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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Zusammenfassung des Urteils SK2-15-31: Kantonsgericht Graubünden

X._____ mietete ein Studio von B._____, wurde jedoch beschuldigt, fremde Sachen entwendet zu haben. Er erhielt einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe und Gerichtskosten in Höhe von CHF 1196.00. X._____ legte Einspruch ein und beantragte den Ausstand des Bezirksgerichtspräsidenten Y._____. Das Kantonsgericht von Graubünden wies das Ausstandsgesuch ab, da keine Befangenheit vorlag. X._____ beantragte auch die Verlegung des Verfahrens an ein anderes Gericht, was jedoch abgelehnt wurde. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von CHF 1500.00 wurden X._____ auferlegt.

Urteilsdetails des Kantongerichts SK2-15-31

Kanton:GR
Fallnummer:SK2-15-31
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid SK2-15-31 vom 04.12.2015 (GR)
Datum:04.12.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Ausstand
Schlagwörter : Gesuch; Ausstand; Bezirksgericht; Verfahren; Gesuchsteller; Bezirksgerichts; Graubünden; Recht; Richter; Bezirksgerichtspräsident; Anzeige; Kantons; Verfahrens; Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Gericht; Befangenheit; Bundesgericht; Kantonsgericht; Ausstandsgesuch; Sache; Person; Akten; /Heer/Wiprächtiger; Urteil
Rechtsnorm:Art. 194 StPO ;Art. 331 StPO ;Art. 56 StPO ;Art. 58 StPO ;Art. 59 StPO ;Art. 92 BGG ;
Referenz BGE:138 I 1; 139 I 121;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SK2-15-31

Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni

Ref.:
Chur, 04. Dezember 2015
Schriftlich mitgeteilt am:
SK2 15 31
14. Dezember 2015
Beschluss

II. Strafkammer
Vorsitz
Hubert
Richter
Pritzi und Schnyder
Aktuar ad hoc
Crameri

In der Strafsache
des X.___, Gesuchsteller,

gegen

Y.___, Bezirksgerichtspräsident A.___, Gesuchsgegner,

betreffend Ausstand,

hat sich ergeben:

I. Sachverhalt
A.
X.___ mietete ab Juli 2013 von B.___ ein Studio im Haus C.___ in
O.1___. Dieses Mietverhältnis wurde per 31. Oktober 2013 aufgelöst. Gemäss
Strafbefehl vom 3. April 2014, mitgeteilt am 7. April 2014, habe sich X.___
fremde Sachen, d.h. Sachen, die sich im Studio befunden und im Eigentum des
Vermieters gestanden hätten, angeeignet und in seine in O.2___ gemietete
Wohnung transportiert. Die Staatsanwaltschaft Graubünden erkannte daher mit
Strafbefehl vom 3. April 2014 was folgt:
„1. X.___ ist schuldig der Veruntreuung nach Art. 138 Ziff. 1 StGB.
2.
Die beschuldigte Person wird bestraft mit einer Geldstrafe von 45 Ta-
gessätzen zu je CHF 50.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit
von 3 Jahren.

3.
Die beschuldigte Person wird zudem bestraft mit einer Busse von CHF
300.00. Bei schuldhafter Nichtbezahlung tritt an Stelle der Busse eine
Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Tagen.

4. Die Kosten des Verfahrens werden der beschuldigten Person aufer-
legt.
5.
Demgemäss hat die beschuldigte Person zu bezahlen:

