ZK 2012 51 - Unterzeichnung einer Rechtsschrift durch eine Rechtspraktikantin
ZK 12 51, publiziert Dezember 2012
Entscheid der 1. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern
vom 19. April 2012
Besetzung
Oberrichter Studiger, Oberrichterin Pfister Hadorn und Oberrichter Kunz sowie Gerichtsschreiberin Gutmann
Verfahrensbeteiligte
H. GmbH,
vertreten durch Rechtsanwalt G.
Beklagte/Beschwerdeführerin
gegen
A.,
Kläger/Beschwerdegegner
Gegenstand
Forderung
Beschwerde gegen den Entscheid der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland vom 20. Dezember 2011
Regeste:
• Art. 68 Abs. 2 ZPO und Art. 8 KAG (BSG 168.11)
• Die Unterzeichnung einer Rechtsschrift durch eine Rechtspraktikantin gilt als gewerbsmässige Vertretung im Sinne von Art. 68 Abs. 2 ZPO. Gemäss Art. 8 des kantonalen Anwaltsgesetzes (KAG) können Anwältinnen und Anwälte die Praktikantinnen und Praktikanten, denen sie die für die Anwaltsprüfung verlangte praktische Ausbildung vermitteln, zur Parteivertretung ermächtigen. Eine Ermächtigung gemäss Art. 8 KAG schliesst indessen aus, Rechtsschriften zu unterzeichnen Rechtsmittel schriftlich einzulegen.
Redaktionelle Vorbemerkungen:
Keine
Auszug aus den Erwägungen:
I.
[...]
II.
1. Gemäss Art. 68 ZPO kann sich jede prozessfähige Person im Prozess vertreten lassen. Zur berufsmässigen Vertretung sind befugt: (a.) in allen Verfahren: Anwältinnen und Anwälte, die nach dem Anwaltsgesetz vom 23. Juni 2001 berechtigt sind, Parteien vor schweizerischen Gerichten zu vertreten; (b.) vor der Schlichtungsbehörde, in vermögensrechtlichen Streitigkeiten des vereinfachten Verfahrens sowie in den Angelegenheiten des summarischen Verfahrens: patentierte Sachwalterinnen und Sachwalter sowie Rechtsagentinnen und Rechtsagenten, soweit das kantonale Recht es vorsieht; (c.) in den Angelegenheiten des summarischen Verfahrens nach Artikel 251 dieses Gesetzes: gewerbsmässige Vertreterinnen und Vertreter nach Artikel 27 SchKG; (d.) vor den Mietund Arbeitsgerichten beruflich qualifizierte Vertreterinnen und Vertreter, soweit das kantonale Recht es vorsieht. Die Vertreterin der Vertreter hat sich durch eine Vollmacht auszuweisen.
Will eine Person den Prozess nicht selber führen, so ist es ihr erlaubt, sich im gerichtlichen Verfahren vertreten zu lassen. In diesem Fall wird die Postulationsfähigkeit auf den Vertreter übertragen. Bei diesem so genannten gewillkürten Vertreter kann es sich grundsätzlich um jede beliebige Person des Vertrauens handeln, sofern diese nicht berufsmässig handelt. Die berufsmässige Vertretung ist den in Abs. 2 Bst. a-d genannten Personengruppen vorbehalten (vgl. E. Staehelin/Schweizer in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Kommentar, N 3 und 5 zu Art. 68 ZPO).
Die Beschwerde wurde in casu von Frau S. i. V. für Rechtsanwalt G. und nicht von Rechtsanwalt G. selbst unterzeichnet. Auf telefonische Anfrage bei der Kanzlei von Rechtsanwalt G. hin wurde erklärt, dass es sich bei Frau S. um die Rechtspraktikantin von Rechtsanwalt G. handelt (vgl. Telefonnotiz vom 16. April 2012). Bei einem Rechtspraktikanten handelt es sich um einen Anwendungsfall einer gewerbsmässigen Vertretung, womit Art. 68 Abs. 1 ZPO ausscheidet.
2. Art. 1 BGFA gewährleistet die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte und legt die Grundsätze für die Ausübung des Anwaltsberufs in der Schweiz fest. Gemäss Art. 2 BGFA gilt dieses Gesetz jedoch nur für Personen, die über ein Anwaltspatent verfügen und in der Schweiz im Rahmen des Anwaltsmonopols Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten. Das Recht der Kantone, im Rahmen dieses Gesetzes die Anforderungen für den Erwerb des Anwaltspatentes festzulegen, bleibt gewahrt. Das Gleiche gilt für das Recht der Kantone, Inhaberinnen und Inhaber ihres kantonalen Anwaltspatentes vor den eigenen Gerichtsbehörden Parteien vertreten zu lassen (Art. 3 BGFA).
Gemäss Art. 8 KAG (BSG 168.11) können Anwältinnen und Anwälte die Praktikantinnen und Praktikanten, denen sie die für die Anwaltsprüfung verlangte praktische Ausbildung vermitteln, zur Parteivertretung ermächtigen. Die Prozesshandlungen der Praktikantinnen und Praktikanten gelten als solche der ermächtigenden Anwältinnen und Anwälte. Die Ermächtigung ist für jede einzelne Verhandlung schriftlich zu erteilen. Sie berechtigt die Praktikantin den Praktikanten, die Partei zu vertreten und an der Verhandlung ein Rechtsmittel zu erklären, schliesst aber aus, Rechtsschriften zu unterzeichnen Rechtsmittel schriftlich einzulegen.
Auf die Rechtspraktikantin ist das BGFA nicht anwendbar, da sie noch über kein Anwaltspatent verfügt. Nach bernischem Recht ist es nicht zulässig, Rechtsschriften durch Praktikanten unterzeichnen zu lassen. Die die Beschwerde unterzeichnende Person verfügt deshalb über keine Postulationsfähigkeit im Sinne von Art. 68 Abs. 2 ZPO. Daraus erhellt, dass die Beschwerde vom 30. Januar 2012 nicht rechtsgültig unterzeichnet wurde. Im Folgenden ist zu prüfen, ob es sich hierbei um einen verbesserlichen Mangel handelt.
3. Gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. f ZPO müssen Rechtsschriften eine Unterschrift enthalten. Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt (Art. 132 Abs. 1 ZPO). Fehlt eine Originalunterschrift, weil die Klageschrift durch Telefax übermittelt worden ist, schliesst die Praxis eine Nachholung innert Nachfrist grundsätzlich aus, weil die Originalunterschrift hier nicht aufgrund eines Versehens fehlt, sondern eine kopierte Unterschrift wissentlich in Kauf genommen wird (BGE 121 II 252 = Pra 1996 Nr. 147). Bis zum Ablauf der Frist kann eine Partei allerdings den Fehler der fehlenden eigenhändigen Unterschrift noch beheben. Hierauf muss das Gericht die Partei aufmerksam machen, wenn die Korrektur noch möglich ist (vgl. Leuenberger in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Kommentar, N 59 zu Art. 221 ZPO).
Im vorliegenden Fall kann ebenfalls keine Rede von einem auf Versehen beruhenden Fehlen der rechtsgültigen Unterschrift sein. Es ist deshalb analog zu einer Eingabe per Fax keine Nachfrist anzusetzen. Da die Beschwerdefrist abgelaufen ist, kann der Fehler nicht mehr behoben werden. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.
4. (...)
III.
[...]
IV.
[...]
Hinweis: Der Entscheid ist rechtskräftig.