Der Beschuldigte wurde des gewerbsmässigen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs, Vergehens gegen das Ausländergesetz und Fälschung von Ausweisen schuldig gesprochen. Er wurde zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, wovon bereits 571 Tage durch Untersuchungshaft verbüsst wurden. Zudem wurden verschiedene Geldbeträge und Gegenstände eingezogen oder herausgegeben. Die Gerichtskosten wurden festgesetzt und dem Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung wurden auf die Gerichtskasse genommen. Der Richter war männlich.
Urteilsdetails des Kantongerichts KSK-10-79
Kanton: | GR |
Fallnummer: | KSK-10-79 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 23.11.2010 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Vollstreckung/definitive Rechtsöffnung |
Schlagwörter : | Recht; Zustellung; Entscheid; LugÜ; Schriftstück; Vollstreckung; Entscheidung; Schweiz; Vollstreckungsbescheid; Mahnbescheid; Beschwerdegegner; Rechtsöffnung; Verfahren; Urkunde; Zivil; Amtsgericht; Stuttgart; Deutschland; Bescheinigung; Kantons; Übereinkommen; Urteil; Hinterrhein; Betreibung; EuGVVO; Gericht; SchKG; Amtsgerichts; Aktenauszug |
Rechtsnorm: | Art. 233 ZPO ; |
Referenz BGE: | 123 III 374; |
Kommentar: | Emil W. Stark, Wolf, Basler Kommentar 3. Auflage, Art. 928 ZGB, 2007 |
Entscheid des Kantongerichts KSK-10-79
Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni
_____
Ref.:
Chur, 23. November 2010
Schriftlich mitgeteilt am:
KSK 10 79
Urteil
Schuldbetreibungsund Konkurskammer
Vorsitz
Vizepräsident Schlenker
RichterInnen
Präsident Brunner und Kantonsrichter Hubert
Redaktion
Aktuarin ad hoc Peng
In der Schuldbetreibungsund Konkurssache
der X . , Gläubigerin, Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwaltspartnerschaft
GRUB
FRANK
BAHMANN
SCHICKHARDT
ENGLERT, Solitudestrasse 20, DE-71638 Ludwigsburg,
gegen
den Entscheid der Bezirksgerichtsvizepräsidentin Hinterrhein vom 18. August
2010, mitgeteilt am 20. August 2010, in Sachen der Gläubigerin, Gesuchstellerin
und
Beschwerdeführerin
gegen
Y.,
Schuldner,
Gesuchsgegner
und
Beschwerdegegner,
betreffend Vollstreckung/definitive Rechtsöffnung,
hat sich ergeben:
I. Sachverhalt
A.
Mit Vollstreckungsbescheid vom 21. Dezember 2006 erkannte das
Amtsgericht Stuttgart aufgrund des am 29. November 2006 erlassenen und am 1.
Dezember 2006 zugestellten Mahnbescheids, dass Y. der X. € 11'959.48
zuzüglich Zinsen seit dem 30. November 2006 zu bezahlen hat. Weil der
Vollstreckungsbescheid Y. in Deutschland nicht zugestellt werden konnte, wurde
mit Beschluss vom 15. Februar 2010 die Neuzustellung an folgende Adresse
bewilligt: _ Der Beschluss weist eine Rechtskraftsbescheinigung und eine
Zustellungsklausel auf. Mit Stempel der Geschäftsstelle wird bestätigt, dass die
Zustellung des Vollstreckungsbescheids gemäss dem Haager Abkommen am
8. März 2010 an den Schuldner erfolgt sei.
B.
Da Y. die Forderung nicht freiwillig beglich, leitete die X. gegen ihn die
Betreibung über einen Betrag von Fr. 13'451.30 nebst Zins von 5.12 % seit dem
15. Oktober 2009 beim Betreibungsamt Domleschg ein. Der Schuldner erhob mit
Schreiben vom 19. November 2009 Rechtsvorschlag gegen den Zahlungsbefehl
Nr. _ vom 3. November 2009, zugestellt am 11. November 2009.
C.
