsentscheid die definitive Zuteilung der Obhut an die Mutter abzuwarten
und alsdann mit dieser wieder in die Schweiz zurückzukehren. Ein solches Hin
und Her würde damit einzig zum Zwecke einer überspitzten Unterwerfung unter
die Zuständigkeit der Behörden des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts erfolgen.
Eine derartige mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbarende Lösung wird jedoch
vom Sinn und Zweck des Haager Übereinkommens nicht mehr gedeckt (vgl.
Jametti Greiner, a.a.O., S. 300). Damit steht fest, dass das Gesuch von X. um
Rückführung von A. nach Irland auch infolge Vorliegens des Ausschlussgrundes
von Art. 13 Abs.1 lit. b HKÜ abgewiesen werden müsste.
5.a) Gemäss Art. 26 Abs. 2 HKÜ dürfen die zentralen Behörden und andere
Behörden der Vertragsstaaten für die nach diesem Übereinkommen gestellten
Anträge keine Gebühren erheben. Die Kosten des vorliegenden Verfahrens gehen
daher zu Lasten des Kantons Graubünden.
b)
Der Antragsteller ist gemäss Art. 26 Abs. 2 HKÜ auch von der Bezahlung
seiner Anwaltskosten befreit, sofern die am Verfahren beteiligten Staaten keinen
Vorbehalt im Sinne von Art. 26 Abs. 3 HKÜ angebracht haben, wonach die
Kostenbefreiung nur insoweit zu gewähren wäre, als die Kosten durch das im
betreffenden Staat geltende System der unentgeltlichen Rechtshilfe und
Rechtsberatung gedeckt sind. Da weder die Schweiz noch Irland einen
Seite 10 — 12
entsprechenden Vorbehalt angebracht haben, dürfen X. die Kosten seines
Rechtsvertreters nicht überbunden werden. Diese werden daher entsprechend der
Verfügung der Vorsitzenden der I. Zivilkammer vom 26. November 2009 (ERZ 09
265) dem Kanton Graubünden auferlegt. Weil sich die unentgeltliche Rechtspflege
jedoch nur auf die eigenen Parteikosten erstreckt, hat der Gesuchsteller gemäss
dem Ausgang des Verfahrens die Gesuchsgegnerin zu entschädigen (vgl. Urteil
des Bundesgerichts 5A_582/2007 vom 4. Dezember 2007 E. 5). Der
Rechtsvertreter der Gesuchsgegnerin machte in seiner Honorarnote vom
3. Dezember 2009 einen zeitlichen Aufwand von 43.83 Stunden zuzüglich
Postspesen von Fr. 32.50 und Auslagen für Kopien von Fr. 24.50 geltend. Dieser
Aufwand erscheint dem Kantonsgericht in Anbetracht des Schwierigkeitsgrades
des konkreten Falles und des für eine sachgemässe Interessenwahrung
gebotenen Zeitaufwands wie auch mit Blick auf die erhebliche Differenz zum
geltend gemachten Aufwand der gegnerischen Rechtsvertreterin (17.30 Stunden)
unangemessen hoch. Hinzu kommt, dass Positionen ab dem 22. September 2009
aufgeführt werden, obwohl das für den vorliegenden Fall massgebende
Rückführungsgesuch vom 28. Oktober 2009 datiert und der Gegenpartei erst am
30. Oktober 2009 zur Stellungnahme zugestellt wurde. Es ist daher davon
auszugehen, dass es sich bei den vor diesem Datum aufgeführten Positionen um
Aufwand für den ebenfalls hängigen Unterhaltsprozess handelt, welcher nicht im
vorliegenden Verfahren geltend gemacht werden kann. Unter Berücksichtigung
eines angemessenen zeitlichen Aufwands für die notwendigen und tatsächlich
geleisteten Arbeiten und der unumgänglichen Umtriebe sowie des
Schwierigkeitsgrads und der objektiven Bedeutung des Falles erachtet es das
Gericht daher als gerechtfertigt, die von Rechtsanwalt Dr. iur. Heinz Lüscher
eingereichte Honorarnote auf Fr. 4'000.-einschliesslich Mehrwertsteuer zu
reduzieren. Folglich hat der Gesuchsteller die Gesuchsgegnerin für das
vorliegende Verfahren mit Fr. 4’000.-einschliesslich Mehrwertsteuer
ausseramtlich zu entschädigen.
c)
Über das von Y. eingereichte Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege wird in einem separaten Verfahren (ERZ 09 272) entschieden.
Seite 11 — 12
III. Demnach wird erkannt
1.
Das Gesuch von X. wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Verfahrens von Fr. 2'500.-gehen zu Lasten des Kantons
Graubünden.
3.
X. wird verpflichtet, Y. für das Verfahren ausseramtlich mit Fr. 4'000.--
einschliesslich Mehrwertsteuer zu entschädigen.
4.
Die auf X. entfallenden Kosten seiner Rechtsvertretung werden gestützt auf
die ihm gewährte unentgeltliche Rechtspflege dem Kanton Graubünden in
Rechnung gestellt.
5.
Rechtsanwältin Dr. iur. Silvia Däppen-Müller wird aufgefordert, innert 10
Tagen seit Mitteilung dieses Urteils eine detaillierte und tarifgemässe
Honorarnote einzureichen. Bei Nichteinhaltung dieser Frist wird der
Aufwand nach pflichtgemässem Ermessen festgesetzt.
6.
Gegen
diese
Entscheidung
kann
gemäss
Art.
72
des
Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Zivilsachen an das
Schweizerische Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, geführt werden. Die
Beschwerde ist dem Bundesgericht schriftlich, innert 10 Tagen seit
Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in der gemäss
Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Zulässigkeit,
die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen und das
Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 72 ff. und Art. 90 ff. BGG.
7.
Mitteilung an:
Seite 12 — 12
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.