X., ein System-Ingenieur, wurde wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln angeklagt, nachdem er einen VW Golf überholte, obwohl die Strecke unübersichtlich war. Das Bezirksgericht verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 1'500.00. X. legte Berufung ein, argumentierte jedoch erfolglos, da das Kantonsgericht die Verletzung bestätigte. Die Kosten des Verfahrens von Fr. 1'500.00 gehen zu Lasten von X.
Urteilsdetails des Kantongerichts SB-07-23
Kanton: | GR |
Fallnummer: | SB-07-23 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 04.12.2007 |
Rechtskraft: | - |
Entscheid des Kantongerichts SB-07-23
Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni
_____
Ref.:
Chur, 04. Dezember 2007
Schriftlich mitgeteilt am:
SB 07 23
Urteil
Kantonsgerichtsausschuss
Vorsitz Vizepräsident
Schlenker
RichterInnen
Tomaschett-Murer und Hubert
Aktuar ad hoc
Thöny
——————
In der strafrechtlichen Berufung
des X., Angeklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur.
Patrik Wagner, Rosenhügelweg 6, 7270 E. Platz,
gegen
das Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Prättigau/Davos vom 27. September
2007, mitgeteilt am 15. Oktober 2007, in Sachen gegen den Angeklagten und Be-
rufungskläger,
betreffend grobe Verletzung von Verkehrsregeln,
hat sich ergeben:
2
A.
X. wurde am 14. Februar 1967 in A. geboren, wo er zusammen mit
zwei Geschwistern bei den Eltern aufwuchs und die Schule bis zum Abitur be-
suchte. Danach absolvierte er in B. eine einjährige Ausbildung zum Elektrome-
chaniker. In der Folge arbeitete er bis im Jahre 1989 als EDV-Operator in A. und
anschliessend als EDV-Mitarbeiter in C.. Ungefähr im Jahre 1999 zog X. nach D.,
von wo aus er in den folgenden Jahren verschiedenen Tätigkeiten im EDV-Bereich
nachging. Seit Januar 2006 ist er in E. wohnhaft; er arbeitete dort für die Firma F.
AG als System-Ingenieur zu einem Gehalt von monatlich Fr. 6'200.00 brutto. In
der Zwischenzeit hat X. eine eigene GmbH mit Sitz in E. gegründet. Er ist ledig
und muss niemandem Unterhaltsbeiträge bezahlen.
Gemäss Leumundsbericht der Kantonspolizei Graubünden geniesst X. ei-
nen guten Ruf. Im schweizerischen Strafregister ist er einmal verzeichnet. Am 02.
Dezember 1999 verurteilte ihn die Bezirksgerichtskommission Arbon wegen gro-
ber Verletzung von Verkehrsregeln und Führens eines Motorfahrzeuges in ange-
trunkenem Zustand zu einer einwöchigen bedingten Gefängnisstrafe (Probezeit
zwei Jahre) sowie zu einer Busse im Betrag von Fr. 1'800.00.
B.
Am 01. Juni 2006 eröffnete die Staatsanwaltschaft Graubünden ge-
gen X. eine Strafuntersuchung wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln und
beauftragte das Untersuchungsrichteramt E. mit deren Durchführung. Die
Schlussverfügung erging am 03. Januar 2007. Mit Verfügung vom 05. Juni 2007
wurde X. wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 35 Abs. 2 und
4 SVG in Verbindung mit aArt. 90 Ziff. 2 SVG in den Anklagezustand versetzt. Der
gestützt auf Art. 340 StGB und Art. 48 StPO zu Handen des Bezirksgerichtsaus-
schusses Prättigau/Davos erhobenen Anklage liegt gemäss Anklageschrift vom
05. Juni 2007 der folgende Sachverhalt zu Grunde:
„Am 24. April 2006 fuhr der Angeklagte mit dem Personenwagen
Opel Astra G16, FL G., auf der Nationalstrasse A28 von H. in Rich-
tung I.. Vor dem J. schloss er auf einen in gleicher Richtung fahren-
den VW Golf auf. Diesem folgte X. um die nachfolgende unübersicht-
liche Linkskurve ausgangs des genannten Tobels (Gemeinde K.).
Rund 85 Meter nach Beginn der erwähnten Kurve setzte er um ca.
17.02 Uhr ab einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h zum Überholen
des VW Golfs an. Dieses Überholmanöver konnte der Angeklagte
rund 100 Meter nach Überholbeginn bzw. unmittelbar nach der in der
Rechtskurve über das L. führenden Brücke beenden. Zu diesem
Zeitpunkt betrug die Geschwindigkeit seines Personenwagens rund
70 km/h.
Zu Beginn des Überholmanövers präsentierte sich X. der nachfol-
gende Strassenabschnitt wie folgt:
3
- Die ersten ca. 105 Meter der Strecke also etwas mehr als der
eigentliche Überholweg waren vollständig überblickbar.
- Darauf war der Strassenabschnitt wegen eines Baucontainers
über rund 10 Meter nicht einsehbar.
- Die folgenden ca. 27 Meter der Strasse waren teilweise über-
blickbar, wobei die Sicht durch die Leitplanke sowie Baumateria-
lien etc. beeinträchtigt wurde.
- Darauf folgte ein rund 20 Meter langer Streckenabschnitt, welcher
zu Überholbeginn wegen einer Baubaracke nicht eingesehen
werden konnte.
- Die nachfolgenden gut 80 Meter konnten wiederum im Wesentli-
chen überblickt werden.
- Die Sicht auf den weiteren Verlauf der Strasse wurde durch Ge-
bäude etc. verdeckt.
Im relevanten Bereich beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit
80 km/h, wobei sie ca. 125 Meter nach Beendigung des Überholma-
növers auf 60 km/h beschränkt wird. Während des Überholmanövers
nahte kein Gegenverkehr. Es herrschten gute Strassenund Sicht-
verhältnisse."
C.
