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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Zusammenfassung des Urteils BK-08-48: Kantonsgericht Graubünden

Die Beschwerde wurde von B.B., der Witwe von A.B., gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Graubünden eingereicht. Es ging um einen tödlichen Unfall, bei dem A.B. über eine Mauer gestürzt war. Die Staatsanwaltschaft stellte die Strafuntersuchung ein, da sie keine Garantenstellung des Kantons oder der Gemeinde sah. Die Beschwerdekammer entschied jedoch, dass die Gemeinde für den Holzzaun verantwortlich war und weitere Untersuchungen nötig waren. Die Einstellungsverfügung wurde aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an die Staatsanwaltschaft zurückverwiesen.

Urteilsdetails des Kantongerichts BK-08-48

Kanton:GR
Fallnummer:BK-08-48
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid BK-08-48 vom 26.11.2008 (GR)
Datum:26.11.2008
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:fahrlässige Tötung
Schlagwörter : Gemeinde; Kanton; Kantons; Unterhalt; Trottoir; Strasse; Graubünden; Brücke; Kantonsstrasse; Gehweg; Recht; Unterhalts; Einstellung; Holzzaun; Schutz; Strassengesetz; Staatsanwaltschaft; Eigentum; Trottoirs; Garantenstellung; Unterhaltspflicht; Gefahr; Vorinstanz
Rechtsnorm:Art. 1 StGB ;Art. 11 StGB ;Art. 117 StGB ;Art. 12 StGB ;Art. 138 StPO ;Art. 139 StPO ;Art. 160 StPO ;Art. 642 ZGB ;
Referenz BGE:113 IV 72; 118 IV 313; 126 IV 13; 127 IV 62; 96 IV 174;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts BK-08-48

Kantonsgericht
von
Graubünden
Dretgira
chantunala
dal
Grischun

Tribunale cantonale dei Grigioni
_____

Ref.:
Chur, 26. November 2008
Schriftlich mitgeteilt am:
BK 08 48

Entscheid
Beschwerdekammer
Vorsitz Vizepräsident
Bochsler
RichterInnen Rehli und Hubert
Aktuarin Duff
Walser
——————
In der strafrechtlichen Beschwerde
der B.B., Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Luzi Bardill,
Postfach 74, Poststrasse 43, 7002 Chur,

gegen

die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Graubünden vom 14. Oktober
2008, mitgeteilt am 15. Oktober 2008, in Sachen F.: aussergewöhnlicher To-
desfall zum Nachteil von A.B.,
betreffend fahrlässige Tötung,

hat sich ergeben:



2


A.
A.B. verbrachte den Abend des 4. Januar 2008 in einem Lokal in
N. und anschliessend im X.-Pub in S., wobei er eine unbestimmte Menge Bier
konsumierte. In der Folge verliess er das X.-Pub und begab sich kurz vor 2.00
Uhr nachts von S. in Richtung seines Hauses an der A.-Strasse in F.. Auf dem
Heimweg legte er bei der Brücke oberhalb der Verbindungsstrasse von der
G.Strasse zur W.-Strasse eine Rast ein. Vermutlich wollte er im Bereiche der
Überführung austreten, zumal er mit offenem Hosengurt aufgefunden worden
ist. Dabei muss er sich an den dort befindlichen seitlichen Holzzaun angelehnt
haben, worauf sich der obere horizontale Querbalken des Holzgeländes abge-
senkt hat und A.B. über die 6.5 Meter hohe Mauer der Unterführung in die Tie-
fe auf die Verbindungsstrasse zur W.-Strasse gestürzt ist. Dabei zog sich A.B.
tödliche Kopfverletzungen zu.
B.
Zur Abklärung dieses Todesfalls eröffnete die Staatsanwaltschaft
Graubünden mit Verfügung vom 28. Januar 2008 ein Strafverfahren. Die Ermitt-
lungen ergaben, dass der Holzzaun des seitlichen Brückengeländers an der
Unfallstelle einen baulichen Mangel respektive einen Defekt aufwies. Die obere
Querlatte, welche offenbar von Innen, also von der dem Gehweg abgewandten
Seite her und zudem lediglich mittels Nägeln an den Holzpfosten befestigt ge-
wesen war, fehlte beziehungsweise war seitlich abgesenkt.
C.
Mit Verfügung vom 14. Oktober 2008, mitgeteilt am 15. Oktober
2008, stellte die Staatsanwaltschaft Graubünden die Strafuntersuchung in Sa-
chen F.: Aussergewöhnlicher Todesfall zum Nachteil von A.B. ein.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei im vorliegen-
den Fall davon auszugehen, dass A.B. wegen einer defekten Zaunlatte in die
Tiefe gestürzt sei und infolgedessen tödliche Verletzungen erlitten habe. Dem-
gemäss könne festgehalten werden, dass der Tod von A.B. auf eine mangeln-
de Kontrolle des fraglichen Zauns respektive auf die Nichtvornahme von Unter-
haltsarbeiten und damit auf ein Unterlassen zurückzuführen sei. Damit stelle
sich die Frage nach dem Bestehen einer Garantenstellung des Kantons Grau-
bünden der Gemeinde S.. Vorliegend würden nun aber einerseits Umstän-
de vorliegen, aufgrund derer von einer Garantenstellung des Kantons auszuge-
hen sei, währenddem gleichzeitig andere Umstände gegeben seien, welche für
die Unterhaltspflicht der Gemeinde S. sprächen. Tatsächlich hätten denn auch
beide Körperschaften angenommen, dass die jeweils andere für den Unterhalt
und die Kontrolle des Holzgeländers an der Überführung zuständig sei, womit
sie sich diesbezüglich in einem Sachverhaltsirrtum befunden hätten. Welche



3


der beiden Körperschaften tatsächlich zuständig gewesen wäre, könne dabei
offen bleiben. Der Irrtum betreffend die Garantenpflicht sei nämlich aufgrund
der vorliegenden komplexen Eigentumsund Nutzungsverhältnisse für beide
Körperschaften respektive deren Angestellte nicht vermeidbar gewesen. Unab-
hängig davon, ob hinsichtlich des mangelhaften Zauns der Kanton die
Gemeinde kontrollund unterhaltspflichtig gewesen wäre, sei demnach infolge
des gegenseitig bestehenden nicht vermeidbaren Sachverhaltsirrtums von der
Straflosigkeit des jeweils Verantwortlichen auszugehen.
D.
Gegen diese Verfügung liess B.B., die Witwe von A.B., mit Ein-
gabe vom 27. Oktober 2008 Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Kan-
tonsgerichts von Graubünden erheben mit folgenden Rechtsbegehren:
„1. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Graubünden vom
14. Oktober 2008 sei aufzuheben.
2. Die Sache sei zur Weiterbehandlung sowie insbesondere zur Vor-
nahme eingehenderer Abklärungen an die Staatsanwaltschaft Grau-
bünden zurückzuweisen.

