Der Beschuldigte A. wurde vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freigesprochen und das Verfahren eingestellt. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen, und dem Beschuldigten wird eine Entschädigung von Fr. 10'692.40 für die anwaltliche Verteidigung zugesprochen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden ebenfalls auf die Gerichtskasse genommen, und dem Beschuldigten wird eine Entschädigung von Fr. 4'500.- für die anwaltliche Verteidigung im Berufungsverfahren zugesprochen. Das Urteil wurde am 22. Februar 2017 vom Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, unter der Leitung von Präsident lic. iur. R. Naef gefällt.
Urteilsdetails des Kantongerichts ERZ-09-233
Kanton: | GR |
Fallnummer: | ERZ-09-233 |
Instanz: | Kantonsgericht Graubünden |
Abteilung: | - |
Datum: | 11.11.2009 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Amtsbefehl (Besitzesschutz) |
Schlagwörter : | Parzelle; Parkplätze; Verfügung; Besitz; Recht; Kreispräsident; Eigentümer; Besitzes; Grundstück; Parkfläche; Entscheid; Vertrag; Autos; Bauvorhaben; Dienstbarkeitsvertrag; Verfahren; Kreispräsidenten; Besitzesschutz; Gesuch; ümer“; Kanton; Kantonsgericht |
Rechtsnorm: | Art. 122 ZPO ;Art. 152 ZPO ;Art. 292 StGB ;Art. 737 ZGB ;Art. 738 ZGB ;Art. 919 ZGB ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Frank Vischer, Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 150 IPRG, 2004 |
Entscheid des Kantongerichts ERZ-09-233
Kantonsgericht von Graubünden
Dretgira chantunala dal Grischun
Tribunale cantonale dei Grigioni
_____
Ref.:
Chur, 11. November 2009
Schriftlich mitgeteilt am:
ERZ 09 233
Verfügung
Einzelrichter in Zivilsachen
Vorsitz Präsident
Brunner
Redaktion
Aktuar ad hoc Schaub
In der zivilrechtlichen Beschwerde
der X . A G , Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsan-
walt lic. iur. Patrick Benz, Talstrasse 42 D, 7270 Davos Platz,
gegen
die Verfügung des Kreispräsidenten A. vom 16. September 2009, mitgeteilt am 5.
Oktober 2009, in Sachen des Y., Gesuchsgegner und Beschwerdegegner, vertre-
ten durch Rechtsanwalt lic. iur. Andreas Flütsch, Mattastrasse 21, 7270 Davos
Platz, gegen die Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin,
betreffend Amtsbefehl (Besitzesschutz),
hat sich ergeben:
I. Sachverhalt
A. Mit öffentlich beurkundetem Kaufvertrag vom 4. April 2003 verkaufte
die AG für Grundbesitz A. Y. die Parzelle _ in A.. Gleichzeitig wurde zugunsten der
Parzelle _ und zulasten der Parzelle _ eine Grunddienstbarkeit zwecks aus-
schliesslicher und unentgeltlicher Nutzung von maximal 350 m2 der Parzelle _ als
Parkfläche für 15 Autos errichtet. Im Weiteren wurde bestimmt, dass die Parkflä-
che „vom Eigentümer“ festgelegt werden könne. Die Parzelle _ liegt auf der ande-
ren Strassenseite der Parzelle _. Auf letzterer steht das Hotel Post. Unbestritten
ist, dass die nämliche Parkfläche für die Bedürfnisse des Hotels Post dienen soll-
te.
B. Am 22. März 2009 liess Y. durch die A. Baubehörde ein Bauprojekt
betreffend die Parzelle _ publizieren (Neubau Wohnhaus). Mit der Realisierung
dieses Bauvorhabens ist vorgesehen, die 15 Parkplätze derart anders anzuord-
nen, dass drei davon als sog. gefangene Parkfelder ausgerichtet würden (vgl. act.
IV/1.6). Unbestritten ist, dass die Parkplätze nach heutiger Anordnung allesamt
frei, das heisst einzeln zugänglich, sind.
