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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Zusammenfassung des Urteils SK1-14-25: Kantonsgericht Graubünden

Der Berufungskläger wurde wegen Verstössen gegen das Ausländergesetz angeklagt. Er wurde beschuldigt, mehrfach rechtswidrig in die Schweiz einzureisen und sich dort aufzuhalten. Das Bezirksgericht Prättigau/Davos hat ihn schuldig gesprochen und eine Geldstrafe von CHF 5'370.00 sowie Verfahrenskosten auferlegt. Der Berufungskläger hat Berufung eingelegt und das Kantonsgericht von Graubünden hat die Anklage aufgehoben und ihn freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens von insgesamt CHF 2'970.00 gehen zu Lasten des Kantons Graubünden. Es wurde keine aussergerichtliche Entschädigung zugesprochen.

Urteilsdetails des Kantongerichts SK1-14-25

Kanton:GR
Fallnummer:SK1-14-25
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid SK1-14-25 vom 19.11.2014 (GR)
Datum:19.11.2014
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz (AuG)
Schlagwörter : Beruf; Berufung; Urteil; Schweiz; Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Akten; Berufungskläger; Aufenthalt; Einreise; Kantons; Graubünden; Befehl; Anklage; Aufenthalts; Verfahren; Kantonsgericht; Geldstrafe; Gericht; Ausländer; Bezirksgericht; Urteils; /Davos; Prättigau/Davos; Verfahren; Beru-; Verfügung
Rechtsnorm:Art. 32 BV ;Art. 350 StPO ;Art. 355 StPO ;Art. 356 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 400 StPO ;Art. 408 StPO ;Art. 409 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 46 StGB ;
Referenz BGE:133 IV 235;
Kommentar:
Schweizer, Eugster, Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 398 StPO, 2011
Franz Riklin, Schweizer, Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 356 StPO, 2011
Niklaus Schmid, Markus Hug, Donatsch, Hans, Schweizer, Hansjakob, Lieber, Praxis, 2. Aufl., Zürich, Art. 398 StPO, 2013

Entscheid des Kantongerichts SK1-14-25

Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni

Ref.:
Chur, 19. November 2014
Schriftlich mitgeteilt am:
SK1 14 25
[mündlich eröffnet]
15. Dezember 2014

Urteil

I. Strafkammer
Vorsitz
Schnyder
RichterInnen
Pritzi und Michael Dürst
Aktuar ad hoc
Bott

In der strafrechtlichen Berufung
des X.___, Berufungskläger,
gegen

das Urteil des Bezirksgerichts Prättigau/Davos vom 5. Juni 2014, mitgeteilt am
8. Juli 2014, in Sachen der S t a a t s a n w a l t s c h a f t G r a u b ü n d e n , Senn-
hofstrasse 17, 7001 Chur, Berufungsbeklagte, gegen den Berufungskläger,
betreffend Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz (AuG),
hat sich ergeben:

I. Sachverhalt
A.
X.___ wurde am ___1958 in O.1___ (L.1___) geboren. Von Beruf
ist er nach eigenen Angaben Pilot/LKW-Fahrer. Anlässlich der Berufungsverhand-
lung vor dem Kantonsgericht Graubünden am 19. November 2014 äusserte sich
X.___ bezüglich seines Einkommens dahingehend, dass er momentan keiner
Erwerbstätigkeit nachgehe. Er lebe von der Unterstützung seiner Verwandten und
beziehe weder in L.1___ noch in der Schweiz Sozialhilfe. Über Vermögen ver-
füge er nicht. X.___ ist verheiratet mit A.___ und hat fünf Kinder (geboren
1977, 1990, 1998, 2001 und 2003). Gemäss Strafregisterauszug wurde X.___
am 13. August 2012 von der Staatsanwaltschaft Graubünden zu einer Geldstrafe
von 30 Tagessätzen zu je CHF 50.--, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2
Jahren, sowie zu einer Busse von CHF 300.-verurteilt, wegen rechtswidrigen
Aufenthalts in der Schweiz gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG vom 16. Mai 2012
bis zum 18. Juni 2012 (vgl. angefochtenes Urteil S. 2; Akten StA act. 2.1).
B.
Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Graubünden (nachfolgend: Staats-
anwaltschaft) vom 19. März 2013, mitgeteilt am 21. März 2013, wurde X.___
der mehrfachen rechtswidrigen Einreise und des mehrfachen rechtswidrigen Auf-
enthalts gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. a und b AuG schuldig gesprochen. Dafür wur-
de er mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je CHF 50.--, bedingt aufge-
schoben bei einer Probezeit von 3 Jahren, sowie mit einer Busse von CHF 900.--,
bzw. bei schuldhafter Nichtbezahlung ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 15
Tagen, bestraft. Zudem wurde die mit Urteil vom 13. August 2012 durch die
Staatsanwaltschaft bedingt ausgesprochene Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je
CHF 50.--, entsprechend CHF 1'500.-widerrufen und für vollziehbar erklärt. Die
Verfahrenskosten wurden X.___ auferlegt. Dem Strafbefehl lag folgender Sach-
verhalt zu Grunde (vgl. Akten StA act. 1.1):
"Am 20. Januar 2012 ersuchte der deutsche Staatsangehörige X.___ die
zuständige Behörde um eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung sowie um
Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen für seine beiden minderjährigen
Söhne im Rahmen des Familiennachzugs. Diese Gesuche wurden abge-
wiesen, worauf der Beschuldigte am 05. Juli 2012 aus der Schweiz ausge-
schafft wurde.

