In dem vorliegenden Fall ging es um eine Beschwerde gegen die Auferlegung von Verfahrenskosten in Höhe von 520 CHF an den Beschwerdeführer A. durch das Statthalteramt Bezirk Bülach. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen diese Kostenauflage und argumentierte, dass die Begründung des Statthalteramtes die Unschuldsvermutung verletze. Das Obergericht des Kantons Zürich entschied zugunsten des Beschwerdeführers und hob die Kostenauflage auf, da das Statthalteramt nicht ausreichend dargelegt hatte, warum die Kosten dem Beschwerdeführer auferlegt wurden. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden von der Staatskasse übernommen, und dem Beschwerdeführer wird keine Entschädigung zugesprochen.
Urteilsdetails des Kantongerichts SB-00-17
Kanton: | GR |
Fallnummer: | SB-00-17 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 17.05.2000 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Jagdkontravention |
Schlagwörter : | Schuss; Kanton; Berufung; Kantons; Kreis; Hirschkuh; Surses; Graubünden; Kantonsgericht; Urteil; Jagdaufseher; Abschuss; Zeuge; Gebiet; Richtung; Untersuchung; Jäger; Zeugen; Verletzung; ABzKJG; Verfahren; Standort; Kantonsgerichtsausschuss; äter |
Rechtsnorm: | Art. 142 StPO ;Art. 144 StPO ;Art. 146 StPO ;Art. 160 StPO ;Art. 175 StPO ; |
Referenz BGE: | 120 Ia 37; 124 IV 87; |
Kommentar: | - |
Entscheid des Kantongerichts SB-00-17
Kantonsgericht von Graubünden
Tribunale cantonale dei Grigioni
Dretgira chantunala dal Grischun
Ref.:
Chur, 17. Mai 2000
Schriftlich mitgeteilt am:
SB 00 17
(mündlich eröffnet)
Urteil
Kantonsgerichtsausschuss
Vizepräsident Schlenker, Kantonsrichter Schäfer und Vital, Aktuarin ad hoc
Mosca.
——————
In der strafrechtlichen Berufung
des J. B . , von U., geboren am 9. April 19 in U., des P. und der A. geb. H., verhei-
ratet mit E. geb. A., Rentner, T., T., Angeklagter und Berufungskläger, vertreten
durch Rechtsanwalt lic. iur. Diego Quinter, Goldgasse 11, 7000 Chur,
gegen
das Urteil des Kreisgerichtsausschusses Surses vom 28. Januar 2000, mitgeteilt
am 15. Februar 2000, in Sachen gegen den Angeklagten und Berufungskläger,
betreffend Jagdkontravention,
hat sich ergeben:
2
A. J. B. wurde am 9. April 1938 in U. geboren. Dort wuchs er zusammen mit
sechs Geschwistern in geordneten Familienverhältnissen auf. Sein Vater war Fab-
rikarbeiter und führte zusammen mit der Mutter noch eine kleine Landwirtschaft.
Nach dem Besuch der Schulen war J. B. während rund 3 Jahren bei der Eidge-
nössischen Forstverwaltung als Forstarbeiter tätig. Ab Sommer 1957 war er als
Schweisser bei der S.-Werkstätte in C. angestellt. Im Jahre 1959 verlegte J. B.
seinen Wohnsitz nach C., wo er bis 1964 seine Arbeit bei der S. fortsetzte. In den
folgenden 9 Jahren arbeitete er als Magaziner bei der T. in C.. Später war er für
dieselbe Firma als Monteur im Aussendienst tätig. Nach verschiedenen Unfällen
wurde J. B. im Jahr 1993 frühzeitig pensioniert. Heute wohnt er in T..
J. B. ist seit 1959 mit E. geborene Adank verheiratet. Aus dieser Ehe gin-
gen drei Kinder hervor. Seit dem 23. Dezember 1995 wohnen die beiden Ehegat-
ten getrennt.
Gemäss Angaben des Gemeindesteueramtes T. versteuerte J. B. für die
Veranlagungsperiode 1997-1998 ein Einkommen von Fr. 24'300.--. Vermögen be-
sitzt er keines.
J. B. ist weder im Schweizerischen Zentralstrafregister noch im Vorstrafen-
register des kantonalen Jagdund Fischereiinspektorates verzeichnet.
B. Dem vorliegenden Strafverfahren liegt gemäss Urteil des Kreisgerichts-
ausschusses Surses vom 28. Januar 2000 sinngemäss folgender Sachverhalt zu-
grunde:
„ Am Donnerstag, den 10. September 1998, um ca. 10.30 Uhr, mel-
dete Jagdaufseher E. B. der Kantonspolizei Graubünden, Posten S.,
telefonisch, dass ein Jäger namens J. B. im Gebiet „.l“, Gemeinde C.,
am frühen Morgen eine jagdbare Hirschkuh erlegt habe. Jagdaufse-
her E. B. führte aus, er habe selber feststellen können, dass der frag-
liche Schuss vor der erlaubten Schusszeit von 06.30 Uhr, nämlich
bereits um 06.26.50 Uhr, gefallen sei. Der Jagdaufseher bat die Poli-
zei um Mithilfe bei der Tatbestandsaufnahme.
J. B. gab gleichentags gegenüber der Polizei zu Protokoll, er habe
am fraglichen Morgen um 06.15 Uhr seine Hütte verlassen und sich
auf seinen Posten begeben. Als er auf die Uhr geschaut habe, sei es
genau 06.30 Uhr gewesen. Während er anschliessend eine ganze
Zigarette rauchte, habe er aus Richtung S. einen Schuss gehört.
Kurz darauf habe er eine Hirschkuh gesichtet, welche sich ihm aus
dieser Richtung näherte. Er habe auf eine Distanz von etwa 100 Me-
tern auf das Tier geschossen. Nach dem Schuss habe er seine Uhr
3
konsultiert und es sei genau 06.32 Uhr gewesen. Er habe seine Uhr
am Abend vorher nach der Radiozeit gestellt (vgl. act. 2). Beim Uh-
renvergleich stellte ein Beamter des Polizeipostens in S. fest, dass
die Uhr des Jagdaufsehers E. B. um 10 Sekunden und diejenige von
J. B. um 2 Minuten vorging.
Anlässlich der Einvernahme vor dem Kreispräsidenten T. wiederholte
J. B. im wesentlichen dieselben Aussagen. In Abweichung zu seiner
ersten Einvernahme führte er jedoch aus, dass er den Schuss etwa
um 06.33 Uhr abgegeben habe. Um 09.00 Uhr sei er alsdann zu R.