C. Gegen dieses Bauvorhaben erhob die X. AG als Eigentümerin der
Parzelle _ am 9. Juni 2009 beim Kreispräsidenten A. privatrechtliche Baueinspra-
che. Sie beantragte darin, was folgt:
„1. Y. sei unter ausdrücklicher Androhung der Straffolgen von Art. 292
StGB zu verbieten, durch bauliche Massnahmen die mit Kaufvertrag
vom 4. April 2003 zu Gunsten des Grundstückes Nr. _ und zu Lasten
des Grundstückes Nr. _, beide Grundbuch A., eingeräumte Grund-
dienstbarkeit „Ausschliessliches Benützungsrecht für die Abstellung
von bis zu 15 Autos“, zu verletzen.
2. Y. sei unter ausdrücklicher Androhung der Straffolgen von Art. 292
StGB zu verbieten, das Bauvorhaben auf Grundstück Nr. _ gemäss
Baugesuch vom 14. Mai 2009 in Angriff zu nehmen.
3. Alles unter gesetzlicher Kostenund Entschädigungsfolge zuzüglich
7,6% MWST zu Lasten der Bauherrschaft.“
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass zum einen, sollte das
Bauvorhaben verwirklicht werden, die auf dem Eingabeplan mit 13-15 nummerier-
ten Abstellplätze nur noch sehr eingeschränkt genutzt werden könnten. Zum ande-
ren komme gemäss dem Grundstückskaufvertrag vom 4. April 2003 der Eigentü-
merin des berechtigten Grundstückes (Parzelle _) die Befugnis zu, festzulegen,
wie die 15 Abstellplätze angeordnet werden sollen.
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D. In der Folge erliess der Kreispräsident A. am 11. Juni 2009, gleichen-
tags mitgeteilt, eine superprovisorische Verfügung, in welcher er die Realisierung
des Bauvorhabens bis zum Befehlsentscheids verbot. Am 3. Juli 2009 nahm Y.
dazu Stellung. Er begehrte, das Gesuch vom 9. Juni 2009 sei vollumfänglich ab-
zuweisen und die Ziffern 2 und 3 der Verfügung seien aufzuheben. Er begründete
seine Anträge zusammengefasst damit, dass der Passus des Grund-
dienstbarkeitsvertrags „Die Parkfläche kann vom Eigentümer festgelegt werden.“
auszulegen sei. Mit dem Begriff „Eigentümer“ müsse der Dienstbarkeitsbelastete
und damit der Eigentümer der belasteten Parzelle _ gemeint sein. Er wies ausser-
dem darauf hin, dass der angebliche Anspruch der Gesuchstellerin weder hinrei-
chend begründet noch „klar und unzweifelhaft ausgewiesen“ erscheine.
E. Der Kreispräsident A. räumte den Parteien am 13. August 2009 die
Möglichkeit zu einer weiteren schriftlichen Stellungnahme ein. Die X. AG führte
daraufhin in ihrer Replik vom 27. August 2009 bei unveränderten Rechtsbegehren
an, sobald die vorgelagerten Parkplätze mit Fahrzeugen besetzt sein würden, sei
eine Zufahrt nicht mehr möglich. Unwesentlich sei in diesem Zusammenhang, ob
derartige „gefangene Parkplätze“ bei anderen Hotels im Ort allenfalls üblich sein
sollten, denn dies hätte nicht zur Folge, dass anderslautende vertragliche Abma-
chungen ausser Kraft gesetzt würden. Zudem lege die Gegenpartei den Wortlaut
des Dienstbarkeitsvertrags falsch aus. Vielmehr werde im Vertragstext mehrmals
darauf hingewiesen, dass das uneingeschränkte, ausschliessliche und unentgeltli-
che Abstellen von 15 Autos zu ermöglich sei. Dies erlaube auch eine Gesamtflä-
che von 350 m2. Weiter sei mit dem Begriff „Eigentümer“ im nämlichen Vertrags-
text, entgegen der Ansicht der Gegenpartei, nicht der Eigentümer des belasteten,
sondern des berechtigten Grundstücks gemeint, werde dieser Begriff doch im zi-
tierten Abschnitt durchwegs für den jeweiligen Eigentümer der Parzelle _ ge-
braucht. Y. erwiderte in seiner Duplik vom 16. September 2009, ebenfalls mit un-