Mit Eingabe vom 12. April 2010 reichte die Gläubigerin ihr Begehren um
Aufhebung des Rechtsvorschlags für den in Betreibung gesetzten Betrag beim
Betreibungsamt Domleschg ein, welches die Unterlagen mit Schreiben vom
15. April 2010 an das Bezirksgerichtspräsidium Hinterrhein weiterleitete.
D.
Zur Rechtsöffnungsverhandlung am 12. Mai 2010 erschienen die Parteien
nicht. Mit Verfügung vom 9. Juni 2010 wurde der Gesuchstellerin bis zum 30. Juni
2010 Frist gesetzt, um die Zustellung des Vollstreckungsbescheids an den
Gesuchsgegner nachzuweisen und die Berechnung der Forderung in Schweizer
Franken zu substanziieren. Innert erstreckter Frist reichten die Rechtsvertreter der
Gesuchstellerin am 5. Juli 2010 eine Bescheinigung vom 28. Juni 2010 nach
Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über
die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (EuGVVO) sowie Unterlagen zur
Umrechnung der Forderung in Schweizer Franken ein.
E.
Y. hielt mit Schreiben vom 7. August 2010 fest, dass er die Forderung der
X. nicht anerkennen werde. Er sei nicht in der Lage, den geforderten Betrag
aufzubringen. Dies habe er im Briefverkehr mit der Gesuchstellerin immer wieder
betont.
Seite 2 — 11
F.
Mit Entscheid vom 18. August 2010, mitgeteilt am 20. August 2010,
erkannte die Bezirksgerichtsvizepräsidentin Hinterrhein wie folgt:
„1. Das Rechtsöffnungsgesuch in der Betreibung Nr. _ des
Betreibungsamtes Domleschg wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens im Betrage von Fr. 400.00 gehen zulasten
der Gläubigerin. Sie werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss
verrechnet und sind damit getilgt.
3. (Rechtsmittelbelehrung).
4. (Mitteilung).“
Zur
Begründung
wurde
im
Wesentlichen
ausgeführt,
dass
dem
Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 21. Dezember 2006 die
Anerkennung verweigert werde, weil es am Nachweis der ordnungsgemässen
Zustellung desselben fehle.
G.
Gegen diesen Entscheid erhob die X. am 31. August 2010 (Poststempel 2.
September 2010) Rechtsöffnungsbeschwerde beim Kantonsgericht von
Graubünden. Dabei rügte sie, dass der Nachweis der Zustellung des
verfahrenseinleitenden Schriftstückes, in diesem Fall des Mahnbescheids vom 29.
November 2006, durch die Vorlage der Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO
ausreichend nachgewiesen sei. Weitere Dokumente könnten durch das
ausstellende Gericht nicht vorgelegt werden, da die Unterlagen, wie auch
Zustellungsnachweise im Original etc., nach fünf Monaten vernichtet würden. Die
Beschwerdeführerin reichte zusammen mit der Rechtsschrift einen Aktenauszug
ein.
H.
Mit
Schreiben
vom
8.
September
2010
verzichtete
die
Bezirksgerichtsvizepräsidentin Hinterrhein auf eine Stellungnahme. Der
Beschwerdegegner erklärte mit Schreiben vom 29. September 2010, dass die
Beschwerde inakzeptabel und der Entscheid des Bezirksgerichtspräsidiums
Hinterrhein richtig sei.
Auf die weiteren Ausführungen in den Rechtsschriften und im angefochtenen
Entscheid wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen
eingegangen.
Seite 3 — 11
II. Erwägungen
1.
Gegen Entscheide des Bezirksgerichtspräsidiums in Rechtsöffnungssachen
kann gemäss Art. 236 Abs. 1 der Zivilprozessordnung des Kantons Graubünden
(ZPO; BR 320.000) in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Ziff. 2 und Art. 24 der
Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs
(GVV zum SchKG; BR 220.100) innert zehn Tagen seit der schriftlichen Mitteilung
Rechtsöffnungsbeschwerde an das Kantonsgericht erhoben werden. Gemäss
Art. 236 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 233 Abs. 1 und 2 ZPO hat die Beschwerde
schriftlich zu erfolgen, wobei mit kurzer Begründung anzugeben ist, welche Punkte
des Entscheides angefochten und welche Abänderungen beantragt werden.