Spätestens am 16. August 2012 reiste X.___ in Kenntnis obiger Ent-
scheide erneut in die Schweiz ein, um hier Wohnsitz zu nehmen. In der
Folge hielt er sich bis zur nächsten Ausschaffung vom 22. August 2012 wi-
derrechtlich in der Schweiz auf. Schliesslich reiste der Beschuldigte zur
Wohnsitznahme spätestens am 17. Oktober 2012 wiederum in die Schweiz
ein und hielt sich bis zur polizeilichen Intervention vom 19. Oktober 2012 il-
legal hier auf.

Seite 2 — 13

X.___ wurde am 13. August 2012 von der Staatsanwaltschaft Graubün-
den wegen rechtswidrigen Aufenthalts gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG
unter anderem zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je
CHF 50.--, unter Anordnung einer zweijährigen Probezeit, verurteilt. Zwi-
schenzeitlich hat er wiederholt gegen dieselbe Strafnorm verstossen. Es
kann ihm daher keine günstige Prognose im Sinne von Art. 46 StGB mehr
gestellt werden, weshalb der bedingte Strafvollzug zu widerrufen und die
Geldstrafe zu vollziehen ist."

C.
Gegen diesen Strafbefehl liess X.___ am 2. April 2013 durch seinen
Sohn B.___ Einsprache erheben (vgl. Akten StA act. 1.2). Daraufhin ergänzte
die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung. Am 14. Juni 2013 wurde X.___
von der Staatsanwaltschaft Aachen rechtshilfeweise einvernommen, wobei dieser
die Einvernahme mit der Begründung, er wolle durch die Staatsanwaltschaft
Graubünden einvernommen werden, verweigerte (vgl. Akten StA act. 3.8).
D.
Am 29. Juli 2013 teilte die Staatsanwaltschaft X.___ mit, dass die Straf-
untersuchung abgeschlossen sei. Gleichzeitig stellte sie auf Grund der tatsächli-
chen und rechtlichen Verhältnisse die Überweisung des Strafbefehls ans Gericht
gemäss Art. 355 Abs. 3 lit. a und Art. 356 Abs. 1 StPO in Aussicht. Zudem wurde
ihm eine Frist von 10 Tagen angesetzt, um allfällige Beweisanträge geltend zu
machen (vgl. Akten StA act. 1.5). Mit Schreiben vom 7. August 2013 reichte
X.___ diverse Unterlagen ein (vgl. Akten StA act. 3.12).
E.
Mit Schreiben vom 20. August 2013 teilte die Staatsanwaltschaft X.___
mit, dass die von ihm mit Schreiben vom 7. August 2013 aufgeworfenen Kritik-
punkte nicht das vorliegende Strafverfahren betreffen würden, in welchem es aus-
schliesslich um die Frage gehe, inwiefern er von einer zuständigen Stelle erlasse-
ne ausländerrechtliche Verfügungen missachtet habe. Soweit er unter diesen Um-
ständen die Einsprache zurückziehen wolle, solle er dies bis am 5. September
2013 mitteilen, ansonsten das Verfahren im Sinne der Parteimitteilung vom 29.
Juli 2013 fortgesetzt werde (vgl. Akten StA act. 1.6).
F.
Im Schreiben vom 31. August 2013 an die Staatsanwaltschaft (vgl. Akten
StA act. 1.7) hielt X.___ fest: "Ich danke Ihnen für Ihr mir gegenüber gezeigtes
Vertrauen und nehme meine Einwände gegen o.g. Verfahren hiermit offiziell zu-
rück." Aufgrund dieser Formulierung schrieb die Staatsanwaltschaft mit Verfügung
vom 16. September 2013, mitgeteilt am 19. September 2013, das gemäss Art. 355
StPO geführte Untersuchungsverfahren infolge Rückzugs der Einsprache ab und
hielt fest, dass der Strafbefehl vom 19. März 2013, mitgeteilt am 21. März 2013,
rechtskräftig sei und keine zusätzlichen Kosten erhoben würden (vgl. Akten StA
act. 1.8).
Seite 3 — 13