veränderten Rechtsbegehren, es sei der fraglichen Vertragspassage nicht zu ent-
nehmen, dass 15 einzeln zugängliche Parkplätze verlangt würden. Hätten dies die
Vertragsparteien gewünscht, hätten sie dies so stipulieren müssen, weil dann eine
Überbaubarkeit der Parzelle von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre. Die
Bezeichnung „uneingeschränkt“ käme zudem in der von der Gegenpartei zitierten
Vertragsstelle nicht vor, weshalb dem Vertragstext eben nicht entnommen werden
könne, dass „gefangene Parkplätze“ nicht auch genügen würden. Die Anordnung
der Parkplätze nach dem Wunsch der Gegenpartei würde zur kompletten Blockie-
rung der gesuchsgegnerischen Parzelle führen, was nicht Vertragswille der Par-
teien gewesen sei. Ausserdem werde der Begriff „Eigentümer“ nicht durchwegs
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und nur für den Eigentümer der Parzelle _ gebraucht, sondern ebenso für den Ei-
gentümer der Parzelle _. Überdies sei der Berechtigte nach Art. 737 Abs. 2 ZGB
dazu verpflichtet, sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben. Es sei
rechtsmissbräuchlich, wenn er auf einen Platz beharre, obschon eine vorgeschla-
gene andere Stelle nicht weniger geeignet, aber für den Belasteten vorteilhafter
wäre.
F. Mit Entscheid vom 16. September 2009, mitgeteilt am 5. Oktober
2009, verfügte der Kreispräsident, was folgt:
„1. Das Begehren wird abgewiesen und das superprovisorische Verbot
vom 11. Juni 2009 aufgehoben.
2.
Die Verfahrenskosten, bestehend in:
Gerichtsgebühr
Fr. 800.00
Schreibgebühr und Kopien
Fr. 256.00
Total
Fr.
1'056.00
gehen zu Lasten der Gesuchstellerin und werden mit dem Kostenvor-
schuss über Fr. 1'000.00 verrechnet. Der Restbetrag von Fr. 56.00 ist
innert 30 Tagen dem Kreisamt A. zu überweisen. Der Kostenvor-
schuss über Fr. 1'000.00 des Gesuchgegners wird zurück erstattet.
3. Die Gesuchstellerin hat den Gesuchsgegner ausseramtlich mit Fr.
1'900.00 zu entschädigen.
4. (Mitteilung).“
In seiner Verfügung legte der Kreispräsident A. den Dienstbarkeitsvertrag
so aus, dass mit der Formulierung „Abstellung von bis zu 15 Autos“ nicht Parkplät-
ze für den kurzzeitigen Gebrauch, sondern für längerfristiges Abstellen gedacht
seien, was die Benützung „gefangener Parkplätze“ bei geeigneter Organisation
durchaus zulasse. Hinzu komme, dass gemäss Vertrag der Eigentümer die Park-
fläche bestimmen könne. Vernünftigerweise sei vorliegend mit dem Begriff „Eigen-
tümer“ der Gesuchsgegner (Käufer des Grundstücks) gemeint gewesen.
G. Gegen diesen Entscheid reichte die X. AG am 16. Oktober 2009 Be-
schwerde an den Kantonsgerichtspräsidenten von Graubünden (recte Einzelrich-
ter am Kantonsgericht) ein. Sie beantragt darin, was folgt:
„1. Die Verfügung des Kreisamtes A. vom 16. September 2009, mitgeteilt
am 5. Oktober 2009, sei aufzuheben und es sei folgendes gerichtlich
anzuordnen.
a. Y. sei unter ausdrücklicher Androhung der Straffolgen von Art. 292
StGB zu verbieten, durch bauliche Massnahmen die mit Kaufver-
trag vom 4. April 2003 zu Gunsten des Grundstückes Nr. _ und zu
Lasten des Grundstückes Nr. _, beide Grundbuch A., eingeräumte
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Grunddienstbarkeit „Ausschliessliches Benützungsrecht für die Ab-
stellung von bis zu 15 Autos“, zu verletzen.
b. Y. sei unter ausdrücklicher Androhung der Straffolgen von Art. 292
StGB zu verbieten, das Bauvorhaben auf Grundstück Nr. _ ge-
mäss Baugesuch vom 14. Mai 2009 in Angriff zu nehmen.