Die Beschwerde vom 31. August 2010 (Poststempel 2. September 2010) richtet
sich gegen den am 20. August 2010 mitgeteilten Rechtsöffnungsentscheid der
Bezirksgerichtsvizepräsidentin Hinterrhein, welcher der Beschwerdeführerin am
25. August 2010 zugestellt wurde (act. I/1). Auf das fristund formgerecht
eingereichte Rechtsmittel ist deshalb einzutreten.
2.
Seitens der Beschwerdeführerin wurde mit der Rechtsschrift ein
Aktenauszug eingereicht, welcher der Vorinstanz nicht vorgelegen hat. Das
Kantongericht überprüft gemäss Art. 236 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 235 Abs. 1
ZPO im Rahmen der Beschwerdeanträge, ob der angefochtene Entscheid
das diesem vorangegangene Verfahren Gesetzesbestimmungen verletzt, welche
für die Beurteilung der Streitfrage wesentlich sind. Dabei stellt es auf die
Entscheidungsgrundlagen ab, die bereits der Vorinstanz zur Verfügung standen.
Die Einlagen neuer Beweismittel im Beschwerdeverfahren ist unzulässig (Art. 236
Abs. 3 in Verbindung mit Art. 233 Abs. 2 ZPO), es sei denn, es handle sich um
solche zu prozessrechtlichen, von Amtes wegen abzuklärenden Fragen, wie etwa
die örtliche Zuständigkeit bzw. Wohnsitz und Gerichtsstand, die fristgerechte
Parteivorladung die Frage der Parteiund Prozessfähigkeit (vgl. PKG 2000
Nr. 14 S. 82 f.; Daniel Staehelin, Kommentar zum Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Basel 1998, Art. 84 N. 50 und 90). Das
Kantonsgericht hat somit bei der Beurteilung eines Falles von den nämlichen
tatsächlichen Voraussetzungen auszugehen wie der Vorderrichter (PKG 2000 Nr.
14 S. 83; vgl. zum Ganzen Giusep Nay, Zivilprozessordnung und
Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Graubünden, Chur 1986, Art. 236 N. 6).
Bei dem neu eingereichten Dokument handelt es sich um einen Aktenauszug des
Amtsgerichts Stuttgart, welcher der Beschwerdeführerin am 31. August 2010
Seite 4 — 11
zugegangen ist. Er soll belegen, dass der Mahnbescheid vom 29. November 2006
und der Vollstreckungsbescheid vom 21. Dezember 2006 ordnungsgemäss an Y.
zugestellt wurden. Um zu entscheiden, ob die nachträgliche Einreichung dieses
Beweismittels zulässig ist, muss nachfolgend geprüft werden, ob die Frage der
rechtsgültigen Zustellung von Amtes wegen abzuklären ist nicht.
3.
Die Beschwerdeführerin ersuchte die Bezirksgerichtsvizepräsidentin
Hinterrhein gestützt auf eine deutsche Gerichtsurkunde um Gewährung der
definitiven
Rechtsöffnung.
Insofern
hatte
die
Rechtsöffnungsrichterin
vorfrageweise zu entscheiden, ob dieser ausländische Entscheid in der Schweiz
für vollstreckbar erklärt werden kann. Dagegen standen dem Beschwerdegegner
die im massgebenden Staatsvertrag vorgesehenen Einwendungen zur Verfügung
(Art. 81 Abs. 3 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs [SchKG;
SR 281.1]). Im Folgenden wird daher zuerst abzuklären sein, nach welchem
Staatsvertrag die Vollstreckbarkeit zu beurteilen ist.
4.
