ZK 2014 476 - Novenschranke im summarischen Verfahren
ZK 14 476, publiziert Juni 2015
Entscheid der 2. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern
vom 04. Dezember 2014
Besetzung
Oberrichter Trenkel (Referent), Oberrichterin Apolloni Meier und Oberrichter Messer
Gerichtsschreiberin Mosimann
Verfahrensbeteiligte
A
Gesuchsgegnerin/Beschwerdeführerin
gegen
B + C
Gesuchsteller/Beschwerdegegner
Gegenstand
Definitive Rechtsöffnung
Beschwerde gegen den Entscheid des Regionalgerichts Emmental-Oberaargau vom 04. September 2014 (CIV 14 525)
Regeste:
• Art. 80 SchKG; Art. 219 ZPO; Art. 229 ZPO; Art. 56 ZPO
• Im summarischen Verfahren tritt grundsätzlich mit den ersten Vorträgen die Novenschranke ein. Eine Ausnahme mag dort gerechtfertigt sein, wo wie beim Rechtsschutz in klaren Fällen ein Entscheid mit materieller Rechtskraft ergeht, was im Rechtsöffnungsverfahren gerade nicht der Fall ist.
Auszug aus den Erwägungen:
(...)
III.
1. a) Dem vorliegenden Verfahren liegen drei separate Rechtsöffnungsgesuche zu Grunde. Von den Gesuchstellern beantragt wird die definitive Rechtsöffnung für offene Steuerforderungen, Zinsen, Bussen und Gebühren. Als Forderungsgrund wird im Gesuch vom 28. Februar 2014 die „Sonderveranlagung Kanton und Gemeinden 2004 nebst 3.35 % Zins seit 23.10.2013“ angegeben (pag. 1). Im Gesuch vom 4. März 2014 wird als Forderungsgrund die „Direkte Bundessteuer 2004 nebst 3 % Zins seit 23.10.2013“ genannt (pag. 13). Im dritten Gesuch vom 28. Februar 2014 wird als Forderungsgrund „Kantonsund Gemeindesteuern 2004 nebst 3.25 % Zins seit 23.10.2013“ aufgeführt (pag. 23).
Allen drei Gesuchen wurden als Rechtsöffnungstitel eine „Rechnungskopie vom 17.7.2014 mit Rechtskraftbescheinigung“ beigelegt.
b) Erst nach Aufforderung der Gesuchsgegnerin zur Einreichung der Gesuchsantwort und nach Eingang derselben wurden die drei Verfahren vereinigt und die Gesuchsteller wurden durch den Instruktionsrichter mit Verfügung vom 28. Mai 2014 aufgefordert, sämtliche den geltend gemachten Forderungsbeträgen zugrunde liegenden Veranlagungsverfügungen sowie Einspracheentscheide nachzureichen (pag. 33 f.).
Dieser Aufforderung kamen die Gesuchsteller mit Eingabe vom 30. Mai 2014 nach (pag. 36).
c) Der Gesuchsgegnerin wurde sodann mit Verfügung vom 10. Juni 2014 eine Kopie des Schreibens vom 30. Mai 2014 der gesuchstellenden Partei inklusive Beilagen zur Kenntnis zugestellt. Es wurde festgehalten, dass kein weiterer Schriftenwechsel angeordnet werde und allfällige Bemerkungen umgehend einzureichen seien (pag. 37).
2. Im Entscheid vom 4. September 2014 erwog die Vorinstanz, dass vorliegend die als „Rekursentscheid“ bezeichneten Veranlagungsverfügungen vom 17.07.2013 als definitive Rechtsöffnungstitel dienen und räumte ein, dass die Rechnungen den Voraussetzungen eines definitiven Rechtsöffnungstitels nicht zu genügen vermöchten (Ziff. 15.1, pag. 44). Gestützt auf die Rekursentscheide erteilte die Vorinstanz die definitive Rechtsöffnung im beantragten Umfang.
3. Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Beschwerde geltend, dass im summarischen Verfahren die Novenschranke grundsätzlich nach den ersten Vorträgen eintrete. Die richterliche Fragepflicht nach Art. 56 ZPO sei im Rechtsöffnungsverfahren beschränkt. Zwar gelte das Replikrecht auch im Rechtsöffnungsverfahren. Dieses diene aber nicht dazu, den Parteien zu ermöglichen, bereits ursprünglich inhaltlich mangelhafte Eingaben zu verbessern. Sinngemäss macht die Beschwerdeführerin geltend, die erst mit Eingabe vom 30. Mai 2014 eingereichten Veranlagungsverfügungen und Rekursentscheide könnten nicht als Rechtsöffnungstitel herangezogen werden. Die mit dem Rechtsöffnungsgesuch eingereichten Rechnungen würden dagegen keine gültigen Rechtsöffnungstitel darstellen, weshalb die Rechtsöffnungsgesuche abzuweisen seien (pag. 54).
