ZK 2008 541 - Betriebsübernahme (Art. 333 OR)
APH-08 541, publiziert November 2008
Entscheid der 2. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern,
unter Mitwirkung von Oberrichter Bührer (Referent), Oberrichterin Apolloni Meier und
Oberrichterin Wüthrich-Meyer sowie Kammerschreiberin Schmidt
vom 30. Oktober 2008
in der Streitsache zwischen
A AG,
vertreten durch Fürsprecher Z
Nichtigkeitsklägerin
und
B.
vertreten durch Fürsprecher X
Nichtigkeitsbeklagter
Regeste:
1) Art. 333 OR, Arbeitsverhältnisse gehen bei Betriebsübernahme mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über.
2) In casu liegt eine Betriebsübernahme vor, es liegt eine vertragliche Beziehung zwischen Veräusserer und Erwerber vor und es wurde im Wesentlichen der gleiche Betrieb weitergeführt (Identität; kaum personelle Änderungen, gleiche Räumlichkeiten, keine Schliessung des Betriebes während der Übernahme). Kündigungsfreiheit wird von Art. 333 OR nicht eingeschränkt. In casu liegt eine Auflösungsvereinbarung vor, welche unter Druck unterzeichnet worden war und der daher kein echter Vergleichscharakter zu Grunde liegt (wird nicht durch die Interessen des Arbeitnehmers gerechtfertigt). Es liegt eine Gesetzesumgehung vor, daher ist die Auflösungsvereinbarung unwirksam. Der bisherige Arbeitgeber und der Erwerber haften solidarisch für die Forderungen des Arbeitnehmers, die vor dem Übergang fällig geworden sind.
Redaktionelle Vorbemerkungen:
A gelangte mit Klage an das Arbeitsgericht der Stadt Bern und beantragte, die B AG sei zu verurteilen, ihm einen Betrag von rund Fr. 4'000.00 zu bezahlen. Das Arbeitsgericht hiess die Klage gut. Gegen dieses Urteil erhob die B AG Nichtigkeitsklage und rügte die Verletzung klaren Rechts.
Auszug aus den Erwägungen:
I.
( )
II.
1. ( )
2. ( )
3. ( )
4. Gemäss Art. 47 Ziff. 7 Dekret über die Arbeitsgerichte kann gegen ein Urteil des Arbeitsgerichtes Nichtigkeitsklage eingereicht werden, wenn das Urteil klares Recht verletzt, indem es mit einer bestimmten Gesetzesvorschrift des Ziviloder Prozessrechts in Widerspruch steht sich auf eine offenbar unrichtige Aktenoder Beweiswürdigung gründet. Klares Recht verletzt eine Rechtsanwendung, die schlechterdings unhaltbar ist. Ist sie vertretbar, widersteht sie der Anfechtung, gleichgültig, ob der oberinstanzliche Richter, könnte er (wie bei der Appellation) frei entscheiden, ihr folgen würde nicht. Die Nichtigkeitsklage bezweckt also, handgreifliche „Betriebsunfälle“ bei jenen Urteilen zu beheben, die keiner Appellation unterliegen1. Klares Recht ist eine Norm, welche nicht verschieden ausgelegt werden kann. Sind bei sorgfältiger Prüfung verschiedene Auslegungen nach Wortlaut Sinn möglich, versagt die Anfechtung durch die Nichtigkeitsklage. Die Entscheidung darüber, welchen von beiden der Vorzug gebührt, liesse sich nur bei freier Kognition, wie sie der Appellation eigen ist, erreichen2.