V. gegangen, den er in Begleitung des Nichtjägers A. T. angetroffen
habe. Beide hätten sich ihm gegenüber dahingehend geäussert,
dass sie kurz nach 06.30 Uhr einen Schuss aus der Richtung S. ge-
hört hätten. Einen zweiten Schuss hätten sie kurze Zeit später direkt
oberhalb ihres Standortes wahrgenommen (vgl. act. 18).
J. B. hat den Abschuss in seiner Abschussliste vorschriftsgemäss
eingetragen, wobei er als Abschusszeit 06.32 Uhr angegeben hat.
Der abgegebene Schuss traf das Wild am Hinterteil unmittelbar ne-
ben dem “Waidloch“.“
C. Mit Strafmandat vom 31. Dezember 1998, mitgeteilt am 7. Januar 1999,
erkannte der Kreispräsident Surses:
„1. B. J. ist schuldig der Übertretung des kantonalen Jagdgesetzes
durch eventualvorsätzliches Erlegen einer Hirschkuh ausserhalb
der erlaubten Schusszeiten.
2. In Anwendung von Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG, Art. 28 lit. a AB-
zKJG in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 KJG
und Art. 44 Abs. 2 ABzKJG wird er mit einer Busse von Fr. 300.-
bestraft. Die Verfahrenskosten betragen Fr. 180.--
3. Der Angeschuldigte bezahlt die Verfahrenskosten bestehend
aus:
Verfahrenskosten Fr.
180.00
Busse Fr.
300.00
Rechnung der Polizei
Fr.
48.00
Total Fr.
528.00
Dieser Betrag ist innert 30 Tagen der Kreiskasse Surses zu
überweisen.
4. (Rechtsmittelbelehrung)
5. (Mitteilung)“
D. Dagegen erhob J. B. am 12. Januar 1999 Einsprache beim Kreispräsi-
denten Surses, worauf das ordentliche Untersuchungsund Gerichtsverfahren
durchgeführt werden musste (vgl. Art. 175 Abs. 1 StPO).
4
E. Nach Ergänzung der Untersuchung erliess der Kreispräsident Surses am
17. Februar 1999 die Schlussverfügung. Am 8. März 1999 beantragte J. B. dem
Kreispräsidenten Surses, R. V., A. T., M. D., A. B. sowie der Jagdaufseher E. B.
seien als Zeugen einzuvernehmen. Mit Verfügung vom 14. April 1999, mitgeteilt
am 15. April 1999, wies der Kreispräsident Surses das Gesuch um Ergänzung des
Untersuchungsverfahrens ab.
F. Gegen diese Verfügung erhob J. B. am 5. Mai 1999 Beschwerde bei der
Beschwerdekammer des Kantonsgerichtes von Graubünden. Er beantragte, die
angefochtene Verfügung sei aufzuheben und R. V., A. T., E. B. sowie A. B. seien
als Zeugen einzuvernehmen; dies unter Kostenund Entschädigungsfolge zu Las-
ten der Vorinstanz.
G. Mit Entscheid vom 2. Juni 1999, mitgeteilt am 19. August 1999, erkannte
die Beschwerdekammer des Kantonsgerichtes:
„1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, die angefochtene
Beweisverfügung bezüglich Jagdaufseher B. aufgehoben und
die Sache im Sinne der Erwägungen an den Kreispräsidenten
Surses zur Ergänzung der Untersuchung zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 600.-gehen je
zur Hälfte zu Lasten des Beschwerdeführers und des Kantons
Graubünden, der zudem den Beschwerdeführer ausseramtlich
reduziert mit Fr. 250.-zu entschädigen hat.
3. (Mitteilung)“
Am 2. September 1999 wurde in der Folge E. B. als Zeuge einvernommen.
H. Mit Verfügung des Kreispräsidenten Surses vom 10. September 1999,
mitgeteilt am 13. September 1999, wurde J. B. wegen Verletzung der Jagdbe-
triebsvorschriften 1998 und der Verletzung von Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG und Art.
28 lit. a ABzKJG in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG sowie Art. 52 Abs. 1 KJG
und Art. 44 Abs. 2 ABzKJG in Anklagezustand versetzt.
I. Der Kreisgerichtsausschuss Surses erkannte mit Urteil vom 28. Januar
2000, mitgeteilt am 15. Februar 2000:
„1. B. J. wird wegen Verletzung von Art. 28 lit. a ABzKJG und Art.
15 Abs. 1 und 2 KJG in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG sowie
Art. 52 Abs. 1 KJG und Art. 44 Abs. 2 ABzKJG schuldig gespro-
chen.
2. Dafür wird er mit einer Busse von Fr. 300.-bestraft.
5
3. Die Untersuchungsund Gerichtskosten, bestehend aus:
- Untersuchungskosten der Polizei
Fr.
48.00
- Gerichtskosten
Fr.
1'073.80
Total Fr.
1‘121.80
gehen zulasten des Verurteilten. Sie sind zusammen mit der
Busse, also insgesamt Fr. 1'421.80, innert 30 Tagen an die
Kreiskasse Surses zu überweisen.
4. (Rechtsmittelbelehrung)
5. (Mitteilung)“
J. Gegen dieses Urteil erhob J. B. am 7. März 2000 Berufung an den Kan-
tonsgerichtsausschuss von Graubünden. Er beantragt:
„1. Vollumfängliche Aufhebung des angefochtenen Urteils.
2. J. B. sei von der Anklage der Verletzung der Jagdgesetzgebung
von Schuld und Strafe freizusprechen.
3. Eventualiter seien die Herren R. V., A. T. und Frau A. B. als
Zeugen zur Sache einzuvernehmen.