4. Gemäss Art. 80 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG; SR 281.1) kann der Gläubiger beim Richter die Aufhebung des Rechtsvorschlags (definitive Rechtsöffnung) verlangen, wenn die betriebene Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Entscheid beruht. Gerichtlichen Entscheiden gleichgestellt sind Verfügungen schweizerischer Verwaltungsbehörden (vgl. Art. 80 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 2 SchKG; vgl. Daniel Staehelin, in: Staehlin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, 2. Auflage, Basel 2010, N 3 ff. und 101 ff. zu Art. 80 SchKG).
Liegt ein definitiver Rechtsöffnungstitel vor, so kann der Schuldner einzig geltend machen, die Schuld sei seit Erlass des Entscheides getilgt gestundet worden sie sei inzwischen verjährt. Der Schuldner hat diese Einwände mittels Urkunden zu beweisen (vgl. Art. 81 Abs. 1 SchKG; vgl. BSK SchKG I-Staehelin, a.a.O., N 4 zu Art. 81 mit Hinweisen). Im definitiven Rechtsöffnungsverfahren ist die Kognition des Rechtsöffnungsrichters somit auf die Prüfung des Vorliegens eines Rechtsöffnungstitels i.S. von Art. 80 SchKG und von rechtsgültigen Einwendungen gemäss Art. 81 Abs. 1 SchKG (Tilgung, Stundung und Verjährung) beschränkt. Zur Prüfung der inhaltlichen Korrektheit eines Rechtsöffnungstitels ist der Rechtsöffnungsrichter nicht befugt (vgl. BSK SchKG I-Staehelin, N 137 zu Art. 80 SchKG; BGE 135 III 319).
5. Wie die Vorinstanz und auch die Beschwerdeführerin korrekterweise festhalten, stellen die mit den Rechtsöffnungsgesuchen eingereichten Rechnungen gemäss konstanter Praxis keine definitiven Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 SchKG dar. Als definitive Rechtsöffnungstitel gelten dagegen vollstreckbare Veranlagungsverfügungen der Steuerverwaltung bzw. vollstreckbare Rekursentscheide (vgl. Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG; Ziff. 14 des vorinstanzlichen Entscheids, pag. 42).
6. Im Entscheid ZK 12 217 vom 21. September 2012 der 2. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern (publiziert auf der Homepage des Obergerichts http://www.justice.be.ch/justice/de/index/entscheide/entscheide_rechtsprechung/entscheide/zivilabteilung_obergericht.html) wird die Frage geprüft, ob die definitive Rechtsöffnung gestützt auf Rechtsöffnungstitel erteilt werden kann, die erst im zweiten Schriftenwechsel eingereicht werden.
Nach ausführlichen Erwägungen kommt die 2. Zivilkammer im genannten Entscheid zum Schluss, dass die Novenschranke im summarischen Verfahren grundsätzlich nach den ersten Vorträgen eintrete. Im summarischen Verfahren finde regelmässig nur ein einfacher Schriftenwechsel statt und das Gericht könne (anschliessend) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichten. Die unbeschränkte Möglichkeit zum Vorbringen von Noven würde ausserdem der geforderten Schnelligkeit des summarischen Verfahrens im Allgemeinen und des Rechtsöffnungsverfahrens im Speziellen widersprechen. Eine Ausnahme möge dort gerechtfertigt sein, wo wie beim Rechtsschutz in klaren Fällen ein Entscheid mit materieller Rechtskraft ergehe, was im Rechtsöffnungsverfahren gerade nicht der Fall sei.
7. Vorliegend ist kein Grund ersichtlich, weshalb von dieser Rechtsprechung abgewichen werden sollte. Folglich durften die erst nach dem ersten Schriftenwechsel von den Beschwerdegegnern ins Recht gelegten Rechtsöffnungstitel vom Rechtsöffnungsrichter nicht berücksichtigt werden.
Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Gericht gemäss allgemeiner Verfahrensgrundsätze auch im Rechtsöffnungsverfahren bei unklaren, widersprüchlichen, unbestimmten offensichtlich unvollständigen Parteivorbringen den Parteien Gelegenheit zur Klarstellung und Ergänzung gibt (vgl. Art. 56 ZPO). Im Sinne der soeben gemachten Ausführungen müsste dies jedoch vor der Zustellung des Rechtsöffnungsgesuchs an die Gegenpartei und Aufforderung zur Gesuchsantwort geschehen.
Mangels Rechtsöffnungstitel sind die Gesuche um definitive Rechtsöffnung abzuweisen und der vorinstanzliche Entscheid ist aufzuheben.
( )
Hinweis:
Der Entscheid ist rechtskräftig.