5. Es ist nachfolgend somit zu prüfen, ob das Arbeitsgericht mit der Anwendung von Art. 333 OR klares Recht verletzte. Überträgt der Arbeitgeber den Betrieb einen Betriebsteil auf einen Dritten, so geht das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten mit dem Tage der Betriebsnachfolge auf den Erwerber über, sofern der Arbeitnehmer den Übergang nicht ablehnt (Art. 333 Abs. 1 OR). Mit dem Betriebsübergang geht das Arbeitsverhältnis integral mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über3. Ein Betrieb ist, nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung, „eine auf Dauer ausgerichtete, in sich geschlossene organisatorische Leistungseinheit, die selbständig am wirtschaftlichen Leben teilnimmt“4. Nach dem Bundesgericht ist, in Anlehnung an die Praxis des EuGH, der Begriff des Übergangs weit zu verstehen, es genüge, wenn der neue Inhaber den Betrieb tatsächlich weiterführe, eine rechtliche Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Betreiber sei nicht erforderlich5. Das Bundesgericht liess indessen unbeachtet, dass die massgebende europäische Richtlinie einen anderen Wortlaut hat und von „Übergang“ spricht, während Art. 333 OR ein aktives Mitwirken des bisherigen Betriebsinhabers nahe legt und der auch immer so verstanden wurde. Für das schweizerische Recht ist daher eine vertragliche Beziehung (Kauf, Tausch, Schenkung, Legat, Einbringung in eine Gesellschaft auch rein obligationenrechtliches Geschäft) zwischen Veräusserer und Erwerber des Betriebes, entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, nach wie vor erforderlich6. Von einem Übergang des Betriebes kann nur gesprochen werden, wenn danach im Wesentlichen derselbe Betrieb weitergeführt wird. Der Betrieb muss seine Identität bewahren. Dies ist dann der Fall, wenn der Betriebszweck, die Organisation und der individuelle Charakter im Wesentlichen bewahrt werden. Indizien können sein die personell gleich bleibende Unternehmensleitung und das Verbleiben im alten Geschäftslokal. Es spielt überdies eine Rolle, ob zahlenmässig vom Sachverstand her ein wesentlicher Teil der Belegschaft übernommen wird7.
Im vorliegenden Fall wurde den Mitarbeitern des Restaurants C am 10. November 2007 eröffnet, dass die Nichtigkeitsklägerin den Betrieb übernehme und dass alle Arbeitsplätze erhalten würden. Das Restaurant wurde in den gleichen Räumlichkeiten weitergeführt und in personeller Hinsicht änderte sich nur, dass zwei neue Chefs de Service eingestellt würden. Diese Tatsachen sind von der Nichtigkeitsklägerin nicht bestritten. Ebenfalls unbestritten ist, dass das Restaurant während der Betriebsübernahme keinen Tag geschlossen hatte. Der Lohn und die Funktion des Nichtigkeitsbeklagten blieben ebenfalls unverändert. Der Betrieb wurde somit im Wesentlichen weitergeführt, weshalb die Identität erhalten blieb. Ebenfalls liegt eine vertragliche Übereinkunft zwischen der Nichtigkeitsklägerin als Erwerberin und dem Veräusserer vor. Daher sind die Arbeitsverhältnisse grundsätzlich integral, d.h. mit allen Rechten und Pflichten, auf den Erwerber übergegangen.
Umstritten ist, ob Kündigungen, die im Rahmen einer Betriebsübertragung erfolgen, zulässig sind. Die Kündigungsfreiheit ist in der Schweiz ein vielbeschworener Grundsatz. Die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers wird durch Art. 333 OR nicht eingeschränkt8.
Eine Auflösungsvereinbarung hat für den Arbeitnehmer einschneidende Folgen, beispielsweise lässt sie den Kündigungsschutz entfallen und verkürzt den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass der Arbeitnehmer auf solche Vorteile ohne Gegenleistung verzichtet. Der Aufhebungsvertrag bedarf einer Rechtfertigung durch die Interessen des Arbeitnehmers9. Dass dieser zu einer einvernehmlichen Auflösung Hand bieten will, darf nicht leichthin angenommen werden. Der Arbeitgeber darf vielmehr den Schluss auf einen derartigen Vertragswillen des Arbeitnehmers nach Treu und Glauben nur ziehen, wenn es sich aus dessen Verhalten unmissverständlich und zweifelsfrei ergibt10.
Wie bei jeder zwingenden Norm gelten auch bei Art. 333 OR die Schranken der Gesetzesumgehung: Kündigen Veräusserer und Übernehmer, um der Rechtsfolge von Art. 333 Abs. 1 OR zu entgehen und den Übergang des Arbeitsverhältnisses zu verhindern, so liegt eine Gesetzesumgehung vor. Starkes Indiz für deren Vorliegen wäre, wenn die ganze Belegschaft auf den Tag vor dem Betriebsübergang entlassen wird wenn die Arbeitsplätze der entlassenen Arbeitnehmer mit Neuanstellungen wieder besetzt werden gar dieselben Arbeitnehmer kurze Zeit später wieder angestellt werden11.
Wie bei jeder zwingenden Norm gelten auch bei Art. 333 OR die Schranken der Gesetzesumgehung: Kündigen Veräusserer und Übernehmer, um der Rechtsfolge von Art. 333 Abs. 1 OR zu entgehen und den Übergang des Arbeitsverhältnisses zu verhindern, so liegt eine Gesetzesumgehung vor. Starkes Indiz für deren Vorliegen wäre, wenn die ganze Belegschaft auf den Tag vor dem Betriebsübergang entlassen wird wenn die Arbeitsplätze der entlassenen Arbeitnehmer mit Neuanstellungen wieder besetzt werden gar dieselben Arbeitnehmer kurze Zeit später wieder angestellt werden11.
