Das Urteil betrifft den Angeklagten A., der wegen mehrerer Straftaten schuldig gesprochen wurde, darunter Abtreibung, Körperverletzung, Drohung, Nötigung, Menschenhandel, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung. Er wurde zu 10 Jahren Freiheitsstrafe und Geldstrafen verurteilt. Die Geschädigten wurden auf den ordentlichen Zivilprozess verwiesen, um Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Das Obergericht des Kantons Zürich fällte das Urteil am 19. Juli 2012. Das Bundesgericht wies einige Beschwerden ab und bestätigte Teile des Urteils. Es bleibt jedoch ein Freispruch vom Vorwurf des Menschenhandels zum Nachteil einer Geschädigten zu überprüfen. Die Gerichtskosten und Entschädigungen wurden dem Angeklagten auferlegt.
Urteilsdetails des Kantongerichts SF-07-10
Kanton: | GR |
Fallnummer: | SF-07-10 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 04.12.2007 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Verwahrung |
Schlagwörter : | Verwahrung; Kanton; Vollzug; Kantons; Massnahme; Kantonsgericht; Recht; Gutachten; Vollzugs; Urteil; Kantonsgerichts; Gericht; Verteidiger; Anstalt; Schachen; Schachen“; Graubünden; „Im; Gutachter; Voraussetzungen; Behandlung; Rechtsanwalt; Ranzi; Sinne; Ziffer; Betreuung; Vollzugslockerung; Justiz; ühre |
Rechtsnorm: | Art. 112 StGB ;Art. 158 StPO ;Art. 160 StPO ;Art. 189 StPO ;Art. 29 BV ;Art. 59 StGB ;Art. 64 StGB ; |
Referenz BGE: | 119 Ia 260; 127 I 54; |
Kommentar: | - |
Entscheid des Kantongerichts SF-07-10
Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni
_____
Ref.:
Chur, 4. Dezember 2007
Schriftlich mitgeteilt am:
SF 07 10
(nicht mündlich eröffnet)
Beschluss
Strafkammer
Vorsitz Vizepräsident
Bochsler
RichterInnen Sutter-Ambühl,
Tomaschett-Murer, Giger und Hubert
Aktuarin ad hoc
Bäder Federspiel
——————
In der Strafsache
des X., ledig, Hilfsarbeiter, Therapiezentrum „Im Schachen“, 4543 Deitingen, amt-
lich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. Guido Ranzi, Quaderstrasse 5, Postfach
519, 7001 Chur,
betreffend Verwahrung
hat sich ergeben:
2
A.
Mit Urteil vom 25. Juni 1984 (SF 6/84) erkannte das Kantonsgericht
von Graubünden, wie folgt:
„1. X. ist schuldig des Mordes gemäss Art. 112 StGB, des Raubes ge-
mäss Art. 139 Ziff. 3 StGB, des Hausfriedensbruchs gemäss Art. 186
StGB, der Störung des Totenfriedens gemäss Art. 262 Ziff. 1 StGB,
der Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB sowie der fort-
gesetzten Widerhandlung gegen Art. 145 Ziff. 1, 3 und 4 VZV.
2. Dafür wird er, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Kreisgerichts-
ausschusses Chur vom 25. August 1983, mit zehn Jahren Zuchthaus
und einer Busse von Fr. 50.-bestraft.
3. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird aufgeschoben und über X. die
Verwahrung gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB angeordnet.
4. (Adhäsionsklagen)
5. (Kosten)
6. (Rechtsmittelbelehrung)
7. (Mitteilung)“
B.
Die am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Revision des Allgemeinen
Teils des Strafgesetzbuches erfordert eine Überprüfung der Verwahrung von Per-
sonen, die nach den Art. 42 43 Ziff. 1 Abs. 2 des bisherigen Rechts verwahrt
sind, bis am 31. Dezember 2007. Das Kantonsgericht hat in diesem Sinne die
Verwahrung von X. zu überprüfen.