4. Es sei eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
5. Unter Kostenund Entschädigungsfolge für das Verfahren vor
dem Kreispräsidium und dem Kreisgerichtsausschuss Surses
und auch für vorliegendes Verfahren vollumfänglich zulasten des
Staates.“
Sowohl die Staatsanwaltschaft Graubünden als auch die Vorinstanz bean-
tragen in ihren Vernehmlassungen vom 23. März 2000 beziehungsweise 24. März
2000 die Abweisung der Berufung.
Auf die Begründung der Anträge sowie auf die Ausführungen im angefoch-
tenen Urteil wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen einge-
gangen.
Der Kantonsgerichtsausschuss zieht in Erwägung :
1. Gegen Urteile der Kreisgerichtsausschüsse können der Verurteilte und
der Staatsanwalt beim Kantonsgerichtsausschuss Berufung erheben (Art. 141
Abs. 1 StPO). Diese ist innert zwanzig Tagen seit der schriftlichen Eröffnung des
angefochtenen Entscheides einzureichen. Sie ist zu begründen und es ist darzu-
tun, welche Mängel des erstinstanzlichen Urteils gerügt werden und ob das ganze
6
Urteil lediglich Teile davon angefochten werden (Art. 142 Abs. 1 StPO). Die-
sen Anforderungen vermag die vorliegende Berufung von J. B. zu genügen. Auf
die fristund formgerecht eingereichte Berufung ist daher einzutreten.
2. Auf Antrag von J. B. wurde am 17. Mai 2000 eine mündliche Berufungs-
verhandlung durchgeführt (vgl. Art. 144 Abs. 1 StPO). Anwesend waren J. B. und
sein privater Verteidiger Rechtsanwalt lic.iur. Diego Quinter.
3. Der Kantonsgerichtsausschuss überprüft das erstinstanzliche Urteil in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Rahmen der gestellten Anträge frei (Art.
146 Abs. 1 StPO). Er besitzt somit eine umfassende, uneingeschränkte Kogniti-
onsbefugnis. Wenn wie im vorliegenden Fall - die Aktenlage die Beurteilung zu-
lässt und keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt, der Mangel ge-
heilt ist, entscheidet der Kantonsgerichtsausschuss in der Sache selber (Art. 146
Abs. 2 StPO, e contrario). Die Rückweisung an die Vorinstanz bildet die Ausnah-
me (Padrutt, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Graubünden, 2.
Aufl., Chur 1996, S. 376).
4. a) Der Berufungskläger macht im wesentlichen geltend, der Jagdaufse-
her E. B. habe widersprüchlich ausgesagt, indem er ursprünglich behauptet habe,
er habe den fraglichen Schuss gut lokalisieren können. Später habe er jedoch
ausgeführt, dass er sich in jenem Zeitpunkt überhaupt nicht sicher gewesen sei,
ob der besagte Schuss überhaupt im zur Diskussion stehenden Gebiet gefallen
sei. Im weiteren sei es äusserst merkwürdig, wenn der Jagdaufseher, der gemäss
eigenen Aussagen zur Zeit, als der Schuss gefallen sei, sich in unmittelbarer Nähe
des Geschehens aufgehalten habe, seiner gesetzlichen Pflicht nicht nachgekom-
men sei und sich nicht zum Schützen begeben habe. R. V. und A. T., welche sich
rund 200 Meter von seinem (J. B.) Standort entfernt aufgehalten haben, hätten
sich dahingehend geäussert, dass sie kurz nach dem Glockenschlag um 06.30
Uhr einen Schuss in Richtung S. gehört hätten. Einen zweiten Schuss hätten sie
kurze Zeit später, direkt oberhalb ihres Standortes wahrgenommen. Diese beiden
Zeugen seien trotz wiederholten Anträgen nicht einvernommen worden.
b) Bei der Würdigung der Beweismittel entscheidet das Gericht gemäss Art.
125 Abs. 2 StPO in Verbindung mit Art. 146 Abs. 1 StPO auch im Berufungsver-
fahren nach freier, in der Hauptverhandlung gewonnener Überzeugung (Schmid,
Strafprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1997, N 286). Die Beweislast für die dem Ange-
klagten zur Last gelegten Tat liegt dabei grundsätzlich beim Staat (Padrutt, Kom-
7
mentar zur Strafprozessordnung des Kantons Graubünden, 2. Aufl., Chur 1996, S.
306). An diesen Beweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Verlangt wird mehr
als eine blosse Wahrscheinlichkeit, nicht aber ein absoluter Beweis der Täter-
schaft. Nach der aus Art. 9/32 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK fliessenden Beweiswür-
digungsregel „in dubio pro reo“ darf sich der Strafrichter jedoch nicht von der Exis-
tenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklären,
wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel an den tatsächlichen Voraussetzungen
für ein verurteilendes Erkenntnis bestehen (BGE 124 IV 87 f.). Bloss theoretische
und abstrakte Zweifel sind indessen nicht massgebend, weil solche immer möglich
sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich vielmehr
um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, das heisst um sol-
che, die sich nach der objektiven Rechtslage aufdrängen (BGE 120 Ia 37). Aufga-
be des Richters ist es, ohne Bindung an Beweisregeln die an sich möglichen Zwei-
fel zu überwinden und sich mit Überzeugung für einen bestimmten Sachverhalt zu
entscheiden, wobei die Bildung der Überzeugung objektivierund nachvollziehbar
sein muss. Die Schuld des Angeklagten muss sich auf vorgelegte Beweise und
Indizien stützen, die vernünftige Zweifel in ausschliesslicher Weise zu beseitigen
vermögen (vgl. PKG 1987 Nr. 12, Padrutt, a.a.O., S. 307; Schmid, a.a.O., N 289).