- Busse

CHF 300.00

- Barauslagen

CHF 146.00

- Gebühren

CHF 750.00

Rechnungsbetrag
CHF 1196.00
6. (Mitteilung)"
B.
Gegen diesen Strafbefehl erhob X.___ mit Eingabe vom 17. März 2015
Einsprache an die Staatsanwaltschaft Graubünden (Staatsanwaltschaft act. 1.14).
C.
Am 15. September 2015, mitgeteilt am 21. September 2015, übermittelte
die Staatsanwaltschaft Graubünden dem Bezirksgericht A.___ den Strafbefehl,
teilte mit, daran festzuhalten, und beantragte, die Einsprache für ungültig zu erklä-
ren und wegen Verspätung darauf nicht einzutreten.
D.
Mit Vorladung vom 23. September 2015 setzte der Präsident des Bezirks-
gerichts A.___, lic. iur. Y.___, die Hauptverhandlung auf den 8. Dezember
2015, 13.45 Uhr, an und gab die Zusammensetzung des Gerichts bekannt.
E.
Mit Eingabe vom 8. Oktober 2015 beantragte X.___ dem Bezirksgericht
A.___, dass der Bezirksgerichtspräsident lic. iur. Y.___ in den Ausstand trete
und die Verhandlung (recte: das Verfahren) an das Bezirksgericht D.___ abge-
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treten werde. Begründend führte er aus, er habe gegen den Bezirksgerichtspräsi-
denten eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs eingereicht. Das Verfahren
sei noch hängig und werde bis zur Hauptverhandlung voraussichtlich nicht erledigt
sein. Im Weiteren könnte das Bezirksgericht D.___ "neutraler" sein als das Be-
zirksgericht A.___ und die Anfahrt aus O.3___ sei zu dieser Jahreszeit siche-
rer.
F.
Der Bezirksgerichtspräsident übermittelte gestützt auf Art. 59 Abs. 1 lit. b
StPO das Ausstandsbegehren an das Kantonsgericht von Graubünden. Mit Verfü-
gung vom 13. Oktober 2015 forderte der Vorsitzende der II. Strafkammer des Kan-
tonsgerichts die Staatsanwaltschaft Graubünden sowie den Bezirksgerichtspräsi-
denten A.___ zur Stellungnahme auf und verlangte die Akten der Vorinstanz
ein. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 übermittelte der Bezirksgerichtspräsident
die eingeforderten Akten und wies darauf hin, dass gemäss Auskunft von Staats-
anwalt lic. iur. H.___ die von X.___ erwähnte Strafsache eingestellt worden
und diesbezüglich beim Kantonsgericht eine Beschwerde hängig sei. Die Staats-
anwaltschaft Graubünden nahm innert Frist zum Ausstandsgesuch keine Stellung.
G.
Auf die weiteren Ausführungen in den Rechtsschriften wird, soweit erforder-
lich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
II. Erwägungen
1.
Trifft einer der in Art. 56 lit. a f StPO aufgeführten Ausstandsgründe auf
eine in einer Strafbehörde tätige Person zu, tritt sie entweder selbst in den Aus-
stand sie kann auf Gesuch einer Partei hin von der gemäss Art. 59 Abs. 1
StPO zuständigen Behörde in den Ausstand versetzt werden. Im vorliegenden
Fall, in dem das erstinstanzliche Gericht betroffen ist, ist die Beschwerdeinstanz
zuständig (Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO; Markus Boog, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger
[Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Art. 1-195
StPO, 2. Auflage, Basel 2014 N 7 zu Art. 59 StPO). Die Zuständigkeit der II. Straf-
kammer des Kantonsgerichts von Graubünden ergibt sich aus Art. 22 des Einfüh-
rungsgesetzes zur Schweizerischen Strafprozessordnung (EGzStPO; BR