Die Staatsanwaltschaft Graubünden stellte in der Ergänzung der An-
klageschrift vom 05. Juni 2007 folgende Anträge:
„1. X. sei schuldig zu sprechen der groben Verletzung von Ver-
kehrsregeln gemäss Art. 35 Abs. 2 und 4 SVG in Verbindung mit
aArt. 90 Ziff. 2 SVG.
2. Dafür sei er mit einer Busse von Fr. 1’500.00 zu bestrafen.
3. Kostenfolge sei die gesetzliche.“
D.
An der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgerichtsausschuss Prät-
tigau/Davos vom 27. September 2007 war X. in Begleitung seines Rechtsanwaltes
persönlich anwesend. Mit Urteil vom 27. September 2007, mitgeteilt am 12. Okto-
ber 2007, erkannte der Bezirksgerichtsausschuss Prättigau/E. wie folgt:
„1. X. ist schuldig der groben Verletzung von Verkehrsregeln ge-
mäss Art. 35 Abs. 2 und 4 SVG in Verbindung mit aArt. 90 Ziff. 2
SVG.
2. Dafür wird X. mit einer Busse von Fr. 1'500.00 bestraft.
3. Die Kosten des Verfahrens, bestehend aus:
- der Untersuchungsgebühr der
Staatsanwaltschaft von
Fr. 1'085.00
- Barauslagen der Staatsanwaltschaft von
Fr. 230.00
4
- der Gerichtsgebühr von
Fr. 1'500.00
total somit
Fr. 2'815.00
gehen zu Lasten des X.. Sie sind zusammen mit der Busse to-
tal also Fr. 4'315.00 (Fr. 2'815.00 + Fr. 1'500.00) innert 30 Ta-
gen nach Rechtskraft dieses Urteils der Bezirksgerichtskasse,
PC 70-3922-1, zu überweisen.
4. (Rechtsmittelbelehrung)
5. (Mitteilung).“
E.
Gegen dieses Urteil liess X. mit Eingabe vom 05. November 2007
beim Kantonsgerichtsauschuss von Graubünden Berufung erheben mit folgenden
Rechtsbegehren:
„1. Es sei das Strafrechtsurteil des Bezirksgerichtsausschusses
Prättigau/Davos im Verfahren Prozess Nr. 250-2007-7 vom 27.
September / 12. Oktober 2007 vollumfänglich aufzuheben und X.
von allen Anklagepunkten freizusprechen.
2. Eventualiter sei X. gemäss Ziff. 1 des angefochtenen Urteils nur
betreffend Art. 35 Abs. 2 und 4 SVG in Verbindung mit aArt. 90
Ziff. 2 SVG ([recte: Ziff. 1] leichte Verkehrsregelverletzung)
schuldig zu sprechen.
3. Unter voller Kostenund Entschädigungsfolge zulasten des Be-
schwerdegegners (recte: des Staates).“
Zur Begründung liess er ausführen, die Kantonspolizei habe ihre Ermittlun-
gen unzureichend und fehlerhaft vorgenommen. Er beantrage, Wm M. von der
Kantonspolizei erneut zur angeblich gefährlichen Verkehrssituation zu befragen.
Zudem wehre er sich gegen die Schlussfolgerung der Vorinstanz, er habe seit An-
beginn des Überholmanövers nicht wissen können, ob ihm Gegenverkehr entge-
genkomme. Selbst wenn es knapp geworden wäre, hätte er das Überholmanöver
jederzeit abbrechen können.
F.
Mit Eingabe vom 26. November 2007 reichte die Staatsanwaltschaft
Graubünden ihre Vernehmlassung ein. Dabei beantragte sie die Abweisung der
Berufung unter Hinweis auf die Akten und das angefochtene Urteil. Ergänzend
wurde angeführt, die Fotoaufnahmen seien einen Tag nach dem Vorfall erfolgt,
weshalb keine Anhaltspunkte bestünden, dass sich die Situation bei der dortigen
Baustelle innerhalb eines Tages wesentlich verändert hätte. Weiter stehe aufgrund
der Aktenlage zweifelsohne fest, dass es für den Berufungskläger nicht von An-
fang an möglich gewesen sei, die den Überholvorgang erforderliche Strecke rest-
los einzusehen.
5
Mit Schreiben vom 07. November 2007 verzichtete der Bezirksgerichtsaus-
schuss Prättigau/Davos unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Ur-
teil auf die Einreichung einer Vernehmlassung.
Auf die weiteren Ausführungen in den Rechtsschriften sowie im angefoch-
tenen Urteil wird, soweit erforderlich, in den nachstehenden Erwägungen einge-
gangen.
Der Kantonsgerichtsausschuss zieht in Erwägung :
1.
Gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichtsausschüsse sowie
gegen Verfügungen der Bezirksgerichtsund Kreispräsidenten (ausgenommen
Untersuchungshandlungen, prozessleitende Verfügungen und Strafmandate) kön-
nen der Verurteilte, das Opfer und der Staatsanwalt gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO
beim Kantonsgerichtsausschuss innert 20 Tagen seit der schriftlichen Eröffnung
des angefochtenen Entscheides Berufung einreichen. Diese ist zu begründen und
hat darzutun, welche Mängel des erstinstanzlichen Entscheides Gerichtsver-
fahrens gerügt werden und ob das ganze Urteil lediglich Teile davon ange-
fochten werden (Art. 142 Abs. 1 StPO). Der Kantonsgerichtsausschuss als Beru-
fungsinstanz überprüft das erstinstanzliche Urteil in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht frei. Es kommt ihm eine umfassende und uneingeschränkte Kognition zu
(Art. 146 Abs. 1 StPO). Dennoch wird das vorinstanzliche Urteil grundsätzlich nur
im Rahmen der in der Berufung gestellten Anträge überprüft (Padrutt, Kommentar
zur StPO des Kantons Graubünden, 2. Aufl., Chur 1996, S. 375). Diesen Anforde-
rungen vermag die vorliegende Berufung zu genügen, weshalb auf die überdies
fristund formgerecht eingereichte Berufung vom 05. November 2007 einzutreten
ist.
