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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Zusammenfassung des Urteils SB-05-40: Kantonsgericht Graubünden

Der Beschuldigte hat gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich Berufung eingelegt, jedoch keine Berufungserklärung innerhalb der gesetzten Frist eingereicht. Daher wird auf die Berufung nicht eingetreten, und der Beschuldigte muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen. Die Gerichtsgebühr beträgt 600 CHF. Die Entscheidung wurde am 8. Mai 2018 vom Obergericht des Kantons Zürich getroffen.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB-05-40

Kanton:GR
Fallnummer:SB-05-40
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid SB-05-40 vom 29.11.2005 (GR)
Datum:29.11.2005
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Verletzung von Verkehrsregeln
Schlagwörter : Beruf; Berufung; Berufungsklägerin; Fahrzeug; Bundesgericht; Überholen; Verkehr; Kantons; Urteil; Strassen; Verletzung; Kantonsgericht; Richtung; Verfahren; Bundesgerichts; Kantonsgerichtsausschuss; Verkehrsregeln; Fahrzeuge; Feldweg; Verfahrens; Richtungsanzeiger; Entscheid; Graubünden; Verbindung
Rechtsnorm:Art. 146 StPO ;Art. 15 VRV ;Art. 158 StPO ;Art. 160 StPO ;Art. 175 StPO ;Art. 26 SVG ;Art. 34 SVG ;Art. 35 SVG ;Art. 36 SVG ;Art. 63 StGB ;
Referenz BGE:103 IV 256; 129 IV 155; 129 IV 44; 97 IV 36;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SB-05-40

Kantonsgericht von Graubünden

Tribunale cantonale dei Grigioni

Dretgira chantunala dal Grischun
_____

Ref.:
Chur, 29. November 2005
Schriftlich mitgeteilt am:
SB 05 40
(nicht mündlich eröffnet)

Urteil
Kantonsgerichtsausschuss
Vorsitz Vizepräsident
Schlenker
RichterInnen Rehli und Vital
Aktuarin Thöny
——————
In der strafrechtlichen Berufung
der X., Angeklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur.
Andrea Mani, Postfach 516, Obere Gasse 24, 7002 Chur,

gegen

das Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Imboden vom 29. Juni 2005, mitgeteilt
am 29. September 2005, in Sachen gegen die Angeklagte und Berufungsklägerin,
betreffend Verletzung von Verkehrsregeln,
hat sich ergeben:


2
A.
Am 1. August 2004 um ca. 18.50 Uhr fuhr X. zusammen mit ihrer Mit-
fahrerin A. auf einem Motorrad der Marke Moto-Guzzi California EV mit dem Kon-
trollschild B. von C. kommend über die Hauptstrasse in Richtung D.. In der Region
F. schloss X. zum Jeep Gran Cherokee von G. und dem sich an der Spitze dieser
Kolonne befindlichen Personenwagen von H. mit dem Kontrollschild I. auf. Nach-
dem sie sich vergewissert hatte, dass kein Gegenverkehr nahte, setzte sie zum
Überholen der beiden vorausfahrenden Fahrzeuge an. Als sie den Jeep überholt
hatte, bemerkte sie, dass H. im Begriff war, nach links in einen Feldweg abzubie-
gen. Obwohl X. noch versuchte, nach links auszuweichen, kam es zu einer Kollisi-
on mit dem abbiegenden Personenwagen von H.. Dabei wurden X. und ihre Mit-
fahrerin A. vom Motorrad geschleudert und zogen sich Verletzungen zu, welche im
Kantonsspital K. behandelt werden mussten. Die Verletzung von H. konnte ambu-
lant behandelt werden. Am Motorrad von X. entstand ein Sachschaden von ca. Fr.
3'500.--, am Personenwagen von H. ein solcher von ca. Fr. 3'000.--. Alle am Unfall
beteiligten Personen verzichteten ausdrücklich auf die Stellung eines Strafantra-
ges wegen Körperverletzung.
B.
Mit Kompetenzentscheid vom 6. September 2004 stellte die Staats-
anwaltschaft Graubünden fest, dass für X. der Übertretungstatbestand im Sinne
von Art. 35 Abs. 5 SVG (Überholverbot von Linksabbiegern) in Verbindung mit Art.
90 Ziff. 1 SVG und für H. die Tatbestände von Art. 34 Abs. 3 SVG (Rücksichtnah-
me bei Änderung der Fahrtrichtung), Art. 36 Abs. 1 SVG (Einspuren) und Art. 39
Abs. 2 SVG (Pflicht zur Rücksicht trotz Zeichengabe) in Verbindung mit Art. 90
Ziff. 1 SVG in Betracht fallen. Mit der Verfolgung im Strafmandatsverfahren wurde
der Kreispräsident Rhäzüns beauftragt.
C.
Mit Verfügung vom 26 November 2004 stellte der Kreispräsident
Rhäzüns das Strafverfahren gegen H. ein, wobei die kreisamtlichen Kosten auf die
Kreiskasse genommen wurden. Gegen X. erliess der Kreispräsident Rhäzüns
gleichentags ein Strafmandat und erkannte wie folgt:
„1. X. ist schuldig der Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 35 Abs.
5 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG.
2.
Dafür wird sie mit einer Busse von Fr. 200.-bestraft.
3.
Die Verurteilte bezahlt die Kosten des Verfahrens, bestehend aus:

- Barauslagen (Kompetenzentscheid/Polizei)
Fr. 489.20

- Kreisamtl. Verfahrenskosten
Fr. 250.00

zuzüglich Busse
Fr. 200.00

./. Depositum
Fr. 00.00


3
Total
Fr.
939.20
4. (Rechtsmittelbelehrung).
5. (Mitteilung).“
Gegen dieses Strafmandat liess X. durch ihren Rechtsvertreter fristgerecht
Einsprache erheben. Gestützt auf Art. 175 StPO überwies der Kreispräsident
Rhäzüns die Verfahrensakten in der Folge an den Bezirksgerichtsausschuss Im-
boden.
D.
Mit Anklageverfügung des Bezirksgerichtspräsidiums Imboden vom
15. April 2005 wurde X. nach Kenntnisnahme der Akten und gestützt auf das Er-
gebnis der Untersuchung wegen Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 35
Abs. 5 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG in Anklagezustand versetzt. Mit
Urteil vom 29. Juni 2005, mitgeteilt am 29. September 2005, erkannte der Be-
zirksgerichtsausschuss Imboden wie folgt:
„1. X. ist schuldig der Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 35 Abs.
5 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG.
2.
Dafür wird X. mit einer Busse von Fr. 200.-bestraft.
3.
Die Kosten des Verfahrens, bestehend aus:
- den Kosten des Kreisamtes Rhäzüns von
Fr. 739.20
- der Untersuchungsund Gerichtsgebühr von
Fr. 2'500.00
total somit
Fr. 3'239.20
gehen zulasten der Verurteilten.
4. (Rechtsmittelbelehrung).
5. (Mitteilung).“
E.
Gegen dieses Urteil liess X. am 20. Oktober 2005 beim Kantonsge-
richtsausschuss von Graubünden Berufung einreichen. Dabei stellte sie die fol-
genden Anträge:
„1. Das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Berufungsklägerin sei
von der Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 35 Abs. 5 SVG in
Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG freizusprechen.