Auf Ersuchen des Kantonsgerichts vom 15. März 2007 wurde Dr. med. A.,
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, am 12. April 2007 vom Amt für
Justizvollzug Graubünden beauftragt, ein psychiatrisches Gutachten über X. zu
erstellen. Das Gutachten lag am 30. September 2007 vor und ging beim Kantons-
gericht Graubünden zusammen mit der Stellungnahme des Amtes für Justizvoll-
zug Graubünden am 12. Oktober 2007 ein. Das Amt für Justizvollzug beantragt,
die Verwahrung von X. nach Art. 64 StGB weiterzuführen. Eine Umwandlung der
Verwahrung in eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB sei aus forensisch-
psychiatrischer Sicht nicht indiziert.
Mit Verfügung des Kantonsgerichtspräsidiums vom 16. Oktober 2007 wurde
Rechtsanwalt lic. iur. Guido Ranzi als amtlicher Verteidiger von X. eingesetzt. Er
erhielt Gelegenheit zur Akteneinsicht sowie dazu, sich zur Frage der Weiterfüh-
rung der Verwahrung seines Mandanten vernehmen zu lassen. In seiner Stellung-
nahme vom 20. November 2007 stellt Rechtsanwalt Ranzi folgende Anträge:
„1. Es sei X. in Nachachtung von Ziffer 1 und Ziffer 2 des Urteils des Kan-
tonsgerichts von Graubünden vom 22. Oktober/23. Dezember 2003
aus der Hochsicherheitsabteilung der Anstalt „Im Schachen“ zu entlas-
3
sen und er sei in eine für ihn geeignete offene Vollzugsanstalt im Sin-
ne des Gutachtens von Dr. med. B. zu versetzen.
2. Eventuell sei für X. eine stationäre therapeutische Massnahme im Sin-
ne von Art. 59 StGB anzuordnen und er sei dafür in eine geeignete
psychiatrische Einrichtung in eine Massnahmevollzugseinrichtung
zu versetzen.
3. In jedem Fall sei X. aus der Anstalt „Im Schachen“ in eine andere im
Kanton Graubünden in der Ostschweiz gelegen Anstalt im Sinne
von vorstehenden Ziffern 1 und 2 zu versetzen.
4. Es sei ein Obergutachten über die Massnahmenotwendigkeit einzuho-
len.
5.
Unter Kostenund Entschädigungsfolge.“
Auf die Ausführungen im psychiatrischen Gutachten vom 30. September
2007 sowie auf die Begründung der Anträge in den Rechtsschriften wird, soweit
erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Die Strafkammer zieht in Erwägung :
1.a. Nach Ziff. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen der Änderung des
StGB vom 13. Dezember 2002 überprüft das Gericht bis spätestens 12 Monate
nach Inkrafttreten des neuen Rechts, ob bei Personen, die nach den Art. 42
43 Ziff. 1 Abs. 2 des bisherigen Rechts verwahrt sind, die Voraussetzungen für
eine therapeutische Massnahme (Art. 59-61 63 StGB) erfüllt sind. Trifft dies
zu, so ordnet das Gericht die entsprechende Massnahme an; andernfalls wird die
Verwahrung nach neuem Recht weitergeführt.
b.
X. wurde mit Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 25.
Juni 1984 (SF 6/84) gestützt auf aArt. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB verwahrt. In diesem
Sinne ist bis am 31. Dezember 2007 die Überprüfung dieser Verwahrung vorzu-
nehmen. Zuständig hierfür ist dasjenige Gericht, das die Massnahme angeordnet
hat, vorliegend somit das Kantonsgericht.
c.