2. a) Der Kantonsgerichtspräsident kann von Amtes wegen auf An-
trag eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen, wenn die persönliche
Befragung des Angeklagten für die Beurteilung der Streitsache wesentlich ist (Art.
144 Abs. 1 StPO). Findet keine mündliche Berufungsverhandlung statt, so trifft der
Kantonsgerichtsausschuss seinen Entscheid ohne Parteivortritt aufgrund der Ak-
ten (Art. 144 Abs. 3 StPO). Der Angeschuldigte in einem Strafverfahren hat aber
unabhängig von der kantonalen Verfahrensordnung gestützt auf Art. 6 Ziff. 1
EMRK Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise und öffentlich gehört
wird. Dieser Anspruch ist Teilgehalt der umfassenden Garantie auf ein faires Ver-
6
fahren. Das Gebot der Verfahrensöffentlichkeit gilt dem Grundsatz nach nicht nur
für das erstinstanzliche Strafverfahren, sondern erstreckt sich auf die Gesamtheit
eines korrekten Strafverfahrens inklusive des gesamten Rechtsmittelweges, somit
auch auf das Berufungsverfahren gemäss Art. 141 ff. StPO.
b) Der durch einen Rechtsanwalt vertretene Berufungskläger hat vorlie-
gend keine Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung verlangt. Es
besteht auch kein Grund, dass das urteilende Gericht von sich aus eine mündliche
Berufungsverhandlung anordnet (vgl. hierzu Art. 144 Abs. 1 StPO), nachdem die
Vorinstanz in Anwesenheit des Berufungsklägers öffentlich verhandelt hat, bezüg-
lich des strittigen Sachverhalts keine zusätzlichen Aufschlüsse von einer mündli-
chen Verhandlung zu erwarten sind, im vorliegenden Fall sodann Rechtsfragen
zur Diskussion stehen, eine reformatio in peius ausgeschlossen ist und sich zu-
dem keine Fragen zur Person und zum Charakter des Berufungsklägers stellen,
welche sich nicht aus den Akten ergeben (vgl. BGE 119 Ia 318 f., E. 2b). Im an-
stehenden Rechtsmittelverfahren stellt sich primär die Frage, ob der Berufungs-
kläger mit seinem Überholmanöver tatsächlich Verkehrsvorschriften nach dem
Strassenverkehrsgesetz verletzt hat. Der Kantonsgerichtsausschuss kommt daher
zum Schluss, dass die streitige Strafsache gestützt auf die vorliegenden Akten
sachlich gerecht entschieden werden kann.
3.
Für das Berufungsverfahren ist zu beachten, dass dem Kantonsge-
richtsausschuss als Berufungsinstanz eine umfassende, uneingeschränkte Kogni-
tion auch mit Bezug auf Ermessensfehler, bei deren Prüfung er sich aber eine
gewisse Zurückhaltung auferlegt zukommt (Art. 146 Abs. 1 StPO), er jedoch das
vorinstanzliche Urteil grundsätzlich nur im Rahmen der in der Berufung An-
schlussberufung gestellten Anträge überprüft. Eine Ausnahme bilden dabei nicht
gerügte Gesetzesverletzungen, welche der Kantonsgerichtsausschuss von Amtes
wegen zu korrigieren hat (Padrutt, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kan-
tons Graubünden, 2. Auflage, Chur 1996, S. 375, mit Hinweisen).
4. a) Die Beweislast für die dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat liegt
grundsätzlich beim Staat (vgl. Padrutt, a.a.O., S. 306). Bei der Beurteilung eines
Sachverhaltes hat das Gericht die vorhandenen Beweismittel frei zu würdigen (Art.
125 Abs. 2 StPO). Den Verfahrensbeteiligten steht es jedoch aufgrund ihres An-
spruchs auf rechtliches Gehör frei, Beweisanträge zu stellen. Ein uneingeschränk-
tes Recht auf Beweisabnahme durch das Gericht besteht indessen nicht. So kann
auf die Abnahme weiterer Beweise verzichtet werden, wenn die für die Beurteilung
der Sache erforderlichen Tatsachen bereits aufgrund der vorhandenen Beweismit-
7
tel feststehen und nicht zu erwarten ist, dass neue Beweise neue Erkenntnisse
bringen. Mit anderen Worten ist in beschränktem Umfang eine vorweggenommene
antizipierte Beweiswürdigung durch das Gericht zulässig. Der Richter kann
das Beweisverfahren insbesondere dann schliessen, wenn er aufgrund bereits
abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in
vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass weitere Beweiser-
hebungen seine Überzeugung nicht ändern würden (vgl. BGE 121 I 308 f., 124 I
211; PKG 1993 Nr. 27).
b) Der Berufungskläger beantragt in seiner Berufungsschrift, der Polizist
Wm M. sei nochmals zur angeblich gefährlichen Verkehrssituation zu befragen
und es seien neue Skizzen anzufertigen. Damit soll offenbar festgestellt werden,
dass die Perspektiven in der Photodokumentation verzerrt seien und somit ein
falsches Bild erweckt werde. Für den Kantonsgerichtsausschuss ist indes nicht
ersichtlich, inwiefern eine erneute Einvernahme neue sachrelevante Erkenntnisse
bringen würde. Die bereits bei den Akten liegenden Entscheidgrundlagen, nämlich
die Strafuntersuchungsakten der Staatsanwaltschaft Graubünden, insbesondere
aber auch die vom Rechtsvertreter des Berufungsklägers eingereichten Farbfotos
und der Situationsplan der massgeblichen Örtlichkeit, lassen eine Beurteilung des
rechtlich relevanten Sachverhalts ohne weiteres zu. Zudem ist nicht nachvollzieh-
bar, welche neuen Erkenntnisse sich aus einer erneuten Befragung des Polizisten
ergeben sollten, hat er doch schon im Rahmen der untersuchungsrichterlichen
Konfronteinvernahme zum Vorfall ausgesagt. Was die Qualität der Beweismittel
betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass diese den Anforderungen für eine sachge-
rechte Beurteilung zu genügen vermag. Nicht nur das Fotoblatt Akt. 3/2, sondern
auch die am 25. April 2006 also einen Tag nach dem Vorfall erstellten Fotos
(vor allem das Foto Akt. 3/8 Nr. 3) geben einen einwandfreien Eindruck von der
Situation, wie sie während der Tatzeit bestanden hat. Die wesentlichen Aufnah-
men vermitteln keine verzerrte Perspektive und sie halten die Situation während
der Tatzeit wesentlich besser fest, als die vom Berufungskläger offensichtlich erst
viel später erstellten Fotos (Akt. 3/11). Die Beurteilung hat somit aufgrund der vor-
handenen Entscheidgrundlagen zu erfolgen. Der Kantonsgerichtsausschuss hat
seine Überzeugung wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen aufgrund der
vorliegenden Beweise gebildet; weitere Beweiserhebungen würden diese nicht
mehr ändern. Im Sinne einer vorweggenommenen Beweiswürdigung ist demnach
festzuhalten, dass die Überzeugung des Gerichts sowie das Ergebnis der freien
Würdigung der vorhandenen Beweismittel durch die beantragte erneute Befragung
8
des Wm M. nicht erschüttert würden. Dem entsprechenden Beweisantrag des Be-
rufungsklägers ist demnach nicht zu folgen.