Es ist anhand sämtlicher sich aus den Akten ergebenden Umstände zu untersu-
chen, ob die Darstellung der Anklage jene des Angeklagten den Richter zu
überzeugen vermag. Erst wenn eine solche Überzeugung weder in der einen noch
in der anderen Richtung zu gewinnen ist, muss gemäss dem Grundsatz „in dubio
pro reo“ der für den Angeklagten günstigere Sachverhalt angenommen werden
und es hat ein Freispruch zu erfolgen (PKG 1978 Nr. 31; Padrutt, a.a.O., S. 307).
c) Art. 28 lit. a der Ausführungsbestimmungen zum kantonalen Jagdgesetz
(ABzKJG) legt unter anderem fest, dass auf der Jagd im Monat September in den
Zeiten von 06.30 Uhr bis 20.30 Uhr geschossen werden darf. Im vorliegenden Fall
ist umstritten, ob J. B. den fraglichen Schuss vor 06.30 Uhr abgegeben hat. J. B.
führte anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme vom 10. September 1998 aus,
er habe am selben Tag um 06.15 Uhr die Hütte in P. verlassen und habe sich so-
dann zu seinem Posten unterhalb der Hütte begeben. Zum Zeitpunkt, als er auf
die Uhr geblickt habe, sei es genau 06.30 Uhr gewesen. Anschliessend habe er
eine ganze Zigarette geraucht. Während dieser Zeit habe er einen Schuss aus der
Richtung von S. gehört. Kurz darauf habe er eine Hirschkuh entdeckt, welche sich
ihm genähert habe. Er habe das Tier mit dem Feldstecher und mit dem Rohr kurz
angesprochen und habe feststellen können, dass die Hirschkuh jagdbar sei. Den
Schuss habe er auf eine Distanz von rund 100 Metern abgegeben. Das Tier sei im
8
Feuer zusammengebrochen. Nach dem Schuss habe er die Uhr konsultiert und es
sei genau 06.32 Uhr gewesen. Dieselbe Zeit habe er auch in seiner Abschussliste
eingetragen. Seine Uhr habe er am Vorabend nach der Radiozeit eingestellt (act.
2).
E. B. ist der für das fragliche Gebiet zuständige Jagdaufseher. Am 17. Sep-
tember 1998 als Auskunftsperson befragt, gab er zu Protokoll, am 10. September
1998 habe er sich im Gebiete G. S. aufgehalten, unterhalb P., als um 06.26.50
Uhr ein Schuss gefallen sei. Den Schuss habe er gut hören und auch lokalisieren
können. Er sei der festen Überzeugung gewesen, dass der Schuss etwas südlich
und oberhalb seines Standortes gefallen sei. Die nächsten Schüsse seien erst
rund 15 Minuten später aus grösserer Entfernung gefallen. Nachdem er im aufge-
hobenen A. U.eine Nachsuche mit einem Schweisshund durchgeführt habe, habe
er um 10.00 Uhr den Jäger J. B. beim Waldweg G. S. getroffen. J. B. hätte ihm
mitgeteilt, er habe am Morgen früh unterhalb seiner Jagdhütte eine Hirschkuh er-
legt und sein Jagdkollege V. habe kurz nach 09.00 Uhr unterhalb des Wegs G. S.
ebenfalls eine Hirschkuh geschossen. Er habe J. B. zum Jagdglück gratuliert und
sodann mit dem anwesenden Schweisshund eine Kontrollsuche durchgeführt, und
zwar in dem Gebiet, wo J. B. tags zuvor einen angeschossenen Hirschen beo-
bachtet hatte. Während der Nachsuche habe er eine telefonische Meldung von
Wildhüter B. erhalten, wonach zwei Jäger berichtet hätten, dass im Gebiet P. ein
Schuss drei bis vier Minuten vor 06.30 Uhr gefallen sei. Die beiden Jäger hätten
den Schuss ebenfalls unterhalb der Hütten von P. lokalisiert. Nach dieser Meldung
habe er sich zur Jagdhütte von J. B. begeben, um die zwei erlegten Hirschkühe
auszuwerten. Als er die Abschussliste von J. B. konsultiert habe, habe er feststel-
len können, dass ersterer als Abschusszeit 06.32 Uhr eingetragen hatte. Da der
Abschussort unterhalb der Hütte von J. B. gelegen sei, sei ihm bewusst geworden,
dass es J. B. sein musste, der drei bis vier Minuten zu früh geschossen hatte. In
der Folge habe er J. B. auf die Abschusszeit angesprochen. Dieser habe jedoch
versichert, um 06.32 Uhr geschossen zu haben. Beim Uhrenvergleich habe er
festgestellt, dass die Uhr von J. B. gegenüber seiner um zwei Minuten vorgegan-
gen sei (vgl. act. 3).
H. W., der die Jagd in P. ausübt, sagte anlässlich seiner Einvernahme als
Auskunftsperson am 11. September 1998 aus, er sei am Vortag zusammen mit
einem Freund in Richtung des alten A. unterwegs gewesen. Um 06.25 Uhr sei ein
Schuss gefallen, und zwar aus Richtung C. .Daraufhin habe er zu seinem Freund
gesagt, dies sei der bekannte M. aus C., der einen Probeschuss abgegeben habe.
9
Vor 06.30 Uhr habe er diesen einzigen Schuss gehört. Um 06.45 Uhr habe er zwei
bis drei Schüsse aus der Richtung des A.s vermerkt (vgl. act. 4). A. M. wurde
ebenfalls am 11. September 1998 als Auskunftsperson einvernommen (act 5). Er
berichtete, er habe am Vortag die Jagdhütte zusammen mit A. P. um 05.30 Uhr
verlassen und sich dann zu seinem Hochsitz im aufgehobenen A. begeben. Als
plötzlich ein Schuss gefallen sei, habe er auf die Uhr geschaut und feststellen
können, dass es 06.27 Uhr gewesen sei. Der Schütze habe sich vermutlich unter-
halb der nördlichen Wiesenecke von P., da heisst unterhalb der Hütte von B. J.
aufgehalten. Vor 06.27 Uhr sei kein Schuss gefallen und auch unmittelbar nach
06.30 Uhr habe er keinen weiteren Schuss wahrgenommen. Später habe er erfah-
ren, dass J. B. der fragliche Schütze gewesen sei. A. P., der Jagdbegleiter von A.
