Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, hat in einem Urteil vom 11. August 2017 entschieden, dass der Beschuldigte A. schuldig ist, die Verkehrsregeln verletzt zu haben. Er wurde zu einer Busse von Fr. 1'000.- verurteilt, die im Falle der Nichtzahlung durch eine Ersatzfreiheitsstrafe von 10 Tagen ersetzt wird. Die Gerichtskosten wurden dem Beschuldigten auferlegt. Der Beschuldigte hat Berufung eingelegt, jedoch wurde das Urteil bestätigt. Der Oberrichter lic. iur. Spiess und die Gerichtsschreiberin lic. iur. Karabayir waren an dem Urteil beteiligt.
Urteilsdetails des Kantongerichts PZ-02-119
Kanton: | GR |
Fallnummer: | PZ-02-119 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 09.12.2002 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Befehlsverfahren (Baueinsprache) |
Schlagwörter : | äude; Gebäude; Grenz; EGzZGB; Parzelle; Gebäudeabstand; Grundstück; Immobilien; Recht; Besitz; Chesa; Gesuch; Oberengadin; Grenzabstand; Besitzes; Kreispräsident; Verfahren; Kantonsgericht; Grenze; Baute; STWEG; Abstand; Entscheid; Kreispräsidenten; Gesuchsgegnerin; Baueinsprache |
Rechtsnorm: | Art. 152 ZPO ;Art. 292 StGB ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Frank, Sträuli, Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilpro- zessordnung, 1997 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Entscheid des Kantongerichts PZ-02-119
Kantonsgericht von Graubünden
Tribunale cantonale dei Grigioni
Dretgira chantunala dal Grischun
Ref.:
Chur, 09. Dezember 2002
Schriftlich mitgeteilt am:
PZ 02 119
Verfügung
Kantonsgerichtspräsidium
Präsident Schmid, Aktuarin Duff Walser.
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In der Beschwerde
der S T W E G C h e s a L . , Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin, vertreten
durch die Verwaltung J. Immobilien, wiedervertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur.
André Hutter, Postfach, Bahnhofstrasse 15, 9450 Altstätten SG,
gegen
den Entscheid des Kreispräsidenten Oberengadin vom 15. Oktober 2002, mitge-
teilt am 21. Oktober 2002, in Sachen der Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin
gegen die P . I m m o b i l i e n A G , Gesuchsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Stefan Metzger, Via Retica 26, 7503 Same-
dan,
betreffend Befehlsverfahren (Baueinsprache),
hat sich ergeben:
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A. Im Jahre 1994 wurde das Grundstück Nr. 2153, Grundbuch der Gemein-
de Z., in acht Parzellen aufgeteilt, darunter die Grundstücke Nr. 2907 und Nr.
2908. Die STWEG Chesa L. ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 2908. Diese grenzt
in südlicher Richtung unmittelbar an das Grundstück Nr. 2907, das im Eigentum
der P. Immobilien AG steht und mit einem Mehrfamilienhaus überbaut werden soll.
B. Am 30. Juni 1994 wurde im Grundbuch Z. unter dem Stichwort „Gegensei-
tiges Grenzbaurecht zu Gunsten und zu Lasten Parzelle 2907 und zu Gunsten
und zu Lasten Parzelle 2908“ eine Dienstbarkeit mit folgendem Inhalt eingetragen:
„Die jeweiligen Eigentümer Parzelle 2905 bis 2921, 2922 und 2153
dürfen unabhängig des privatrechtlichen Grenzabstandes innerhalb
der Baulinien gemäss angemerktem Quartierplan C. und ergänzen-
dem Gestaltungsplan C. ein Gebäude auch bis an die gemeinsame
Grenze errichten und beibehalten.“
C. Die P. Immobilien AG reichte bei der Gemeinde Z. ein Baugesuch für
Parzelle Nr. 2907 ein, welches am 8. August 2002 veröffentlicht wurde. Gegen
dieses Baugesuch reichte die STWEG Chesa L. am 28. August 2002 beim Kreis-
präsidenten Oberengadin eine privatrechtliche Baueinsprache ein und beantragte
was folgt:
„1. Es sei der Gesuchsgegnerin die Errichtung der geplanten Baute
auf Grundstück Nr. 2907, Grundbuch Z., unter Androhung der
Bestrafung und Beseitigung im Widerhandlungsfalle zu verbie-
ten.