5.
Der Kantonsgerichtsausschuss hat sich vorliegend mit dem von X.
am Abend des 24. April 2006 um ca. 17:00 Uhr auf der Nationalstrasse A28 unter-
halb von I. durchgeführten Überholmanöver zu befassen. Der Berufungskläger
bestreitet, mit dem fraglichen Überholvorgang tatsächlich Verkehrsregeln verletzt
zu haben. Er habe volle Einsicht in die Strasse gehabt, den Gegenverkehr im to-
ten Winkel der Baracke voraussehend beobachtet und das Überholmanöver je-
derzeit abbrechen können.
6. a) Nach Art. 35 Abs. 2 SVG ist das Überholen und Vorbeifahren an
Hindernissen nur gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und
der Gegenverkehr nicht behindert wird. Der im Sinne des Gesetzes für das Über-
holmanöver geforderte übersichtliche Raum hat aus einer genügenden Breite so-
wie einer genügenden Ausdehnung der Überholstrecke zu bestehen (BGE 101 IV
72, E. 1. b) S. 74). Das Überholen in unübersichtlichen Kurven, auf und unmittel-
bar vor Bahnübergängen ohne Schranken sowie vor Kuppen ist gemäss Art. 35
Abs. 4 SVG ausdrücklich verboten. Wer in einer teilweise unübersichtlichen Stre-
cke vorfahren will, muss daher berücksichtigen, dass bis zum Abschluss seines
Manövers aus dem unübersichtlichen Streckenteil jederzeit ein Fahrzeug auftau-
chen und sich ihm nähern kann. Daher muss nicht nur die für den Überholvorgang
benötigte Weglänge übersichtlich und frei sein, sondern zusätzlich jene, die ein
entgegenkommendes Fahrzeug bis zu jenem Punkt zurücklegt, wo der Überho-
lende die linke Strassenseite wieder freigibt. Es genügt daher nicht, dass der
Überholende danach trachtet, den Überholvorgang kurz vor der unübersichtlichen
Stelle abzuschliessen, sondern er muss ihn schon so weit vor diesem Punkt be-
endet haben, dass ein während des Überholvorgangs auf der Gegenfahrbahn auf-
tauchendes Fahrzeug seinen Weg unter Einhaltung einer angemessenen Ge-
schwindigkeit fortsetzen kann, ohne gefährdet zu werden (BGE 121 IV 235, E. 1.b,
S. 237 f.; BGE 109 IV 134, E. 2, S. 135 f.). Wer ein Fahrzeug überholen will, muss
sich somit vergewissern, dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu Beginn
des Manövers erfüllt sind. Der Überholende muss von Anfang an Gewissheit ha-
ben, sein Unternehmen sicher und ohne Gefährdung Dritter abschliessen zu kön-
nen. Er muss sicher sein, dass er während des ganzen Überholmanövers nie-
manden gefährdet und insbesondere gefahrlos vor dem überholten und vor dem
entgegenkommenden Fahrzeug wieder einbiegen kann. Derjenige, der überholen
will, muss berücksichtigen, dass aus dem für ihn nicht überblickbaren Teil der Ge-
genfahrbahn ein Fahrzeug mit der ausserorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit
9
von 80 km/h entgegenkommen könnte. Das Bundesgericht hat in BGE 118 IV 277
E. 5. b) S. 283 f. sogar ausgeführt, dass auf Hauptstrassen ausserorts generell
nicht mit Geschwindigkeiten von über rund 90 km/h gerechnet werden müsse. Da-
raus ergibt sich, dass derjenige, welcher überholen will, bei der Bemessung des
Überholwegs zu berücksichtigen hat, dass ihm aus dem nicht überblickbaren Be-
reich ein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von bis zu 90 km/h entgegen kom-
men könnte (Boll, Grobe Verkehrsregelverletzung, E., 1999, S. 83). Die Gefähr-
dung der anderen Verkehrsteilnehmer beurteilt sich indessen nach den konkreten
Umständen des Einzelfalles.
b) Unbestritten ist vorliegend, dass X. unterhalb von I. nach dem J. un-
mittelbar nach einer Linkskurve bzw. vor dem L. zum Überholen des VW Golfes
ansetzte und dieses Manöver nach ca. 100 Metern etwa im Scheitelpunkt der
Rechtskurve bzw. im Bereich der L. beendete. Streitig ist, ob die Strassenführung
in diesem und dem anschliessenden Bereich übersichtlich ist nicht.
c) X. setzte nach der auf das J. folgenden Linkskurve zum Überholma-
növer an. Um das Überholmanöver gefahrlos abschliessen zu können, muss nicht
nur die für den Überholvorgang benötigte Weglänge also im vorliegenden Fall bis
zum Scheitelpunkt der nächstfolgenden Rechtskurve - übersichtlich und frei sein,
sondern zusätzlich auch jene, die ein entgegenkommendes Fahrzeug bis zu je-
nem Punkt zurücklegt, wo der Überholende die linke Strassenseite wieder freigibt.