2.
Die Verfahrenskosten seien auf die Staatskasse zu nehmen.
3. Der Berufungsklägerin sei sowohl für das vorinstanzliche als auch für
das Berufungsverfahren vor Kantonsgericht eine ausseramtliche Ent-
schädigung zuzusprechen.“

F. Die
Staatsanwaltschaft
Graubünden
verzichtete mit Schreiben vom
26. Oktober 2005 auf eine Vernehmlassung. Auch das Bezirksgericht Imboden


4
teilte mit Schreiben vom 14. November 2005 mit, dass es auf die Einreichung ei-
ner Vernehmlassung verzichte.
Auf die Begründung der Anträge sowie die weiteren Ausführungen im ange-
fochtenen Urteil wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen ein-
gegangen.
Der Kantonsgerichtsausschuss zieht in Erwägung :
1.
Gemäss Art. 141 Abs. 1 des Gesetzes über die Strafrechtspflege
(StPO; BR 350.000) können der Verurteilte und der Staatsanwalt gegen Urteile
und Beschlüsse der Bezirksgerichte und ihrer Ausschüsse beim Kantonsgerichts-
ausschuss Berufung einlegen. Die Berufung ist innert zwanzig Tagen seit der
schriftlichen Eröffnung des Entscheids in dreifacher Ausfertigung unter Beilage
des angefochtenen Entscheids einzureichen. Sie ist zu begründen und hat darzu-
tun, welche Mängel des erstinstanzlichen Entscheids gerügt werden und ob das
ganze Urteil lediglich Teile davon angefochten werden (Art. 142 Abs. 1
StPO). Diesen Anforderungen vermag die vorliegende Berufung zu genügen,
weshalb auf sie einzutreten ist.
2. Der
Kantonsgerichtsausschuss
überprüft das erstinstanzliche Urteil
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Rahmen der gestellten Anträge frei
(Art. 146 Abs. 1 StPO). Er besitzt eine umfassende, uneingeschränkte Kognitions-
befugnis. Wenn die Aktenlage die Beurteilung zulässt und keine Verletzung des
rechtlichen Gehörs vorliegt der Mangel geheilt ist, entscheidet der Kantons-
gerichtsausschuss in der Sache selber (Art. 146 Abs. 2 StPO e contrario; Padrutt,
Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Graubünden, 2. Auflage, Chur
1996, S. 376). Die Berufungsklägerin anerkennt den dem angefochtenen Urteil zu
Grunde gelegten Sachverhalt vollumfänglich. Die vorliegende Berufung richtet sich
einzig gegen die rechtliche Qualifikation ihres Verhaltens als Verstoss gegen Art.
35 Abs. 5 SVG. Insofern kann ohne Einschränkungen auf die Sachverhaltsdarstel-
lung im vorinstanzlichen Urteil abgestellt werden.
3.
Die Berufungsklägerin macht geltend, sie habe die Absicht von H.,
nach links abzubiegen, nicht erkennen können, da diese vor der Durchführung des
Abbiegemanövers ihr Fahrzeug nicht gegen die Strassenmitte hin eingespurt ha-
be. Dies habe dazu geführt, dass der von H. gestellte Blinker vom nachfolgenden
Fahrzeug verdeckt worden und somit für die Berufungsklägerin nicht sichtbar ge-