G.
Dagegen erhob X.___ mit Eingabe vom 25. September 2013, der Post
am 26. September 2013 zwecks Zustellung übergeben, Beschwerde zuhanden
des Kantonsgerichts von Graubünden. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2013 erklär-
te sich die Staatsanwaltschaft bereit, das Verfahren wieder aufzunehmen (vgl. Ak-
ten StA act. 1.9) woraufhin das Kantonsgericht von Graubünden die Beschwerde
mit Verfügung SK2 13 51 vom 10. Oktober 2013, mitgeteilt am 24. Oktober 2013,
guthiess, die angefochtene Abschreibungsverfügung aufhob und die Staatsan-
waltschaft anwies, das Verfahren wieder aufzunehmen (vgl. Akten StA act. 1.10).
Mit Verfügung vom 28. Oktober 2013 nahm die Staatsanwaltschaft die Strafunter-
suchung gegen X.___ wegen Widerhandlung gegen Art. 115 AuG wieder auf
(vgl. Akten StA act. 1.11).
H.
Am 6. November 2013, mitgeteilt am 13. November 2014, verfügte die
Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 355 Abs. 3 lit. a und Art. 356 Abs. 1 StPO die
Überweisung des Strafbefehls ans Bezirksgericht Prättigau/Davos. Zudem teilte
sie mit, dass sie am Strafbefehl festhalte und die Akten dem erstinstanzlichen Ge-
richt zur Durchführung des Hauptverfahrens überweise, wobei der Strafbefehl ge-
mäss Art. 356 Abs. 1 StPO als Anklageschrift gelte. Ausserdem verzichtete die
Staatsanwaltschaft auf eine Vorladung zur Hauptverhandlung (vgl. Akten StA act.
1.12).
I.
Mit prozessleitender Verfügung des Bezirksgerichts Prättigau/Davos vom
24. Februar 2014 wurde X.___ zur Hauptverhandlung auf den 5. Juni 2014 vor-
geladen und es wurde ihm eine 10-tägige Frist angesetzt, um Beweisanträge zu
stellen und zu begründen (vgl. vorinstanzliche Akten act. 3). Mit Schreiben vom
7. März 2014, am 12. März 2014 beim Bezirksgericht eingegangen, beantragte
X.___ die Einvernahme von "Staatsanwalt Dr. iur. C.___", "Regierungsrat Dr.
iur. D.___", "lic. iur. E.___, Amt für Zivilrecht", "lic. iur. F.___, Chef Stras-
senverkehrsamt Graubünden" alternativ den "Fahrprüfungsexperte G.___"
und "H.___, Kantonspolizei Graubünden" als Zeugen (vgl. vorinstanzliche Akten
act. 4). Mit Verfügung vom 13. März 2014 wurde dieser Beweisantrag abgelehnt.
Begründend wurde ausgeführt, die Angelegenheit werde aufgrund der vorliegen-
den Akten als spruchreif erachtet. Es sei X.___ jedoch unbenommen, den An-
trag anlässlich der Hauptverhandlung erneut zu stellen.
J.
Die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Prättigau/Davos fand am
5. Juni 2014 statt. X.___ erschien dazu in Begleitung seines Sohnes B.___.
Die Staatsanwaltschaft war nicht zugegen. Ihr Schlussantrag blieb daher unverän-
Seite 4 — 13

dert gemäss Strafbefehl vom 19. März 2013, mitgeteilt am 21. März 2013 (vgl. Ak-
ten StA act. 1.1).
K.
Das Bezirksgericht Prättigau/Davos eröffnete und begründete das Urteil in
Anwesenheit von X.___ und seinem Sohn B.___ am 5. Juni 2014 mündlich.
Anschliessend verzichtete X.___ schriftlich auf die Zustellung eines Urteilsdis-
positivs und wünschte die direkte Zustellung eines begründeten Urteils (vgl. vo-
rinstanzliche Akten act. 9). Das Bezirksgericht Prättigau/Davos teilte daraufhin den
Parteien das begründete Urteil am 8. Juli 2014 mit. Darin erkannte es wie folgt:
"1. X.___ ist schuldig der mehrfachen rechtswidrigen Einreise und des
mehrfachen rechtswidrigen Aufenthaltes gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. a
und b AuG.

2. Dafür wird X.___ bestraft mit

a) einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je CHF 50.00. Der Vollzug
der Geldstrafe wird unter Ansetzung einer Probezeit von 3 Jahren
aufgeschoben.


b) einer Busse von CHF 900.00. Die Ersatzfreiheitsstrafe für die Busse
beträgt 15 Tage. Sie tritt an die Stelle der Busse, soweit dieselbe
schuldhaft nicht bezahlt wird.

3. Die mit Urteil vom 13. August 2012 durch die Staatsanwaltschaft
Graubünden bedingt ausgesprochene Geldstrafe von 30 Tagessätzen
zu je CHF 50.00, entsprechend CHF 1'500.00, wird widerrufen und für
vollziehbar erklärt.