M., bestätigte, dass am besagten Tag ein Schuss vor 06.30 Uhr gefallen sei, und
zwar zwischen 06.26 Uhr und 06.27 Uhr. Unmittelbar nach 06.30 Uhr habe er kei-
nen Schuss gehört (act. 6).
Am 25. Januar 1999 wurde J. B. vom Kreispräsidenten Surses als Ange-
schuldigter einvernommen. Er erklärte, am fraglichen Tag die Hütte um 06.15 Uhr
verlassen zu haben. Er habe sich zu seinem Posten begeben und als das Licht
besser geworden sei, habe er auf die Uhr geblickt, welche 06.30 Uhr angezeigt
habe. Sodann habe er eine Zigarette angezündet. Später habe er einen Schuss
gehört, und nach kurzer Zeit sei eine Hirschkuh erschienen. Er habe diese Hirsch-
kuh als Schmaltier angesprochen. Der Abstand zur Hirschkuh habe 70 bis 80 Me-
ter betragen. Um ca. 06.33 Uhr habe er den Schuss abgegeben. Weil er einen
kurzen Moment die Hirschkuh beobachtet habe, um feststellen zu können, dass
diese nicht mehr aufstehe, habe er 06.32 Uhr in die Abschussliste eingetragen.
Auf die Frage, wie er in so kurzer Zeit eine Zigarette anzünden und die Hirschkuh
habe ansprechen können, antwortete J. B.: Als erfahrener Jäger habe er nicht viel
Zeit beanspruchen müssen, um die Hirschkuh anzusprechen. Er habe schnell re-
agiert, die Zigarette fallen gelassen und die Hirschkuh gleichzeitig als jagdbar an-
gesprochen. In Zusammenhang mit den weiteren Schüssen, die J. B. gehört ha-
ben will, äusserte sich letzterer dahingehend, der erste Schuss aus Richtung S.
sei gefallen, als er die Zigarettenzüge genossen habe. Dies müsse kurz nach
06.30 Uhr gewesen sein. Da er sich in einem Geländekessel befunden habe, sei
es aber auch möglich, dass der Hall aus einer anderen Richtung auf ihn zuge-
kommen sei. Im weiteren berichtete J. B., er habe um 09.00 Uhr desselben Tages
R. V. und A. T. getroffen. Beide hätten sich dahingehend geäussert, dass sie kurz
nach dem Glockenschlag, um 06.30 Uhr, einen Schuss aus Richtung S. gehört
10
hätten. Einen zweiten Schuss hätten sie kurze Zeit später direkt oberhalb ihres
Standortes wahrgenommen (act. 18).
Der Jagdaufseher E. B. wurde schliesslich am 2. September 1999 als Zeu-
ge einvernommen. Gemäss seinen Ausführungen habe er am fraglichen Tag um
10.00 Uhr eine Verabredung mit J. B. gehabt. Deshalb habe er an jenem Morgen
bereits um 06.15 Uhr den Jagdverlauf im aufgehobenen A. „U.“ verfolgen wollen.
Um 06.26.50 Uhr sei plötzlich ein Schuss gefallen. Nachdem er um 07.00 Uhr mit
dem Schweisshundeführer A. C. eine Nachsuche durchgeführt habe, habe er um
10.00 Uhr J. B. am vereinbarten Ort getroffen. J. B. habe berichtet, er habe am
Morgen eine Hirschkuh erlegen können. In der Folge habe er vereinbarungsge-
mäss um die Mittagszeit J. B. in seiner Hütte aufgesucht, um die Hirschkuh zu un-
tersuchen. Anlässlich dieser Untersuchung habe J. B. ihm die Abschussliste ge-
zeigt, auf welcher der Abschuss um 06.32 Uhr eingetragen gewesen sei. Da er um
06.26.50 Uhr nur einen Schuss in dieser Gegend wahrgenommen habe, sei ihm in
diesem Moment bewusst geworden, dass es sich beim fraglichen Schützen um J.
B. handeln müsse. Auf die Ergänzungsfrage von Rechtsanwalt Diego Quinter, wa-
rum er (E. B.) nach dem zu früh abgegebenen Schuss nicht umgehend eine Un-
tersuchung eingeleitet habe, antwortete er: „Das Lokalisieren eines Schusses ist
im Wald nicht immer so einfach. Ich habe diesen Vorfall in meinem Tagesrapport
sofort schriftlich festgehalten und wäre dem Fall sowieso nachgegangen, sobald
ich meine Verabredungen erledigt gehabt hätte. Als ich die telefonische Meldung
von WH B. erhielt, war es für mich eine Bestätigung, dass der Schuss im fragli-
chen Gebiet gefallen war, weshalb die Untersuchung eingeleitet wurde“ Weiter
unten bemerkte er: „In der Schussrichtung wie bei Herrn B. hat es eine grosse
Felswand im Hintergrund, C. S., da widerhallen die Schüsse. Ich würde sagen, in
diesem Gebiet kann man die Schüsse über mehrere Kilometer hören“(act. 30).