2. Das Verbot gemäss Ziff. 1 sei für die Dauer des Befehlsverfah-
rens provisorisch zu erlassen.
3. Unter Kostenund Entschädigungsfolge zu Lasten der Ge-
suchsgegnerin.“
D. Am 2. September 2002 erliess der Kreispräsident Oberengadin ein su-
perprovisorisches Bauverbot auf der Parzelle Nr. 2907. Er setzte der P. Immobi-
lien AG Frist zur Vernehmlassung und lud die Parteien auf den 24. September
2002 zur Augenscheinsund Hauptverhandlung in Z. vor.
In ihrer Vernehmlassung vom 19. September 2002 stellte die P. Immobilien
AG folgende Rechtsbegehren:
„1. Das Gesuch sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden
kann.
Der provisorische Amtsbefehl sei aufzuheben.
3
2. Unter Kostenund Entschädigungsfolge zuzüglich 7,6% MwSt.
zulasten des Gesuchstellers.“
Anlässlich der Hauptverhandlung und des Augenscheins vom 24. Septem-
ber 2002 erhielten die Parteien nochmals Gelegenheit ihre Standpunkte mündlich
zu begründen.
E. Mit Entscheid vom 15. Oktober 2002, mitgeteilt am 21. Oktober 2002, er-
kannte der Kreispräsident Oberengadin:
„1. Die Baueinsprache wird im Sinne der Erwägungen vollumfäng-
lich abgewiesen und der provisorische Amtsbefehl vom 2. Sep-
tember 2002 aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens, bestehend aus einer Amtsgebühr
von CHF 1'500.00 und den Barauslagen von CHF 651.00 (Hono-
rar Geometer), total somit von CHF 2‘151.00, gehen unter soli-
darischer Haftung zu Lasten der Gesuchsteller und werden mit
dem geleisteten Kostenvorschuss von CHF 1'500.00 verrechnet;
der Fehlbetrag von CHF 651.00 ist innert 30 Tagen dem Krei-
samt Oberengadin zu überweisen.
3. Ausseramtlich haben die Gesuchsteller die Gesuchsgegnerin mit
CHF 3'247.20 (inkl. MwSt) zu entschädigen.
4. Die Gesuchsgegnerin erhält den geleisteten Kostenvorschuss
von CHF 1'500.00 nach Eintritt der Rechtskraft erstattet.
5. (Rechtsmittelbelehrung).
6. (Mitteilung).“
F. Dagegen liess die STWEG Chesa L. am 29. Oktober 2002 Beschwerde
beim Kantonsgerichtspräsidenten von Graubünden erheben. Ihre Anträge lauten:
„1. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
2. Der Entscheid des Kreispräsidenten von Oberengadin vom 15.
Oktober 2002 sei vollumfänglich aufzuheben.
3. Es sei der Gesuchsgegnerin die Errichtung der geplanten Baute
auf Grundstück Nr. 2907, Grundbuch Z., entsprechend ihrem
Baugesuch gemäss amtlicher Anzeige vom 8. August 2002 unter
Androhung der Bestrafung und Beseitigung im Widerhandlungs-
falle insoweit zu verbieten, als der Gebäudeabstand von 4 Me-
tern zu Gebäude Nr. 307 auf Grundstück Nr. 2908 nicht einge-
halten ist.
4. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Gewährung des rechtli-
chen Gehörs und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück-
zuweisen.
4
5. Unter Kostenund Entschädigungsfolge für beide Instanzen.“
G. Unter Hinweis auf die angefochtene Verfügung verzichtete der Kreisprä-
sident Oberengadin mit Schreiben vom 6. November 2002 auf eine Stellungnah-
me.
In der Beschwerdeantwort vom 25. November 2002 liess die P. Immobilien
AG die Abweisung der Beschwerde unter Kostenund Entschädigungsfolge zu
Lasten der Beschwerdeführerin beantragen.