4. Die Kosten des Verfahrens von CHF 2'970.00 (Untersuchungsgebüh-
ren und Auslagen der Staatsanwaltschaft Graubünden CHF 970.00,
Gerichtsgebühren CHF 2'000.00) gehen zu Lasten von X.___.


X.___ schuldet dem Bezirksgericht Prättigau/Davos folglich:

Busse
CHF
900.00

unbedingte Geldstrafe
CHF
1'500.00

Verfahrenskosten
CHF
2'970.00

Total
CHF
5'370.00

In Rechtskraft erwachsene Bussen, unbedingte Geldstrafen und Ver-
fahrenskosten sind innert 30 Tagen nach der Zustellung des Ent-
scheids mit beiliegendem Einzahlungsschein zu bezahlen.

5.
(Rechtsmittelbelehrung).
6.
(Mitteilung)."
L.
Nachdem X.___ gegen dieses Urteil mit Schreiben vom 18. Juli 2014
(Poststempel) Berufung anmeldete (vgl. vorinstanzliche Akten act. 14), reichte er
(nachfolgend: Berufungskläger) dem Kantonsgericht von Graubünden am 21. Juli
2014 (Poststempel) seine schriftliche Berufungserklärung ein und führte aus, dass
Seite 5 — 13

er das Urteil des Bezirksgerichts Prättigau/Davos vom 5. Juni 2014, mitgeteilt am
8. Juli 2014, vollumfänglich anfechte. Ausserdem stellte er den Beweisantrag auf
Einvernahme von Staatsanwalt Dr. iur. C.___, Regierungsrat Dr. iur. D.___,
lic. iur E.___ vom Amt für Migration und Zivilrecht, Fahrprüfungsexperte
G.___ und H.___ als Zeugen (vgl. act. A.2). In der Folge machte der Beru-
fungskläger weitere handschriftliche Eingaben ans Kantonsgericht von Graubün-
den und beantragte zusätzlich die Einvernahme von Kantonsrichter I.___ und
Rechtsanwalt Dr. iur. J.___ als Zeugen (vgl. act. A.5, A.6. und A.7).
M.
Mit Verfügung vom 25. Juli 2014 forderte der Vorsitzende der I. Strafkam-
mer des Kantonsgerichts von Graubünden die Staatsanwaltschaft und das Be-
zirksgericht Prättigau/Davos (nachfolgend: Vorinstanz) zur Stellungnahme innert
20 Tagen seit Inempfangnahme der Verfügung gemäss Art. 400 Abs. 3 StPO auf
(vgl. act. D.2). Die Staatsanwaltschaft verzichtete mit Eingabe vom 29. Juli 2014
auf die Einreichung einer Stellungnahme(vgl. act. A.3). Die Vorinstanz verzichtete
ebenfalls mit Eingabe vom 29. Juli 2014 auf die Einreichung einer Stellungnahme
und verwies auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil (vgl. act. A.4).
N.
Am 19. November 2014 fand die mündliche Berufungsverhandlung vor der
I. Strafkammer des Kantonsgerichts von Graubünden statt, an welcher X.___
anwesend war. Die Staatsanwaltschaft war nicht zugegen. Anstelle von Kantons-
gerichtspräsident Dr. iur. Norbert Brunner nahm stellvertretend Kantonsrichter Dr.
iur. Albert Pritzi Einsitz in die I. Strafkammer. Einwände gegen die Zuständigkeit
und die Zusammensetzung des Gerichts wurden nicht erhoben, woraufhin der
Vorsitzende das Gericht für legitimiert erklärte. Auf das Verlesen von Aktenstü-
cken wurde verzichtet. Danach erfolgte die persönliche Befragung des Berufungs-
klägers durch den Vorsitzenden hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse und
in Bezug auf die ihm zur Last gelegten Widerhandlungen gegen das AuG. Im An-
schluss daran wurde über den vom Berufungskläger bereits vorgängig gestellten
Beweisantrag an welchem dieser an der Berufungsverhandlung festhielt auf
Einvernahme von I.___, C.___, D.___, E.___, H.___, F.___
alternativ G.___ und J.___ als Zeugen befunden. Nach kurzem Unterbruch
der Hauptverhandlung und Beratung eröffnete die I. Strafkammer dem Berufungs-
kläger mündlich die Abweisung dieses Beweisantrags. Nachdem der Berufungs-
kläger dem Kantonsgericht von Graubünden die Urkunden act B.3, B.4, B.5, B.6
und B.7 zu den Akten gab, wurde das Beweisverfahren geschlossen. Der Beru-
fungskläger brachte während seines Parteivortrags keine konkreten Anträge vor
und verlangte, nachdem ihm das letzte Wort gewährt und die Berufungsverhand-
lung geschlossen wurde, eine öffentliche Urteilsverkündigung. Nach der Beratung
Seite 6 — 13