350.100) in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der Kantonsgerichtsverordnung (KGV;
BR 173.100).
2.a)
Eine Partei, die ein Ausstandsgesuch stellen will, hat ihr Gesuch bei der
Verfahrensleitung ohne Verzug zu stellen und dabei die den Ausstand begründen-
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den Tatsachen glaubhaft zu machen (vgl. Art. 58 Abs. 1 StPO). Der Ausstand ist
so früh wie möglich, mithin in den nächsten Tagen nach Kenntnisnahme der aus-
standsbegründenden Umstände, geltend zu machen (vgl. Markus Boog, in: Nig-
gli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O., N. 5 zu Art. 58 StPO; Andreas J. Keller, in:
Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafpro-
zessordnung [StPO], 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, N 3 zu Art. 58 StPO; vgl.
auch Urteil des Bundesgerichts 1B_754/2012 vom 23. Mai 2013 E. 3.1 unter Ver-
weis auf BGE 138 I 1 E. 2.2 und 134 I 20 E. 4.3.1). Wie viele Tage der Gesuch-
steller bei Kenntnis des auslösenden Geschehnisses Umstandes zuwarten
darf, lässt sich nicht näher beziffern. Die Umstände des Einzelfalls und das Ver-
fahrensstadium sind zu berücksichtigen. So wurde ein innerhalb einer Woche
nach Kenntnisnahme des Ausstandsgrundes gestelltes Ablehnungsgesuch im
Verfahren zur Vorbereitung der Hauptverhandlung als rechtzeitig erachtet. Ein
Zuwarten von zwei Wochen wäre klar zu lange (Andreas J. Keller, a.a.O., mit Hin-
weisen). In der Literatur wird des Weiteren die Auffassung vertreten, dass derjeni-
ge, der bereits bei Einreichen eines Rechtsmittels weiss, dass unter Umständen
von ihm als befangen erachtete Richter am Entscheid teilnehmen könnten, dies
zusammen mit dem Rechtsmittel geltend machen muss. Ein verspätetes Aus-
standsgesuch führt zum Nichteintreten. Mithin kann in diesem Fall davon ausge-
gangen werden, dass der Gesuchsteller auf sein Recht verzichtet, wobei wie bei
jedem Verzicht auf grundlegende Rechte der Berechtigte in sprachlicher und intel-
lektueller Hinsicht die Bedeutung eines Verzichts zumindest im Kern verstehen
muss (Andreas Donatsch, Der Sachverständige im Strafverfahrensrecht, unter
besonderer Berücksichtigung seiner Unabhängigkeit sowie des Privatgutachters,
in: Jusletter vom 14. Mai 2007, N 34).
b/aa) Die unverzügliche Stellung des Ausstandsbegehrens setzt voraus, dass die
Partei die personelle Zusammensetzung der Strafbehörde beziehungsweise des
Gerichts kennt. Gemäss bisheriger Rechtsprechung ist es dabei nicht notwendig,
dass die Zusammensetzung des Gerichts den Parteien offiziell bekannt gegeben
wurde; vielmehr ist ausreichend, dass diese Information öffentlich zugänglich ist
(vgl. Urteile des Bundesgerichts 5A_335/2010, E. 2.2.2; 1P.339/2004 vom 22. Ok-
tober 2004 E. 2). Dies gilt jedenfalls bei anwaltlich vertretenen Parteien (BGE 128
V 82 E. 2.b; 117 Ia 322 E. 1.c). Ob an dieser Rechtsprechung angesichts der in
der Lehre dagegen erhobenen Kritik (vgl. Regina Kiener, Richterliche Unabhän-
gigkeit, Bern 2001, S. 353 f.; David Rüetschi, in: Berner Kommentar, Schweizeri-
schen Zivilprozessordnung, Band I, Bern 2012, Art. 49 N 11) und aufgrund der
ausdrücklichen Regelung in Art. 331 Abs. 1 StPO, wonach den Parteien mit der
Seite 4 — 12