3. Unter Kostenund Entschädigungsfolge gemäss Gesetz.“
Die Staatsanwaltschaft Graubünden verzichtete mit Schreiben vom 4.
November 2008 auf eine Stellungnahme.
Auf die weiteren Ausführungen in der angefochtenen Einstellungsverfü-
gung sowie die Begründung in der Beschwerdeschrift wird, soweit erforderlich.
in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung :
1.
Gemäss Art. 138 StPO kann gegen Verfügungen des Staatsan-
waltes bei der Beschwerdekammer des Kantonsgerichtes wegen Rechtswidrig-
keit Unangemessenheit Beschwerde geführt werden. Zur Beschwerdefüh-
rung ist berechtigt, wer durch den angefochtenen Entscheid berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an seiner Aufhebung Änderung geltend macht;
insbesondere kann sich der Geschädigte gegen Ablehnungsund Einstellungs-
verfügungen beschweren (Art. 139 Abs. 1 StPO). Die Beschwerde ist innert
zwanzig Tagen, seit der Betroffene vom angefochtenen Entscheid Kenntnis er-
halten hat, schriftlich einzureichen (Art. 139 Abs. 2 StPO).



4


Als Geschädigter im Sinne von Art. 139 Abs. 1 StPO wird nur der Direkt-
geschädigte angesehen (Willy Padrutt, Kommentar zur StPO des Kantons
Graubünden, 2. Auflage, Chur 1996, S. 353). Soweit der Direktgeschädigte
aber Opfer von Delikten gegen Leib und Leben im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des
Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5) ist,
gewährt Abs. 2 dieser Bestimmung unter anderem auch dem Ehegatten des
Opfers die Legitimation zur Beschwerde (vgl. auch Willy Padrutt, a.a.O., S.
354). Auf die am 27. Oktober 2008 fristund formgerecht eingereichte Be-
schwerde von B.B. ist demnach einzutreten.
2.
Gemäss Art. 138 StPO kann die Beschwerdekammer angefochte-
ne Einstellungsverfügungen nicht nur auf Rechtswidrigkeit, sondern auch auf
Unangemessenheit überprüfen. Eine Einstellungsverfügung ist nur angemessen
und hält der umschriebenen Kontrolle stand, wenn aufgrund des Untersu-
chungsergebnisses nicht genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen einer straf-
und verfolgbaren Handlung gegeben sind und somit bei gerichtlicher Beurtei-
lung ein Freispruch erwartet werden müsste und wenn keine neuen Beweismit-
tel ersichtlich sind, die das Beweisergebnis massgeblich beeinflussen könnten.
Aufzuheben ist eine Einstellungsverfügung demgegenüber, wenn in objektiver
und subjektiver Hinsicht Anhaltspunkte vorliegen, die einen Schuldspruch als
wahrscheinlich erscheinen lassen, wenn die Möglichkeiten zu einer sinn-
vollen Untersuchungsergänzung nicht ausgeschöpft wurden und damit kein
entscheidungsreifes Beweisergebnis vorliegt (PKG 1997 Nr. 36, E. 5, S. 147;
PKG 1975 Nr. 58, E. 1, S. 160 sowie Willy Padrutt, a.a.O., S. 164 Ziff. 3.3, S.
111 Ziff. 6, S. 347 Ziff. 2.1).
Die Beweisregel „in dubio pro reo“ gilt nur im Gerichtsverfahren, auf Ein-
stellungsverfügungen ist sie nicht anwendbar. Hier muss die Voraussetzung der
nicht genügenden Beweisbarkeit von Tat und Täterschaft gegeben sein. Im
Zweifel ist demnach Anklage zu erheben. Der endgültige Entscheid, ob tatsäch-
lich ein strafbares Verhalten vorliegt, ist den ordentlichen Gerichten vorbehalten
(vgl. zum Ganzen Willy Padrutt, a.a.O., S. 164 f. Ziff. 3.3).
3.
Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird gemäss
Art. 117 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe bestraft.
Fahrlässigkeit ist nach Art. 12 Abs. 3 StGB dann gegeben, wenn der Täter die
Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht
darauf nicht Rücksicht genommen hat; pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit,



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wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und
nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.
Das sorgfaltswidrige Verhalten kann dabei nicht nur in einem Tun, son-
dern auch in einem Unterlassen liegen. In letzterem Fall spricht man von einem
unechten Unterlassungsdelikt. Das fahrlässige unechte Unterlassungsdelikt
setzt wie das vorsätzliche das Vorliegen einer Rechtspflicht zur Vornahme der
unterlassenen Handlung (Garantenstellung) sowie die Möglichkeit, diese Hand-
lung vorzunehmen, voraus. Die Strafbarkeit des unechten Unterlassungsdelikts
findet ihre Rechtfertigung darin, dass derjenige, welcher verpflichtet ist, durch
sein Handeln einen bestimmten Erfolg abzuwenden und dazu auch in der Lage
ist, aber untätig bleibt, grundsätzlich ebenso strafwürdig ist wie derjenige, der
den Erfolg durch sein Tun herbeiführt. Demzufolge hat eine Person dann eine
Garantenstellung inne, wenn sie rechtlich verpflichtet war, gerade den konkret
eingetretenen Erfolg nach Möglichkeit abzuwenden. Mit anderen Worten geht
es um die Nichterfüllung des Gebotes, zur Abwehr von Gefahren in bestimmter
Weise tätig zu werden. Die Entstehungsgründe der Garantenpflicht sind beim
fahrlässigen Unterlassungsdelikt dieselben wie beim vorsätzlichen. Die Garan-
tenstellung ergibt sich aus Gesetz, Vertrag, freiwillig begründeter Gefahrenge-
meinschaft und vorausgegangenem gefährdendem Tun (sog. Ingerenz). Dabei
lassen sich zwei Grundformen von Garantenstellungen unterscheiden: Eine
Garantenpflicht hat entweder derjenige, der zum Schutz eines bestimmten
Rechtsgutes vor unbestimmt vielen Gefahren rechtlich besonders verpflichtet
ist, derjenige, der rechtlich besonders verpflichtet ist, eine bestimmte Ge-
fahrenquelle zu überwachen und zu verhindern, dass unbestimmt viele Rechts-
güter durch die Realisierung der Gefahr verletzt werden. Man spricht im ersten
Fall von der Obhutsoder Schutzgarantenpflicht, im zweiten von der Überwa-
chungsoder Sicherungsgarantenpflicht. Zwischen der Unterlassung und dem
Erfolg hat ferner ein Kausalzusammenhang zu bestehen. Dieser ist dann ge-
geben, wenn bei Vornahme der gebotenen Handlung der Erfolg mit einem ho-
hen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (vgl. zum Ganzen Ste-
fan Trechsel/Marc Jean-Richard-dit-Bressel, in: Schweizerisches Strafgesetz-
buch, Kurzkommentar, Zürich/St. Gallen 2008, N 1 ff. und N 18 zu Art 11 StGB;
Kurt Seelmann, in: Basler Kommentar zum Strafrecht I, Art. 1-110 StGB, 2.
Aufl., Basel 2007, N 31 ff. und N 76 zu Art. 11 StGB; Stefan Trechsel/Peter Noll,
Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Zürich 1998, § 34, S.
234, 242 ff. und 249 f. mit Hinweisen, § 36, S. 257; Stefan Trechsel, Kurzkom-
mentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Zürich 1997, N 26 ff. zu Art. 1 StGB; Jörg



