ZK 2015 415 - Art. 518 ZGB, Willensvollstrecker, Gleichbehandlung, Verfügungsbefugnis
ZK 15 415, publiziert März 2016
Entscheid der 1. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern
vom 10. Dezember 2015
Oberrichter Studiger (Referent), Oberrichterin Pfister Hadorn und Oberrichter Josi
Gerichtsschreiberin Künzi
Verfahrensbeteiligte
A.,
vertreten durch Rechtsanwalt X.
Beschwerdeführer
gegen
B.,
vertreten durch Rechtsanwalt Y.
Beschwerdegegnerin
A.__,
Vorinstanz
Gegenstand
Erbrecht
Regeste:
• Art. 518 ZGB
• Der Willensvollstrecker ist zur Gleichbehandlung aller Erben und zur Einhaltung der Neutralität bei Interessengegensätzen verpflichtet.
• dem Willensvollstecker steht die Verwaltungsbefugnis über die Erbschaft von Amtes wegen zu, wobei sich die Verwaltungstätigkeit in der Regel auf erbschaftserhaltende Massnahmen beschränkt.
Redaktionelle Vorbemerkungen:
A. und B. sind die Kinder und einzigen Erben von C., verstorben im Jahr 2008, und D., verstorben im Jahr 2013. Als Willensvollstrecker wurde von beiden Erblassern der Treuhänder W. eingesetzt. Zu den Nachlassaktiven gehören insbesondere drei Liegenschaften mit einem Gesamtwert von ungefähr 2.5 Millionen. Tochter B. wurde testamentarisch auf den Pflichtteil gesetzt und die verfügbare Quote des Nachlasses dem Sohn A. zugewiesen. Weiter wurde A. im Sinne einer Teilungsvorschrift die vormals von den Eltern bewohnte Liegenschaft zu Alleineigentum zugewiesen und ihm das Vorrecht zugestanden, im Zuge der Teilung des Nachlasses Teile die Gesamtheit des übrigen Grundeigentums zu übernehmen. A. bewohnt mit seiner Familie seit vielen Jahren eine Attikawohnung in einer der drei elterlichen Liegenschaften. Dafür bezahlte er bis ins Jahr 2006 einen monatlichen Mietzins von CHF 900.00, danach verzichteten die Eltern gänzlich auf die Einforderung eines Mietzinses. Im Jahr 1996 übernahm A. die Verwaltung der Liegenschaften, wofür er von seinen Eltern einen monatlichen Betrag von CHF 4‘500.00 erhielt. Nach dem Tod der Eltern wurden die bisher gelebten Verhältnisse vom Willensvollstrecker unverändert weitergeführt.
B. erachtet ein Honorar von etwa CHF 12‘000.00 jährlich für die Liegenschaftsverwaltung als angemessen. Sie forderte A. auf, seine Lohnbezüge von monatlich CHF 4‘500.00 einzustellen sowie den von ihm praktizierten Bargeldverkehr zugunsten von nachprüfbaren Überweisungen aufzugeben. A. hielt an seiner Zahlungspraxis und dem Lohnanspruch fest, worauf B. den eingesetzten Willensvollstrecker aufforderte, eine professionelle Liegenschaftsverwaltung zu marktüblichen Preisen zu installieren. Der Willensvollstrecker bezeichnete das Honorar von A. als angemessen und versicherte B., die Erbschaftsverwaltung sei sichergestellt.
Dem Antrag von B. entsprechend, erteilte die Vorinstanz dem Willensvollstrecker die Weisung, das bestehende Vertragsverhältnis mit A. auf den nächstmöglichen Kündigungstermin aufzulösen, die Verwaltung der Liegenschaft einem unabhängigen, professionellen Immobilientreuhänder anzuvertrauen und diesen insbesondere zu beauftragen, von A. für die von ihm bewohnten Räumlichkeiten einen marktgerechten Mietzins zu verlangen.
Auszug aus den Erwägungen:
(...)
II.
1. Anfechtungsobjekt bildet der Entscheid des Regierungsstatthalteramtes Biel/Bienne vom 13. Juli 2015.
2. Gemäss Art. 7 des Gesetzes betreffend die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (EG ZGB; BSG 211.1) obliegt dem örtlich zuständigen Regierungsstatthalteramt die Aufsicht über die Willensvollstrecker nach Art. 518 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB; SR 210). Verfügungen und Beschwerdeentscheide des Regierungsstatthalteramtes betreffend die Aufsicht über Willensvollstreckerinnen und Willensvollstrecker können binnen 30 Tagen an das Obergericht weitergezogen werden (Art. 74a EG ZGB). Das Verfahren vor dem Obergericht richtet sich nach dem Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG; BSG 155.21). Auf das Verfahren finden in erster Linie die Vorschriften zum Beschwerdeverfahren vor verwaltungsunabhängigen Justizbehörden Anwendung (Art. 74 bis 84a VRPG). Die Bestimmungen des verwaltungsinternen Beschwerdeverfahrens (Art. 65 bis 73 VRPG) sind sinngemäss anwendbar (vgl. zum Ganzen Kreisschreiben Nr. 3 der Zivilabteilung des Obergerichts des Kantons Bern vom 21. August 2014).
3. Die 1. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern ist zur Beurteilung der vorliegenden Streitsache in jeder Hinsicht zuständig.