Das Kantonsgericht hat in casu einzig zu prüfen, ob bei X. die Vo-
raussetzungen für eine therapeutische Massnahme erfüllt sind, wobei aufgrund
des Alters sowie der Art und Schwere der psychischen Störung von X. nur eine
stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB in Frage kommt. Nach
Art. 59 Abs. 1 StGB kann das Gericht, ist ein Täter psychisch schwer gestört, eine
stationäre Behandlung anordnen, wenn der Täter ein Verbrechen Vergehen
begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht und
zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen
4
Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen. Massnahmen nach Art. 59
StGB sind spezifische Formen der strafrechtlichen Sanktion und bezwecken die
Verhinderung von Straftaten und die Wiedereingliederung der Täter. Vorausge-
setzt sind Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit (Do-
natsch/Flachsmann/Hug/Weder, StGB, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kom-
mentar, 17. Aufl., Zürich 2006, S. 116). Sind die Voraussetzungen für eine Mass-
nahme nach Art. 59 StGB erfüllt, ordnet das Kantonsgericht diese an. Kommt eine
solche Massnahme nicht in Frage, hat das Gericht festzustellen, dass die Verwah-
rung nach neuem Recht (Art. 64 StGB) weitergeführt wird.
2.a.
Dr. med. A. stellt in seinem Gutachten vom 30. September 2007 hin-
sichtlich X. die Diagnosen einer deutlich ausgeprägten Debilität sowie einer disso-
zialen Persönlichkeitsstörung. Überdies sei diagnostisch von einer akuten poly-
morphen psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie mit akuter
Belastung auszugehen.
Nach Einschätzung des Gutachters führt die ausgeprägte Intelligenzminde-
rung ebenso wie die dissoziale Persönlichkeitsstörung und die psychotische Stö-
rung zu weiteren prognostisch belastenden Defiziten wie einer verminderten Frust-
rationstoleranz, einer defizitären Impulskontrolle und einem nur rudimentär entwi-
ckelten moralischen bzw. Unrechtsverständnis bei nahezu fehlender Empathie.
Die professionelle Betreuung und Behandlung sowie der geschützte und ge-
schlossene Rahmen führe intramural zu einer erheblichen Reduzierung der dorti-
gen Rückfallgefahr, nicht jedoch in Freiheit. Für zukünftige Gewalthandlungen, im
Einzelfall - unter situativ ungünstig konstellierten Bedingungen auch für eine
Tötungshandlung, sei von einer moderaten bis erheblichen Rückfallgefahr, bezüg-
lich Eigentumsdelikten von einer erheblichen Rückfallgefahr auszugehen. Dieser
ungünstigen Legalprognose stehe eine unzureichende therapeutische Beeinfluss-
barkeit gegenüber, welche eine relevante und belastungsstabile Senkung der
Rückfallgefahr in Freiheit auch längerfristig unwahrscheinlich mache.
b.
Aus der ungünstigen Legalprognose auch für schwere Gewalthand-
lungen ergibt sich bei X. gemäss Beurteilung von Dr. A. die Notwendigkeit der
Fortführung der Verwahrungsmassnahme nach Art. 64 StGB. Auch eine Umwand-
lung in eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB sei nicht angezeigt, da sich
aufgrund der erheblichen Defizite des Exploranden eine unzureichende therapeu-
tische Beeinflussbarkeit ergebe und X. zudem intellektuell wie auch motivational
nicht in der Lage sei, einer strukturierteren deliktorientierten Behandlung im enge-
ren Sinn folgen zu können. Zudem stehe die emotionale Labilität mit der reduzier-
5
ten Stressresilienz einer in der Regel auch belastenden strukturierteren und for-
dernderen Behandlung entgegen.
Die derzeitige Platzierung darf aus Sicht des Gutachters als optimiert be-
zeichnet werden. Eine Versetzung in eine andere Institution mit vergleichbar hoher
Professionalität und individuellem Betreuungssetting brächte nach Dr. A. keine
signifikante Besserung der Lebensqualität des Exploranden bzw. eine erhöhte Si-
cherheit für die Öffentlichkeit. Ein Institutionswechsel sei angezeigt bei anhalten-
der Krise in der Zusammenarbeit zwischen Explorand und Institution, Zunahme an
Regelverstössen, die mehr auf die Persönlichkeit als auf eine psychotisch beding-
te Instabilität zurückzuführen seien und andererseits bei anhaltender Überlastung
des Betreuungsteams. Zentrale Merkmale eines geeigneten Platzierungssettings
seien tragfähige Betreuungskontakte zu professionellen Bezugspersonen, die
Gewährleistung einer kontrollierten Medikamenteneinnahme und die Förderung
der Abstinenz des halluzinogenen Cannabiskonsums, die Fortführung einer sup-
portiven Psychotherapie und die Einbindung in eine strukturierte, kognitiv wie
emotional nicht überfordernde Alltagsgestaltung hinsichtlich Arbeit und Freizeit.
c.