Ansetzung der Hauptverhandlung die Zusammensetzung des Gerichts mitzuteilen
ist, festzuhalten ist, bleibt fraglich, braucht vorliegend aus nachfolgenden Gründen
aber nicht abschliessend beurteilt zu werden.
bb)
Aus den Akten geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft dem Bezirksgericht
A.___ mit Verfügung vom 15. September 2015, mitgeteilt am 21. September
2015, den gegen den Gesuchsteller erlassenen Strafbefehl übermittelte (Staats-
anwaltschaft act. 1.18). Der Beschwerdeführer wurde mit einer Kopie darüber ori-
entiert. Wann er diese tatsächlich erhalten hat, ist den Akten nicht zu entnehmen.
Zwar lässt sich dem Staatskalender Graubünden und dem öffentlich zugänglichen
Justizportal des Kantons Graubünden entnehmen, dass sich die Strafkammer des
Bezirksgerichts A.___ neben dem Bezirksgerichtspräsidenten lic. iur. Y.___
aus den Bezirksrichtern E.___, F.___ und G.___ zusammensetzt (abrufbar
unter
http://www.justiz-gr.ch/gerichte/bezirks-gerichte/A.___/ueber-
uns/kammern.html). Damit hätte der Beschwerdeführer bereits zum Zeitpunkt, als
der Strafbefehl an die Vorinstanz übermittelt wurde, erkennen können, dass der
Bezirksgerichtspräsident lic. iur. Y.___ mit der Sache betraut sein würde. Zu-
dem wusste der Gesuchsteller aus dem Verfahren betreffend vorsorgliche Beweis-
führung (Proz. Nr. 135-2013-236) von der Tätigkeit von lic. iur. Y.___ am Be-
zirksgericht A.___. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Gesuchsteller
nicht anwaltlich vertreten ist und bei ihm als Laien die oben aufgeführte bundesge-
richtliche Rechtsprechung nicht als bekannt vorausgesetzt werden kann. Aus dem
Gesetz ergibt sich die gemäss Rechtsprechung geltende Regelung nirgends aus-
drücklich. Vielmehr lässt sich aus Art. 331 Abs. 1 StPO ableiten, dass die Mittei-
lung der Zusammensetzung des Gerichts ausschlaggebend ist. Darauf darf sich
jedenfalls eine nicht anwaltlich vertretene Partei nach Treu und Glauben verlas-
sen. Wie sich aus dem Track&Trace-Auszug der Schweizerischen Post ergibt (act.
D.3), wurde die Vorladung zur Hauptverhandlung mit Angabe der Zusammenset-
zung des Gerichts dem Gesuchsteller am 5. Oktober 2015 zugestellt. Das Aus-
standsgesuch stellte er am 8. Oktober 2015; somit unverzüglich nach Erhalt der
Vorladung und in Nachachtung des darin explizite enthaltenen Hinweises darauf,
dass ein Ausstandsgesuch "ohne Verzug" geltend zu machen sei. Somit ist vorlie-
gend davon auszugehen, dass die Frist zur Einreichung des Ausstandsgesuches
gewahrt wurde.
3.a)
Nach dem Wortlaut von Art. 58 Abs. 1 StPO kann ein Ausstandsgesuch
stellen, wer Partei ist. Da der Gesuchsteller selbst gemäss Strafbefehl beschuldig-
te Person ist, ist er auch Partei des Verfahrens vor dem Bezirksgericht A.___
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und damit legitimiert, ein Ausstandsgesuch in dem ihn betreffenden Verfahren zu
stellen (vgl. Art. 104 Abs. 1 lit. a StPO).
b)
Das Gesuch muss eine Begründung enthalten und der Gesuchsteller muss
die den Ausstand begründenden Tatsachen glaubhaft machen. Das Ausstandsbe-
gehren muss deshalb die konkreten Tatsachen darlegen, auf welche sich die Ab-
lehnung stützt. Allgemeine Äusserungen bzw. die blosse Behauptung eines Aus-
standsgrundes pauschale, vage Andeutungen genügen nicht (Andreas J.
Keller, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], a.a.O., N 9 f. zu Art. 58 StPO; Mar-
kus Boog, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O., N. 4 zu Art. 58 StPO). Es
muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Anschein der Befangenheit
sprechen, wobei ein strikter Beweis nicht erforderlich ist. Glaubhaft gemacht ist
eine Tatsache nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bereits dann, wenn
für deren Vorhandensein gewisse Elemente sprechen, selbst wenn das Gericht
noch mit der Möglichkeit rechnet, dass sie sich nicht verwirklicht haben könnte.
Der Gesuchsteller muss die Wahrscheinlichkeit der vorgebrachten Gründe mittels
Indizien Beweismitteln substantiieren (vgl. Urteil des Bundesgerichts
4A_312/2009 vom 23. September 2009 E. 3.6.1 mit Hinweisen). Bei völligem Feh-
len einer Substantiierung ist auf das Gesuch nicht einzutreten (Andreas J. Keller,