4. Der Beschwerdeführer beteiligte sich am vorinstanzlichen Verfahren und drang mit seinem Antrag auf Abweisung der aufsichtsrechtlichen Beschwerde nicht durch. Er ist durch den vorinstanzlichen Entscheid formell und materiell beschwert und verfügt überdies über ein aktuelles und praktisches Interesse an dessen Aufhebung.
5. Der mit Verfügung des Instruktionsrichters vom 17. August 2015 verlangte Kostenvorschuss von CHF 4‘500.00 wurde fristgerecht bezahlt.
6. Auf die formund fristgerecht eingereichte Beschwerde ist somit einzutreten.
7. Der Sachverhalt ist von Amtes wegen abzuklären (Art. 18 VRPG). Neue Tatsachen und Beweismittel können nach Art. 25 VRPG in das Verfahren eingebracht werden, solange weder verfügt noch entschieden noch mit prozessleitender Verfügung das Beweisverfahren förmlich geschlossen worden ist. Diese Bestimmung gilt instanzübergreifend auf jeder Verfahrensstufe und damit auch im Beschwerdeverfahren vor dem Obergericht (vgl. Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 17 ff. zu Art. 25 VRPG).
Das vom Beschwerdeführer oberinstanzlich als neues Beweismittel eingereichte Gutachten vom 8. Juli 2015 (Beilage zur Beschwerde vom 13. August 2015) ist daher im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.
III.
( )
3.5 Der Willensvollstrecker ist zur Gleichbehandlung aller Erben und zur Einhaltung der Neutralität bei Interessengegensätzen verpflichtet (vgl. Karrer/Vogt/Leu, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 5. Auflage, Basel 2015 [nachfolgend zitiert: BSK ZGB II - Autor], N 16 zu Art. 518 ZGB). Ihm steht die Vertretung der Erbengemeinschaft und die Verwaltungsbefugnis über die Erbschaft von Amtes wegen zu (vgl. BSK ZGB II - Schaufelberger/Lüscher, N 23 zu Art. 602 ZGB). Zur laufenden Vermögensverwaltung gehört die Einziehung fälliger Guthaben und die Wahrnehmung der Rechte des Nachlasses. Bei der Liegenschaftsverwaltung kommt dem Willensvollstrecker die Stellung des Vermieters zu und zwar auch gegenüber Erben (BSK ZGB II - Karrer/Vogt/Leu, N 29 und 30 zu Art. 518 ZGB). Auf die zutreffenden rechtlichen Erwägungen der Vorinstanz zu den Rechten und Pflichten des Willensvollstreckers kann verwiesen werden (E. 2.15 des angefochtenen Entscheids, pag. 94 f.). Zwar trifft es zu, dass die Verwaltungstätigkeit nicht die Hauptaufgabe des Willensvollstreckers bildet, sondern nur eine zeitlich beschränkte Nebenaufgabe, die sich inhaltlich in der Regel auf erbschaftserhaltende Massnahmen beschränkt (vgl. BSK ZGB II - Karrer/Vogt/Leu, N 27 zu Art. 518 ZGB; Künzle, in: Berner Kommentar, Art. 517-518 ZGB, Bern 2011, N 2 der Vorbemerkungen zu Art. 517-518 ZGB). Der vom Beschwerdeführer zitierte Entscheid des Bundesgerichts, wonach einmal vom Erblasser geschaffene Verhältnisse durch den Erbschaftsverwalter nicht ohne Not modifiziert werden dürften (BGer 5A_717/2009 vom 2. Februar 2010, E. 4), lässt sich jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Gegenstand des Entscheids war die Ausweisung einer Adoptivtochter aus einer zum Nachlass gehörenden Wohnung, wobei der Erbschaftsverwalter im vorinstanzlichen Verfahren keine Gefährdung des Nachlasses durch Entwertung Verlust behauptet hatte. Unter diesen Umständen erachtete das Bundesgericht den Entscheid des Obergerichts, die Ausweisung aufzuheben, als vertretbar und nicht willkürlich. Vorliegend macht die Beschwerdegegnerin jedoch ausdrücklich eine Gefährdung des Nachlasses geltend. Es geht darum, das Erbschaftssubstrat zu erhalten, indem überhöhte Lohnbezüge sowie fehlende Mietzinseinnahmen zu Lasten des Nachlasses vermieden werden. Der Willensvollstrecker hat dazu Kraft seiner Kompetenzen die nötigen Vorkehren zu treffen.
3.6 Die von der Vorinstanz verfügten Weisungen an den Willensvollstrecker sind daher zu bestätigen. Der Schenkungsanteil fiel bereits mit dem Tod der Erblasserin zeitverzugslos dahin (Art. 252 OR). Der Verwaltungsauftrag ist jederzeit kündbar (Art. 404 OR). Die von der Vorinstanz angeordnete Kündigung des bestehenden Vertragsverhältnisses auf den nächstmöglichen Kündigungstermin ist damit rechtlich zulässig. Dem Willensvollstrecker kommt in seiner Stellung als Vermieter auch das Recht zu, einen unabhängigen Liegenschaftsverwalter mit der Einforderung eines marktgerechten Mietzinses vom Beschwerdeführer zu beauftragen. Damit ist nicht gesagt, dass der Beschwerdeführer aus seiner Wohnung ausziehen muss, nur hat er keinen Anspruch mehr auf eine Bevorteilung zu Lasten der Beschwerdegegnerin.
(...)
Hinweis:
Der Entscheid ist rechtskräftig