H. Am 2. Dezember 2002 erteilte der Kantonsgerichtspräsident von Grau-
bünden der Beschwerde aufschiebende Wirkung und untersagte der P. Immobilien
AG und ihren Organen unter Hinweis auf Art. 292 StGB, die geplante Baute auf
Parzelle Nr. 2907 zu erstellen.
Auf die Begründung der Anträge in den Rechtsschriften sowie auf die Er-
wägungen im angefochtenen Entscheid wird, soweit erforderlich, im folgenden
eingegangen.
Das Kantonsgerichtspräsidium zieht in Erwägung :
1. Nach Art. 94 Abs. 1 EGzZGB ist die Verletzung von zivilrechtlichen Bau-
vorschriften durch Baueinsprache innert 20 Tagen seit der Bauausschreibung
beim Kreispräsidenten geltend zu machen. Die Einsprache wird dabei nach den
Vorschriften des Befehlsverfahrens behandelt (Art. 94 Abs. 2 EGzZGB in Verbin-
dung mit Art. 146 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO). Ein nach Art. 146 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO ergan-
gener Entscheid kann gemäss Art. 152 Abs. 1 ZPO innert 10 Tagen seit Mitteilung
mit Beschwerde an den Kantonsgerichtspräsidenten weitergezogen werden. Die
STWEG Chesa L. hat ihre Beschwerde fristund formgerecht eingereicht, weshalb
darauf einzutreten ist.
2. Beide Parteien haben im Beschwerdeverfahren vor dem Kantonsge-
richtspräsidenten Urkunden eingereicht. Die Einlage neuer Urkunden ist im Be-
schwerdeverfahren nach Art. 152 ZPO weder ausdrücklich zugelassen noch expli-
zit ausgeschlossen. Art. 152 Abs. 3 ZPO ist zu entnehmen, dass der Kantonsge-
richtspräsident von Amtes wegen neue Beweise erheben kann. Ist es dem Kan-
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tonsgerichtspräsidenten aber möglich, von Amtes wegen neue Beweise zu erhe-
ben, ist nicht einzusehen, weshalb auf Seiten der Parteien eine Beschränkung auf
die erste Instanz bestehen soll. Dem Nachreichen von Beweismitteln kommt gera-
de in dem im summarischen Verfahren durchgeführten Amtsbefehlsverfahren auf-
grund der raschen Rechtsfindung eine grössere Bedeutung zu als im ordentlichen
Zivilprozess. Eine Einlage von Urkunden durch die Parteien muss aus diesen
Gründen auch im Beschwerdeverfahren gegen einen Amtsbefehl möglich sein.
3. Vor Vorinstanz behauptete die Gesuchstellerin, die von der Gegenpartei
auf der Nachbarparzelle geplanten Abgrabungen und die ungenügende Baugru-
bensicherung würden ihr Grundstück gefährden. Im vorliegenden Verfahren hält
sie an diesem Einwand nicht weiter fest, weshalb diese Frage nicht mehr zu prü-
fen ist.
4. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Bauvorhaben der P. Immobi-
lien AG verletze zivilrechtliche Bauvorschriften, konkret die Abstandsvorschriften
gemäss Art. 90 EGzZGB. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um nachbar-
rechtliche Baubeschränkungen. Weil deren Verletzung in der Regel eine Besitzes-
störung darstellt, wird das privatrechtliche Einspracheverfahren in Graubünden im
Gegensatz zu anderen Kantonen, welche ein eingehend geregeltes Verfahren ge-
schaffen haben, in einem gewöhnlichen Besitzesschutzverfahren durchgeführt
(vgl. Rehli, Das Befehlsverfahren nach bündnerischem Recht, Diss., Zürich 1977,
S. 50). Der Besitzesstreit ist rein possessorischer Natur. Es geht nur um den Be-
sitzesschutz, das heisst um den Erhalt der tatsächlichen Besitzverhältnisse. Eine
Prüfung der materiellrechtlichen Lage im Sinne von petitorischen Ansprüchen fin-
det im Besitzesschutzverfahren nicht statt. Die Verletzung privatrechtlicher Geset-
zesvorschriften ist nachzuweisen (vgl. Art. 146 Abs. 1 Ziff. 4 und Abs. 2 ZPO). Der
Einsprecher hat also die Besitzesstörung zu beweisen. Konkret bedeutet dies,
dass der Besitzesschutz zu gewähren sein wird, wenn die Beschwerdeführerin
vollen Beweis für die Verletzung der Abstandsvorschriften gemäss Art. 90 EG-
zZGB durch das Bauvorhaben der Beschwerdegegnerin zu erbringen vermag.