Liegt eine Gesetzesumgehung vor, so ist deren Folge, dass die umgangene Norm Anwendung beansprucht, womit die Kündigung im Resultat als nichtig behandelt wird12.
Wie bereits oben ausgeführt, wurde den Arbeitnehmern angekündigt, dass ihre Stellen erhalten bleiben würden. Trotzdem schlossen der Veräusserer und der Nichtigkeitsbeklagte am 29. November 2007 eine Auflösungsvereinbarung ab. Gleichentags wurde der neue Arbeitsvertrag unterzeichnet. Der Nichtigkeitsbeklagte widerrief seine Unterschrift zum Auflösungsvertrag am 5. März 2008. Der Nichtigkeitsbeklagte führte aus, er habe die Vereinbarung unter Druck unterzeichnet, um nicht plötzlich, kurz vor Weihnachten ohne Stelle dazustehen, er sei allein verdienender Familienvater. Es ist vorliegend nicht ersichtlich, welche Interessen des Nichtigkeitsbeklagten eine solche Auflösungsvereinbarung zu rechtfertigen vermöchten. Im Gegenteil, er verzichtete auf Vorteile, die er gehabt hätte, wenn der Arbeitsvertrag übernommen worden wäre. Echter Vergleichscharakter fehlt, denn der Nichtigkeitsbeklagte wurde unter Druck gesetzt, die Vereinbarung zu unterzeichnen, da er ansonsten keine Stelle mehr gehabt hätte. Es ist davon auszugehen, dass die Vereinbarung, wie dies auch das Arbeitsgericht zu Recht festgehalten hat, einzig im Interesse des Arbeitgebers geschlossen worden war, nämlich um die Anwendung von Art. 333 OR auszuschliessen. Es liegt daher eine Gesetzesumgehung vor. Die Auflösungsvereinbarung ist demnach als unwirksam anzusehen. Das Arbeitsverhältnis des Nichtigkeitsbeklagten ist somit am Tage der Betriebsübernahme, am 1. Dezember 2007, auf die Nichtigkeitsklägerin übergegangen.
Nach Art. 333 Abs. 3 OR haften der bisherige Arbeitgeber und der Erwerber des Betriebes solidarisch für die Forderungen des Arbeitnehmers, die vor dem Übergang fällig geworden sind und die nachher bis zum Zeitpunkt fällig werden, auf den das Arbeitsverhältnis ordentlicherweise beendigt werden könnte bei Ablehnung des Überganges durch den Arbeitnehmer beendigt wird. Primäre Rechtsfolge eines Betriebsübergangs ist, dass die dem betreffenden Betrieb zuzuordnenden Arbeitsverhältnisse mit dem Tag der Betriebsnachfolge mit allen Rechten und Pflichten auf den Übernehmer übergehen. Das bedeutet, dass der Erwerber bereits aufgrund des gesetzlichen Übergangs für die in dessen Zeitpunkt bestehenden Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis haftet, was im Zusammenhang mit Art. 333 Abs. 3 OR oft übersehen wird13. Der Übergang des gesamten Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber hat somit zur Folge, dass der Erwerber zum Schuldner aller Forderungen der Arbeitnehmer aus dem auf ihn übertragenen Rechtsverhältnis wird, während der Veräusserer befreit ist. Die in Art. 333 Abs. 3 OR erwähnte „Solidarhaftung“ des Erwerbers besteht schon aufgrund des Vertragsübergangs nach Abs. 1, der jenen zum alleinigen Schuldner macht. Die Solidarhaftung erstreckt sich auf alle Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis14.
Aufgrund des Gesagten haftet der Erwerber, somit die Nichtigkeitsklägerin, für alle Schulden des Veräusserers gegenüber seinen Arbeitnehmern. Das Arbeitsgericht hat somit, indem es Art. 333 OR auf die vorliegende Betriebsübernahme angewendet hat, kein klares Recht verletzt, im Gegenteil, die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts sind in allen Teilen korrekt und nicht zu beanstanden. Bezüglich Berechnung des 13. Monatslohnes sowie der Wäscheentschädigung wird auf die sorgfältigen Erwägungen des Arbeitsgerichts verwiesen.
Aus diesen Gründen wird die Nichtigkeitsklage abgewiesen.
Hinweis:
Der Entscheid ist rechtskräftig.