So hätte im vorliegenden Fall für X. von Anfang an auch eine der fraglichen
Rechtskurve folgende beträchtliche Strecke restlos einsehbar sein müssen, um
sein Überholmanöver sicher und ohne Gefährdung Dritter abschliessen zu kön-
nen. Aus dem am 25. April 2006 von einem polizeilichen Sachbearbeiter einge-
reichten zusätzlich erstellten Fotoblatt (vgl. Akt. 3/8) ist ersichtlich, dass eine Bau-
baracke, ein Baucontainer sowie ein Kran eine freie Sicht auf die Fahrbahn unmit-
telbar nach der Rechtskurve verhinderten. Wie die Vorinstanz richtig feststellte,
hatte der Vertreter des Berufungsklägers diese Installationen ebenfalls in seine
Darstellung (vgl. Akt. 3/12) aufgenommen, womit er zum Ausdruck brachte, dass
die Sicht auf einen Teil jener Strecke versperrt war, welche ein allenfalls entge-
genkommendes Fahrzeug während der Zeit des Überholens des Berufungsklä-
gers hätte zurücklegen können (Akt. 3/11, Foto Nr. 3). Selbst wenn man auf die
Sachverhaltsschilderungen und die ins Recht gelegten Fotoaufnahmen (Akt. 3/11)
des Berufungsklägers abstellt, geht eindeutig hervor, dass die gesamte Strecke
nicht restlos einsehbar gewesen ist. Aus dem vom Berufungskläger eingereichten
Plan (Akt. 3/12), bei dem Beginn und Ende des Überholmanövers eingezeichnet
worden sind, ist ersichtlich, dass der Berufungskläger zum Zeitpunkt, als er sein
10
Überholmanöver begann, wegen des Baucontainers ca. 10 Meter Wegstrecke und
wegen der weissen Baracke ca. 20 Meter Wegstrecke (Akt. 3/13) nicht einsehen
konnte. Diese beiden Installationen haben dem Berufungskläger zwar nicht die
Sicht auf die Überholstrecke eingeschränkt, jedoch blieb ihm die Sicht auf einen
Teil jener Strecke versperrt, welche ein entgegenkommendes Fahrzeug während
seines Überholvorgangs hätte zurücklegen können. Sodann wurde die Sicht noch
durch einen weiteren Umstand beeinträchtigt. So befand sich auf der Höhe, wo X.
zum Überholen ansetzte, am rechten Strassenrand ein Kran, durch welchen die
Sicht zusätzlich eingeschränkt wurde (Akt. 3/8, Foto 3). Somit ist nicht nachvoll-
ziehbar, dass der Berufungskläger unmittelbar vor und während seines Überhol-
manövers die gesamte Strecke und den weiteren Strassenverlauf nach der
Rechtskurve beim L. überblicken konnte. Der Überholende konnte sein Augen-
merk unmöglich ununterbrochen auf die Gegenfahrbahn rund um die weisse Ba-
racke und den Baucontainer richten, hätte er doch sonst seine Aufmerksamkeit
gegenüber dem vor ihm fahrenden Automobil vernachlässigt. Der Berufungskläger
durfte sich keinesfalls darauf verlassen, dass ein allenfalls entgegenkommendes,
vor und bei Beginn seines Überholmanövers durch Hindernisse verdecktes Fahr-
zeug wieder erscheinen würde, musste er doch jederzeit auch mit entgegenkom-
menden landwirtschaftlichen Fahrzeugen, Fahrrädern Motorfahrrädern rech-
nen. Somit musste er bei pflichtgemässer Vorsicht in Betracht ziehen, dass ein
solcher Verkehrsteilnehmer wegen der Bauarbeiten im verdeckten Bereich allen-
falls auch hätte stoppen abbremsen müssen und dann plötzlich unverhofft
hätte erscheinen können. Die dargestellte Einschätzung wird auch von dem als
Zeugen unter Hinweis auf Art. 307 StGB befragten Polizeibeamten M. (Akt. 3/7),
welcher ja hinter dem Berufungskläger fuhr, bestätigt. Es ist nun nicht ersichtlich,
dass dieser Polizeibeamte den Berufungskläger zu Unrecht belastet haben soll.
Kommt hinzu, dass Polizeibeamte wie der Kantonsgerichtsausschuss in kon-
stanter Praxis festgestellt hat im Beobachten und Feststellen von Verkehrssitua-
tionen besonders geschult sind und aufgrund ihrer Erfahrung die entsprechenden
Situationen eben gerade gut einschätzen können. Die von der Verteidigung ange-
stellten Berechnungen vermögen an der vom Polizeibeamten und vom Gericht
vorgenommenen Einschätzung nichts zu ändern.
d) Aus den vorgehenden Ausführungen ergibt sich, dass der Beru-
fungskläger gegen Art. 35 Abs. 2 und 4 SVG verstossen hat, indem er vor einer
unübersichtlichen Kurve - und bis in diese hinein ein Motorfahrzeug überholt hat.
Somit steht fest, dass X. vorliegend nicht darauf vertrauen durfte obwohl er dies
tat -, dass ihm kein Fahrzeug entgegen komme.
11
7.