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Rehberg/Andreas Donatsch, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 7. Aufl., Zürich
2001, § 28, S. 245 ff., § 30 S. 254 ff. und § 33 S. 309 ff.; Günter Stratenwerth,
Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Die Straftat, 3. Aufl., Bern 2005,
§ 17 N 1 ff. und § 14 N 11 ff. sowie BGE 96 IV 174; BGE 113 IV 72; BGE 115 IV
91; BGE 118 IV 313).
4.
Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass A.B. zufolge einer
mangelhaft angebrachten Zaunlatte - diese war von aussen statt von innen her
montiert und nur mit Nägeln statt Schrauben an den Holzpfosten befestigt in
die Tiefe gestürzt ist. Demgemäss hat die Staatsanwaltschaft weiter festgehal-
ten, dass der Tod von A.B. auf eine mangelnde Kontrolle des fraglichen Holz-
zauns respektive auf die Nichtvornahme der notwendigen Unterhaltsarbeiten
und damit auf ein Unterlassen zurückzuführen sei. Davon ausgehend, hat sie in
der Folge was durchaus zweckmässig erscheint (vgl. Stefan Trechsel/Marc
Jean-Richard-dit-Bressel, a.a.O., N 5 zu Art. 11 StGB) zunächst das Bestehen
einer Garantenstellung von Kanton Gemeinde geprüft. Dabei ist sie zum
Ergebnis gelangt, dass vorliegend komplexe Eigentumsund Nutzungsverhält-
nisse vorliegen würden, aufgrund derer sich beide Körperschaften hinsichtlich
der Kontrollund Unterhaltspflicht in einem nicht vermeidbaren Sachverhaltsirr-
tum befunden hätten, womit ein tatbestandsmässiges Verhalten auszuschlies-
sen sei. Weil zudem keine weiteren Beweismittel ersichtlich seien, welche an
diesem Beweisergebnis etwas zu ändern vermöchten, sei das vorliegende
Strafverfahren somit einzustellen.
Entgegen den Erwägungen in der angefochtenen Einstellungsverfügung
liegen jedoch wie im Folgenden zu zeigen sein wird im konkreten Fall weder
komplexe Umstände vor, welche auf einen gegenseitigen nicht vermeidbaren
Sachverhaltsirrtum schliessen lassen, noch hat die Vorinstanz die Möglichkei-
ten zu einer sinnvollen Untersuchungsergänzung ausgeschöpft.
5.
a) An der alten W.-Strasse zwischen S. und F. wurde in den 70er
Jahren in Zusammenhang mit dem Bau der W.-Strasse die Unterführung An-
schluss Q. erstellt (vgl. act. 4.2 Ziff. 1; act. 4.9, beiliegendes Foto aus dem Jah-
re 2000). Bei der alten W.-Strasse zwischen S. und F. handelt es sich um eine
kantonale Verbindungsstrasse und damit um eine Kantonsstrasse im Sinne von
Art. 5 des Strassengesetzes des Kantons Graubünden (StrG [BR 807.100]).
Kantonsstrassen stehen im Eigentum und unter Hoheit des Kantons. Der an der
Unfallstelle auf der Flügelmauer der dortigen Strassenunterführung befindliche
Holzzaun (vgl. act. 3.2, S. 1 Foto Nr. 2, S. 2 Foto Nr. 4) liegt mithin auf Boden



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des Kantons Graubünden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der
fragliche Absperrzaun „am Ende“ eines im Jahre 2000/2001 erstellten Trottoirs
(vgl. act. 3.12; act. 4.4) liegt, welches parallel zur Kantonsstrasse verläuft und
direkt an den Brückenkopf der Unterführung anstösst, und zwar nicht seitlich,
sondern frontal in seiner ganzen Breite (vgl. act. 3.2, S. 3, Foto Nr. 5.a und Nr.
5.b). Dieses Trottoir findet sodann auf der anderen Seite der Brückenüberfüh-
rung seine Fortsetzung (vgl. act. 3.2, S. 3, Foto Nr. 5.b). Der besagte Holzlat-
tenzaun ist folglich als Teil der entlang der Kantonsstrasse erstellten Gehweg-
anlage zu qualifizieren. Vorliegend stehen sich also eine Kantonsstrasse als
Verkehrsträger für den Fahrzeugverkehr und ein Trottoir als solcher für den
Langsamverkehr (Fussgänger) gegenüber. Die Anwendung des Gemeindege-
setzes ist somit im Unterschied zu dem von der Vorinstanz zitierten Entscheid
BK 00 38 (Entscheid der Beschwerdekammer des Kantonsgerichts von Grau-
bünden vom 13. September 2000 in Sachen O.A.B.), wo der Kantonsstrasse
eine Gemeindestrasse gegenüberstand und beide Verkehrsträger dem Fahr-
zeugverkehr dienten, im hier zu beurteilenden Fall von vornherein auszu-
schliessen. Entsprechend geht die Vorinstanz denn auch in ihrer weiteren An-
nahme fehl, dass die Eigentumsverhältnisse an der alten W.-Strasse prima fa-
cie auf eine Unterhaltspflicht des Kantones schliessen lassen. Hinsichtlich der
Verantwortlichkeit für Gehweganlagen weist nämlich die Strassengesetzgebung
in Art. 6 StrG eine klare Regelung auf. So wird in Art. 6 Abs. 4 StrG festgehal-
ten, dass Anlagen des Langsamverkehrs, zu denen auch die dem Fussverkehr
dienenden Gehwege gehören (Art. 6 Abs. 1 StrG), durch die Gemeinden zu
projektieren, zu bauen und zu unterhalten sind. Gemäss Abs. 5 dieser Bestim-
mung haben die Gemeinden zudem dafür zu sorgen, dass diese Anlagen mög-
lichst gefahrlos benützt werden können. Der Unterhalt der Anlagen des Lang-
samverkehrs entlang von Kantonsstrassen, welche ja immer im Eigentum des
Kantons stehen, obliegt also nach klarer Gesetzeslage den Gemeinden und
eben nicht dem Kanton Graubünden. Die Regelung von Art 6 StrG, welche als
Bestimmung des kantonalen öffentlichen Rechts dem Bundeszivilrecht vorgeht,
sieht demnach eine Durchbrechung der Wirkungen des sachenrechtlichen Ak-
zessionsprinzips gemäss Art. 642 ZGB vor. Für den konkreten Fall, bei dem im
Gegensatz zu dem von der Vorinstanz zitierten Entscheid eine Anlage des
Langsamverkehrs zur Diskussion steht, liegt mithin eine Gesetzesbestimmung
vor, welche die Unterhaltspflicht unabhängig vom Eigentum klar regelt. Vorlie-
gend bleibt somit, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, für eine Grundei-
gentümerhaftung des Kantons Graubünden für Mängel an dem auf seinem Bo-
den befindlichen Holzzaun von vornherein kein Platz. Vielmehr ist nach dem