in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], a.a.O., N 10 zu Art. 58 StPO).
aa)
Der Gesuchsteller beantragt, dass der Bezirksgerichtspräsident lic. iur.
Y.___ in der Hauptverhandlung vom 8. Dezember 2015 in den Ausstand trete.
Begründend führt er diesbezüglich an, dass er gegen den Bezirksgerichtspräsi-
denten eine Strafanzeige eingereicht habe. Indessen legt er seinem Ausstandsge-
such das entsprechende Beweisstück, nämlich die Strafanzeige, nicht bei. Des
Weiteren führt er aus, dass das Verfahren noch laufe und bis zum Verhandlungs-
datum höchstwahrscheinlich nicht abgeschlossen sei. Es verstehe sich somit,
dass "die Besetzung des Gerichts in dieser Konstellation ungünstig" sei und den
Ausstand rechtfertige.
bb)
Der Gesuchsgegner, Bezirksgerichtspräsident lic. iur. Y.___, führt in sei-
ner Stellungnahme vom 21. Oktober 2015 aus, dass gemäss Auskunft von
Staatsanwalt lic. iur. H.___ die vom Beschuldigten erwähnte Strafsache gegen
B.___ und andere eingestellt worden sei und diesbezüglich beim Kantonsge-
richt von Graubünden eine Beschwerde hängig sei.
cc)
Zu prüfen ist zunächst, ob die Begründung zum geltend gemachten Aus-
standsgrund des Bezirksgerichtspräsidenten den Substantiierungsanforderungen
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zu genügen vermag. Der Gesuchsteller führt einzig aus, dass er gegen den Be-
zirksgerichtspräsidenten eine Strafanzeige gestellt habe und das Verfahren noch
nicht abgeschlossen sei. Inwiefern damit beim Gesuchsgegner ein konkreter Aus-
standsgrund vorliegt, lässt sich dem Gesuch nicht entnehmen. Ob bei einer gegen
einen Richter eingereichten Strafanzeige ein Grund der Befangenheit gegeben ist,
hängt gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wesentlich von den kon-
kreten Verhältnissen ab. Genannt wird etwa der Stand des Verfahrens und die Art
und Weise der Verteidigung und der Verfahrensführung (vgl. Urteil des Bundesge-
richts 1P.514/2002 vom 13. Februar 2003 E. 2.5). Entsprechende Anhaltspunkte
bringt der Gesuchsteller vorliegend keine vor. Vielmehr unterlässt er es, durch In-
dizien Beweisurkunden die angebliche Befangenheit näher zu substantiieren.
Dies wäre indessen seine prozessuale Obliegenheit (vgl. Markus Boog, in: Nig-
gli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O., N 4 zu Art. 58 StPO; Andreas J. Keller, in:
Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], a.a.O., N 10 zu Art. 58 StPO). Es stellt sich
daher die Frage, ob mangels Substantiierung überhaupt auf das Gesuch einzutre-
ten ist. Angesichts der Tatsache, dass der Gesuchsteller nicht anwaltlich vertreten
und darüberhinaus das Vorliegen von Ausstandsgründen von Amtes wegen zu
berücksichtigen ist (vgl. Markus Boog, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O.,
N 4 zu Art. 58 StPO), sind vorliegend geringere Anforderungen an die Substantiie-
rungspflicht zu stellen. Immerhin ergibt sich der geltend gemachte Grund für den
Ausstand zumindest in genereller Hinsicht aus dem Gesuch, wenn der Gesuch-
steller ausführt, dass er gegen den Bezirksgerichtspräsidenten lic. iur. Y.___
eine Strafanzeige eingereicht habe und dieses Verfahren noch nicht rechtskräftig
abgeschlossen sei. Auf das formund fristgerecht eingereichte Ausstandsgesuch
ist demnach einzutreten.
4.a)
Der Gesuchsteller macht geltend, dass aufgrund der gegen lic. iur. Y.___
gestellten Strafanzeige ein Grund für einen Ausstand vorliege. Weitere Anhalts-
punkte, weshalb von einer Befangenheit des abgelehnten Richters auszugehen
sei, bringt er nicht vor. Zu prüfen ist, ob sich solche Gründe aus den Akten erge-
ben.
b)
Ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. a e StPO ist offensichtlich nicht gege-
ben. Zu prüfen bleibt, ob der vorliegende Fall unter die Generalklausel von Art. 56
lit. f StPO subsumiert werden kann. Gemäss dieser Generalklausel hat eine in ei-
ner Strafbehörde tätige Person in den Ausstand zu treten, wenn sie aus anderen
Gründen, insbesondere wegen Freundschaft Feindschaft mit einer Partei
deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Befangenheit bzw. Voreinge-
nommenheit einer Gerichtsperson ist dann anzunehmen, wenn sich im Einzelfall
Seite 7 — 12

anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Gegebenheiten Umstände
ergeben, die bei objektiver Betrachtungsweise geeignet sind, Misstrauen in ihre
Unparteilichkeit zu erwecken (BGE 138 I 1 E. 2.2 sowie 137 I 227 E. 2.1 je mit
weiteren Hinweisen; Markus Boog, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O., N 8
vor Art. 56-60 StPO; Andreas J. Keller, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.],
a.a.O., N 9 zu Art. 56 StPO). Dabei ist wesentlich, ob der Ausgang des Verfahrens
bei objektiver Betrachtung noch als offen bzw. nicht als vorbestimmt erscheint
(BGE 139 I 121 E. 5.1 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch Markus Boog, in: Nig-
gli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O., N 8 vor Art. 56-60 StPO sowie N 38 zu Art.
56 StPO).
c)
Nachfolgend zu prüfen ist, ob die gegen lic. iur. Y.___ eingereichte Straf-
anzeige für das vor dem Bezirksgerichts A.___ hängige Verfahren gegen
X.___ zur Annahme der Voreingenommenheit bzw. Befangenheit des Bezirks-
gerichtspräsidenten genügt. Gemäss Rechtsprechung vermag eine gegen einen
Richter eingereichte Strafanzeige per se keinen Ausstandsgrund zu begründen.
Die Partei ihr Rechtsbeistand sollen nicht aus eigenem Verhalten einen Aus-
standsgrund bei der in einer Strafbehörde tätigen Person ableiten können. Insbe-
sondere gelten Ausstandsbegehren, die sich auf offensichtlich haltlose Strafanzei-
gen gegen die Gerichtsperson stützen, nach der bundesgerichtlichen Rechtspre-
chung als missbräuchlich (vgl. statt vieler Urteil des Bundesgerichts 2F_2/2007
vom 25. April 2007 E. 3; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1B_365/2009 vom
22. März 2010 E. 3.3). Das ergibt sich daraus, dass andernfalls der Partei über
diesen Weg die Möglichkeit eröffnet würde, den Ausstandsgrund bewusst herbei-
zuführen und auf diese Weise indem sie nach ihrem Dafürhalten unbequeme
Gerichtspersonen ausschalten könnte - Einfluss auf die Besetzung des Gerichts
zu nehmen (vgl. Markus Boog, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O., N 41 zu
Art. 56 StPO). Der Ausstand eines Richters muss die Ausnahme bleiben, damit
die regelhafte Zuständigkeitsordnung für die Gerichte nicht illusorisch und über
Ausstandsgesuche ausgehöhlt wird (vgl. Beschluss des Kantonsgerichts von
Graubünden SK2 15 15 vom 30. Juni 2015 E. 5.b; Urteile des Bundesgerichts
6B_20/2013 vom 3. Juni 2013 E. 2.2.; 1P.514/2002 vom 13. Februar 2003 E. 2.5;
und Markus Boog, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], a.a.O., N 41 zu Art. 56
StPO mit weiteren Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und An-
dreas J. Keller, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], a.a.O., N 28 zu Art. 56
StPO). Ob bei einer gegen einen Richter eingereichten Strafanzeige von einer Be-
fangenheit auszugehen ist, ist im Einzelfall anhand der konkreten Verhältnisse zu
prüfen. Massgeblich sind insbesondere die Reaktion des Richters, die Art und
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Weise der Verteidigung und Verfahrensführung, aber auch der Stand des Verfah-
rens (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_20/2013 vom 3. Juni 2013 E. 2.2;
1B_664/2012 vom 19. April 2013 E. 3.3; 1P.514/2002 vom 13. Februar 2003 E.
2.5; Regina Kiener, a.a.O., S. 104 f.).
d)
Aufgrund der nach Art. 194 Abs. 1 StPO beigezogenen Akten aus dem Ver-
fahren SK2 15 23 vor dem Kantonsgericht von Graubünden ist ersichtlich, dass
der Gesuchsteller am 27. Januar 2014 gegen B.___ und lic. iur. Y.___ Straf-
anzeige u.a. wegen Hausfriedensbruchs gestellt hat (Staatsanwaltschaft act. 3.1).
Weiter ist den Akten zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft Graubünden am
2. Juni 2014, mitgeteilt am 4. Juni 2014, in der Sache gegen B.___ eine Einstel-
lungsverfügung erliess. Dagegen erhob X.___ Beschwerde an das Kantonsge-
richt von Graubünden, auf welche mit Verfügung der II. Strafkammer des Kan-
tonsgerichts von Graubünden SK2 15 23 vom 17. September 2015 wegen Nicht-
einhaltung der Beschwerdefrist nicht eingetreten wurde. Gegen die Verfügung des
Kantonsgerichts von Graubünden legte X.___ ein Rechtsmittel beim Bundesge-
richt ein. Der Entscheid ist noch ausstehend. Wie sich des Weiteren aus den bei-
gezogenen Akten entnehmen lässt, wurde gegen lic. iur. Y.___ bislang von der
Staatsanwaltschaft Graubünden formell kein Verfahren eröffnet (vgl. dazu Verfah-
rensakten SK2 15 23). Da sich die Staatsanwaltschaft Graubünden trotz Aufforde-
rung zur Stellungnahme im vorliegenden Verfahren nicht äusserte, entzieht es sich
der Kenntnis des Kantonsgerichts, wie der Stand der Dinge im Verfahren betref-
fend Hausfriedensbruch gegen den Bezirksgerichtspräsidenten lic. iur. Y.___
ist. Namentlich ist offen, ob die Staatsanwaltschaft Graubünden beabsichtigt, ein
entsprechendes Verfahren gegen lic. iur. Y.___ zu eröffnen, ob sie davon
ausgeht, die Angelegenheit sei implizit mit dem Verfahren gegen B.___ erledigt.
Es ist indessen auch nicht Sache des Kantonsgerichts von Graubünden, darüber
Nachforschungen anzustellen; vielmehr hätte es dem Gesuchsteller oblegen, die
hierfür beweisrelevanten Urkunden beizubringen.
e)
Der Gesuchsteller führt mit keinem Wort aus, worin er nebst dem Umstand
der eingereichten Strafanzeige Anhaltspunkte für eine Befangenheit des abge-
lehnten Richters erblickt. Insbesondere unterlässt er konkrete Angaben zum Stand
des Verfahrens. Dieser ergibt sich zumindest hinsichtlich des Verfahrens gegen
B.___ einzig aus den beigezogenen Akten des Kantonsgerichts von Grau-
bünden (SK2 15 23). Aufgrund des bisherigen Verfahrensverlaufs lässt sich kein
Anhaltspunkt für eine Befangenheit ableiten. Dem Bezirksgerichtspräsidenten lic.
iur. Y.___ sind bislang keinerlei Unannehmlichkeiten entstanden. Ebensowenig
kann der Gesuchsteller aus der Verfahrensführung des Bezirksgerichtspräsiden-
Seite 9 — 12