5. Befindet sich auf dem Nachbargrundstück ein Gebäude, muss der Ab-
stand von diesem mindestens 4 m betragen (Art. 90 Abs. 2 EGzZGB). Die Be-
schwerdeführerin macht geltend die von der P. Immobilien AG geplante Baute
weise einen Abstand von lediglich 3 m von der Chesa L. auf und verletze somit
Art. 90 Abs. 2 EGZGB. Die Beschwerdegegnerin geht ebenfalls davon aus, dass
der Gebäudeabstand weniger als 4 m beträgt. Zu diesem Schluss gelangte auch
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der Kreispräsident Oberengadin gestützt auf eine Nachmessung des Geometers,
die einen Gebäudeabstand von 3,78 m ergab. Es ist mithin unbestritten, dass der
privatrechtlich vorgeschriebene Gebäudeabstand von 4 m (Art. 90 Abs. 2 EG-
zZGB) nicht eingehalten ist. Ob der Abstand 3,78 m lediglich 3 m beträgt ist
in diesem Zusammenhang unwesentlich.
a) Der Gebäudeabstand gemäss Art. 90 Abs. 2 EGzZGB muss nicht einge-
halten werden, wenn die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung gemäss Art. 90
Abs. 5 EGzZGB erfüllt sind. Die Vorinstanz bejahte die Anwendbarkeit der Aus-
nahmebestimmung und wies die Baueinsprache der STWEG Chesa L. ab, obwohl
das Bauprojekt der Gegenpartei den Gebäudeabstand von 4 m nicht einhält. Die
Beschwerdegegnerin beruft sich aber gar nicht auf Art. 90 Abs. 5 EGzZGB. Weder
im vorinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren stützte sie ihre Be-
gehren darauf ab. Obwohl sich die Gegenpartei in der Beschwerdeschrift einge-
hend mit der Frage der Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 5 EGzZGB auseinander-
setzt und diese schliesslich ablehnt, schweigt sich die P. Immobilien AG in der
Vernehmlassung zur Beschwerde darüber aus (vgl. act. 09). Ausserdem enthält
ihre Stellungnahme zum Gesuch, was die Voraussetzungen gemäss Art. 90 Abs.
5 EGzZGB betrifft, ein klares Zugeständnis. Darin bestätigt die Gesuchsgegnerin
ausdrücklich, dass der Quartierplan C. weder die geschlossene Bauweise vorsehe
noch eine bestimmte Gebäudelage vorschreibe. Damit sei Art. 90 Abs. 5 EGzZGB
nicht anwendbar (vgl. act. 9, S. 6/7). Aus der Verhandlungsmaxime folgt, dass nur
über streitige Tatsachen Beweis zu führen ist. Zugestandene Tatsachen gelten als
bewiesen (vgl. Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilpro-
zessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, N 6,7 zu § 133 StPO). Art. 90 Abs. 5 EGzZGB
ist demnach bereits aus formellen Gründen nicht anwendbar.
Im übrigen ist Art. 90 Abs. 5 EGzZGB auch in materieller Hinsicht nicht ge-
geben. Der Quartiergestaltungsplan C. schreibt weder eine geschlossene Bauwei-
se noch eine bestimmte Gebäudelage vor. Vielmehr wird aus den Quartierplanun-
terlagen ersichtlich, dass bei Erlass des Quartierplans im Jahre 1987 keine Situie-
rung der künftig zu erstellenden Gebäude vorgenommen wurde, weil die Eigentü-
mer damals noch keine Vorstellung über die bauliche Nutzung ihrer Grundstücke
hatten (vgl. KB 9, Art. 3; KB 10). Im Jahre 1990 wurde der ergänzende Gestal-
tungsplan C. erlassen. In den Quartierplanbestimmungen wurde festgehalten (Art.