Steht demnach fest, dass der Berufungskläger gegen die in Art. 35
Abs. 2 und 4 SVG festgeschriebenen Verkehrsregeln verstossen hat, so ist nun
abzuklären, ob er wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln gemäss aArt. 90
Ziff. 2 SVG lediglich gemäss aArt. 90 Ziff. 1 SVG wegen einfacher Verletzung
derselben zu verurteilen ist.
a)
Nach aArt. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Gefängnis mit Busse bestraft,
wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Si-
cherheit anderer hervorruft in Kauf nimmt. Objektiv grob ist ein Verstoss ge-
gen die Verkehrsregeln dann, wenn eine wichtige Verkehrsvorschrift in gravieren-
der Weise betroffen ist, das heisst, wenn der Verstoss nach den konkreten Um-
ständen als schwerwiegend bezeichnet werden muss, der Täter die Verkehrssi-
cherheit erhöht abstrakt konkret gefährdet hat und die Regelwidrigkeit oft zu
Unfällen führt. Eine objektiv schwerwiegende Verletzung von Verkehrsregeln allein
genügt aber nicht, um den Tatbestand von aArt. 90 Ziff. 2 SVG als erfüllt zu be-
trachten. Vielmehr ist erforderlich, dass sich die grobe Verletzung von Verkehrsre-
geln auch subjektiv manifestiert, indem dem Fahrzeuglenker aufgrund seines
rücksichtslosen sonstwie schwerwiegend regelwidrigen Verhaltens zumindest
eine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann (BGE 123 IV 88 E. 2. a) S.
91; BGE 118 IV 84 E. 2. a) S. 86). Grobe Fahrlässigkeit liegt immer dann vor,
wenn sich der Täter der allgemeinen Gefährlichkeit seiner krass verkehrswidrigen
Fahrweise bewusst ist, unter Umständen aber auch, wenn er die Gefährdung an-
derer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also unbewusst fahrlässig handelt. In
solchen Fällen bedarf jedoch die Annahme grober Fahrlässigkeit einer sorgfältigen
Prüfung (BGE 123 IV 88 E. 4. a) S. 93).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine ernstliche Gefahr für
die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG bereits beim Vorliegen ei-
ner erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Ob eine konkrete, eine erhöhte
abstrakte nur eine abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt nicht von der
übertretenen Verkehrsregel, sondern von der Situation ab, in welcher die Übertre-
tung geschieht. Wesentliches Kriterium für die Annahme einer ernstlichen
erhöhten abstrakten Gefahr nach Art. 90 Ziff. 2 SVG ist die Nähe der Verwirkli-
chung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt dem-
nach nur dann zur Erfüllung des Tatbestandes von Art. 90 Ziff. 2 SVG, wenn auf-
grund besonderer Umstände der Eintritt einer konkreten Gefährdung gar ei-
ner Verletzung naheliegt. Die erhöhte abstrakte Gefahr setzt damit eine nahelie-
gende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung Verletzung voraus (BGE 123
IV 88 E. 3. a) S. 91 f.).
12
b)
Dass Art. 35 Abs. 2 und 4 SVG wichtige Verkehrsregelungen bein-
halten, ist unbestritten. Die Zahl der Verkehrsunfälle, die auf fahrlässige Überhol-
vorgänge zurückzuführen sind, spricht eine deutliche Sprache für die Notwendig-
keit einer strengen Anwendung der gesetzlichen Vorschriften. Wer sich über diese
Normen hinwegsetzt, handelt den Verkehrsvorschriften grundsätzlich in grober
Weise zuwider.
Das Überholen gehört zu den unfallträchtigsten Verhaltensweisen im Stras-
senverkehr und erfordert deshalb erhöhte Vorsicht und Rücksichtnahme. Der
Überholende muss von Anfang an die Gewissheit haben, sein Überholmanöver
sicher und ohne Gefährdung Dritter abschliessen zu können. Nach den oben ste-
henden Ausführungen handelte der Berufungskläger bei dem hier zur Diskussion
stehenden Überholmanöver nicht nach diesen Grundsätzen. Die überblickbare
Strecke genügte nicht, um ein für andere Verkehrsteilnehmer gefahrloses Überho-
len zu garantieren. So konnte nämlich X. zum Zeitpunkt, als er das Überholmanö-
ver begann, die Strecke oberhalb der unübersichtlichen Rechtskurve, in welcher er
sein Manöver schliesslich beendete nicht restlos einsehen. Wäre nun während der
Durchführung des Überholmanövers durch X. also währenddem er sich auf der
Überholspur befand aus dem besagten Bereich überraschend ein Fahrzeug auf-
getaucht, wäre der Eintritt einer konkreten Gefährdung gar einer Verletzung -
d.h. einer Kollision mit dem entgegenkommenden Fahrzeug - nahe gelegen. Der
Berufungskläger setzte also eine erhöhte abstrakte Gefahr und somit die nahe
liegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung. Mit dem Argument, er hätte das
Überholmanöver jederzeit abbrechen können, dringt der Berufungskläger eben-
falls nicht durch. Der Kantonsgerichtsausschuss Graubünden hat stets festgehal-
ten, dass der Überholende von Anfang an die Gewissheit haben müsse, dass er
das Manöver sicher und ohne Gefährdung Dritter abschliessen könne (vgl. SB 06
32). Indem der Berufungskläger schon zu Beginn des Überholmanövers in Be-
tracht zog, bei einer überraschend auftretenden Gefahrensituation das Vorhaben
abzubrechen, kann nicht von einer vom Gericht vorausgesetzten - Gewissheit,
das Manöver sicher abschliessen zu können, ausgegangen werden. Der Kantons-
gerichtsausschuss kommt daher zum Schluss, dass X. bereits zu Beginn des
Überholmanövers nicht in der Lage gewesen ist, mit Gewissheit zu sagen, dass er
das fragliche Überholmanöver ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer hätte
abschliessen können. An dieser Schlussfolgerung vermag auch die Tatsache
nichts zu ändern, dass es im konkreten Fall nicht zu einem Unfall gekommen ist,
da das Aussprechen einer Strafe nicht davon abhängt, ob konkret ein Unfall ge-
schehen ist. Ob sich der Berufungskläger der potentiellen Gefährdung der ande-
13
ren Verkehrsteilnehmer tatsächlich bewusst war, ist unbeachtlich, da jeder Ver-
kehrsteilnehmer, welcher die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig
gar nicht in Betracht zieht, strafbar ist. X. hätte in der vorliegenden Situation das
fragliche Überholmanöver nie ausführen dürfen. Er ist daher der groben Verlet-
zung von Verkehrsregeln gemäss aArt. 90 Ziff. 2 SVG schuldig zu sprechen.