d) Wenn man die Ausführungen der Auskunftspersonen und des Zeugen
mit den Aussagen von J. B. vergleicht, so fällt auf, dass sowohl E. B. als auch die
Auskunftspersonen H. W., A, M, und A, P, einen einzigen Schuss um rund 06.27
Uhr wahrgenommen haben. J. B. hat demgegenüber um 06. 30 Uhr einen ersten
Schuss gehört und will selber um 06.32 Uhr eine Hirschkuh erlegt haben. Dass ein
Schuss vor 06.30 Uhr gefallen sein muss, steht für den Kantonsgerichtsausschuss
aufgrund der übereinstimmenden Aussagen des Zeugen und der Auskunftsperso-
nen fest. Fraglich ist jedoch, ob es J. B. war, der zu früh geschossen hat. Der
Jagdaufseher E. B. gab zu Protokoll, er habe sich im Zeitpunkt, in welchem der
Schuss gefallen sei, im Gebiete G. S., unterhalb P. aufgehalten. Er befand sich
11
somit in unmittelbarer Nähe des Standortes von J. B.. Es ist schwer nachvollzieh-
bar, weshalb der Jagdaufseher, der einen Schuss um rund 06.27 Uhr wahrge-
nommen hat, nicht umgehend zu ermitteln versuchte, wer der fragliche Schütze
war, zumal er sich offenbar in nächster Nähe des Geschehens aufhielt und er an-
lässlich seiner Befragung als Auskunftsperson den Schuss „etwas südlich und
oberhalb meines Standortes“ lokalisierte. E. B. hat statt dessen um 07.00 Uhr mit
dem Schweisshundeführer A. C. eine Nachsuche durchgeführt. Um 10.00 Uhr hat-
te er sich mit J. B. getroffen, um eine weitere Nachsuche durchzuführen. Während
dieser Nachsuche erreichte ihn die telefonische Meldung von Wildhüter B., zwei
Jäger hätten im Gebiet P. einen Schuss vor 06.30 Uhr gehört. Das Verhalten von
E. B. wirft Fragen auf. So ist nicht auszuschliessen, dass E. B. den Schuss nicht in
der unmittelbaren Umgebung seines Aufenthaltsortes lokalisiert hat und der
Schuss auch tatsächlich in weiterer Entfernung abgegeben worden ist. Wie er sel-
ber als Fachmann anlässlich seiner Zeugeneinvernahme vom 2. September 1999
ausgeführt hat, ist die Lokalisierung eines Schusses nicht immer einfach, weshalb
er sich unmittelbar nach der Schussabgabe offenbar nicht imstande sah, den
Standort des Schützen zu bestimmen und erste Untersuchungshandlungen einzu-
leiten. Einflüsse von Gelände, Wind, Wetter und Umfeld vermögen das Ohr zu
täuschen, so dass ein Schuss, der in nächster Nähe abgegeben wird, nicht wahr-
genommen wird; andererseits ist es durchaus möglich, einen Schuss über grösse-
re Distanzen so wahrzunehmen, wie wenn er in unmittelbarer Nähe abgegeben
worden wäre. So konnte im vorliegenden Fall der erfahrene Jäger H. W. den frag-
lichen Schuss nicht lokalisieren (vgl. act. 4). Er gab lediglich eine Richtung an, aus
der er den Schuss vermutet hat. Dies erstaunt nicht, denn das besagte Gebiet ist
bewaldet und die Schüsse widerhallen an der Felswand „C. S.“. A. M. hingegen
vermutete den Schuss „unterhalb der nördlichen Wiesenecke von P., d.h. unter-
halb der Hütte von J. B.“. Eine derart präzise Lokalisierung des Schusses er-
scheint aufgrund der eben geschilderten Schwierigkeiten bei der Standortbestim-
mung der Schussabgabe fraglich. Auf die Frage, wer am Vortag vor 06.30 Uhr
geschossen hat, gab A. M. zu Protokoll, er habe erfahren, B. J. habe angeblich
geschossen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass A. M., aufgrund der Tatsache,
dass er erfahren hat, welcher Jäger möglicherweise zu früh geschossen hat, auf
den Standort des Schützen geschlossen hat. Jedenfalls lässt sich der Standort der
Schussabgabe nicht derart genau festlegen, zumal Wald und mehrere Tobel zwi-
schen dem Aufenthaltsort von A. M. und J. B. lagen. Kommt hinzu, dass einzig der
Jagdaufseher E. B. als Zeuge einvernommen worden ist. H. W., A. M. und A. P.
wurden lediglich als Auskunftspersonen befragt. Dementsprechend wurden sie
auch nicht auf die Folgen einer falschen Zeugenaussage aufmerksam gemacht.
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Wie vorstehend dargelegt, kann aufgrund der schwierigen Lokalisation des
Schusses und des Verhaltens des einzigen Zeugen nicht ausgeschlossen werden,
dass der Schuss nicht in unmittelbarer Nähe von E. B. abgegeben worden ist. Da-
neben ist aber auch auf andere Ungereimtheiten hinzuweisen, welche in ihrer Ge-
samtheit ebenfalls Zweifel an der Schuld von J. B. aufkommen lassen. So kann
dem Bericht der Kantonspolizei Graubünden vom 21. Oktober 1998 (act. 1) ent-
nommen werden, dass E. B. am 10. September 1998, um 10.30 Uhr, der Kan-
tonspolizei gemeldet habe, ein Jäger namens J. B. habe im Gebiet „P.“ eine
Hirschkuh vor der erlaubten Schusszeit von 06.30 Uhr geschossen. Anlässlich der
Einvernahmen als Auskunftsperson (act. 3) beziehungsweise als Zeuge (act. 30)
erklärte E. B. jedoch stets, es sei ihm erst am Mittag, als er die Abschussliste von
J. B. kontrolliert habe, bewusst geworden, dass es J. B. sein musste, der zu früh
geschossen habe. Im weiteren lässt sich auch die Frage nicht klären, wieso die
Kopie der Abschussliste von J. B., welche sich bei den Akten des Kreisgerichts-
ausschusses Surses befindet (act. 7), die handschriftlichen Angaben des Jagdauf-
sehers „jagdbar, Auswertung konfisziert (Abschusszeit!), 10., 14.00 Uhr, JA B.“
nicht enthält, bei der von J. B. eingelegten Kopie der Abschussliste die vorerwähn-
te handschriftliche Notiz von E. B. jedoch vorhanden ist.