Der Gutachter gelangt somit zusammenfassend zum Schluss, dass
bei X. die Voraussetzungen für eine stationäre therapeutische Massnahme nach
Art. 59 StGB nicht gegeben sind und die Verwahrung nach Art. 64 StGB weiterzu-
führen ist. Namentlich fehlt es bei X. an der therapeutischen Beeinflussbarkeit und
damit an der von Art. 59 StGB geforderten Behandlungsfähigkeit.
3.a. Der amtliche Verteidiger stellt in seiner Vernehmlassung vom 20.
November 2007 mehrere Anträge, wobei sich im vorliegenden Verfahren insbe-
sondere Ziffer 2 der Rechtsbegehren als relevant erweist, in der beantragt wird, für
X. sei eine stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB an-
zuordnen.
In Ziffer 7 der Vernehmlassung verweist Rechtsanwalt Ranzi auf Art. 65
Abs. 1 StGB, wonach das Gericht auch während des Vollzugs der Verwahrung
eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB anordnen kann.
Dieser Verweis ist an sich richtig. Vorliegend ist die Frage einer stationären Mass-
nahme aber allein im Zusammenhang mit Ziffer 2 Absatz 2 der Schlussbestim-
mungen des StGB zu prüfen.
b.
Der amtliche Verteidiger bringt vor, im Fall von X. dränge sich eine
stationäre therapeutische Massnahme geradezu auf, nachdem die gesetzlichen
6
Voraussetzungen dafür vorlägen und sich der Vollzug des Urteils des Kantonsge-
richtsausschusses als schwierig erweise.
Diese Aussage steht in klarem Widerspruch zum Gutachten von Dr. A.,
gemäss welchem wie in Erwägung 2b. vorstehend ausgeführt bei X. aufgrund
seiner erheblichen Defizite eine unzureichende therapeutische Beeinflussbarkeit
besteht (Gutachten A., S. 41). Die von Art. 59 StGB vorausgesetzte Behandlungs-
fähigkeit ist nach Beurteilung des Gutachters nicht gegeben, und zwar offensicht-
lich nicht. Vom amtlichen Verteidiger wird zu Recht mit keinem Wort dargelegt,
dass bzw. aus welchen Gründen die Einschätzung von Gutachter A. nicht zutreffe
und die Behandlungsfähigkeit von X. dennoch vorliege. Gutachter B., auf den sich
Rechtsanwalt Ranzi an anderer Stelle bezieht, äusserte sich zur Frage einer stati-
onären Massnahme nicht; Gegenstand seines Gutachtens bildete lediglich die
Frage der Art des Verwahrungsvollzugs. In diesem Sinn sprach sich Dr. B. bei X.
ebenfalls nicht für einen Wechsel von der Verwahrung in eine stationäre Mass-
nahme nach Art. 59 StGB aus, sondern äusserte sich nur zu verschiedenen Voll-
zugsstufen innerhalb der Verwahrung. Unter diesen Umständen ist der Antrag von
X. auf Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme abzulehnen und
die Verwahrung nach Art. 64 StGB weiterzuführen.
Ob die angeordnete Verwahrung als solche haltbar ist, braucht das Gericht,
wie bereits in Erwägung 1c. erwähnt, vorliegend nicht zu überprüfen. Es hat sich
lediglich mit der Frage zu befassen, ob die Voraussetzungen für eine stationäre
Massnahme nach Art. 59 StGB erfüllt sind. Da dies nicht zutrifft, muss die Verwah-
rung nach Art. 64 StGB weitergeführt werden. In diesem Sinn ist auch der Ein-
wand des amtlichen Verteidigers, bei X. handle es sich nicht um einen hochge-
fährlichen Täter, so dass die Fortsetzung der eigentlichen Verwahrung im Sinne
von Art. 64 StGB nicht im Vordergrund stehe, nicht zu hören.