5
wesen sei. Aufgrund dieses Fehlverhaltens von H. habe sie sich nicht ausreichend
darüber versichern können, dass die Fahrbahn während des Überholvorgangs frei
bleiben würde. Sie habe sich aber gestützt auf Art. 26 SVG darauf verlassen dür-
fen, dass H. sich so verhalten werde, dass sie bei ihrem Überholmanöver weder
behindert noch gefährdet würde. Daraus ergebe sich, dass sie von einer Wider-
handlung gegen Art. 35 Abs. 5 SVG freizusprechen sei.
a)
Gemäss Art. 35 Abs. 5 SVG darf ein Fahrzeug nicht überholt werden,
wenn dessen Lenker die Absicht anzeigt, nach links abzubiegen. Überholen ge-
hört insbesondere auf Strassen mit Gegenverkehr zu den gefährlichsten Fahr-
manövern. Die diesbezüglichen Regeln bezwecken, das Überholen entweder zu
verbieten in Situationen, in denen es üblicherweise übergrosse Gefahren bewirkt,
es an eine Reihe von Anforderungen zu knüpfen, bei deren Beachtung die
zusätzlichen Risiken minimiert werden. Überholen ist nur gestattet, wenn es nicht
überhaupt verboten ist, der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegen-
verkehr nicht behindert gefährdet wird (BGE 129 IV 155 E. 3.2.1 S. 158 mit
Hinweis auf Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrs-
rechts, Band I, Grundlagen, Verkehrszulassung und Verkehrsregeln, Bern 2002,
S. 326).
b)
Der Zeuge G. stützte anlässlich der polizeilichen Einvernahme zum
Unfallhergang (act. III/6) die Aussage von H., dass diese vor Beginn des Abbie-
gemanövers mit Sicherheit den linken Richtungsanzeiger betätigt hatte. Im Rah-
men einer weiteren Befragung am 8. Februar 2005 (act. IV/1) bestätigte er seine
Aussagen und führte aus, dass H. mit angemessener Geschwindigkeit gefahren
sei, den Richtungsanzeiger gesetzt und sodann abgebremst habe, um nach links
abbiegen zu können. Aus den Einvernahmeprotokollen und den Verfahrensakten
geht allerdings nicht hervor, ob H. auch gegen die Strassenmitte eingespurt hatte,
bevor sie mit der Ausführung des Abbiegemanövers begann. Diese Frage ist je-
doch entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin von untergeordneter Be-
deutung. Zum einen kennt das Strafrecht keine Schuldkompensation, weshalb X.
auch im Falle, dass ein allfälliges Verschulden von H. festgestellt worden wäre,
nichts zu ihren Gunsten hätte ableiten können. Immerhin hat der Kreispräsident
Rhäzüns das Verfahren gegen H. mit Verfügung vom 26. November 2004 einge-
stellt. Zum anderen hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 4. November
2003 (6S.301/2003) festgehalten, dass ein Lenker seine Absicht, nach links abzu-
biegen, bereits mit dem Stellen des linken Blinkers zum Ausdruck bringt, auch
wenn er sich gemäss Art. 36 Abs. 1 SVG gegen die Strassenmitte halten müsste.


6
Selbst wenn H. was im vorliegenden Fall jedoch nicht abschliessend festgestellt
werden konnte ein korrektes Einspuren gegen die Strassenmitte unterlassen hät-
te, hätte sie gemäss obgenannter Praxis des Bundesgerichts ihre Absicht, nach
links abbiegen zu wollen, insoweit korrekt angezeigt (Art. 39 Abs. 1 lit. a SVG).
Dass ihre Absicht durchaus erkennbar gewesen war, ergibt sich auch bereits aus
dem Umstand, dass der nachfolgende Fahrzeuglenker G. den gesetzten Rich-
tungsanzeiger gesehen hat und rechtzeitig reagieren und seine Geschwindigkeit
reduzieren konnte.
c) Die
Berufungsklägerin stellt sich auf den Standpunkt, sie habe den
Richtungsblinker am Fahrzeug von H. gar nicht erkennen können, da dieser durch
den nachfolgenden Jeep Cherokee von G. verdeckt gewesen sei. Für sie sei somit
das beabsichtigte Abbiegemanöver gar nicht erkennbar gewesen. Sie habe sich
daher auch nicht darüber vergewissern können, dass die Fahrbahn während der
Dauer ihres Überholmanövers frei bleiben würde. Diese Situation entspreche der-
jenigen, die dem Bundesgerichtsentscheid 4C.141/2001 vom 24. August 2001 zu-
grunde gelegen habe. Im Gegensatz zu dem vorliegend zu beurteilenden Sach-
verhalt wurde der Richtungsanzeiger im zitierten Bundesgerichtsentscheid jedoch
durch das abbiegende Fahrzeug selbst respektive durch dessen Anhänger ver-
deckt. Das Bundesgericht hielt denn auch in diesem Zusammenhang fest, dass
der Abbiegende, sofern er sein Manöver dem nachfolgenden Verkehr nicht gehö-
rig anzeigen könne, um die Verkehrssicherheit besorgt sein müsse. Gleichzeitig
verwies es jedoch auch auf die ungleiche und damit anders zu beurteilende Sach-
verhaltslage in BGE 103 IV 256. Im dort zu beurteilenden Fall war der Blinker
bloss vorübergehend nicht zu erkennen gewesen. Das Bundesgericht führte da-
mals aus, in dieser Situation könne der zu Überholende grundsätzlich davon aus-
gehen, dass nachfolgende Fahrzeuge seine Zeichengebung bemerken würden.
Ausserdem fehle es dem Überholenden bei dieser Ausgangslage an der Gewiss-
heit, dass die Überholstrecke auch frei bleiben werde. Gleich verhält es sich auch
im vorliegenden Fall. Dass ihr linker Richtungsanzeiger durch das nachfolgende
Fahrzeug verdeckt wurde, ist zweifellos nicht dem Verhalten von H. zuzuschrei-
ben. Sie durfte daher gestützt auf die obgenannte Praxis in BGE 103 IV 256 -
damit rechnen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihren nach links gestellten
Richtungsanzeiger auch erkennen würden, was G. denn auch tat. Somit traf sie
auch keine erhöhte Sorgfaltspflicht gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern.
Vielmehr lag es an X., sich vor der Durchführung des geplanten Überholmanövers
zu vergewissern, dass dieses sicher und ohne Gefährdung Dritter abgeschlossen
werden konnte. Ihr fehlte jedoch aufgrund des Umstands, dass sie den linken