2. Eventuell sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und zur Neube-
urteilung im Sinne von Ziffer 1 vorstehend an das Kreisamt A. zurück-
zuweisen.
3. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu gewähren und Y. sei
superprovisorisch zu verbieten, irgendwelche Bauarbeiten auf seinem
Grundstück Nr. _ in Angriff zu nehmen.
4. Alles unter gesetzlicher Kostenund Entschädigungsfolge zuzüglich
7,6% MWST für beide Verfahren zu Lasten von Y..“
Sie führt zu ihren Rechtsbegehren im Wesentlichen dieselbe Begründung
an wie schon im vorinstanzlichen Verfahren. Die uneingeschränkte Nutzung sei
mit der Schaffung von „gefangenen Parkplätzen“ nicht mehr möglich, wobei Nut-
zung immer zufahren, abstellen und wegfahren bedeute. Geradezu willkürlich sei
die Feststellung in der angefochtenen Verfügung, es sei „bekannt, dass es in A.
weitere gefangene Parkplätze gebe“ und dies deshalb auch für den vorliegenden
Fall gelten müsse. Der Kreispräsident A. habe den Eintrag im Grundbuch und den
Kaufvertrag nicht nur falsch ausgelegt, sondern auch übersehen, dass sich der
Inhalt einer Dienstbarkeit aus der Art ergebe, wie sie während längerer Zeit unan-
gefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden sei.
Y. beantragt in seiner Beschwerdeantwort vom 6. November 2009, die Be-
schwerde sei vollumfänglich abzuweisen. Er führt zusammengefasst an, die Ge-
genpartei verkenne, dass im Dienstbarkeitsvertrag weder die Zurverfügungstellung
von 15 einzeln ausgeschiedenen Parkplätzen noch eine Parkfläche versprochen
worden sei, die 15 Fahrzeugen die gleichzeitige Zuund Ausfahrt garantiere. Der
Beschwerdegegner sei berechtigt, die Parkfläche festzulegen. Der Kreispräsident
A. sei in seiner Verfügung vom 16. September 2009 mittels Auslegung zu einem
klaren Ergebnis gekommen. Inwiefern die Feststellung des Kreispräsidenten, es
müssten im vorliegenden Fall nicht 15 einzeln zugängliche Parkplätze geschaffen
werden, rechtswidrig und weltfremd sein solle, sei nicht ersichtlich. Die Gegenpar-
tei behaupte dies ohne Begründung und Beweis.
Der Kreispräsident A. hat mit Schreiben vom 20. Oktober 2009 auf eine
Stellungnahme verzichtet.
H. Mit Verfügung vom 11. November 2009 wurde der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung gewährt.
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Auf die weiteren Ausführungen in den Rechtsschriften sowie im angefoch-
tenen Entscheid wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen ein-
gegangen.
II. Erwägungen
1.a) Der Beschwerdegegner hat bei der Gemeinde A. ein Baugesuch ein-
gereicht. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Baueinsprache gemäss Art. 146
Abs. 1 Ziff. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO; BR 320.000), wonach namentlich die
Verletzung von privatrechtlichen Bauvorschriften geltend gemacht werden kann.
Privatrechtliche Bauvorschriften umfassen zum einen nachbarrechtliche und zum
anderen vertragliche Baubeschränkungen. Deren Verletzung stellt in der Regel
eine Besitzesstörung dar, welche im Kanton Graubünden in einem gewöhnlichen
Besitzesschutzverfahren anhängig gemacht werden muss (PKG 2001 Nr. 39 E.