wurde dem Berufungskläger das Urteil mündlich mit einer kurzen Begründung er-
öffnet. Das Urteilsdispositiv wurde ihm anschliessend ausgehändigt und den rest-
lichen Parteien gleichentags schriftlich mitgeteilt. Anschliessend gab der Beru-
fungskläger noch die Urkunden act. B.8, B.9 und B.10 zu den Akten.
O.
Auf das Ergebnis der persönlichen Befragung des Berufungsklägers durch
den Vorsitzenden der I. Strafkammer des Kantonsgerichts von Graubünden, die
Ausführungen des Ersteren anlässlich der Berufungsverhandlung, sowie die Be-
gründungen und weitergehenden Ausführungen im angefochtenen Urteil und in
den Rechtsschriften wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen
eingegangen.
II. Erwägungen
1.a)
Die Berufung ist zulässig gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit de-
nen das Verfahren ganz teilweise abgeschlossen worden ist (Art. 398 Abs. 1
StPO). Sie bezieht sich somit auf Entscheide, in denen über Strafund Zivilfragen
materiell befunden wird (vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 1 StPO), in erster Linie Urteile, die
auf Verurteilung Freispruch lauten und mit denen der Fall vor der ersten In-
stanz abgeschlossen wird (Luzius Eugster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.],
Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Basel 2011, N 2 zu
Art. 398 StPO). Gemäss Art. 399 Abs. 1 StPO ist die Berufung dem erstinstanzli-
chen Gericht innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich mündlich
zu Protokoll anzumelden, worauf das erstinstanzliche Gericht die Anmeldung nach
Ausfertigung des begründeten Urteils zusammen mit den Akten dem Kantonsge-
richt als Berufungsgericht übermittelt (Art. 399 Abs. 2 StPO; Art. 22 des Einfüh-
rungsgesetzes zur Schweizerischen Strafprozessordnung [EGzStPO; BR
350.100]). Nach Art. 399 Abs. 3 StPO reicht die Partei, die Berufung angemeldet
hat, dem Kantonsgericht innert 20 Tagen seit der Zustellung des begründeten Ur-
teils eine schriftliche Berufungserklärung ein, worin sie anzugeben hat, ob sie das
Urteil vollumfänglich nur in Teilen anficht (lit. a), welche Abänderungen des
erstinstanzlichen Urteils sie verlangt (lit. b) und welche Beweisanträge sie stellt (lit.
c).
b)
Gegen das am 5. Juni 2014 mündlich eröffnete und am 8. Juli 2014 mit
schriftlicher Begründung mitgeteilte Urteil des Bezirksgerichts Prättigau/Davos
meldete der Berufungskläger am 18. Juli 2014 (Poststempel) die Berufung an (act.
A.1). Alsdann reicht er fristgemäss am 21. Juli 2014 (Poststempel) seine Beru-
Seite 7 — 13

fungserklärung ein (vgl. act. A.2). Da auch alle anderen Zulässigkeitsvorausset-
zungen gegeben sind, ist auf die Berufung einzutreten.
c)
Als Berufungsgericht kann das Kantonsgericht das erstinstanzliche Urteil in
allen angefochtenen Punkten umfassend überprüfen (Art. 398 Abs. 2 StPO). Die
Berufung ist somit ein vollkommenes Rechtsmittel, mit welchem erstinstanzliche
Urteile in sachverhaltsmässiger wie auch in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition
überprüft werden können (vgl. Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessord-
nung, Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich 2013, N 1 zu Art. 398 StPO; Markus Hug,
in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafpro-
zessordnung [StPO], 2. Aufl., Zürich 2014, N 14 zu Art. 398 StPO). Tritt das Beru-
fungsgericht auf die Berufung ein, so fällt es ein neues Urteil, welches das erstin-
stanzliche ersetzt (Art. 408 StPO). Weist das erstinstanzliche Verfahren aber
Mängel auf, die im Berufungsverfahren nicht geheilt werden können, so hebt das
Berufungsgericht das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur Durchfüh-
rung einer neuen Hauptverhandlung und zur Fällung eines neuen Urteils ans erst-
instanzliche Gericht zurück (Art. 409 Abs. 1 StPO). Im vorliegenden Fall ist wie
sich nachstehend ergibt eine Rückweisung nicht erforderlich.
2.
Der Berufungskläger verlangt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils,
mit welchem er der mehrfachen rechtswidrigen Einreise und des mehrfachen
rechtswidrigen Aufenthalts gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. a und b des Bundesgeset-
zes über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG; SR 140.20)
schuldig gesprochen, und mit welchem die mit Urteil vom 13. August 2012 (vgl.
Vorakten StA act. 1.3) durch die Staatsanwaltschaft bedingt ausgesprochene
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 50.--, entsprechend CHF 1'500.-wider-
rufen und für vollziehbar erklärt wurde. Er verlangt somit einen Freispruch von der
mit Strafbefehl vom 19. März 2013, mitgeteilt am 21. März 2013, zu diesem Urteil
erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft. Im angefochtenen Urteil führt die Vo-
rinstanz insbesondere aus, der Berufungskläger sei nach seiner Ausschaffung am
5. Juli 2012, spätestens am 16. August 2012, und nach seiner Ausschaffung am
22. August 2012, spätestens am 17. Oktober 2012, wieder in die Schweiz einge-
reist. Dem Berufungskläger würden einerseits die rechtswidrige Einreise in die
Schweiz und andererseits der rechtswidrige Aufenthalt in der Schweiz vorgewor-
fen.
3.a)
Bezüglich des Vorwurfs der rechtswidrigen Einreise führt die Vorinstanz
begründend aus, die dem Berufungskläger vorgeworfene Tathandlung bestehe im
Verletzen der Einreisevorschriften nach Art. 5 AuG. Unter anderem dürfe der Ein-
Seite 8 — 13