7
Richtungsanzeiger am Fahrzeug von H. im kritischen Zeitpunkt gar nicht sehen
konnte, die Gewissheit, dass die Überholstrecke bis zum Abschluss des Manövers
frei bleiben würde. Sie konnte sich daher nicht sicher sein, während des ganzen
Überholvorgangs sie war im Begriff zwei hintereinander fahrende Fahrzeuge zu
überholen, was ein zusätzliches Risiko birgt - niemanden zu gefährden und ge-
fahrlos an der Spitze der Kolonne einbiegen zu können (vgl. hierzu BGE 121 IV
235 E. 1b S. 237 f.). Somit hätte sie in der fraglichen Situation auch nicht zu einem
Überholmanöver ansetzen dürfen. Sie hätte sich vielmehr vergewissern müssen,
was H. tat, unabhängig davon, ob diese nun im Begriff war, nach links abzubiegen
nicht; sie durfte nicht einfach „blind“ zum Überholen des von H. gelenkten
Fahrzeugs ansetzen.
d)
Die Berufungsklägerin verweist im Zusammenhang mit dem bereits
zitierten Entscheid des Bundesgerichts vom 24. August 2001 (4C.141/2001) auf
die Ausführungen des Bundesgerichts, wonach die erwähnte Einschränkung be-
züglich der Zulässigkeit des Überholens auf Strassen für Feldwege nicht gelte.
Zudem werde in derselben Erwägung ausgeführt, der Umstand, dass der Traktor-
fahrer in einen Feldweg abbiegen könnte, müsse den nachfolgenden Personen-
wagenlenker nicht zu besonderer Vorsicht veranlassen.
Zunächst ist festzuhalten, dass sich die vom Bundesgericht genannte Ein-
schränkung der Zulässigkeit des Überholens auf Strassen wie sich aus Erwä-
gung b/cc des zitierten Bundesgerichtsentscheids zweifellos ergibt einzig auf die
Überholvorschriften auf Verzweigungen bezieht. Das Bundesgericht hielt nämlich
eingangs der erwähnten Erwägung fest, dass das Überholen selbst im Bereich
von Verzweigungen gestattet sei, sofern diese übersichtlich seien und das Vor-
trittsrecht anderer Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werde. Die zweite der ge-
nannten Voraussetzungen weist darauf hin, dass Übersicht vor allem bezüglich
jenes Teils der Verzweigung bestehen muss, aus welchem der Überholende mit
vortrittsberechtigtem Verkehr zu rechnen hat (vgl. auch Giger, SVG Strassenver-
kehrsrecht, 6. Auflage, Zürich 2002, S. 114). In Bezug auf den konkret zu beurtei-
lenden Fall führte das Bundesgericht weiter aus, dass der vorausfahrende Traktor
in einen Feldweg eingebogen sei, so dass es sich nicht um eine Verzweigung im
Sinne des Gesetzes gehandelt habe. Benutzer von Feldwegen seien bei der
Kreuzung von gewöhnlichen Strassen nicht vortrittsberechtigt und müssten bei
unübersichtlichen Einmündungen nötigenfalls Hilfspersonen beiziehen (Art. 1 Abs.
8 und Art. 15 Abs. 3 VRV). Für Feldwege gelte daher die erwähnte Einschränkung
bezüglich der Zulässigkeit des Überholens auf Strassen nicht. Das Bundesgericht