8.
Am 1. Januar 2007 ist die Revision des Allgemeinen Teils des Straf-
gesetzbuches in Kraft getreten. Bei der qualifizierten Verletzung von Verkehrsre-
geln gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG handelt es sich um ein Vergehen, das nach altem
Recht mit Gefängnis Busse bestraft wurde, während es nach neuem Recht
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren mit Geldstrafe bedroht wird. Gemäss
Art. 2 Abs. 1 StGB wird ein Täter nach neuem Recht beurteilt, wenn er nach des-
sen Inkrafttreten ein Verbrechen Vergehen begangen hat. Ausnahmsweise
wird der Täter, wenn er das Verbrechen Vergehen vor Inkrafttreten der AT-
Revision begangen hat, die Verurteilung aber erst nachher erfolgt, nach neuem
Recht beurteilt, sofern es für ihn das mildere ist als das im Zeitpunkt der Tatbege-
hung geltende Gesetz (Art. 2 Abs. 2 StGB, lex mitior). Gemäss Lehre und Recht-
sprechung ist dabei nach der konkreten Methode vorzugehen: es wird geprüft,
nach welchem der beiden Rechte der Täter für die gerade zu beurteilende Tat
besser wegkommt (sog. Günstigkeitsprüfung). Allerdings darf eine Tat nicht teil-
weise nach altem und teilweise nach neuem Recht beurteilt werden; es darf nur
entweder das frühere das geltende Recht angewendet werden (Riklin, Revi-
sion des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches: Fragen des Übergangsrechts,
AJP 12 2006 1471, S. 1473). Nachfolgend ist deshalb die Strafzumessung für das
alte und neue Recht separat zu ermitteln und anschliessend die Günstigkeitsprü-
fung vorzunehmen, damit das für den Berufungskläger mildere Recht zur Anwen-
dung gelangen kann.
a)
Nach dem bis 31. Dezember 2006 geltenden Recht wird die grobe
Verkehrsregelverletzung mit Gefängnis Busse bestraft.
Grundlage für die Strafzumessung ist im vorliegenden Fall der Strafrahmen
von Gefängnis Busse gemäss aArt. 90 Ziff. 2 SVG. Die kürzeste Dauer der
Gefängnisstrafe beträgt gemäss aArt. 36 StGB drei Tage und die längste Dauer
drei Jahre, ausser das Gesetz bestimme es ausdrücklich anders. Der Höchstbe-
trag der Busse ist Fr. 40'000.00, wenn es das Gesetz nicht anders bestimmt (aArt.
48 Ziff. 1 StGB).
14
Bei der Überprüfung der vorinstanzlichen Strafzumessung setzt der Kan-
tonsgerichtsausschuss sein Ermessen an Stelle desjenigen der Vorinstanz und
wendet die Regeln über die Strafzumessung selbständig an. Er misst die Strafe
dem Verschulden des Täters zu, wobei er die Beweggründe, das Vorleben und die
persönlichen Verhältnisse des Schuldigen berücksichtigt (vgl. aArt. 63 StGB). Das
Verschulden muss sich auf den gesamten Unrechtsund Schuldgehalt der konkre-
ten Straftat beziehen. Bei der Tatkomponente sind insbesondere das Ausmass
des verschuldeten Erfolgs, die Art und Weise seiner Herbeiführung, die Willens-
richtung, mit welcher der Täter gehandelt hat und die Beweggründe, die aArt. 63
StGB ausdrücklich erwähnt, zu beachten. Die Täterkomponente erfasst demge-
genüber das Vorleben, insbesondere auch allfällige Vorstrafen, die persönlichen
Verhältnisse, das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, wie zum Beispiel
Reue, Einsicht Strafempfindlichkeit (vgl. BGE 117 IV 112 ff.; 129 IV 20 f.; 118
IV 14 f.). Die den Täter belastenden entlastenden Umstände sind jeweils als
Straferhöhungsbzw. Strafminderungsgründe innerhalb des ordentlichen Straf-
rahmens zu berücksichtigen. Liegen keine Strafschärfungsoder Strafmilderungs-
gründe vor, so hat sich der Richter an den ordentlichen Strafrahmen zu halten.
Den Betrag einer allfälligen Busse bestimmt der Richter je nach den Verhältnissen
des Täters so, dass dieser durch die Einbusse die Strafe erleidet, die seinem Ver-
schulden angemessen ist. Für die Verhältnisse des Täters sind namentlich sein
Einkommen und sein Vermögen, sein Familienstand und seine Familienpflichten,
sein Beruf und Erwerb, sein Alter und seine Gesundheit von Bedeutung (aArt. 48
Ziff. 2 StGB).
Ausgangspunkt für die Strafzumessung bildet vorliegend der in aArt. 90 Ziff.
2 SVG vorgesehene Strafrahmen von Gefängnis Busse. Das Verschulden
des Berufungsklägers wiegt nicht leicht, muss er sich doch den Vorwurf der gro-
ben Fahrlässigkeit bei der Verletzung von Art. 35 Abs. 2 und 4 SVG in Verbindung
mit aArt. 90 Ziff. 2 SVG gefallen lassen. Durch sein rücksichtsloses Verhalten hat
er die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zumindest grob pflichtwidrig nicht
bedacht. Strafmilderungs-, Strafschärfungsund Straferhöhungsgründe liegen kei-
ne vor. Strafmindernd ist der gute allgemeine und der abgesehen von der erfolg-
ten Verurteilung rechte automobilistische Leumund zu gewichten. Die Uneinsich-
tigkeit des Berufungsklägers über die Gefährlichkeit seines Überholmanövers darf
zwar nicht straferhöhend gewichtet werden, allerdings kann X. deswegen auch
nicht mit besonderer Milde rechnen (Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht,
Allgemeiner Teil II, Bern 1989, S. 241).