4.a. In Ziffer 1 und 3 der Rechtsbegehren beantragt der amtliche Vertei-
diger, X. sei aus der Anstalt „Im Schachen“ zu entlassen und in eine andere An-
stalt zu versetzen. Auf diese Anträge, die den Vollzug der Verwahrung von X. be-
treffen, kann in casu nicht eingetreten werden. Gegenstand des vorliegenden Ge-
richtsverfahrens bildet die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine
Massnahme nach Art. 59 StGB erfüllt sind, was bei X. nicht der Fall ist, so dass
die Verwahrung nach Art. 64 StGB weitergeführt werden muss. Der Vollzug dieser
Verwahrung ist nicht zu überprüfen, was von Rechtsanwalt Ranzi verkannt wird.
Ebenso wenig zur Diskussion steht im Übrigen das Verhalten des Vormunds von
X., C..
7
Auch wenn auf die Kritik am Vollzug der Verwahrung aufgrund des Ausge-
führten grundsätzlich nicht einzugehen ist, erscheinen einige Bemerkungen zur
Vernehmlassung des amtlichen Verteidigers als angezeigt, insbesondere im Zu-
sammenhang mit dem Gutachten von Dr. med. B. vom 16. Dezember 2002 und
dem Urteil des Kantonsgerichtsausschusses vom 22. Oktober 2003.
b.
Im Urteil des Kantonsgerichtsausschusses vom 22. Oktober 2003
(VB 03 8) wurde die Vollzugsbehörde angewiesen, X. in eine offene Vollzugsan-
stalt, wie sie von Dr. B. in seinem Gutachten vom 16. Dezember 2002 und in sei-
ner Stellungnahme vom 1. September 2003 empfohlen worden war, zu versetzen.
Gemäss dem genannten Urteil führte Experte B. damals aus, die an sich günstige
Entwicklung, die X. durchgemacht habe, spreche aus forensisch-psychiatrischer
Sicht dafür, ihn in eine Institution wie eine offene Anstalt zu versetzen, die zwar
feste Strukturen aufweise, nicht aber über speziell gesicherte Einrichtungen verfü-
gen müsse und die die ihm notwendige Aufsicht gewährleisten könne. In Betracht
falle beispielsweise die Strafanstalt Saxerriet, welche über Erfahrung mit der Be-
handlung geistig behinderter Straftäter sowie über geschlossene Plätze verfüge.
Dr. B. wollte sich für die Unterbringung von X. indes nicht auf die Anstalt Saxerriet
festlegen, sondern hielt in der ergänzenden Stellungnahme vom 1. September
2003 ausdrücklich fest, in Betracht falle auch eine andere geeignete Anstalt, die
eine gute Betreuung gewährleiste und aus der eine stufenweise Vollzugslockerung
möglich sei, wobei er etwa an die Anstalten St. Johannsen in Le Landeron
„Im Schachen“ in Deitingen denke. Aus dem Urteil des Kantonsgerichtsausschus-
ses vom 22. Oktober 2003 geht im Weiteren hervor, dass X. nicht unverzüglich
und stufenlos vom geschlossenen in den offenen Vollzug versetzt werden sollte;
Gutachter B. stellte gewisse Voraussetzungen an die Unterbringung und das prak-
tische Vorgehen. Die Vollzugslockerungen sollten vielmehr aus einem geschlos-
senen Rahmen heraus schrittweise erfolgen (VB 03 8, S. 16 f.).
c.
Der amtliche Verteidiger macht geltend, anstatt dass die gerichtlich
verfügte Vollzugslockerung wirklich in Angriff genommen worden sei, sei X. von
der Anstalt Pöschwies in das Hochsicherheitsgefängnis „Im Schachen“ versetzt
worden, was für ihn im Verhältnis zur Unterbringung in Regensdorf ganz eindeutig
eine Verschärfung der Haft zur Folge gehabt habe und womit der Gerichtsent-
scheid aus dem Jahr 2003 krass und nachhaltig missachtet worden sei.