8
stellte somit einzig die Subsumtion des Sachverhalts unter die Vorschrift von Art.
35 Abs. 4 SVG, welcher unter anderem das Überholen auf Strassenverzweigun-
gen regelt, in Abrede. Im vorliegenden Fall fällt jedoch einzig eine Verletzung von
Art. 35 Abs. 5 SVG in Betracht; die Anwendbarkeit von Art. 35 Abs. 4 SVG stand
zu keinem Zeitpunkt im Raum. Bezüglich des Zusammentreffens von Linksabbie-
gern mit für sie von hinten nahenden Fahrzeugen hat das Bundesgericht schon in
BGE 97 IV 36 den Grundsatz aufgestellt, dass der seine Richtungsänderung an-
kündigende Linksabbieger gegenüber dem von hinten nahenden Überholenden
„den Vortritt“ habe. Dies folge für Abbiegemanöver auf und ausserhalb von Ver-
zweigungen aus Art. 35 Abs. 5 SVG. Daran ist auch im vorliegenden Fall festzu-
halten. Somit kann die Berufungsklägerin auch aus dem Umstand, dass H. beab-
sichtigte, in einen Feldweg abzubiegen, nichts zu ihren Gunsten ableiten. Auch
kann sie sich unter diesen Voraussetzungen nicht auf das aus Art. 26 SVG ableit-
bare Vertrauensprinzip berufen, hat sich doch H. korrekt verhalten, nicht aber die
Berufungsklägerin (vgl. auch den Entscheid des Bundesgerichts vom 17. Oktober
2002, 6S.262/2002).
e) Die
Berufungsklägerin
beanstandet des Weiteren die Feststellung
der Vorinstanz, wonach es ihr ohne weiteres möglich gewesen sein soll, zunächst
den Jeep Cherokee von G. zu überholen, sich danach wieder hinter dem Fahr-
zeug von H. einzureihen und anschliessend an diesem vorbeizufahren. Die Frage,
ob genügend Raum für ein Einreihen zwischen den beiden Fahrzeugen vorhanden
gewesen wäre, kann indes nach dem Gesagten offen gelassen werden. Indem die
Berufungsklägerin zum Überholen der beiden Fahrzeuge ansetzte, obwohl sie
aufgrund des verdeckten Richtungsanzeigers nicht die Gewissheit haben konnte,
dass die Überholstrecke bis zum Abschluss des Manövers frei bleiben würde, ver-
stiess sie bereits gegen Art. 35 Abs. 5 SVG. Die Berufungsklägerin hätte somit in
der vorliegenden Situation das fragliche Überholmanöver nicht ausführen dürfen.
Dies umso mehr, wenn zwischen den zu überholenden Fahrzeugen nicht genü-
gend Raum für ein gefahrloses Wiedereinbiegen vorhanden gewesen wäre. Zu-
sammenfassend ist daher festzuhalten, dass X. somit von der Vorinstanz zu Recht
der Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 35 Abs. 5 SVG schuldig gespro-
chen worden ist.
4.
Bei der Überprüfung der vorinstanzlichen Strafzumessung setzt der
Kantonsgerichtsausschuss sein Ermessen anstelle desjenigen der Vorinstanz und
wendet die Regeln über die Strafzumessung selbständig an. Gemäss Art. 63 StGB
bemisst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters. Im Rahmen der