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Unter Berücksichtigung des Verschuldens von X., des gegebenen Straf-
minderungsgrundes und seiner finanziellen Verhältnisse erachtet der Kantonsge-
richtsausschuss Graubünden die von der Vorinstanz ausgesprochene Busse von
Fr. 1'500.00 als angemessen.
b)
Nach neuem Recht wird die grobe Verkehrsregelverletzung mit Frei-
heitsstrafe bis zu drei Jahren mit einer Geldstrafe geahndet. Gemäss Art. 34
Abs. 1 StGB beträgt die Geldstrafe höchstens 360 Tagessätze, wobei das Gericht
deren Zahl nach dem Verschulden des Täters bestimmt. Das Verschulden wird
nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts,
nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters
sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Um-
ständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Berück-
sichtigt werden ausserdem das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse (Art.
47 StGB). Die Kriterien der Strafzumessung nach dem Verschulden blieben somit
anlässlich der Revision in den wesentlichen Grundzügen unverändert, womit auf
die gemachten Ausführungen verwiesen werden kann (Greiner, Bedingte und teil-
bedingte Strafen, Strafzumessung, in: Bänziger/Hubschmid/Sollberger, Zur Revi-
sion des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen ma-
teriellen Jugendstrafrecht, Bern 2006, S. 128; Manhart, Bedingte und teilbedinte
Strafen sowie kurze unbedingte Freiheitsstrafen, in: Tag/Hauri, Die Revision des
Strafgesetzbuches Allgemeiner Teil, Zürich/D. 2006, S. 132; Riklin, Strafen und
Massnahmen im Überblick, in: Tag/Hauri, a.a.O., S. 78).
Ein Tagessatz beträgt höchstens Fr. 3'000.00. Das Gericht bestimmt die
Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen,
Lebensaufwand, allfälligen Familienund Unterstützungspflichten sowie nach dem
Existenzminimum (Art. 34 Abs. 2 StGB). Dem Gericht verbleibt dabei ein erhebli-
cher Ermessensspielraum. Das Vermögen ist nicht generell in Betracht zu ziehen,
sondern vor allem bei Tätern, die über ein grosses Vermögen verfügen aber
kein bloss ein geringes Einkommen ausweisen (Donatsch/Flachsmann/
Hug/Weder, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Studienausgabe, Zürich 2006, S.
104).
Eine Geldstrafe ist in der Regel aufzuschieben, wenn vom Fehlen einer un-
günstigen Prognose ausgegangen werden kann (Art. 42 Abs. 1 StGB). Im vorlie-
genden Fall ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr, zu-
mal der Berufungskläger einen guten Leumund besitzt und die im Zusammenhang
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mit dem SVG erfolgte Verurteilung doch schon acht Jahre zurückliegt. Eine unbe-
dingte Strafe erscheint nicht notwendig, um den Berufungskläger von der Bege-
hung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten. Kann vorliegend somit eine
günstige Prognose vermutet werden, ist die Geldstrafe aufzuschieben. Gemäss
den Empfehlungen der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz
(KSBS) sollte bei Delikten gegen Nebengesetze neben der bedingten Geldstrafe
auch eine Busse ausgesprochen werden (Art. 42 Abs. 4 StGB). Das Gericht be-
misst die Busse je nach den Verhältnissen des Täters so, dass dieser die Strafe
erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist (Art. 106 Abs. 3 StGB). Bei der
Bemessung der Busse ist auch der finanziellen Leistungsfähigkeit Rechnung zu
tragen. Für die Verhältnisse des Täters relevant sind die gleichen Kriterien wie bei
der Geldstrafe, somit Einkommen, Vermögen, Lebensaufwand, Unterstützungs-
pflichten und Existenzminimum. Bezüglich des Verschuldens des Berufungsklä-
gers sowie dessen Berücksichtigung bei der Bemessung der Busse wird auf Er-
wägung 8. a) verwiesen.
c) Vergleicht
man
nun
das Ergebnis der Strafzumessung nach altem
und neuem Recht, so erweist sich vorliegend das alte Recht klar als das mildere.
Nach neuem Recht wird zur bedingten Geldstrafe als Primärsanktion zusätzlich
eine Busse ausgefällt. Diese bewegt sich dabei in der gleichen Grössenordnung
wie nach altem Recht, da sie wie bisher nach dem Verschulden des Täters be-
messen wird. Nach Vornahme der Günstigkeitsprüfung gelangt der Kantonsge-
richtsausschuss daher zur Auffassung, dass der Berufungskläger nach altem
Recht besser gestellt ist, wird er dabei doch lediglich mit einer Busse bestraft,
während nach neuem Recht eine bedingte Geldstrafe in Kombination mit einer
Busse auszusprechen wäre. Es ist deshalb bei der Strafzumessung das Recht
anzuwenden, wie es bis zum 31. Dezember 2006 Geltung hatte, womit sich auch
die Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung der
Busse gemäss Art. 106 Abs. 2 StGB erübrigt (Art. 388 Abs. 1 StGB). Der Beru-
fungskläger ist folglich mit einer Busse in der Höhe von Fr. 1'500.00 zu bestrafen
(vgl. Erw. 8. a), wobei die Probezeit für die Löschung der Busse im Strafregister
auf ein Jahr festgesetzt wird (aArt. 49 Ziff. 4 StGB).
9.
Das vorinstanzliche Urteil erweist sich nach diesen Ausführungen als
rechtmässig. Die Berufung ist demnach abzuweisen. Die Kosten des Berufungs-
verfahrens sind bei diesem Ausgang gemäss Art. 160 Abs. 1 StPO vollumfänglich
dem Berufungskläger aufzuerlegen.
17
Demnach erkennt der Kantonsgerichtsausschuss :
1.
Die Berufung wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 1'500.00 gehen zu Lasten von
X..
3.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 78 des Bundesgerichtsgeset-
zes (BGG) Beschwerde in Strafsachen an das Schweizerische Bundesge-
richt geführt werden. Diese ist dem Bundesgericht schriftlich, innert 30 Ta-
gen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in der
gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Zu-
lässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen und
das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 78 ff. und 90 ff. BGG.
4. Mitteilung
an:
__
Für den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
Der Vizepräsident:
Der Aktuar ad hoc:
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