Diesen Einwänden kann sich das Gericht nicht anschliessen. Im Urteil des
Kantonsgerichtsausschusses vom 22. Oktober 2003 wurde die Vollzugsbehörde,
wie erwähnt, angewiesen, X. in eine offene Vollzugsanstalt zu versetzen, wobei
8
sich unter den von Dr. B. empfohlenen Anstalten auch das Therapiezentrum „Im
Schachen“ in Deitingen befand. Darauf wird vom amtlichen Verteidiger im Übrigen
auch selbst hingewiesen (Vernehmlassung, S. 5). X. wurde in Nachachtung des
genannten Urteils am 13. Mai 2004 in das Therapiezentrum „Im Schachen“ einge-
wiesen, nachdem die Strafanstalt Saxerriet die Aufnahme von X. abgelehnt hatte.
Unter diesen Umständen kann keineswegs gesagt werden, der Gerichtsentscheid
aus dem Jahr 2003 sei missachtet worden, indem man X. in das Therapiezentrum
im Schachen einwies.
d. Rechtsanwalt
Ranzi
bringt im Weiteren vor, das Regime, das sich Dr.
B. vorgestellt habe, habe nicht der Entwicklung entsprochen, welche die Anstalt
„Im Schachen“ nahm, und schon gar nicht der Unterbringung von X. im Hochsi-
cherheitstrakt.
Zu diesem Einwand ist anzufügen, dass es sich wohl gerade umgekehrt
verhielt, dass nämlich die Entwicklung von X. nicht einen derartigen Verlauf nahm,
wie es sich Gutachter B. damals vorgestellt hatte. Die Anstalt „Im Schachen“ ver-
fügt sowohl über eine geschlossene Abteilung als auch über einen offenen Be-
reich und eine stufenweise Lockerung wäre und ist daher im Grundsatz durchaus
möglich. Offenbar liess nun aber das Verhalten von X. die Einleitung der erforder-
lichen Schritte bis anhin nicht zu. Weshalb es dazu kam - der amtliche Verteidiger
macht geltend, der unsachgemässe Umgang und die Betreuung in der Anstalt „im
Schachen“ hätten die von Dr. B. beschriebenen Fortschritte bei X. vernichtet -
kann vorliegend nicht geprüft werden. Es erscheint indes klar, dass erst der Erfolg
von schrittweisen Vollzugslockerungen letztlich die definitive Versetzung in den
offenen Vollzug rechtfertigt.
e.
Unter den genannten Umständen erscheint auch der Einwand des
amtlichen Verteidigers, das Amt für Justizvollzug habe einfach beschlossen, das
Urteil des Kantonsgerichtsausschusses nicht zu vollziehen, in dieser Absolutheit
nicht zutreffend. Aus den Verfügungen des Justiz-, Polizeiund Sanitätsdeparte-
ments vom 29. März 2005 und vom 18. Mai 2006, die auf die vom amtlichen Ver-
teidiger ins Recht gelegten Stellungnahmen der Schutzaufsicht vom 31. Januar
2005 und vom 28. Februar 2006 Bezug nehmen, geht vielmehr hervor, dass sich
die Vollzugsbehörde durchaus bewusst war, dass X. die vom Gericht angeordne-
ten Vollzugslockerungen zu gewähren sind, allerdings, wie bereits erwähnt, nicht
voraussetzungslos. Aufgrund der persönlichen Situation von X. befürworteten die
zuständigen Aufsichtsund Betreuungsorgane die Weiterführung der Massnahme
in einem vorerst noch geschlossenen Rahmen, was dann vom Justiz-, Polizeiund
9
Sanitätsdepartement entsprechend verfügt wurde, nicht jedoch ohne darauf hin-
zuweisen, dass Vollzugslockerungen weiterhin angestrebt und sofern möglich,
verwirklicht werden sollen.
f.
Unter all diesen Umständen liegt entgegen der Ansicht des amtlichen
Verteidigers keine krasse Missachtung der Vorgaben des Kantonsgerichtsaus-
schusses durch das Amt für Justizvollzug vor. Das Urteil des Kantonsgerichtsaus-
schusses sah zwar zweifellos eine schrittweise Vollzugslockerung vor. Ob die ein-
zelnen Schritte tatsächlich vollzogen werden können, ist allerdings eine andere
Frage, die die zuständige Vollzugsbehörde und nicht das Gericht zu entscheiden
hat.