ten in dem vor Bezirksgericht A.___ hängigen Verfahren gegen ihn ein Verhal-
ten ableiten, wonach der Gesuchsgegner in den Ausstand treten müsste. Die Re-
aktion des Gesuchsgegners auf die Strafanzeige lässt keinen derartigen Schluss
zu. Die aufgrund der Strafanzeige eingeholte Stellungnahme des Bezirksgerichts-
präsidenten an die Kantonspolizei von Graubünden ist durchwegs sachlich ausge-
fallen und beinhaltet keinerlei Anhaltspunkte für allfällige Ressentiments gegen
den Gesuchsteller (vgl. Staatsanwaltschaft act. 3.1.5, im Dossier Beschwerdever-
fahren SK2 15 23). Die abschliessende Bemerkung, es sei zu hoffen, dass es in
O.2___ - dem neuen Aufenthaltsort des Gesuchstellers - nicht zu neuen Prob-
lemen komme, erscheint zwar als unnötig, reicht aber bei Weitem nicht aus, um
eine Befangenheit des Bezirksgerichtspräsidenten zu begründen. Dabei ist zu be-
achten, dass der Ausstand eines Richters die Ausnahme bleiben muss, damit die
regelhafte Zuständigkeitsordnung für die Gerichte nicht illusorisch und über Aus-
standsgesuche ausgehöhlt wird (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1P.514/2002 vom
13. Februar 2003 E. 2.5).
f)
Abschliessend ist festzuhalten, dass die Strafanzeige betreffend Hausfrie-
densbruch etc. vom 27. Januar 2014 gegen den Bezirksgerichtspräsidenten lic.
iur. Y.___ im Zusammenhang mit einer vorsorglichen Beweisaufnahme über ein
vom Gesuchsteller gemietetes Studio in O.1___ eingereicht wurde. Der Straf-
anzeiger macht unter anderem geltend, der Vermieter B.___, der Bezirksge-
richtspräsident lic. iur. Y.___ und allenfalls weitere Personen hätten das Mietob-
jekt unbefugt betreten und sein Eigentum etc. fotografiert. Diese Vorwürfe hängen
demnach mit der Amtsführung des Bezirksgerichtspräsidenten im Verfahren Proz.
Nr. 135-2013-236 zusammen. Es geht demnach nicht um persönliche Animositä-
ten. Hinzuweisen ist sodann auf den Umstand, dass sich die Beweisaufnahme auf
eine unangefochten gebliebene Verfügung stützt.
g)
Demnach kann zusammenfassend festgehalten werden, dass eine gegen
einen Richter eingereichte Strafanzeige für sich alleine nicht dazu geeignet ist,
den Anschein der Befangenheit des Adressaten zu begründen. Ob eine Befan-
genheit im Einzelfall zu bejahen ist, hängt von den konkreten Verhältnissen ab.
Vorliegend vermag der Gesuchsteller keine konkreten Anhaltspunkte vorzubrin-
gen, welche den Anschein der Befangenheit des Bezirksgerichtspräsidenten lic.
iur. Y.___ zu begründen vermöchten. Solche Gründe ergeben sich auch nicht
aus der von Amtes wegen vorzunehmenden Prüfung der Ausstandsgründe. Ge-
gen den Gesuchsgegner wurde bisher noch kein Verfahren eröffnet und es ist of-
fen, ob die Staatsanwaltschaft Graubünden überhaupt beabsichtigt, ein solches zu
eröffnen. Weder der Stand des Verfahrens noch die Reaktion des Bezirksgericht-
Seite 10 — 12