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Gesagten für die Frage nach der Verantwortlichkeit betreffend den Unterhalt der
an der Unfallstelle befindlichen Gehweganlage auf die Strassengesetzgebung
abzustellen.
b)
Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass das Trottoir entlang der W.-
Strasse im Jahre 2000/2001 erstellt und am 30. November 2001 abgenommen
worden ist (vgl. act. 4.4.; act. 3.12), wobei die Gemeinde S. anlässlich dieser
Abnahme der Bauunternehmung M. den Auftrag erteilte, seitlich der Unterfüh-
rung noch einen Holzzaun zu erstellen (vgl. act. 3.12, Ziff. 6 S. 3; act. 3.11, S. 1
f.). Diese Schutzvorrichtung wurde in der Folge denn auch erstellt. Die heute
geltende Totalrevision des Strassengesetzes ist aber erst seit 1. Januar 2006 in
Kraft. Das diesem vorausgehende Strassengesetz (vgl. AS 1981-1985 S. 1440
ff.) wurde am 1. Januar 1986 in Kraft gesetzt. (Die späteren Teilrevisionen 1998
und 2005 haben nicht die hier zur Diskussion stehenden Rechtsnormen zum
Gegenstand). Es stellt sich somit die Frage, welche Fassung des Strassenge-
setzes (1986 2006) vorliegend zur Anwendung gelangt. Diese kann jedoch
offenbleiben, da wie nachfolgend zu zeigen sein wird sowohl nach dem alten
wie auch nach dem neuen Recht nicht nur der Bau und der Unterhalt des Trot-
toirs an sich, sondern auch der für die gefahrlose Benützung des Gehwegs er-
forderlichen Sicherungseinrichtungen der Gemeinde zufallen.
aa)
Gemäss Art. 6 Abs. 1 StrG umfasst der Langsamverkehr unter
anderem insbesondere den Fussverkehr. Beim Trottoir handelt es sich folglich
um einen Verkehrsträger des Langsamverkehrs, wobei nach Art. 6 Abs. 4 StrG
für die Projektierung, den Bau und den Unterhalt dieser Anlagen die Gemein-
den zuständig sind. Nach der geltenden Strassengesetzgebung fällt mithin der
Unterhalt von Gehwegen unabhängig von den Eigentumsverhältnissen in die
Zuständigkeit der Gemeinden. Art. 6 Abs. 5 StrG präzisiert überdies die in Abs.
4 statuierte Unterhaltspflicht dahingehend, als die Gemeinden dafür zu sorgen
haben, dass die Anlagen des Langsamverkehrs möglichst gefahrlos benützt
werden können. Das bedeutet, dass die Gemeinden gemäss Strassengesetz-
gebung auch für den Unterhalt der zum Schutze der Trottoirbenützer vor beste-
henden Gefahren erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zuständig sind.
Bei der Erstellung des Trottoirs durch die Gemeinde S. im Jahre
2000/2001 wurde der ursprünglich beim Brückenkopf weiterlaufende Teil der
entlang der Kantonsstrasse geführten Leitplanke entfernt (vgl. act. 4.9, S. 1 Ziff.
1 sowie beiliegende Fotoblätter). Es bestand somit in diesem Bereich für die
Fussgänger eine erhebliche Absturzgefahr, da das errichtete Trottoir frontal an



9


den Brückenkopf und damit direkt an den Rand der über 6 Meter hohen Flü-
gelmauer der Unterführung stösst (vgl. act. 3.2, Fotos Nr. 3, 4, 5.a und 5.b). Der
erstellte Gehweg konnte folglich ohne entsprechende Absperrung nicht gefahr-
los benützt werden. Nach dem seit 1. Januar 2006 geltenden Strassengesetz
war daher die Gemeinde verpflichtet, zum Schutze der Trottoirbenützer an die-
ser Stelle eine Abschrankung zu errichten was sie mit dem Bau des Holzzau-
nes denn auch getan hat - und die erstellte Schutzvorrichtung so zu unterhal-
ten, dass eine sichere Benützung des Gehwegs gewährleistet bleibt.
bb)
In Übereinstimmung zum geltenden Recht lassen sodann auch die
Vorschriften der früheren Strassengesetzgebung in der Fassung von 1986 auf
eine Garantenstellung der Gemeinde für den zur Diskussion stehenden Holz-
zaun schliessen. Zwar weist das alte Recht eine so explizite Regelung wie Art.
6 StrG, welcher die Gemeinden ausdrücklich dazu verpflichtet, für eine mög-
lichst gefahrlose Benützung der Anlagen zu sorgen, nicht auf. Zudem wird im
alten Gesetzestext teilweise eine andere Terminologie verwendet als in der
Neufassung von 2006. So wird in Art. 55 Abs. 1 aStrG von der Erhaltung der
Fussgängeranlagen gesprochen, währenddem im neuen Recht vom Unterhalt
der Verkehrsträger für den Langsamverkehr die Rede ist. Damit ist jedoch letzt-
lich ein und dasselbe gemeint, nämlich die Pflicht, die notwendigen Vorkehrun-
gen zur Aufrechterhaltung der Substanz und zur Gewährleistung der Sicherheit
der erstellten Gehweganlage zu treffen. Entsprechend bestimmt Art. 55 Abs. 1
aStrG, dass die Erhaltung der Fussgängeranlagen innerund ausserorts den
Gemeinden obliegt, und zwar wie weiter ausdrücklich festgehalten wird auch
dann, wenn sie im Eigentum des Kantons stehen. Liegen die Fussgängeranla-
gen ausserorts vorwiegend im kantonalen Interesse, ist demgegenüber der
Kanton erhaltungspflichtig (Art. 55 Abs. 1 2. Satz aStrG).
Gemäss Regierungsbeschluss vom 12. September 2000 wurde der
Gehweg an der alten W.-Strasse erstellt, damit die Schüler von S. und der Frak-
tion F. den Schulweg entlang der Kantonsstrasse gefahrlos begehen können
und zudem auch der übrigen Gemeindebevölkerung in diesem Bereich ein si-
cherer Fussweg zur Verfügung steht (vgl. act. 4.4, S. 1). Vorliegend ist also of-
fenkundig, dass der Bau der Trottoiranlage entlang der alten W.-Strasse vor-
wiegend, wenn nicht gar ausschliesslich, im Interesse der Gemeinde lag. Nach
der Regelung von Art. 55 Abs. 1 aStrG fällt die Erhaltung des Trottoirs folglich in
die Zuständigkeit der Gemeinde. Darüber hinaus handelt es sich bei der vorlie-
gend zur Diskussion stehenden, von der Regierung genehmigten und mit Kan-
tonsbeiträgen finanzierten Trottoiranlage (vgl. act. 4.4, insb. S. 1 und S. 5)