5.a.
Im Weiteren rügt der amtliche Verteidiger eine Verletzung des recht-
lichen Gehörs. So sei er weder bei der Auswahl des Gutachters angehört worden
noch seien ihm die Fragen vorgelegt ihm Gelegenheit geboten worden, Zu-
satzfragen zu stellen. Auch habe er keine Möglichkeit gehabt, sich an der Begut-
achtung zu beteiligen.
b.
Diese Einwände erweisen sich als unbegründet. Gemäss Art. 29
Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Ge-
hör dient einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbe-
zogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die
Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Zum Mitwirkungsrecht gehört insbesonde-
re das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung ein-
greifenden Entscheids zur Sache zu äussern und an der Erhebung wesentlicher
Beweise entweder mitzuwirken sich zumindest zum Beweisergebnis zu äus-
sern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 ff.,
56, E. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 119 Ia 260 ff.).
Im vorliegenden Fall wurde X. von Gutachter Dr. A. persönlich begutachtet.
Seinem Rechtsbeistand wurde das Gutachten nach dessen Vorliegen zugestellt
und gleichzeitig die Gelegenheit geboten, sich zu dessen Inhalt sowie zur Weiter-
führung der Verwahrung zu äussern. Damit ist der Gehörsanspruch des Art. 29 BV
gewahrt.
6.a
In Ziffer 4 seiner Rechtsbegehren beantragt Rechtsanwalt Ranzi
schliesslich das Einholen eines neutralen Obergutachtens. Das Gutachten von Dr.
A. widerspreche in der abschliessenden Beurteilung dem Gutachten von Dr. B.,
welches im Jahr 2003 erstellt worden sei und zum Urteil des Kantonsgerichts vom
22. Oktober 2003 geführt habe.
10
b.
Gutachter A. gelangte aufgrund seiner Abklärungen zum Schluss,
dass eine Versetzung von X. in eine andere Institution mit vergleichbar hoher Pro-
fessionalität und individuellem Betreuungssetting keine signifikante Besserung der
Lebensqualität des Exploranden bzw. keine erhöhte Sicherheit für die Öffentlich-
keit brächte und begründete seine Ansicht entsprechend. Auch er ist aber im Übri-
gen der Ansicht, dass X. nicht eines derart geschützten Rahmens bedarf wie ihn
eine geschlossene Strafanstalt auch das Therapiezentrum „im Schachen“
bietet. Allerdings weist er darauf hin, dass das reale Angebot an geeigneten Ein-
richtungen gering sei und berücksichtigt auch versetzungsbedingten Stress sowie
die Aussagen von X. selbst. Letztlich gelangt er zum Schluss, dass der status quo
aus forensisch-psychiatrischer Sicht sehr nahe an den optimalen Realisierungs-
möglichkeiten liegt (vgl. Gutachten A., S. 39 f.). Seine Einschätzungen stehen so-
mit nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Ansicht von Dr. B. in seinem Gutachten
aus dem Jahr 2002. Dr. B. selbst erachtete die Anstalt „Im Schachen“ für X. eben-
falls als geeignet. Schrittweise Vollzugslockerungen sind dort grundsätzlich mög-
lich, kamen indes bis anhin was von Dr. B. nicht vorhergesehen wurde auf-
grund der persönlichen Entwicklung von X. nicht in Frage. In diesem Sinne sind für
das Kantonsgericht keine Widersprüche zwischen den beiden Gutachten ersicht-
lich.
c.
Dass sich Dr. B. nicht zu den Voraussetzungen einer stationären the-
rapeutischen Massnahme äusserte und sich daher auch insofern nicht im Wider-
spruch zu Dr. A. befinden kann, wurde bereits in Erwägung 3b dargelegt.
d.