präsidenten auf die Strafanzeige und dessen bisheriges Verhalten geben Anlass
zu Bemerkungen bzw. zur Annahme einer Befangenheit. Das Ausstandsgesuch ist
demnach abzuweisen.
5.
Der Gesuchsteller beantragt weiter, die Verhandlung (recte: das Verfahren)
an das Bezirksgericht D.___ abzutreten. Er begründet dies einerseits mit dem
Umstand, dass das Bezirksgericht D.___ "neutraler" als das Bezirksgericht
A.___ sei und aufgrund der Strassenverhältnisse im Winter mit dem öffentlichen
Verkehr aus O.3___ besser erreichbar sei. Diesem Antrag kann nicht entspro-
chen werden. Einerseits wurde vorstehend einlässlich dargelegt, dass für den Be-
zirksgerichtspräsidenten lic. iur. Y.___ kein Ausstandsgrund vorliegt. Eine Be-
fangenheit der übrigen Bezirksrichter macht der Gesuchsteller zu Recht nicht gel-
tend. Vorliegend ist demnach auch kein Sachverhalt gegeben, wonach sich die
Besetzung eines Bezirksgerichts mit seinen eigenen Richterinnen und Richter als
unmöglich erweist und folglich durch Richterinnen und Richter eines Nachbarge-
richts zu ergänzen ein anderes Gericht als zuständig zu erklären ist (vgl. Art.
40 Abs. 2 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG; BR 173.000). Ebenfalls nicht
zu hören ist der Gesuchsteller in der Argumentation, dass das Bezirksgericht
D.___ für ihn besser erreichbar wäre. Ansonsten wären die gesetzlichen Best-
immungen über die örtliche Zuständigkeit der Gerichte obsolet.
6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten gemäss Art. 59 Abs. 4
StPO dem Gesuchsteller aufzuerlegen. Gemäss Art. 12 der Verordnung über die
Gerichtsgebühren in Strafverfahren (VGS; BR 350.210) erhebt das Gericht für
Zwischenentscheide Gerichtsgebühren, welche sich nach dem Aufwand für die
Beurteilung bemessen. In Anbetracht der Aufwendungen des Gerichts ist vorlie-
gend eine Gebühr von CHF 1'500.00 zu erheben.
7.
Gemäss Art. 92 BGG ist gegen selbständig eröffnete Vorund Zwischen-
entscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren die Beschwerde
an das Bundesgericht zulässig.

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III. Demnach wird erkannt:
1.
Das Ausstandsgesuch wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Verfahrens von CHF 1'500.00 gehen zu Lasten des Ge-
suchstellers.
3.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 78 ff. BGG Beschwerde in
Strafsachen an das Bundesgericht geführt werden. Die Beschwerde ist dem
Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, schriftlich innert 30
Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in
der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die
Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen
und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 78 ff. und 90 ff.
BGG.
4.
Mitteilung an:


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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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