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auch nach altem Recht um ein Projekt, welches von der Gemeinde zu erstellen
(vgl. Art. 12 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen zum aStrG [AS 1981-1985
S. 1465 ff.]) und für das letztere als Bauherrin somit auch unterhaltsund siche-
rungspflichtig ist.
Gemäss Strassengesetzgebung fallen mithin - unabhängig davon, ob
das geltende alte Recht zur Anwendung gelangt sowohl Bau und Unter-
halt des Trottoirs als auch der für eine gefahrlose Benützung erforderlichen Si-
cherheitsabsperrungen und damit auch des vorliegenden Holzzaunes in den
Verantwortlichkeitsbereich der Gemeinde.
c)
Wohl ist dem Untersuchungsrichter beizupflichten, dass der Kan-
ton Graubünden für seine Kantonsstrassen unterhaltspflichtig ist und damit
auch für die Sicherheit der Strassenbenützer zu sorgen hat. Entsprechend ist er
auch für die entlang der alten W.-Strasse bis zum Brückenwiderlager verlaufen-
de Leitplanke, welche nicht nur dem Schutz der Autofahrer, sondern auch je-
nem der Fussgänger und der übrigen Verkehrsteilnehmer dient, unterhalts-
pflichtig (vgl. act. 4.9, S. 1 Ziff. 1). Soweit die Vorinstanz jedoch aus dem Um-
stand, dass der fragliche Holzzaun seitlich direkt an diese Leitplanke grenzt und
mit dieser und der unter der Hoheit des Kantons stehenden Kantonsstrasse
einen Brückenkopf bildet, auf eine mögliche Garantenstellung des Kantones für
die von der Gemeinde erstellte Holzabschrankung schliesst, kann ihr nicht ge-
folgt werden. Wesentlich ist nämlich, dass das an den Brückenkopf frontal an-
stossende Trottoir auf der anderen Seite der Brücke seine Fortsetzung findet.
Um von der einen auf die andere Seite zu gelangen, muss also die Brücke be-
gangen werden. Auch wenn über diese kein Trottoir führt, ist es somit offen-
sichtlich, dass hierfür die Kantonsstrasse zwischen der Leitplanke und den
Fluchtlinien der beiden Trottoirränder zur Verfügung steht. Diesem Bereich
kommt demnach dieselbe funktionale Bedeutung zu, wie den Trottoirs diesseits
und jenseits der Brücke. Auch wenn der Holzzaun auf der Flügelmauer der Un-
terführung seitlich unmittelbar an die längs der Kantonsstrasse verlaufende,
vom Kanton zu unterhaltende Leitplanke stösst, bildet er somit klar Bestandteil
der von der Gemeinde erstellten Gehweganlage, deren Unterhalt und Siche-
rung gemäss Strassengesetzgebung - unabhängig von den Eigentumsverhält-
nissen - der Gemeinde zufällt.
Daran dürfte auch der Umstand nichts ändern, dass die im Eigentum
des Kantons stehende Leitplanke vor Erstellung des Trottoirs und des Holz-
zauns parallel zur Kantonsstrasse zirka 15 Meter weit über das Brückenwider-



11


lager hinaus verlief (vgl. act. 4.9, S. 1 Ziff. 1 sowie beiliegende Fotoblätter aus
dem Jahre 2000), womit ihr auch in Bezug auf die Benützer der Brücke über die
Kantonsstrasse eine Sicherungsfunktion zukam. Hier bestand nämlich bis zum
Bau des Trottoirs im Jahre 2000/2001 keine Fussgängeranlage; es war einzig
die alte Kantonsstrasse vorhanden. Vor Errichtung des Trottoirs gab es folglich
keine Anlage, für welche das Gesetz eine Unterhaltsund Sicherungspflicht der
Gemeinde statuiert hätte. Entsprechend hatte zum damaligen Zeitpunkt der
Kanton den Unterhalt und die Sicherung des besagten Kantonsstrassenab-
schnittes zu gewährleisten (vgl. auch act. 4.9, S. 1 Ziff. 1). In der Folge wurde
jedoch an dieser Stelle ein Trottoir für den Fussverkehr gebaut. Nach klarer
Gesetzeslage (Art. 6 Abs. 1, 4 und 5 StrG beziehungsweise Art. 55 Abs 1.
aStrG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen zum
aStrG) obliegen aber nicht nur die Projektierung und der Bau solcher Anlagen,
sondern auch deren Unterhalt und die Gewährleistung der gefahrlosen Benut-
zung und damit die Erstellung und der Unterhalt der hiezu notwendigen Schutz-
vorrichtungen der Gemeinde.
Mit Blick auf die Strassengesetzgebung muss demnach auf die Garan-
tenstellung der Gemeinde für den zur Diskussion stehenden Holzzaun ge-
schlossen werden.
d)
Nichts anderes ergibt sich aus dem allgemeinen Gefahrensatz,
wonach derjenige, welcher einen Gefahrenzustand schafft, alles Zumutbare
vorkehren muss, damit diese Gefahr nicht in die Verletzung fremder Rechtsgü-
ter umschlägt (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts vom 2. August 2000
[6S.628/1999], insb. E. 2.a Abs. 2; Urteil des Bundesgerichts vom 6. Juni 2003
[6S.87/2003], E. 4.1 S. 6; BGE 127 IV 62 E. 2.d; BGE 126 IV 13 E. 7.a; BGE
121 IV 10 E. 3; Stefan Trechsel/Marc Jean-Richard-dit-Bressel, a.a.O., N 30 zu
Art. 12 StGB mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Vor dem Bau des Trottoirs im Jahre 2000/2001 war, wie bereits ausge-
führt, einzig die alte Kantonsstrasse vorhanden. Die Brücke war mit einem Ei-
senzaun und einer Leitplanke seitlich gesichert, wobei die Leitplanke nicht beim
Brückenwiderlager aufhörte, sondern über den Brückenkopf hinaus ohne Hand-
lauf etwa 15 Meter weiter geführt und dann in den Boden versenkt wurde (vgl.
act. 4.9 beiliegende Fotoblätter). Damit bestand eine normgerechte Schutzvor-
richtung für die Verkehrsteilnehmer auf der Kantonsstrasse und es war insbe-
sondere auch der Brückenkopf gesichert. Mit dem Bau des Trottoirs, welches
frontal an den Brückenkopf und damit direkt an den Rand der über 6 Meter ho-