3.a S. 164). Nebst den nachbarrechtlichen Vorschriften des ZGB und des
EGzZGB können im Verfahren der zivilrechtlichen Baueinsprache auch vertragli-
che Baubeschränkungen durchgesetzt werden. In Betracht fallen insbesondere in
der Form von Dienstbarkeiten errichtete Baubeschränkungen, wobei vorwiegend
die Verletzung negativer Dienstbarkeiten (z.B. eines Bauverbots einer Bau-
beschränkung) im Vordergrund steht.
b) Gegen Entscheide des Kreispräsidenten gemäss Art. 145 ff. ZPO
kann beim Einzelrichter in Zivilsachen des Kantonsgerichts Graubünden Be-
schwerde erhoben werden, wobei für das Beschwerdeverfahren die Vorschriften
von Art. 152 ZPO anzuwenden sind. Die Beschwerde ist innert 10 Tagen seit der
Mitteilung einzureichen (Art. 152 Abs. 1 ZPO). Da die vorliegende Beschwerde
fristgerecht eingereicht wurde und im Übrigen den Formerfordernissen entspricht,
kann darauf eingetreten werden.
c) In Art. 152 ZPO wird offen gelassen, ob dem Einzelrichter im Be-
schwerdeverfahren eine volle Kognition nur eine beschränkte Prüfungsbe-
fugnis zusteht. Die Bezeichnung des Rechtsmittels als Beschwerde lässt eher auf
das Letztere schliessen. Die Möglichkeit, von Amtes wegen Beweise erheben zu
können (Art. 152 Abs. 3 ZPO), spricht hingegen klar für eine umfassende Kogniti-
on. Von der Sache her ist eine Überprüfung auf Angemessenheit auch angezeigt,
da es bei der Kostenund Entschädigungsfolge häufig um Ermessensfragen geht
und das Rechtsmittel an praktischer Bedeutung verlieren würde, wenn der Einzel-
richter nur bei Missbrauch des Ermessens und offensichtlich falscher Feststellung
des Sachverhalts einschreiten könnte. Damit ist dem Einzelrichter im Beschwer-
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deverfahren gemäss Art. 152 ZPO volle Kognition zuzuerkennen. Er ist weder in
rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht an den Entscheid der Vorinstanz gebun-
den (PKG 2001 Nr. 39 E. 2.c S. 164; vgl. den Entscheid des Kantonsgerichtsprä-
sidiums Graubünden PZ 08 26 vom 5. März 2008 E. 2).
2. Der Kreispräsident A. hat in seiner Verfügung vom 16. September
2009 den Dienstbarkeitsvertrag im Sinne von Art. 738 ZGB ausgelegt und ist zum
Schluss gekommen, das Vorgehen des Dienstbarkeitsbelasteten verstosse nicht
dagegen, so dass das Gesuch abzuweisen sei. Diese Begründung greift zu kurz.
a) Zu berücksichtigen ist, dass die Ansprüche innerhalb eines Amtsbe-
fehlsverfahrens betreffend Besitzesschutz zu beurteilen sind und nicht innerhalb
einer ordentlichen Klage betreffend Feststellung des Inhalts einer Dienstbarkeit
gemäss Art. 738 ZGB. Der Besitzesschutz bezweckt die Erhaltung der tatsächli-
chen Besitzverhältnisse und damit der Parteirollenverteilung in den vom Besitzes-
schutzverfahren gänzlich zu trennenden Prozess um das Recht (Stark, Berner
Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band IV.3.1., 3. Aufl., Bern 2001, N.
2a zu Vor. Art. 926-929 ZGB; PKG 2003 Nr. 38 E. 4.a S. 202). Gemäss Art. 919
ZGB ist jener der Besitzer einer Sache, welcher die tatsächliche Gewalt über sie
hat. Dem Sachbesitz wird bei Grunddienstbarkeiten und Grundlasten die tatsächli-
che Ausübung des Rechts gleichgestellt. Bei Grunddienstbarkeiten, die mit Sach-
besitz verbunden sind, ist das Besitzesrecht ohnehin anwendbar. Wo Sachbesitz
fehlt, kommt es für die Anwendung des Besitzesrechts auf die tatsächliche Aus-
übung des Rechts an (Rechtsbesitz; vgl. Stark, a.a.O., N. 75 ff. zu Art. 919 ZGB;
Stark/Ernst, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 3. Aufl., Basel 2007, N. 47 ff.