e) Im Resultat kann somit festgehalten werden, dass aufgrund des vorlie-
genden Beweisergebnisses erhebliche Zweifel bestehen, ob J. B. tatsächlich vor
der erlaubten Schusszeit geschossen hat. Dies insbesondere aufgrund der Tatsa-
che, dass der Jagdaufseher und einzige Zeuge E. B. unmittelbar nach der angeb-
lich verfrühten Schussabgabe keine Reaktion zeigte, obwohl er sich in nächster
Nähe von J. B. aufhielt. Im weiteren ist die Lokalisation des Schusses wie dies
der Fachmann E. B. selbst bestätigte - derart mit Schwierigkeiten verbunden, dass
vorliegend nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein anderer Jäger den ver-
frühten Schuss abgegeben hat. Es gilt nämlich zu berücksichtigen, dass in Grau-
bünden 6'000 bis 7'000 Jäger an der Hochjagd teilnehmen und sich somit im be-
sagten Zeitpunkt nicht nur J. B. im fraglichen Gebiet aufhielt. Wie bereits ausge-
führt, darf sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten
ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklären, wenn bei objektiver Betrachtung
Zweifel an den tatsächlichen Voraussetzungen für ein verurteilendes Erkenntnis
bestehen. Auch wenn der Richter nicht absolute Gewissheit fordern muss, so
muss er gleichwohl Gewissheit fordern; er darf sich nicht mit der Wahrscheinlich-
keit begnügen. Die Gewissheit schliesst die Möglichkeit des Andersseins aus, die
Wahrscheinlichkeit enthält indessen die Möglichkeit des Andersseins. Hält der
Richter die Verwirklichung eines Sachverhaltes nur für möglich wahrschein-
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lich, so darf ein Schuldspruch nicht erfolgen. Vorliegend bestehen für den Kan-
tonsgerichtsausschuss erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel an der
Schuld der Berufungsklägers, weshalb in Anwendung des Grundsatzes “in dubio
pro reo“ J. B. von der Anklage wegen Verletzung der Jagdbetriebsvorschriften
1998 und wegen Verletzung von Art. 28 lit. a ABzKJG in Verbindung mit Art. 47
Abs. 1 des Gesetzes über die Jagd und den Wildschutz im Kanton Graubünden
(KJG; BR 740.00) freizusprechen ist. Die Berufung ist somit in diesem Punkt gut-
zuheissen. Dieser Freispruch darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Abschusszeiten exakt einzuhalten sind und dementsprechend ein Schuldspruch
zu erfolgen hat, falls die tatsächlichen Voraussetzungen für ein verurteilendes Er-
kenntnis vorhanden sind.
f) Im übrigen bleibt anzufügen, dass Wildhüter und Jagdaufseher jagdpoli-
zeiliche Funktionen ausüben (vgl. Art. 42 und 43 KJG). Gestützt auf Art. 39 AB-
zKJG haben die zur Ausübung der Jagdpolizei verpflichteten Personen diejenigen
Massnahmen zu ergreifen, die zur Feststellung des Täters und des Tatbestandes
dienlich sind. Art. 40 ABzKJG räumt namentlich den Wildhütern und den kantona-
len Jagdaufsehern polizeiliche Befugnisse ein, die in der kantonalen Strafprozess-
ordnung (StPO) umschrieben sind. Der Wildhut und der Jagdaufsicht kommen
mithin bezüglich Jagdkontraventionen die gleichen Kompetenzen und Obliegen-
heiten zu wie der Kantonspolizei bei der Verfolgung und Ermittlung von Gemein-
delikten (vgl. PKG 1991 N 39). Zu diesen Obliegenheiten gehört insbesondere
auch, dass der Jagdaufseher beim Verdacht einer Jagdkontravention ohne Verzug
die ersten Erhebungen vornimmt, die Spuren der Tat feststellt und sichert sowie
alle dringlichen Massnahmen trifft, um den Täter zu ermitteln. Geschieht dies
nicht, so gestaltet sich die Untersuchung besonders in Fällen wie den vorliegen-
den - äusserst schwierig und die Ermittlung der Täterschaft wird unter Umständen
verunmöglicht.
5. J. B. hat die Hirschkuh unbestrittenermassen am Hinterteil unmittelbar
neben dem „Waidloch“ getroffen. Gemäss Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG hat sich der
Jäger bei der Ausübung der Jagd weidgerecht zu verhalten. Insbesondere hat er
sich vor der Schussabgabe zu vergewissern, dass das Wild jagdbar, die Schuss-
distanz und die Stellung des Tieres weidgerecht und eine Gefährdung von Men-
schen und Dritteigentum ausgeschlossen sind. J. B. führte anlässlich der mündli-
chen Berufungsverhandlung vor Kantonsgerichtsausschuss aus, die Hirschkuh sei
breit dagestanden, als er zum Schuss angesetzt habe. Als sich das Tier plötzlich
14
bewegt habe, habe er den Schuss nicht mehr aufhalten können. Das Tier sei je-
doch sofort tot zusammengebrochen und habe keine Qualen erleiden müssen.
Zweifellos ist der Einschuss in Waidlochnähe als unweidgerecht zu qualifi-
zieren. Es stellt sich jedoch die Frage, ob J. B. auch den subjektiven Tatbestand
der unweidmännischen Jagdausübung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG er-
füllt hat. Dass J. B. den unweidgerecht zu qualifizierenden Schuss vorsätzlich im
Sinne von Art. 47 Abs. 1 KJG abgegeben hat, kann ausgeschlossen werden, da
hiefür keine Indizien vorliegen. Gemäss Art. 47 Abs. 2 KJG ist auch die fahrlässige
Widerhandlung gegen eine Bestimmung des Jagdgesetzes strafbar. Ist die Tat
darauf zurückzuführen, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwid-
riger Unvorsichtigkeit nicht bedacht darauf nicht Rücksicht genommen hat, so
begeht er das Verbrechen Vergehen fahrlässig. Pflichtwidrig ist die Unvor-
sichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Um-
ständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 18 Abs. 3
StGB). Vorliegend gilt es zu berücksichtigen, dass sich das Tier in Bewegung be-
fand. Aufgrund der glaubhaften Sachverhaltsschilderung des Berufungsklägers
kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Hirschkuh im Zeitpunkt der
Schussabgabe unerwartet gedreht hat, so dass der weidgerecht angesetzte
Schuss unverhofft und unvermeidbar zu einem nicht weidgerechten Resultat ge-
führt hat. Kann dem Berufungskläger nicht nachgewiesen werden, dass er pflicht-
widrig gehandelt und damit den subjektiven Tatbestand des Art. 15 Abs. 1 und 2
KJG erfüllt hat, so ist er von der Anklage der Verletzung von Art. 15 Abs. 1 und 2
KJG in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG freizusprechen. Die Berufung ist mithin
auch in diesem Punkt gutzuheissen.