7 Abs. 3), dass Abparzellierungen zulässig seien. Sie seien jedoch so vorzuneh-
men, „dass die nachbarrechtlichen Grenzund Gebäudeabstände gemäss EG-
zZGB bei einer allfälligen Parzellierung des Grundstücks eingehalten werden.“
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Andernfalls seien entsprechende Näherbaurechte zu begründen (KB 11, Art. 7
Abs. 3). Die Abstandsvorschriften gemäss EGzZGB sind mithin vom Quartierge-
staltungsplan nicht betroffen. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass sie bei Auf-
teilung des Grundstücks in mehrere Parzellen eingehalten werden müssen. Es sei
denn die Unterschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstände werde privat-
rechtlich durch die Einräumung von Näherbaurechten geregelt.
b) Im Jahre 1994 wurde das Grundstück Nr. 2153 in acht Parzellen aufge-
teilt, darunter die Grundstücke Nr. 2907 und Nr. 2908 (vgl. act. 13, S. 2). Gleich-
zeitig wurde unter dem Stichwort „Gegenseitiges Grenzbaurecht zu Gunsten und
zu Lasten Parzelle 2907 und zu Gunsten und zu Lasten Parzelle 2908“ eine
Grunddienstbarkeit mit folgendem Inhalt ins Grundbuch eingetragen (vgl. act. 13):
„Die jeweiligen Eigentümer Parzelle 2905 bis 2921, 2922 und 2153
dürfen unabhängig des privatrechtlichen Grenzabstandes innerhalb
der Baulinien gemäss angemerktem Quartierplan C. und ergänzen-
dem Gestaltungsplan C. ein Gebäude auch bis an die gemeinsame
Grenze errichten und beibehalten.“
Die Dienstbarkeit räumt den Eigentümern der erwähnten Parzellen das Recht
ein, an die Grenze zu bauen. Dass damit der Grenzabstand gemäss Art. 90 Abs. 1
EGzZGB aufgehoben wurde, ist unbestritten. Eine Verletzung des Grenzabstands
durch die Baueingabe der P. Immobilien AG fällt somit ausser Betracht und wird
von der Beschwerdeführerin auch nicht mehr geltend gemacht. Der Grenzabstand
gemäss Art. 90 Abs. 1 EGzZGB bildet demnach im vorliegenden Verfahren kein
Thema mehr. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Dienstbarkeit auch ein Näher-
baurecht im Sinne einer Aufhebung des privatrechtlichen Gebäudeabstandes be-
inhaltet.
Der Inhalt der Grunddienstbarkeit ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Pe-
titpierre in Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Bd. II, Art. 457-977 ZGB,
Basel 1998, Rz 1 zu Art. 738). Das Stichwort „Grenzbaurecht“ erweist sich als un-
klar. Daraus ergibt sich nicht deutlich, welche Rechte und Pflichten die Dienstbar-
keit beinhaltet. In der Umschreibung des Inhalts der Dienstbarkeit wird ausgeführt,
dass die jeweiligen Eigentümer der erwähnten Grundstücke bis an die Grenze zur
Nachbarparzelle bauen dürfen. Dabei ist nur vom Grenzabstand die Rede, wäh-
renddem vom Gebäudeabstand nichts gesagt wird. Im EGzZGB wird klar zwi-
schen Grenzabstand (Art. 90 Abs. 1) und Gebäudeabstand (Art. 90 Abs. 2) unter-
schieden. In Art. 90 Abs. 3 EGzZGB wird auch die Messweise des Gebäudeab-
standes und des Grenzabstandes verschieden definiert. Bei Abschluss des
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Dienstbarkeitsvertrags im Jahre 1994 waren die Parzellen noch nicht überbaut
und hat man gewusst, dass der Quartiergestaltungsplan offen lässt, wie die Ge-
bäude zu situieren sind. Im ergänzenden Gestaltungsplan wurde ausdrücklich