Weil sich der Sitz der Beschwerdeführerin in Deutschland befindet und der
Beschwerdegegner Wohnsitz in der Schweiz hat, liegt ein internationales
Verhältnis vor. Die Vorinstanz betrachtete zu Recht das Übereinkommen über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in
Zivilund Handelssachen (LugÜ; SR 0.275.11) für anwendbar. Sowohl
Deutschland (14. Dezember 1994) als auch die Schweiz (18. Oktober 1991)
haben dieses Übereinkommen ratifiziert. Das LugÜ, welches für die Schweiz am
1. Januar 1992 und für Deutschland am 1. März 1995 in Kraft getreten ist, ersetzt
in seinem Anwendungsbereich zahlreiche bilaterale Anerkennungsund
Vollstreckungsübereinkommen (vgl. Art. 55 LugÜ) und verdrängt das
Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291) (Gerhard
Walter, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 4. Aufl., Bern 2007, S. 423
f.). Noch keine Anwendung findet das revLugÜ vom 30. Oktober 2007, welches für
die Schweiz erst am 1. Januar 2011 in Kraft tritt.
5.a) Gegenstand
der
vorliegenden
Beschwerde
bildet
der
Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 21. Dezember 2006
aufgrund des am 29. November 2006 erlassenen Mahnbescheids. Dabei handelt
es sich um einen Entscheid im Sinne von Art. 25 LugÜ (vgl. PKG 2005 Nr. 25 E.
2.a S. 156), womit der Antrag auf Vollstreckung neben den in Art. 81 Abs. 1
SchKG vorgesehenen Einreden nur aus einem der in Art. 27 und 28 angeführten
Gründe abgelehnt werden kann (Art. 34 Abs. 2 LugÜ). Die Verweigerungsgründe
sind von Amtes wegen zu prüfen (Walter, a.a.O., S. 451; vgl. auch PKG 2001 Nr.
Seite 5 — 11
44 E. 4.c S. 180). Dies bedeutet, dass für die Beurteilung dieser Fragen das
Novenverbot nicht gilt. Der neu eingereichte Aktenauszug der Beschwerdeführerin
muss daher berücksichtigt werden (vgl. vorn E. 2). Keinesfalls darf die
ausländische Entscheidung in der Sache selbst nachgeprüft werden (Art. 34 Abs.
3 LugÜ).
b)
Art. 27 Nr. 2 LugÜ bestimmt, dass eine Entscheidung nicht anerkannt wird,
wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das
dieses Verfahren einleitende Schriftstück ein gleichwertiges Schriftstück nicht
ordnungsgemäss und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich
verteidigen konnte. Diese auf Versäumnisurteile zugeschnittene Vorschrift schützt
die Rechte des Beklagten. Sie ergänzt insbesondere Art. 20 Abs. 2 LugÜ, der das
Gericht des Erststaates zwingt, das Verfahren so lange auszusetzen, bis der
Beklagte das rechtliche Gehör erhält. Somit obliegt die Prüfung der Frage der
ordnungsgemässen Zustellung in erster Linie dem Urteilsstaat. Sie gehört aber
auch zu den Pflichten der Behörden des Staates, in dem das Urteil vollstreckt
werden soll (Urteil des Bundesgerichts 5P.471/2002 vom 12. Februar 2003, E.
3.1). Als verfahrenseinleitendes Schriftstück im Sinne von Art. 27 Nr. 2 LugÜ gilt
die vom Recht des Urteilsstaats vorgesehene Urkunde, durch deren Zustellung
der Beklagte erstmals von dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren
Kenntnis erlangt. Es handelt sich um dasjenige Schriftstück, dessen
ordnungsgemässe und rechtzeitige Zustellung den Beklagten in die Lage versetzt,
seine Rechte vor Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung im Urteilsstaat geltend
zu machen. Wie gegen den Zahlungsbefehl des SchKG kann gegen den
Mahnbescheid eines deutschen Gerichts Widerspruch eingelegt werden. Falls der
Gläubiger dies beantragt, so wird das Verfahren in das ordentliche, streitige
Verfahren übergeleitet. In diesem Fall gilt die Zustellung des Mahnbescheids nicht
als Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, wenn im ordentlichen
Verfahren ein Entscheid ergeht (BGE 123 III 374 E. 3.c S. 382 f.). Anders verhält
es sich, wenn gegen den Mahnbescheid kein Widerspruch erhoben wird. Der
Mahnbescheid erstarkt dann zum Vollstreckungsbescheid, der einem
Versäumnisurteil gleichsteht. Für diese Entscheidung handelt es sich beim
Mahnbescheid um das verfahrenseinleitende Schriftstück (PKG 2005 Nr. 25 E. 3.b
S. 159 f.; offen gelassen von BGE 123 III 374 E. 3.c S. 382; vgl. zum Ganzen
Walter, a.a.O., S. 457 f. m.w.H.).