6. Die Vorinstanz hat J. B. gestützt auf Art. 52 Abs. 1 KJG und Art. 44 Abs.
2 ABzKJG dazu verpflichtet, Wertersatz in der Höhe von Fr. 332.50 zu bezahlen.
Der Berufungskläger hat denn auch am 6. Oktober 1998 diesen Betrag der Stan-
desbuchhaltung überwiesen. Gemäss Art. 52 Abs. 1 KJG hat, wer widerrechtlich
erlegtes Wild nicht ordnungsgemäss abliefert, hierfür dem Kanton Wertersatz zu
leisten. Wie vorstehend in den Ziffern 4 und 5 ausgeführt, hat J. B. die Hirschkuh
nicht widerrechtlich erlegt, weshalb er auch nicht dazu verpflichtet werden kann,
Wertersatz zu leisten. Der Kanton Graubünden ist deshalb anzuweisen, J. B. die
bezahlten Fr. 332.50 rückzuerstatten.
7. Im Resultat ist somit festzuhalten, dass J. B. von der Anklage der Verlet-
zung der Jagdbetriebsvorschriften 1998 und der Verletzung von Art. 28 lit. a AB-
15
zKJG und Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG jeweils in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG
freizusprechen ist. Die Berufung ist deshalb gutzuheissen und das angefochtene
Urteil aufzuheben. Damit erübrigt es sich, zu den in Ziffer 3 der Berufungsanträge
eventualiter beantragten Zeugeneinvernahmen Stellung zu nehmen.
8. Bei diesem Ausgang des Verfahrens gehen die Untersuchungsund Ge-
richtskosten von Fr. 1'121. 80 zu Lasten des Kreises Surses (vgl. Art. 160 Abs. 3
StPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 1'000.-trägt der Kanton
Graubünden (Art. 160 Abs. 3 StPO).
Der private Verteidiger des Berufungsklägers macht eine ausseramtliche
Entschädigung für beide Instanzen von Fr. 11'385.90 geltend. Dies ist nun aber
nach Ansicht des Kantonsgerichtsausschusses zu viel, zumal sich im vorliegenden
Verfahren keine schwierigen Rechtsfragen stellten. Im weiteren gilt es zu berück-
sichtigen, dass der Verteidiger nicht befugt ist, eine ausseramtliche Entschädigung
für das Verfahren vor der Beschwerdekammer des Kantonsgerichtes zu verlan-
gen, da er für jenes Verfahren bereits entschädigt worden ist. Zwar hat Rechtsan-
walt Quinter in seiner Honorarnote die von der Beschwerdekammer zugesproche-
ne reduzierte ausseramtliche Entschädigung in der Höhe von Fr. 250.-in Abzug
gebracht (vgl. Urteil der Beschwerdekammer vom 2. Juni 1999; act. 28). Selbst-
verständlich ist er aber darüber hinaus nicht berechtigt, eine ausseramtliche Ent-
schädigung für dasselbe Verfahren in Rechnung zu stellen. Entgegen der Feststel-
lung des Verteidigers war dieser schliesslich auch nicht bei "diversen" Zeugenein-
vernahmen zugegen, sondern lediglich bei der Einvernahme von J. B. als Ange-
schuldigter (25. Januar 1999 in T.) und bei der Zeugeneinvernahme von E. B. (2.
September 1999 in S.). Unter diesen Umständen erscheint es angemessen, dass
J. B. vom Kreis Surses für das erstinstanzliche Verfahren mit Fr. 5'000.-- und vom
Kanton Graubünden für das Berufungsverfahren mit Fr. 2'000.-ausseramtlich
entschädigt wird.
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Demnach erkennt der Kantonsgerichtsausschuss:
1.
Die Berufung wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil wird aufgeho-
ben.
2.
J. B. wird von der Anklage der Verletzung der Jagdbetriebsvorschriften
1998 und der Verletzung von Art. 28 lit. a ABzKJG und Art. 15 Abs. 1 und 2
KJG jeweils in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG freigesprochen.
3.
Der vom Kanton Graubünden gestützt auf Art. 52 Abs. 1 KJG und Art. 44
Abs. 2 ABzKJG erhobene Wertersatz von Fr. 332.50 ist dem Berufungsklä-
ger zurückzuerstatten.
4.
Die Untersuchungsund Gerichtskosten des Kreisamtes und des Kreisge-
richtsausschusses Surses von Fr. 1'121.80 gehen zu Lasten des Kreises
Surses, welcher J. B. für das erstinstanzliche Untersuchungsund Ge-
richtsverfahren mit Fr. 5'000.-zu entschädigen hat.
5.
Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 1'000.-gehen zu Lasten des
Kantons Graubünden, welcher J. B. für das Berufungsverfahren mit Fr.
2'000.-zu entschädigen hat.
6.
Gegen dieses Urteil kann, sofern Verletzung eidgenössischen Rechts gel-
tend gemacht werden will, beim Kassationshof des schweizerischen Bun-
desgerichts Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt werden. Sie ist innert zehn
Tagen seit Zugang der schriftlichen Urteilsausfertigung gegenüber dem
Kantonsgerichtspräsidium schriftlich zu erklären und innert weiteren zehn
Tagen durch eine schriftliche, ebenfalls beim Kantonsgerichtspräsidium
einzureichende Begründung zu ergänzen.
7. Mitteilung
an:
- Herrn Rechtsanwalt lic. iur. Diego Quinter, Goldgasse 11, 7000 Chur,
auch zu Handen Mandantschaft (im Doppel),
- Staatsanwaltschaft Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Schur (vier-
fach),
- Kreisgerichtsausschuss Surses, 7460 S.,
- Polizeikommando Graubünden, Ringstrasse 2, 7000 Chur,
- E. B., Jagdaufseher, P.,
17
- Kantonales Jagdund Fischereiinspektorat, Loëstrasse 14, 7000 Chur,
- Finanzverwaltung Graubünden (Dispositiv).
__
Für den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
Der Vizepräsident:
Die Aktuarin ad hoc:
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