reisende gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. d AuG nicht von einer Fernhaltemassnahme be-
troffen sein. Bei der Ausschaffung vom 5. Juli 2012 sei gegenüber dem Beru-
fungskläger eine Einreisesperre bis zum 16. Juni 2013 verfügt worden. Der Beru-
fungskläger sei spätestens am 16. August 2012 und spätestens am 17. Oktober
2012 in die Schweiz eingereist und habe somit zweifellos gegen die Einreisevor-
schriften verstossen.
b)
Entschliesst sich die Staatsanwaltschaft, am Strafbefehl festzuhalten, so
überweist sie die Akten unverzüglich dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchfüh-
rung des Hauptverfahrens, wobei der Strafbefehl als Anklageschrift gilt (Art. 356
Abs. 1 StPO; Franz Riklin, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger, Basler Kommentar zur
Schweizerischen Strafprozessordnung, Basel 2011, N 1 zu Art. 356 StPO). Dies
ist dann der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft zu den gleichen Schlussfolgerun-
gen gelangt wie bei Erlass des Strafbefehls und die Einsprache nicht zurückgezo-
gen wird (Riklin, a.a.O., N 3 zu Art. 355 StPO). Der Strafbefehl gilt somit vorlie-
gend als Anklageschrift. Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie
aus Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten und nunmehr in Art. 9
Abs. 1 StPO festgeschriebenen Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift
den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Weil sie das
Verfahrensund Urteilsthema bestimmt, muss die einmal erhobene Anklage
grundsätzlich für die Dauer des Verfahrens unverändert bleiben (Grundsatz der
Immutabilität; Art. 340 Abs. 1 lit. b StPO). Die Anklage hat die der beschuldigten
Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben,
dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert
sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte
der angeschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör
(Informationsfunktion; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f. S. 244 f. mit Hinweisen; Urteil des
Bundesgerichts 6B_604/2012 und 6B_613/2012 vom 16. Januar 2014 E. 2.2.1 mit
Hinweisen; vgl. Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Indes schliesst der Anklagegrundsatz
nicht aus, dass der Richter bezüglich der tatsächlichen Einzelheiten des Tather-
gangs von der Umschreibung in der Anklage abweicht, sofern die Änderungen
untergeordnete, für die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts nicht ausschlag-
gebende Punkte betreffen und der Angeklagte Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu
nehmen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_292/2009 vom 16. Oktober 2009 E.
1.2; 6B_654/2008 vom 2. Dezember 2008 E. 1.3; 6P.99/2006 vom 18. Juli 2006 E.
3.2; 1P.494/2002 vom 11. November 2002 E. 3). Gemäss Art. 350 Abs. 1 StPO ist
das Gericht an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt, nicht aber an die
darin vorgenommene rechtliche Würdigung gebunden.
Seite 9 — 13