c)
Art. 46 Nr. 2 LugÜ erfordert, dass die Partei, welche die Anerkennung einer
Vollstreckung geltend macht die Zwangsvollstreckung betreiben will, bei einer
im Versäumnisverfahren ergangenen Entscheidung die Urschrift eine
Seite 6 — 11
beglaubigte Abschrift der Urkunde vorzulegen hat, aus der sich ergibt, dass das
den Rechtsstreit einleitende Schriftstück ein gleichwertiges Schriftstück der
säumigen Partei zugestellt worden ist. Ob das verfahrenseinleitende Schriftstück
ordnungsgemäss zugestellt wurde, bestimmt das Recht des Ursprungsstaats,
unter Einschluss der für ihn geltenden internationalen Verträge. Nach diesen
Regeln bestimmt sich insbesondere auch, wie die Zustellungsurkunde
auszusehen hat. Jedenfalls muss es sich um eine besondere Zustellungsurkunde
handeln, aus der sich die Tatsache der Zustellung des erforderlichen
Schriftstückes direkt ergibt. Es ist hingegen nicht notwendig, dass die Urkunde auf
den verfahrenseinleitenden Charakter des zugestellten Schriftstücks hinweist.
Ebenso wenig muss daraus die Rechtzeitigkeit der Zustellung gemäss Art. 27 Nr.
2 LugÜ hervorgehen (Georg Naegeli, Kommentar zum Lugano-Übereinkommen
[LugÜ], Bern 2008, Art. 46 N. 20 f.). Gemäss dem neu eingereichten Aktenauszug
des Amtsgerichts Stuttgart (act. 01/1) wurde der Mahnbescheid an eine Adresse in
Deutschland gesendet. Die Rechtwirksamkeit der Zustellung und die Art des
Nachweises richten sich deshalb nach deutschem Prozessrecht. Im vorliegenden
Fall hat das Amtsgericht Stuttgart die Deutsche Post AG mit der Zustellung
beauftragt. Dieses Vorgehen ist gemäss § 168 Abs. 1 der Zivilprozessordnung
Deutschlands (DZPO) zulässig. Weil die Übergabe des Schriftstückes in der
Wohnung des Beschwerdegegners nicht möglich war, hat die Postbedienstete am
1. Dezember 2006 das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten
eingelegt (act. 01/1). Nach § 180 DZPO gilt mit der Einlegung das Schriftstück als
zugestellt. Durch die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO im Original (act. III/5)
und den neu eingereichten Aktenauszug des Amtsgerichts Stuttgart ist der
Nachweis erbracht, dass der Mahnbescheid am 1. Dezember 2006 zugestellt
wurde, was im Hinblick auf Art. 46 Nr. 2 LugÜ genügt (vgl. LGVE 1999 I Nr. 40 E.
5.5 S. 85). Inwiefern der Nachweis, wonach dem Beschwerdegegner der
Mahnbescheid vom 29. November 2006 ordnungsgemäss zugestellt worden ist,
nicht der Wahrheit entsprechen soll, ist nicht ersichtlich. Zudem hat der
Beschwerdegegner zu keiner Zeit den rechtswirksamen Zugang des
Mahnbescheids bestritten. Er macht lediglich seine mangelnde wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit geltend.
6.
Neben dem Nachweis der Zustellung des verfahrenseinleitenden
Schriftstücks bei Säumnisentscheidungen hat die Partei, welche die
Zwangsvollstreckung betreiben will, noch weitere Belege vorzuweisen. Gemäss
Art. 33 Abs. 3 LugÜ sind dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung die in den Art. 46
und 47 LugÜ angeführten Urkunden beizufügen.