Weitere Widersprüche zwischen den Gutachten B. und A. erblickt der
amtliche Verteidiger darin, dass Dr. B. das Risiko erneuter schwerer Gewalttaten
mit Blick auf einen offenen Vollzug als verantwortbar prognostiziere, Dr. A. dage-
gen von einer moderaten bis erheblichen Rückfallgefahr - unter Umständen auch
für eine Tötungshandlung ausgehe. Allerdings ist festzuhalten, dass Dr. B. das
Rückfallrisiko lediglich mit Blick auf einen offenen Vollzug der Verwahrung für ver-
antwortbar hält. Dem stellt der amtliche Verteidiger die Einschätzung von Dr. A.
hinsichtlich der Rückfallgefahr in Freiheit gegenüber, was nicht angeht. Bei einer
selbständigen Lebensplanung und Lebensführung schliesst auch Dr. B. eine
Rückfallgefahr gerade nicht aus, so dass kein wesentlicher Unterschied zum Gut-
achten A. auszumachen ist.
e.
Zusammenfassend gelangt das Gericht zum Schluss, dass das Gut-
achten Dr. A. nachvollziehbare und begründete Schlüsse enthält, die nicht wesent-
lich von denjenigen von Dr. B. in dessen Gutachten von 2002 abweichen. Unter
11
diesen Umständen besteht nach Ansicht des Kantonsgerichts kein Anlass, ein
Obergutachten anzuordnen; der entsprechende Antrag ist abzulehnen.
7.
Für das vorliegende Verfahren werden keine Gerichtskosten erho-
ben. Die Kosten der amtlichen Verteidigung sowie jene der Begutachtung sind
vom Kanton Graubünden zu übernehmen. Eine gesetzliche Grundlage, die es er-
lauben würde, die erwähnten Kosten X. aufzuerlegen, besteht in casu nicht. Das
vorliegende Verfahren besteht in einer von Gesetzes wegen durchzuführenden
Überprüfung der Verwahrung. Es unterscheidet sich von einem ordentlichen Straf-
verfahren, in dessen Rahmen eine Verwahrung angeordnet wird. In diesem Sinne
kann Art. 158 StPO, nach welchem einem Verurteilten die Verfahrenskosten, zu
denen auch die Untersuchungsund Begutachtungskosten zählen, auferlegt wer-
den können, nicht zur Anwendung gelangen. Ebenso wenig liegt ein Rechtsmittel-
verfahren vor wie es beispielsweise beim Weiterzug eines Entscheids des De-
partements für Justiz, Sicherheit und Gesundheit betreffend Überprüfung der
Massnahmebedürftigkeit mittels Berufung an den Kantonsgerichtsausschuss der
Fall wäre -, so dass auch ein Rückgriff auf Art. 160 StPO nicht zulässig ist. Die
vorliegend entstandenen Kosten können schliesslich auch nicht den Vollzugskos-
ten nach Art. 189 StPO zugeordnet werden. Fehlt es in diesem Sinne an einer hin-
reichenden gesetzlichen Grundlage für eine Kostenüberbindung, sind die entspre-
chenden Kosten auf die Staatskasse zu nehmen.
12
Demnach erkennt die Strafkammer :
1.
Die mit Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 25. Juni 1984 (SF
6/84) gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB angeordnete Verwahrung ist ge-
mäss Art. 64 StGB weiterzuführen.
2.
Für das Gerichtsverfahren werden keine Kosten erhoben.
3.
Die übrigen Verfahrenskosten, bestehend aus:
-
den Kosten des Gutachtens von
Fr.
10'880.00
-
dem Honorar der amtlichen Verteidigung von
Fr.
4'605.30
total
Fr. 15'485.30
gehen zu Lasten des Kantons Graubünden
4.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 78 ff. des Bundesgerichtsge-
setzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen an das Schweizerische Bundes-
gericht geführt werden. Diese ist dem Bundesgericht schriftlich, innert 30
Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in
der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die
Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen
und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 78 ff. und 90 ff.
BGG.
5. Mitteilung
an:
__
Für die Strafkammer des Kantonsgerichts von Graubünden
Der Vizepräsident
Die Aktuarin ad hoc
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