festgehalten, dass sowohl die Grenzals auch die Gebäudeabstände gemäss EG-
zZGB nach der Abparzellierung einzuhalten sind. Es sei denn, es würden entspre-
chende Näherbaurechte eingeräumt. Der Wortlaut der Inhaltsbeschreibung mit der
blossen Erwähnung des Grenzabstandes deutet demnach darauf hin, dass mit
dem Grunddienstbarkeitsvertrag nur der Grenzabstand nicht aber der Gebäude-
abstand wegbedungen wurde. Die Beschwerdegegnerin wendet ein, Stichwort und
Inhalt der Dienstbarkeit zeigten klar, dass sich die benachbarten Grundeigentümer
gegenseitig das Recht eingeräumt hätten, bis an die Grenze zu bauen. Die Ver-
tragsparteien hätten damit in Kauf genommen, dass der Nachbar sein Gebäude
an die gemeinsame Grundstücksgrenze bauen dürfe, so wie auch die Gegenpartei
selbst bis an die Grenze bauen dürfe. Damit hätten sie gleichzeitig auf die Einhal-
tung des Gebäudeabstandes verzichtet. Die Interpretation der P. Immobilien AG
würde ermöglichen, dass beide Gebäude an die Grenze gebaut werden können.
Eine solche Situierung der Gebäude ist unsinnig. Es erscheint daher kaum nach-
vollziehbar, dass der Wortlaut des Dienstbarkeitsvertrags so zu verstehen ist, wie
die Beschwerdegegnerin ihn auslegt, und der Gebäudeabstand somit ausser Kraft
gesetzt wird.
Die Auslegung ist letztlich Sache des Zivilrichters im materiellen Klagever-
fahren. Hierüber kann nicht der Befehlsrichter entscheiden. Fest steht, dass die
Ausnahmeregelung gemäss Art. 90 Abs. 5 EGzZGB keine Anwendung findet und
der Gebäudeabstand nach EGzZGB gilt. Ebenso ist unbestritten, dass der privat-
rechtlich vorgeschriebene Gebäudeabstand von 4 m nicht eingehalten ist. Damit
ist eine Besitzesschutzverletzung durch die von der P. Immobilien AG geplante
Baute nachgewiesen. Die Beschwerdegegnerin behauptet, es liege eine Ein-
schränkung dieses Besitzes kraft Vertrag vor, die ihr das Recht einräume, auf dem
Nachbargrundstück eine Baute zu erstellen, ohne den Gebäudeabstand einzuhal-
ten. Es liegt an ihr, diese Einschränkung darzutun. Es ist unbestritten, dass mit
dem Dienstbarkeitsvertrag ein Näherbaurecht im Sinne einer Aufhebung des pri-
vatrechtlichen Grenzabstandes eingeräumt wurde. Dass darin auch die Aufhebung
des Gebäudeabstandes enthalten ist, wird indes nach dem oben Gesagten nicht
deutlich. Aufgrund der Beurteilung im Summarverfahren, ergibt sich demnach aus
dem Dienstbarkeitsvertrag keine Einschränkung, die genügt, um eine Besitzesver-
letzung durch das Bauprojekt der P. Immobilien AG auszuschliessen. Dienstbar-
keiten sind restriktiv auszulegen (vgl. Riemer, Die beschränkten dinglichen Rech-
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te, 2. Aufl., Bern 2000, § 12 N 9). Die Beschwerdegegnerin leitet aus der Dienst-
barkeit das Recht ab, bis an die Grenze zu Parzelle Nr. 2908 zu bauen. Mit der
Grunddienstbarkeit wird aber nicht bloss ein Recht eingeräumt. Sie beinhaltet
auch eine Last. Belastet mit der Dienstbarkeit ist die Parzelle der STWEG Chesa
L.. Eine ausdehnende Auslegung des Dienstbarkeitsvertrags zu Lasten der Be-
schwerdeführerin und Einschränkung des gesetzlich vorgeschriebenen Besitzes-
schutzes darf in diesem Zusammenhang nicht vorgenommen werden. Ansonsten
würde der Besitz der Beschwerdeführerin verletzt.