Seite 7 — 11
a)
So hat der Antragsteller eine Ausfertigung der Entscheidung, welche die für
ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, vorzulegen (Art. 46 Nr. 1
LugÜ). Diesem Erfordernis ist die Beschwerdeführerin bereits in erster Instanz
nachgekommen (vgl. act. III/2). Es besteht kein Anlass, die Echtheit der
eingereichten Urkunde in Frage zu stellen.
b)
Weiter sind gemäss Art. 47 Nr. 1 LugÜ die Urkunden vorzulegen, aus
denen sich ergibt, dass die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaats
vollstreckbar ist und dass sie zugestellt worden ist. Dass der
Vollstreckungsbescheid nach deutschem Recht vollstreckbar ist, ergibt sich aus
der Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO (act. III/5) und der Bestätigung auf dem
Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2010, wonach der
Vollstreckungsbescheid rechtskräftig ist. Die Vollstreckbarkeit würde im
vorliegenden Fall auch schon aus der eingereichten Entscheidung selbst
hervorgehen (PKG 2005 Nr. 25 E. 3.c/aa S. 161).
c)
Zu prüfen bleibt, ob der Nachweis vorliegt, dass der Vollstreckungsbescheid
dem Beschwerdegegner zugegangen ist. Weil die Entscheidung dem
Beschwerdegegner in Deutschland nicht zugestellt werden konnte, wurde mit
Beschluss vom 15. Februar 2010 die Neuzustellung an eine Adresse in der
Schweiz bewilligt. Die Zustellung eines Schriftstücks in einen anderen
Vertragsstaat des LugÜ richtet sich nach Art. IV Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 zum
LugÜ. Diese Vorschrift verweist auf die zwischen den Vertragsstaaten geltenden
Übereinkommen Vereinbarungen. Die Ordnungsmässigkeit der Übermittlung
und die Ausgestaltung der nach Art. 47 Nr. 1 LugÜ vorzulegenden Urkunde ist
dann ausschliesslich nach den Bestimmungen eines solchen Übereinkommens
oder einer solchen Vereinbarung zu prüfen (vgl. Naegeli, a.a.O., Art. 47 N. 13). Im
Verkehr zwischen Deutschland und der Schweiz gilt das Haager Übereinkommen
über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland
in Ziviloder Handelssachen (HZÜ; SR 0.274.131). Gemäss Art. 5 HZÜ wird die
Zustellung des Schriftstücks durch die zentrale Behörde des ersuchten Staates
bewirkt veranlasst. Die zentrale Behörde des ersuchten Staates jede
von diesem hierzu bestimmte Behörde stellt ein Zustellungszeugnis aus, das dem
Muster im Anhang des Übereinkommens entspricht (Art. 6 HZÜ). Bei diesem
Zustellungszeugnis handelt es sich um die Urkunde nach Art. 47 Nr. 1 LugÜ (vgl.
PKG 2005 Nr. 25 E. 3.b S. 160 f.). Es enthält die Angaben über die Erledigung des
Ersuchens; in ihm sind Form, Ort und Zeit der Erledigung sowie die Person
anzugeben, an welche das Schriftstück ausgehändigt wurde. Allenfalls sind die
Umstände anzuführen, welche die Zustellung verhindert haben. Sofern der
Seite 8 — 11
Bestimmungsstaat nicht widerspricht, gestatten Art. 8 und Art. 10 HZÜ alternative
Zustellungsformen, insbesondere die unmittelbare Zustellung gerichtlicher
Schriftstücke durch die Post (Art. 10 lit. a HZÜ). Allerdings hat die Schweiz von der
Möglichkeit des Widerspruchs Gebrauch gemacht. Die Zustellungsklausel auf dem
Beschluss vom 15. Februar 2010 lautete wie folgt: „Gemäss Haager Abkommen
ist der Vollstreckungsbescheid dem Auftragsgegner am 8.3.10 zugestellt worden.
Damit vermag sie nicht als Urkunde im Sinne von Art. 6 HZÜ zu gelten. Die
Zustellungsklausel enthält keine näheren Informationen über die Erledigung des
Ersuchens und ist nicht von der ersuchten Behörde, sondern vom ersuchenden
Gericht ausgestellt worden. Im Übrigen ist der Nachweis der Zustellung des Urteils
(Art. 47 Nr. 1 LugÜ) nicht Gegenstand der Beweiserleichterungen von Art. 48 Abs.