c)
Gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. d AuG dürfen Ausländerinnen und Ausländer, die
in die Schweiz einreisen wollen nicht von einer Fernhaltemassnahme betroffen
sein. Unter Fernhaltemassnahmen nach Art. 5 Abs. 1 lit. d AuG sind Einreisever-
bote zu verstehen, primär solche nach Art. 67 und Art. 68 Abs. 3 AuG (vgl. Philipp
Egli/Tobias D. Meyer, in: Martina Caroni/Thomas Gächter/Daniela Thurnherr
[Hrsg.], Stämpflis Handkommentar zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen
und Ausländer, Bern 2010, N 44 zu Art. 5 AuG). Gemäss Art. 67 AuG ist das Bun-
desamt für Migration (BFM) zuständig für den Erlass von Einreiseverboten. Dem
Sachverhalt des Strafbefehls vom 19. März 2013, mitgeteilt am 21. März 2013
(vgl. Akten StA act. 1.1), ist weder das Vorhandensein eines Einreiseverbots ge-
gen den Berufungskläger noch ein allfälliger Verstoss gegen ein solches zu ent-
nehmen. Der Berufungskläger selbst dementiert nicht, dass er gegen Anweisun-
gen der Fremdenpolizei verstossen hat, bestreitet aber vehement deren Recht-
mässigkeit. Eine explizite Fernhalteverfügung wird von ihm jedoch auch nicht er-
wähnt. In der auf dem Rechtshilfeweg vorgenommen "Beschuldigtenvernehmung"
des Berufungsklägers durch die Staatsanwaltschaft Aachen (vgl. Akten StA act.
3.8) findet sich die Aussage: " Wie mir die schweizerischen Behörden mitgeteilt
haben, endet mein Einreiseverbot mit Ablauf des 18.06.2013." Eine formelle Ver-
fügung, sowie deren konkreter Inhalt, wird aber nirgends erwähnt, ebenso wenig,
welche Behörde wann den entsprechenden Entscheid gefällt haben soll. Somit
kann die I. Strafkammer des Kantonsgerichts von Graubünden nicht vom Bestand
einer Fernhaltemassnahme im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. d AuG ausgehen. Eine
solche ist weder substantiiert nachgewiesen (Datum, Inhalt, Behörde etc.) noch
wird in der Anklageschrift (Strafbefehl vom 19. März, mitgeteilt am 21. März 2013;
vgl. Akten StA act. 1.1) ein Verstoss gegen eine solche behauptet. In Bezug auf
die dem Berufungskläger mit vorinstanzlichem Urteil zur Last gelegte Widerhand-
lung gegen Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG (rechtswidrige Einreise) verstösst die Be-
gründung desselben folglich gegen das Anklageprinzip und ist auch beweisrecht-
lich nicht haltbar, weshalb das angefochtene Urteil bezüglich die Widerhandlung
des Berufungsklägers gegen Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG aufzuheben und er von der
diesbezüglichen Anklage freizusprechen ist.
4.a)
Gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr
Geldstrafe bestraft, wer sich rechtswidrig, namentlich nach Ablauf des bewil-
ligungsfreien des bewilligten Aufenthalts, in der Schweiz aufhält. Vorliegend
wird dem Berufungskläger die Tatbestandsvariante des rechtswidrigen Aufenthalts
nach Ablauf des bewilligungsfreien Aufenthalts vorgeworfen. Ausländische Perso-
nen, die in der Schweiz keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wie dies beim Beru-
Seite 10 — 13