Ist nach dem Gesagten der Nachweis erbracht, dass die von der P. Immobi-
lien AG geplante Baute den Besitz der Beschwerdeführerin verletzt, so hat die Vo-
rinstanz die Baueinsprache der STWEG Chesa L. zu Unrecht abgewiesen. Die
Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die angefochtene Verfügung aufzuhe-
ben.
6. Die Beschwerdeführerin wendet ein, der Abstand zwischen der Chesa L.
auf Parzelle Nr. 2908 und dem auf dem Nachbargrundstück geplanten Gebäude
betrage nicht 3,78 m sondern lediglich 3 m. Der Geometer habe nicht berücksich-
tigt, dass die Umfassungswand an der für die Messung massgeblichen Ecke eine
Verdickung aufweise, die nicht unter die Ausnahmen gemäss Art. 90 Abs. 4 EG-
zZGB falle. Seine Messung erweise sich daher als falsch.
Konkret ist unbestritten, dass der Gebäudeabstand verletzt ist. Ob ein Ab-
stand von 3,78 m von 3 m zutreffend ist, kann offenbleiben. Aus der Katas-
terplankopie ist auch nicht genau ersichtlich, wie der Geometer den Abstand be-
stimmt hat (vgl. act. 24). Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass die Ecke der
Chesa L., sofern sie über das Terrain hinausragt, als Hochbaute zu qualifizieren
ist und damit eine Wand bildet, das heisst als Teil der Umfassungswand des Ge-
bäudes gilt (vgl. Art. 90 Abs. 4, letzer Satz EGzZGB). Der Gebäudeabstand ist die
waagrecht gemessene kürzeste Entfernung zwischen der Umfassungswand des
zu erstellenden Gebäudes und der Umfassungswand des Nachbargebäudes (Art.
90 Abs. 3 EGzZGB). Der Gebäudeabstand ist folglich unter Berücksichtigung der
dargelegten Grundsätze im rechten Winkel von der Gebäudewand der Chesa L.
auf Parzelle Nr. 2907 zu messen.
7. Wird die Beschwerde gutgeheissen, so ist die Kritik der Beschwerdefüh-
rerin am Honorar des Gegenanwalts nicht mehr relevant. Bei diesem Ausgang
gehen die Kosten des Verfahrens vor dem Kreispräsidenten sowie die Kosten des
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Beschwerdeverfahrens zu Lasten der Beschwerdegegnerin (vgl. Art. 122 Abs. 1
ZPO). Diese hat der Beschwerdeführerin eine angemessene ausseramtliche Ent-
schädigung zu bezahlen. Unter Berücksichtigung des notwendigen prozessualen
Aufwandes und der Honoraransätze des bündnerischen Anwaltsverbandes er-
scheint dabei eine ausseramtliche Entschädigung für beide Instanzen von Fr.
5‘000.-als angemessen.
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Demnach verfügt das Kantonsgerichtspräsidium :
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kreispräsidenten
Oberengadin vom 15. Oktober 2002 aufgehoben.
2.
Der P. Immobilien AG und ihren Organen wird untersagt, die entsprechend
ihrem Baugesuch gemäss amtlicher Anzeige vom 8. August 2002 auf
Grundstück Nr. 2907, Grundbuch Z., geplante Baute zu erstellen.
3.
Eine Missachtung dieser Anordnung durch die P. Immobilien AG, deren
Organe und Angestellte wird mit Haft Busse gemäss Art. 292 StGB
(Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen) bestraft.
4.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Kreispräsidenten Oberengadin von Fr.
2'151.-sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 2'000.-ge-
hen zu Lasten der Beschwerdegegnerin.
5.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor
beiden Instanzen eine ausseramtliche Entschädigung von Fr. 5'000.-zu
bezahlen.
6. Mitteilung
an:
__
Für das Kantonsgerichtspräsidium von Graubünden
Der Präsident
Die Aktuarin
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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