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hen Flügelmauer der Unterführung stösst, wurde aber gleichzeitig der Teil der
Leitplanke vom Brückenwiderlager bis zum ersten Kandelaber entfernt und da-
mit im Bereich des Brückenkopfes eine Absturzgefahr für die Fussgänger ge-
schaffen. Die gefährliche Stelle beim Brückenwiderlager „am Ende“ des Trot-
toirs wurde somit erst mit dem Bau der Gehweganlage durch die Gemeinde
geschaffen, womit letztere gemäss der oben wiedergegebenen allgemeinen
Rechtsregel des Gefahrensatzes auch die zur Abwehr der von ihr geschaffenen
Absturzgefahr notwendigen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen treffen
musste.
e)
Aufgrund des vorliegenden Untersuchungsstandes kann demnach
zusammenfassend festgestellt werden, dass im konkreten Fall entgegen der
Auffassung der Staatsanwaltschaft keine komplexen Eigentumsund Nut-
zungsverhältnisse vorliegen. Vielmehr präsentiert sich die Sachlage einfach und
klar: Es geht um die Frage nach der Unterhaltsund Sicherungspflicht für eine
entlang der Kantonsstrasse von der Gemeinde S. erstellte Gehweganlage.
Nicht anders verhält es sich in rechtlicher Hinsicht, zumal hiefür mit Art. 6 StrG
beziehungsweise Art. 55 Abs. 1 aStrG in Verbindung mit Art. 12 der Ausfüh-
rungsbestimmungen zum aStrG eine klare gesetzliche Regelung besteht, wo-
nach die Unterhaltsund Sicherungspflicht für Trottoiranlagen - unabhängig von
den Eigentumsverhältnissen - der Gemeinde obliegt. Gemäss Strassengesetz-
gebung und auch dem allgemeinen Gefahrensatz war und ist demnach die
Gemeinde nicht nur für den von ihr an der Kantonsstrasse erstellten Gehweg,
sondern auch für den Holzzaun, welcher ja zum Schutze vor der als Folge des
Trottoirbaus geschaffenen Absturzgefahr errichtet werden musste, unterhalts-
pflichtig.
Das vorliegende Beweisresultat lässt folglich entgegen den Ausführun-
gen der Vorinstanz darauf schliessen, dass die Garantenstellung respektive die
Unterhaltsund Sorgfaltspflicht für den fraglichen Holzzaun bei der Gemeinde
liegen dürfte.
f)
Die oben zitierten, klaren gesetzlichen Bestimmungen der
Strassengesetzgebung hätte die Gemeinde S. kennen müssen. Entsprechend
hätte sie auch auf ihre Unterhaltspflicht für den Schutzzaun schliessen können
und müssen. Mit Schreiben vom 9. Mai 2000 unterbreitete sie dem Tiefbauamt
des Kantons Graubünden das Projekt zum Bau einer neuen Gehweganlage und
Bushaltestelle entlang der alten W.-Strasse auf dem Abschnitt S. - F. (vgl. act.
4.4, S. 1). Die Gemeinde war sich also offenbar schon zum damaligen Zeitpunkt



13


darüber im Klaren, dass solche Anlagen, welche an die Kantonsstrasse an-
schliessen, von ihr zu projektieren und zu bauen sind. Es musste ihr somit
auch bewusst sein, dass sie ebenso für den Unterhalt und damit auch für die
gefahrlose Benützung dieser Anlage verantwortlich sein würde. Dies um so
mehr, als sie denn auch mehrfach schriftlich auf ihre Unterhaltspflicht bezüglich
der erstellten Trottoiranlage hingewiesen wurde. So wurde der Gemeinde mit
Regierungsbeschluss vom 12. September 2000 unmissverständlich kundgetan,
dass der Kanton zwar Eigentümer des für den Bau des Gehwegs beanspruch-
ten Bodens bleibe, die Erhaltung des Trottoirs und der Bushaltestelle aber so-
wohl baulich wie betrieblich der Gemeinde obliege (vgl. act. 4.4, Ziff. 14, S. 5).
Entsprechend wurde die Gemeinde auch im Bauabnahmeprotokoll vom 30. No-
vember 2001 (act. 3.12) nochmals ausdrücklich auf ihre Unterhaltspflicht bezüg-
lich der erstellten Gehweganlage hingewiesen. Anlässlich dieser Bauabnahme
waren für die Gemeinde S. der damalige Gemeindepräsident sowie der damali-
ge Baufachchef und heutige Gemeindepräsident anwesend. Diese beiden Ge-
meindevertreter wurden im Abnahmeprotokoll als „Bauherrschaft“ bezeichnet,
wobei die Bauleitung unter Ziff. 1 explizit darauf aufmerksam machte, dass die
neu erstellten Anlageteile ins Eigentum und somit auch „zum Unterhalt an die
Bauherrschaft“ übergehen würden. Schliesslich wurde im Rahmen der Bauab-
nahme von den Gemeindevertretern bemängelt, dass seitlich der Unterführung
ein Schutzzaun fehle. Dieser wurde in der Folge im Auftrag der Gemeinde von
der Baufirma M. errichtet (vgl. act. 3.11, S. 1 f.; act. 3.12, Ziff. 6 S. 3; act. 4.7,
Ziff. 3./4.). Die Gemeinde hätte mithin auch aufgrund der Tatsache, dass sie als
Bauherrin nicht nur das Trottoir, sondern auch den Schutzzaun hat erstellen
lassen, erkennen können und müssen, dass auch der Unterhalt des errichteten
Zaunes in ihre Zuständigkeit fallen dürfte.
Nach dem Gesagten wird mithin deutlich, dass sich aufgrund des aktuel-
len Untersuchungsstandes keinerlei plausiblen Gründe für die Annahme erge-
ben, wonach der Kanton und nicht die Gemeinde S. in der Unterhaltspflicht für
den Holzzaun steht. Der angebliche Irrtum bezüglich der Garantenstellung für
den Schutzzaun dürfte somit unter Anwendung pflichtgemässer Sorgfalt entge-
gen der Auffassung der Vorinstanz ohne weiteres zu vermeiden gewesen sein.
g)
Der Vollständigkeit halber bleibt anzufügen, dass die Staatsan-
waltschaft in ihrer Argumentation vom Vorliegen einer Unterlassung hinsichtlich
der Kontrollund Unterhaltspflicht ausgegangen ist und demzufolge die Garan-
tenstellung als objektives Tatbestandselement des unechten Unterlassungsde-
likts geprüft hat. Vorliegend dürfte sich allerdings auch die Frage stellen, ob der