1 LugÜ. Deshalb spielt es keine Rolle, dass die Beschwerdeführerin angibt, dass
die Zustellungsurkunde im Original bereits vernichtet wurde und nicht mehr
vorhanden ist. Der Beweis kann trotzdem nicht durch andere Beweismittel geführt
werden. Die Vorinstanz hat aber kein Recht verletzt, indem sie der Antrag
stellenden Partei eine Frist zur Nachreichung des Zustellungszeugnisses ansetzte,
weil dies dem Zweck von Art. 48 Abs. 1 LugÜ entspricht (vgl. Naegeli, a.a.O., Art.
48 N. 2). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es der Beschwerdeführerin
nicht gelungen ist, die Zustellung der ausländischen Entscheidung nach derzeit
geltendem Recht nachzuweisen, weshalb deren Vollstreckbarkeit verweigert
werden muss. Die Vorinstanz hat das Rechtsöffnungsgesuch in der Betreibung Nr.
_ zu Recht abgewiesen.
d)
Nach dem revLugÜ vom 30. Oktober 2007, welches für die Schweiz am
1. Januar 2011 in Kraft tritt, wäre der vorliegende Fall anders zu entscheiden. Die
Revision soll die ursprüngliche Parallelität zur Regelung innerhalb der EU wieder
herstellen. Zwischen den Vertragsstaaten der EU gilt nicht mehr das
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelsachen vom 27. September 1968
(EuGVÜ), sondern die EuGVVO. Das revLugÜ und die EuGVVO enthalten (mit
minimalen Ausnahmen) denselben Text (Walter, a.a.O., S. 164). Zur
Vereinfachung
und
Beschleunigung
des
Anerkennungs-
und
Vollstreckbarerklärungsverfahrens wird mit der Revision eine Bescheinigung
eingeführt, welche der Exequaturbehörde die Überprüfung der wichtigsten
Formalien durch gezielte Hinweise erleichtern soll. Die in Art. 54 revLugÜ
vorgesehene Bescheinigung ersetzt die Vorlage der in Art. 46 Nr. 2 und Art. 47
LugÜ erwähnten Urkunden. Das für die Vollstreckbarerklärung zuständige Gericht
kann der Bescheinigung alle Angaben entnehmen, die für die Entscheidung
Seite 9 — 11
notwendig sind (Naegeli, a.a.O., Art. 46 N. 34). Im vorliegenden Fall hat die
Beschwerdeführerin eine Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO eingereicht (vgl.
act. III/5), weshalb der Vollstreckungsbescheid nach zukünftigem Recht in der
Schweiz für vollstreckbar erklärt werden könnte.
7.
Das Kantonsgericht von Graubünden kommt somit zum Schluss, dass die
Beschwerde abzuweisen ist. Bei diesem Ausgang rechtfertigt es sich, die Kosten
des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von Fr. 600.- der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 48 in Verbindung mit Art. 61 Abs. 1 der Gebührenverordnung
zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs [GebV SchKG;
SR 281.35]). Mangels eines Antrages ist dem Beschwerdegegner keine
ausseramtliche Entschädigung zuzusprechen (Art. 62 Abs. 1 GebV SchKG).
Seite 10 — 11
III. Demnach wird erkannt
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 600.gehen zulasten der
Beschwerdeführerin.
3.
Gegen diese, einen Streitwert von weniger als 30'000 Franken betreffende
Entscheidung kann gemäss Art. 72, Art. 74 Abs. 2 lit. a des
Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) Beschwerde in Zivilsachen an
das Schweizerische Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, geführt werden,
wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
Andernfalls ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gemäss Art. 113 ff.
BGG gegeben. In beiden Fällen ist das Rechtsmittel dem Bundesgericht
schriftlich, innert 30 Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der
Entscheidung in der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise
einzureichen. Für die Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren
Voraussetzungen und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff.,
72 ff., 90 ff. und 113 ff. BGG.
4.
Mitteilung an:
Seite 11 — 11
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