fungskläger der Fall ist -, bedürfen für einen Aufenthalt von höchstens 90 Tagen
innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach der Einreise keiner Bewilli-
gung und sie sind auch nicht verpflichtet, sich anzumelden (vgl. Art. 10 AuG und
Art. 9 Abs. 1 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit
[VZAE; SR 142.201]). Mit dem Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum werden
Kurzaufenthalte von bis zu drei Monaten ohne Erwerbstätigkeit jedoch umfassend
und abschliessend durch das von der Schweiz übernommene Schengen-Recht
geregelt (Schengen-Acquis). Art. 10 Abs. 1 AuG verliert damit einen Grossteil sei-
ner Bedeutung. Personen, die für einen Aufenthalt von höchstens drei Monaten in
die Schweiz einreisen und die in dieser Zeit keiner Erwerbstätigkeit in der Schweiz
nachgehen wollen, müssen bei der Einreise und während der ganzen Zeit ihrer
Anwesenheit in der Schweiz die Voraussetzungen von Art. 5 der Verordnung (EG)
Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006
über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Perso-
nen (Schengener Grenzkodex, SGK) erfüllen (vgl. Philipp Egli/Tobias D. Meyer in:
Martina Caroni/Thomas Gächter/Daniela Thurnherr [Hrsg.], Stämpflis Handkom-
mentar zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, Bern 2010, N
8 ff. zu Art. 10 AuG).
b)
Gemäss der bis zum 18. Oktober 2013 von den zuständigen Behörden ge-
handhabten Praxis durften Ausländer in die Schweiz einreisen und sich dort wäh-
rend "90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen ab dem Zeitpunkt der ersten
Einreise" ohne Aufenthaltsbewilligung aufhalten. Nach Ablauf der sechsmonatigen
Periode begann wieder eine neue sechsmonatige Periode, innerhalb derer sich
Ausländer während 90 Tagen bewilligungsfrei in der Schweiz aufhalten durften.
Am 18. Oktober 2013 wurde diese Regelung dahingehend geändert, dass der be-
willigungsfreie Aufenthalt während "90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen"
möglich ist. Demnach entspricht der Zeitraum von 180 Tagen (Referenzzeitraum)
nicht mehr den 180 Tagen nach der ersten Einreise, sondern den 180 Tagen, die
dem Tag der Aufenthaltskontrolle vorangehen, wobei Einreiseund Ausreisetag
als
Aufenthaltstage
(vgl.
Weisungen
BFM,
Neue
Berechnungsregeln,
https://www.bfm.admin.ch/dam/data/bfm/einreise/neue_weisungen-d.pdf [besucht
am 12. Dezember 2014]). Gemäss Anklage hat der Berufungskläger den Tatbe-
stand des rechtswidrigen Aufenthalts gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG im Jahr
2012 und damit vor Inkrafttreten der neuen Berechnungsmethode erfüllt. Folglich
muss für die Berechnung der maximalen Aufenthaltsdauer des Berufungsklägers
auf die alte Methode abgestellt werden, wonach der Referenzzeitraum am Datum
der ersten Einreise beginnt.
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c)
Der Berufungskläger reiste am 9. Januar 2012 in die Schweiz ein (vgl. Ak-
ten StA act. 3.4) und wurde gemäss Strafbefehl vom 19. März 2013, mitgeteilt am
21. März 2013 (vgl. Akten StA act. 1.1) am 5. Juli 2012 aus der Schweiz ausge-
schafft. Er hielt sich folglich während 90 Tagen, d.h. bis zum 7. April 2012 legal
und bewilligungsfrei in der Schweiz auf. Mit Urteil vom 13. August 2012, ohne Mit-
teilungsdatum (vgl. Vorakten StA act. 1.3), wurde der Berufungskläger für den
Zeitraum vom 8. April 2012 bis zum 18. Juni 2012 des rechtswidrigen Aufenthalts
gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG schuldig gesprochen. Gegenstand des aktuellen
Verfahrens bildet lediglich der vom Berufungskläger anlässlich der Berufungsver-
handlung bestätigte, und mit vorinstanzlichem Urteil festgestellte Sachverhalt, wo-
nach er am 16. Juli 2012 in die Schweiz eingereist und am 22. August 2012 aus-
geschafft worden sei, sowie am 17. Oktober 2012 wiederum in die Schweiz einge-
reist und am 19. Oktober 2012 erneut ausgeschafft worden sei. Die erste Einreise
des Berufungsklägers in die Schweiz erfolgte am 9. Januar 2012, womit die Frist
von 180 Tagen innerhalb derer ein 90-tägiger Aufenthalt in der Schweiz bewilli-
gungsfrei ist am 6. Juli 2012 endete und demnach am 7. Juli 2012 eine neue
Frist von 180 Tagen zu Laufen begann, welche wiederum am 2. Januar 2013 en-
dete. Innerhalb dieses neuen Referenzzeitraums hielt sich der Berufungskläger
während insgesamt 42 Tagen und somit weniger als 90 Tage in der Schweiz auf.
Folglich ist das angefochtene Urteil auch hinsichtlich der Widerhandlung des Beru-
fungsklägers gegen Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG aufzuheben.
5.
Da nach den obigen Erwägungen 3 und 4 keine Rückfalltat des Berufungs-
klägers vorliegt, ist ein Widerruf der Vorstrafe vom 13. August 2012 nach Art. 46
Abs. 1 StGB nicht möglich. Somit ist auch die Ziffer 3 des angefochtenen Urteils-
dispositivs aufzuheben.
6.
Damit ist die Berufung gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuhe-
ben. Bei diesem Ausgang gehen sowohl die Kosten des Untersuchungsund des
vorinstanzlichen Verfahrens von insgesamt CHF 2'970.--, als auch die Kosten des
Berufungsverfahrens welche in Anwendung von Art. 7 der Verordnung über die
Gerichtsgebühren in Strafverfahren (VGS; BR 350.210) auf CHF 2'000.-festge-
setzt werden zu Lasten des Kantons Graubünden (vgl. Art. 428 Abs. 1 StPO).
Eine aussergerichtliche Entschädigung wird nicht zugesprochen, da der Beru-
fungskläger anlässlich der Berufungsverhandlung ausdrücklich auf Entschädi-
gungsansprüche verzichtet hat.
Seite 12 — 13

III. Demnach wird erkannt:
1.
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Bezirksgerichts Prät-
tigau/Davos vom 5. Juni 2014 wird aufgehoben und X.___ wird von der
Anklage der mehrfachen rechtswidrigen Einreise und des mehrfachen
rechtswidrigen Aufenthalts gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. a und b AuG freige-
sprochen.
2.
Die Kosten des Untersuchungsund des vorinstanzlichen Verfahrens, be-
stehend aus:
- den Untersuchungskosten der Staatsanwaltschaft
CHF 970.--
- der Gerichtsgebühr der Vorinstanz
CHF 2'000.--
Total somit
CHF 2'970.--
gehen zu Lasten des Kantons Graubünden.
3.
Die Kosten des Berufungsverfahrens von CHF 2'000.-gehen zu Lasten
des Kantons Graubünden.
4.
Es wird keine aussergerichtliche Entschädigung zugesprochen.
5.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 78 ff. BGG Beschwerde in
Strafsachen an das Bundesgericht geführt werden. Die Beschwerde ist dem
Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, schriftlich innert 30
Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in
der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die
Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen
und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 78 ff. und 90 ff.
BGG.
6.
Mitteilung an:



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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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