14


tatbestandsmässige Erfolg nicht auf eine Handlung zurückzuführen ist. Wird
eine gefährliche Unternehmung ohne genügende Sicherungsmassnahmen
durchgeführt, so liegt in der Regel ein Begehungsdelikt vor. Massgebender An-
knüpfungspunkt bildet insoweit nicht die im Unterbleiben von Sicherungsmass-
nahmen liegende Unterlassung, sondern die in der Durchführung der Unter-
nehmung bestehende Handlung, (vgl. dazu Stefan Trechsel/Marc Jean-
Richard-dit-Bressel, a.a.O., N 5 f. zu Art. 11 StGB; Urteil des Bundesgerichts
vom 6. Juni 2003 [6S.87/2003], E. 3.1, S. 4 f. mit Hinweisen).
Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurde festgestellt, dass der
obere Querbalken des von der Gemeinde als Bauherrin errichteten Absperr-
zaunes von aussen statt von innen her angebracht und nur mit Nägeln statt
Schrauben an den Holzpfosten befestigt war, was in Übereinstimmung mit den
Ausführungen der Staatsanwaltschaft auf eine unsachgemässe Montage
schliessen lässt. Das massgebende tatbestandsmässige Verhalten bestünde
demnach allenfalls in der Bereitstellung eines mit einem fehlerhaft montierten
Zaun und damit ungenügend gesicherten Trottoirs durch die Gemeinde. Dabei
bliebe weiter zu prüfen, ob der vorliegende Unfall zumindest in den wesentli-
chen Zügen hätte vorausgesehen werde können (vgl. Urteil des Bundesgerichts
vom 6. Juni 2003 [6S.87/2003], E. 4.1, S. 6), wobei dies wohl bejaht werden
müsste. Denn die Gefahr eines tödlichen Absturzes im Bereiche der mehr als 6
Meter hohen Flügelmauer der Unterführung war angesichts der fehlerhaften
Montage des oberen Querbalkens klar gegeben. Selbst wenn von einem akti-
ven Handeln auszugehen wäre, würde mithin die entsprechende Sorgfaltspflicht
der Gemeinde obliegen, welche die Trottoiranlage errichtet und damit bereitge-
stellt hat, womit die Einstellung der Strafuntersuchung auch unter diesem Ge-
sichtspunkt betrachtet unhaltbar erscheint. Ob der tatbestandsmässige Erfolg
durch ein aktives Handeln aber durch eine Unterlassung herbeigeführt
worden ist, kann daher letztlich offen gelassen werden (vgl. dazu Guido Jenny,
in: Basler Kommentar zum Strafrecht I, Art. 1-110 StGB, 2. Aufl., Basel 2007, N
65 zu Art. 12 StGB).
h)
Somit wird deutlich, dass aufgrund des vorliegenden Untersu-
chungsergebnisses die Garantenstellung für den Holzzaun an der Unglücksstel-
le respektive die Verantwortlichkeit für die Sicherung der Trottoiranlage entge-
gen den Ausführungen der Vorinstanz bei der Gemeinde liegen dürfte und zu-
dem diesbezüglich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines nicht vermeid-
baren Irrtums bestehen. Die von der Staatsanwaltschaft verfügte Einstellung



15


der Strafverfahrens in Sachen F.: aussergewöhnlicher Todesfall zum Nachteil
von A.B. erscheint mithin schon aus diesen Gründen nicht gerechtfertigt.
6.
Wie bereits eingangs erwähnt, hält die Begründung der Einstel-
lungsverfügung einer eingehenden Prüfung aber auch deshalb nicht stand, weil
die Vorinstanz die Möglichkeiten zu einer sinnvollen Untersuchungsergänzung
nicht ausgeschöpft hat und die Einstellungsverfügung demnach auf einem nicht
entscheidungsreifen Beweisergebnis beruht.
a)
Es ist Sache der Untersuchungsbehörden abzuklären, welche
Personen eine Sorgfaltspflichtverletzung trifft. Wie oben ausgeführt, dürfte auf-
grund der momentan bekannten Fakten und der klaren Regelung in der
Strassengesetzgebung die Gemeinde für den Holzzaun an der Unfallstelle kon-
trollund unterhaltspflichtig sein. Nicht gänzlich ausgeschlossen werden können
aber auch die Verantwortlichen des Kantons, wobei hier die Frage im Raum
steht, ob der Kanton im Zusammenhang mit dem Bau des Trottoirs, sei es etwa
mit der Genehmigung des diesbezüglichen Gesuchs anlässlich der Bau-
abnahme vom 30. November 2001 gegenüber der Gemeinde allenfalls zum
Ausdruck brachte, er übernehme abweichend von der gesetzlichen Regelung -
anstelle der Gemeinde den Unterhalt des Zaunes. Ob eine derartige Zusiche-
rung abgegeben wurde, wird aus den Akten nicht ersichtlich. Zur Klärung dieser
offenen Frage hätte es mithin nebst einer Befragung der damaligen Gemeinde-
vertreter insbesondere auch einer Befragung der damals vom Tiefbauamt invol-
vierten Personen bedurft. Der Untersuchungsrichter hat jedoch zur Frage der
Garantenstellung bloss eine einzige Person, nämlich den damalige Baufachchef
und heutigen Gemeindepräsidenten Y. einvernommen (vgl. act. 3.11). Darüber
hinaus fanden lediglich Briefwechsel mit dem juristischen Mitarbeiter des Tief-
bauamtes Graubünden sowie dem Gemeindevorstand von S. statt (vgl. act. 4.1;
4.2; 4.6; 4.7; 4.9; 4.10). Dies obschon an der Bauabnahme vom 30. November
2001, anlässlich derer der Unterhalt der neu erstellten Gehweganlage themati-
siert und diskutiert worden ist (vgl. act. 3.12 sowie weiter oben E. 5 f.), weitere
Personen anwesend waren und deren Einvernahme somit näheren Aufschluss
über die Frage nach der unterhaltspflichtigen Körperschaft hätte geben können.
Immerhin dürfte klar sein, dass eine allfällige Unterhaltspflicht des Kantones
nicht mit der Begründung auszuschliessen ist, dass der Holzzaun von der Ge-
meinde nie zur Abnahme angemeldet worden sei. Vielmehr ist davon auszuge-
hen, dass der Kanton eine solche Abnahme nach einer gewissen Zeit selber
hätte erwirken müssen. Dabei darf wohl auch angenommen werden, dass für
die Verantwortlichen des Kantones bei ordnungsgemässer Abnahme der Anla-