9
sogenannten Tatkomponente sind insbesondere das Ausmass des verschuldeten
Erfolges, die Art und Weise der Herbeiführung dieses Erfolges, die Willensrich-
tung, mit der der Täter gehandelt hat, und die Beweggründe des Schuldigen zu
berücksichtigen. Die Täterkomponente umfasst das Vorleben, die persönlichen
Verhältnisse sowie das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren. Geldstrafen
bemisst der Richter je nach den Verhältnissen des Täters so, dass dieser durch
die Einbusse die Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist. Für die
Verhältnisse des Täters relevant sind gemäss Art. 48 Ziff. 2 StGB namentlich sein
Einkommen und sein Vermögen, sein Familienstand und seine Familienpflichten,
sein Beruf und Erwerb, sein Alter und seine Gesundheit (BGE 129 IV 44 E. 6.1 S.
20 f.).
Die Vorinstanz hat das Tatverschulden der Berufungsklägerin zu Recht
nicht bagatellisiert. Immerhin hat sie durch ihre unachtsame Fahrweise eine Ver-
kehrsregelverletzung begangen und dadurch eine Kollision verursacht, bei welcher
nicht nur sie, sondern auch ihre Mitfahrerin Verletzungen davontrug. Da sie ihren
Sorgfaltspflichten im Strassenverkehr nicht nachgekommen ist, hat sie auch weite-
re Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet. Die Tatsache, dass die Berufungskläge-
rin wenig Einsicht zeigt, kann zwar nicht straferhöhend gewertet werden; gleich-
wohl darf sie jedoch bei dieser Sachlage nicht mit besonderer Milde rechnen (Stra-
tenwerth, Allgemeiner Teil II, 1989, S. 241). Strafmindernd ist der Berufungskläge-
rin ihr vorstrafenfreies Vorleben anzurechnen. Strafschärfungs-, Straferhöhungs-
und Strafmilderungsgründe sind keine ersichtlich. In Würdigung sämtlicher Straf-
zumessungsgründe erachtet der Kantonsgerichtsausschuss die von der Vo-
rinstanz verhängte Busse von Fr. 200.-als dem Verschulden und den persönli-
chen Verhältnissen der Berufungsklägerin angemessen.
5.
Das vorinstanzliche Urteil erweist sich somit als rechtmässig und die
Berufung ist abzuweisen. Es hat daher auch beim vorinstanzlichen Kostenspruch
zu bleiben (vgl. Art. 158 StPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens sind bei die-
sem Ausgang des Verfahrens gemäss Art. 160 Abs. 1 StPO vollumfänglich der
Berufungsklägerin aufzuerlegen.


10
Demnach erkennt der Kantonsgerichtsausschuss :
1.
Die Berufung wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 1'500.-gehen zu Lasten der
Berufungsklägerin.
3.
Gegen dieses Urteil kann, sofern Verletzung eidgenössischen Rechts gel-
tend gemacht werden will, Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof
des schweizerischen Bundesgerichts geführt werden. Diese ist dem Bun-
desgericht innert 30 Tagen seit Zustellung der vollständigen Ausfertigung
des Entscheides in der in Art. 273 des Bundesgesetzes über die Bundes-
strafrechtspflege (BStP) vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Be-
schwerdelegitimation und die weiteren Voraussetzungen der Nichtigkeits-
beschwerde gelten die Art. 268 ff. BStP.
4. Mitteilung
an:
__
Für den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
Der Vizepräsident:
Die Aktuarin:


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