zu Art. 919 ZGB). Im vorliegenden Fall kann davon ausgegangen werden, dass
sogar Sachbesitz der Dienstbarkeitsberechtigten vorliegt; besteht doch unbestrit-
tenermassen auf der Parzelle _ eine Parkierungsanlage zugunsten der Parzelle _
mit frei zugänglichen Parkplätzen. Selbst wenn dem nicht so wäre, wäre zumin-
dest Rechtsbesitz anzunehmen, da das Parkierungsrecht unbestrittenermassen
von der Eigentümerin der Parzelle _ tatsächlich ausgeübt wird. Das Besitzesrecht
kommt demnach im vorliegenden Fall ohne Weiteres zur Anwendung.
b) Die fragliche Dienstbarkeit wurde mit Abschluss des Kaufvertrags am
4. April 2003 eingeräumt. Seither wurde die entsprechende Parkfläche von der
Dienstbarkeitsberechtigten genutzt. Dabei konnten die Fahrzeuge auf Parzelle _
relativ frei abgestellt werden, was Y. so geduldet hat (vgl. Duplik S. 4 Ziff. 7, act.
IV/10). Es kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, wer aufgrund des
Dienstbarkeitsvertrags berechtigt ist, die entsprechende Parkordnung zu erlassen
Seite 7 — 10
respektive, ob unter dem Begriff „Eigentümer“ die Dienstbarkeitsberechtigte (ge-
mäss Ansicht der Einsprecherin) der Dienstbarkeitsbelastete (gemäss Auf-
fassung von Y.) gemeint ist. Tatsache ist nämlich, dass seit Beginn des Dienstbar-
keitsrechts in zumindest stillschweigender Übereinkunft beider Parteien die 15
Parkierrechte ohne Einschränkungen genutzt werden konnten. Die Servitutsbe-
rechtigte musste namentlich nicht in Kauf nehmen, dass eine gewisse Anzahl
Parkplätze „gefangen“ bzw. nicht frei zugänglich gewesen wäre. Der massgebliche
Sachbesitz der Dienstbarkeitsberechtigten erstreckte sich demzufolge über 15 frei
zugängliche Parkplätze auf der Parzelle _. Zu prüfen ist somit, ob dieser Besitz-
stand zu schützen ist und ob Y. den bisher geduldeten Zustand aufgrund des
Dienstbarkeitsvertrags ohne Weiteres ändern kann.
c)
Im raschen und summarischen Amtsbefehlsverfahren können nur klar
und unzweifelhaft ausgewiesene Ansprüche durchgesetzt werden. Bei einer
Dienstbarkeit brauchen sich die Ansprüche nicht schon aus deren Wortlaut zu er-
geben. Es reicht aus, wenn sie erst durch Auslegung nach bewährter Lehre und
Überlieferung gewonnen werden können. Wenn der Anspruch aber auch durch
Auslegung nicht restlos eindeutig belegt werden kann, ist er abzuweisen. Der An-
sprecher hat sich dann an den ordentlichen Zivilrichter zu wenden (PKG 2001 Nr.
39 E. 4.c S. 167).
d)
Der Grundbucheintrag selbst führt im vorliegenden Fall von vornherein
nicht zum Ziel. Aus der Bezeichnung „ausschliessliches Benutzungsrecht für die
Abstellung von bis zu 15 Autos“ ergibt sich weder die Lage noch die Fläche noch,
ob es sich um frei zugängliche Parkplätze handeln muss. Es ist somit gemäss Art.
738 Abs. 2 ZGB zunächst der Erwerbsgrund, das heisst der Dienstbarkeitsvertrag,
herbeizuziehen. Danach ergibt sich vorerst klar, dass die Abstellfläche maximal
350 m2 der Parzelle _ betragen darf, worauf maximal 15 Personenwagen parkie-
ren dürfen. Weitere, in diesem Zusammenhang notwendigerweise klare Antworten
zu finden, erweist sich aber als schwierig. Immerhin kann aus der Formulierung,
dass die Parkfläche vom Eigentümer festgelegt werden kann, wohl geschlossen
werden, dass damit nicht die Bestimmung des Ausmasses der Parkfläche (dieses
ist mit maximal 359 m2 bereits klar beziffert), sondern vielmehr die Bestimmung
der Lage der Parkierungsfläche auf Parzelle _ gemeint sein muss. Die entschei-
dende Frage jedoch ist, ob die Parkplätze frei zugänglich sein müssen. Dazu lässt
sich aber aus dem Text nichts definitiv Schlüssiges ableiten, will man im Gegen-
satz zum Kreispräsidenten - nicht aus dem offensichtlichen Zweck, Parkplätze für
das Hotel Post sichern zu wollen, schliessen, dass diese auch frei zugänglich sein
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müssen. Um zweifelsfrei zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, bedürfte es a-
ber weiterer beweisrechtlicher Abklärungen (Zeugen etc.).
e) Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass im Hinblick auf die
entscheidende Frage weder in der einen noch in der anderen Richtung klare Er-
kenntnisse zu gewinnen sind, so dass es dem ordentlichen Richter obliegt, den
Inhalt der Dienstbarkeit abschliessend festzulegen. Im Besitzesschutzverfahren ist
aus diesen Gründen auf den nachgewiesenen Besitz abzustellen, das heisst dar-
auf, dass zurzeit die 15 der Einsprecherin zustehenden Parkplätze auf Parzelle _
frei zugänglich sind, diese Rechtsausübung nicht ohne Weiteres gegen die Um-
schreibung der Dienstbarkeit verstösst und die konkret geplante Einschränkung
des Parkierungsrechts durch Schaffung von drei gefangenen Parkplätzen eine
Störung des jetzigen Besitzes darstellt. Das Begehren um Besitzesschutz erweist
sich somit als gerechtfertigt, was zur Gutheissung der Beschwerde und Aufhebung
der vorinstanzlichen Verfügung führt.
3.
Bei diesem Ausgang gehen die Kosten der Verfügung des Kreispräsi-
denten A. vom 16. September 2009 von Fr. 1'056. zulasten von Y., welcher die
X. AG für das vorinstanzliche Verfahren mit Fr. 1'900. aussergerichtlich zu ent-
schädigen hat. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1'200. zuzüglich
einer Schreibgebühr von Fr. 176., insgesamt Fr. 1’376., gehen ebenfalls zu-
lasten von Y., welcher zudem die X. AG für das Beschwerdeverfahren mit Fr.
1'100. aussergerichtlich zu entschädigen hat (Art. 122 Abs. 1 und 2 ZPO).
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III. Demnach wird erkannt:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die angefochtene Verfügung auf-
gehoben.
2.
Die privatrechtliche Baueinsprache wird dahin gutgeheissen, dass Y. bis zu
einer Einigung mit der X. AG über den Inhalt der Dienstbarkeit zugunsten
der Parzelle _ und zulasten der Parzelle _ des Grundbuchs von A. betref-
fend das ausschliessliche Benützungsrecht für die Abstellung von bis zu 15
Autos und der Ausrichtung derselben bzw. bis zu einem entsprechenden
rechtskräftigen ordentlichen Urteil in dieser Sache verboten wird, das am
22. Mai 2009 publizierte Bauvorhaben auf Parzelle _ zu realisieren.
3.
Diese Verfügung steht unter der Strafandrohung von Art. 292 StGB, wo-
nach mit Busse bestraft wird, wer der von einer zuständigen Behörde
einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafandrohung dieses
Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet.
4.
Die Kosten der Verfügung des Kreispräsidenten A. vom 16. September
2009 von Fr. 1'056. und jene des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1'200.
zuzüglich einer Schreibgebühr von Fr. 176., insgesamt somit Fr. 1’376.,
gehen zulasten von Y., welcher die X. AG für beide Verfahren eine ausser-
gerichtliche Entschädigung von Fr. 3'000. (inkl. MwSt.) zu bezahlen hat.
5.
Gegen diese, einen Streitwert von weniger als 30'000 Franken betreffende
Entscheidung kann gemäss Art. 72, Art. 74 Abs. 2 lit. a des Bundesge-
richtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Zivilsachen an das Schweizerische
Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, geführt werden, wenn sich eine Rechts-
frage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Andernfalls ist die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde gemäss Art. 113 ff. BGG gegeben. In beiden Fäl-
len ist das Rechtsmittel dem Bundesgericht schriftlich, innert 30 Tagen seit
Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung in der gemäss
Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Zulässigkeit,
die Beschwerdelegitimation, die weiteren Voraussetzungen und das Verfah-
ren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 72 ff., 90 ff. und 113 ff. BGG.
6. Mitteilung
an:
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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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