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ge erkennbar gewesen wäre, dass der errichtete Holzzaun mit der auf der „fal-
schen“ Seite angebrachten und nur mit Nägeln statt Schrauben befestigten obe-
ren Querlatte (vgl. act. 4.2 Ziff. 3; act. 3.1, S. 3; act. 3.2, Fotos S. 4) die beab-
sichtigte Schutzfunktion kaum zu erfüllen vermochte. Die Vorinstanz hätte dem-
nach in Zusammenhang mit der Prüfung einer möglichen Verantwortlichkeit des
Kantons auch der Frage nachgehen müssen, weshalb die gemäss Regierungs-
beschluss vom 12. September 2000 vorgesehene Bauabnahme (vgl. act. 4.4,
Ziff. 4.6) nicht stattgefunden hat (vgl. act. 4.9, S. 2 zu Ziff. 3 und 4).
Angesichts der dargelegten fragwürdigen Montage der oberen Querlatte
hätten sodann auch die Verantwortlichen der Baufirma M. befragt werden müs-
sen, welche den Zaun erstellt hat. Dabei wäre insbesondere zu klären gewe-
sen, weshalb der Zaun gerade so und nicht anders errichtet worden ist und ob
es diesbezüglich von irgendeiner Seite irgendwelche Weisungen gegeben hat.
Entsprechend hätte mittels Befragung der verantwortlichen und involvierten
Personen beider Körperschaften auch abgeklärt werden müssen, ob schon
einmal Unterhaltsarbeiten am Schutzzaun ausgeführt worden sind und gegebe-
nenfalls von wem. Auch diesbezüglich hat sich die Staatsanwaltschaft Grau-
bünden jedoch mit der Befragung von Y. (act. 3.11) und den schriftlichen Aus-
künften des juristischen Mitarbeiters des Tiefbauamtes Graubünden (act. 4.2;
4.9 und 4.10) sowie des Gemeindevorstandes (act. 4.7) zufriedengegeben und
keine weiteren Einvernahmen durchgeführt.
b)
Nach dem Gesagten erweist sich die durchgeführte Untersuchung
daher in Bezug auf mehrere Punkte als unvollständig. Dabei bleibt davon aus-
zugehen, dass das Ergebnis nach Durchführung der dargelegten Beweisergän-
zungen entweder auf die Unterhaltspflicht des Kantons Graubünden aufgrund
besonderer Zusage aber der Gemeinde S. aufgrund der Strassengesetz-
gebung und des allgemeinen Gefahrensatzes hinaus läuft, wobei in beiden Fäl-
len ein unvermeidbarer Sachverhaltsirrtum aufgrund der vorliegend klaren Um-
stände nicht zur Diskussion stehen dürfte. Sollte aber die Vermeidbarkeit des
Sachverhaltsirrtums bejaht werden, so ist eine Einstellung des Strafverfahrens
nicht zulässig, zumal diesfalls der Richter über die Strafe zu befinden hat (Art.
13 Abs. 2 StGB). Dabei bleibt wie bereits eingangs erwähnt (vgl. oben E.2, S.
4) - nochmals festzuhalten, dass im Untersuchungsverfahren der Grundsatz „in
dubio pro reo„ nicht gilt und die Staatsanwaltschaft daher im Zweifelsfalle An-
klage zu erheben hat.



17


Die Einstellung des Strafverfahrens erscheint folglich auch mit Blick auf
die weiteren nötigen Beweisergänzungen und deren erwartungsgemässe Aus-
wirkungen auf das aktuelle Beweisergebnis nicht als gerechtfertigt.
7.
Im Ergebnis wird somit deutlich, dass eine Einstellung der Strafun-
tersuchung mit der von der Staatsanwaltschaft Graubünden angeführten Be-
gründung nicht haltbar ist und die angefochtene Einstellungsverfügung auf ei-
nem nicht entscheidungsreifen Beweisergebnis beruht, zumal noch weitere Er-
hebungen möglich und nötig gewesen wären, welche das Beweisresultat mass-
geblich beeinflussen könnten. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, die an-
gefochtene Einstellungsverfügung aufzuheben und die Sache zur Neubeurtei-
lung an die Staatsanwaltschaft Graubünden zurückzuweisen. Diese wird sich
alsdann im Sinne der Erwägungen erneut mit der Angelegenheit zu befassen
haben und im Rahmen der Untersuchungsergänzung die oben dargelegten
notwendigen weiteren Abklärungen vornehmen müssen.
8.
Bei diesem Ausgang gehen die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens zu Lasten des Kantons Graubünden (Art. 160 Abs. 1 StPO), welcher zu-
dem die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 160 Abs. 4 StPO ausseramtlich
angemessen zu entschädigen hat.



18


Demnach erkennt die Beschwerdekammer :
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die angefochtene Einstellungsverfü-
gung aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die
Staatsanwaltschaft Graubünden zur Beweisergänzung und neuen Ent-
scheidung zurückgewiesen.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1’500.-gehen zu Lasten
des Kantons Graubünden, der zudem die Beschwerdeführerin ausser-
amtlich mit Fr. 2'200.00 inklusive Mehrwertsteuer zu entschädigen hat.
3.
Gegen diese Entscheidung kann gemäss Art. 78 des Bundesgerichtsge-
setzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen an das Schweizerische Bun-
desgericht geführt werden. Diese ist dem Bundesgericht schriftlich, innert
30 Tagen seit Eröffnung der vollständigen Ausfertigung der Entscheidung
in der gemäss Art. 42 f. BGG vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für
die Zulässigkeit, die Beschwerdelegitimation, die weiteren Vorausset-
zungen und das Verfahren der Beschwerde gelten die Art. 29 ff., 78 ff.
und 90 ff. BGG.
4. Mitteilung
an:

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