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Urteil Obergericht (BE)

Zusammenfassung des Urteils SK 2020 1: Obergericht

Der Beschuldigte wurde wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG schuldig gesprochen, da er zwei ungesicherte Kinder im Auto mitgeführt hat. Die Strafe wurde auf eine Busse von CHF 700.00 festgesetzt. Zudem wurde er wegen des Mitführens einer überzähligen Person mit einer Ordnungsbusse von CHF 60.00 belegt, was die Gesamtstrafe auf CHF 760.00 erhöht. Die Verfahrenskosten des erstinstanzlichen Verfahrens in Höhe von CHF 1'520.00 trägt der Beschuldigte. Die oberinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 2'000.00 werden je zur Hälfte zwischen dem Beschuldigten und der Generalstaatsanwaltschaft aufgeteilt. Der Beschuldigte ist männlich.

Urteilsdetails des Kantongerichts SK 2020 1

Kanton:BE
Fallnummer:SK 2020 1
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid SK 2020 1 vom 19.08.2020 (BE)
Datum:19.08.2020
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz
Schlagwörter : Kinder; Verkehr; Beschuldigte; Verkehrsregel; Verkehrsregelverletzung; Beschuldigten; Ordnungsbusse; Verfahren; Urteil; Verfahrens; Gefahr; Kindern; Mitführen; Ordnungsbussen; Generalstaatsanwaltschaft; Sicherheit; Gefährdung; Vorinstanz; Tatbestand; Busse; Verletzung; Fahrlässigkeit; Umstände; Sicherung; Kanton; Berufung
Rechtsnorm:Art. 100 SVG ;Art. 106 StGB ;Art. 17 StGB ;Art. 2 OBG ;Art. 391 StPO ;Art. 3a SVG ;Art. 3a VRV ;Art. 42 BGG ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 429 StPO ;Art. 436 StPO ;Art. 442 StPO ;Art. 49 StGB ;Art. 57 SVG ;Art. 90 SVG ;Art. 96 VRV ;
Referenz BGE:103 IV 192; 106 IV 385; 116 IV 233; 118 IV 285; 131 IV 133; 137 IV 290;
Kommentar:
Staehelin, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Art. 17 SchKG, 1998

Entscheid des Kantongerichts SK 2020 1

SK 2020 1 - Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz
Obergericht
des Kantons Bern

1. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne

1re Chambre pénale

Hochschulstrasse 17
Postfach
3001 Bern
Telefon +41 31 635 48 08
Fax +41 31 634 50 54
obergericht-straf.bern@justice.be.ch
www.justice.be.ch/obergericht
Urteil
SK 20 1
Bern, 19. August 2020



Besetzung Oberrichter Gerber (Präsident i.V), Oberrichter Vicari, Oberrichterin Falkner
Gerichtsschreiberin Hafner



Verfahrensbeteiligte A.__
verteidigt durch Rechtsanwältin B.__
Beschuldigter/Anschlussberufungsführer
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern

Berufungsführerin



Gegenstand Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz

Berufung gegen das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland (Einzelgericht) vom 20.11.2019 (PEN 2019 450)
Erwägungen:
I. Formelles
Erstinstanzliches Urteil
Mit Urteil vom 20. November 2019 erklärte das Regionalgericht Bern-Mittelland (nachfolgend: Vorinstanz) A.__ (nachfolgend: Beschuldigter) schuldig der einfachen Verkehrsregelverletzung durch Mitführen von zwei nicht vorschriftsgemäss gesicherten Kindern unter 12 Jahren und kleiner als 150 cm sowie der Missachtung von mit dem Fahrzeugausweis verbundenen Beschränkungen Auflagen durch Mitführen von mehr Personen als Plätze bewilligt sind, und verurteilte ihn zu einer Busse von CHF 560.00 unter Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung von 6 Tagen sowie zu den Verfahrenskosten von insgesamt CHF 1'520.00 (pag. 60 ff.).
Berufung
Gegen dieses Urteil meldete die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) mit Eingabe vom 28. November 2019 die Berufung an (pag. 67).
Die schriftliche Urteilsbegründung vom 30. Dezember 2019 wurde der Staatsanwaltschaft am 6. Januar 2020 zugestellt (pag. 70 ff. und pag. 91). Die Generalstaatsanwaltschaft erklärte am 17. Januar 2020 formund fristgerecht die Berufung und beschränkte diese auf den Schuldspruch wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln und auf die Strafzumessung. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte im selben Schreiben die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens und verzichtete auf zusätzliche Beweisanträge (pag. 92 ff.).
Anschlussberufung
Die Berufungserklärung der Generalstaatsanwaltschaft wurde dem Beschuldigten am 21. Januar 2020 zugestellt (pag. 97). Mit Schreiben vom 10. Februar 2020 erklärte der Beschuldigte, vertreten durch Rechtsanwältin B.__, formund fristgerecht die Anschlussberufung im Umfang der Hauptberufung und beantragte sowohl die Durchführung eines mündlichen Verfahrens wie auch die erneute Einvernahme des Beschuldigten und seiner Ehefrau (pag. 98 ff.).
Schriftliches Verfahren
Mit Beschluss vom 24. Februar 2020 wurden die Beweisanträge des Beschuldigten abgewiesen und die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens angeordnet (pag. 106). Die Generalstaatsanwaltschaft begründete alsdann ihre Berufung mit Eingabe vom 25. März 2020 (pag. 111). Der Beschuldigte reichte innert verlängerter Frist am 29. Mai 2020 seine Stellungnahme zur Berufungsbegründung der Generalstaatsanwaltschaft sowie die Begründung der Anschlussberufung ein (pag. 129). Mit Schreiben vom 10. Juni 2020 verzichtete die Generalstaatsanwaltschaft auf eine Replik zur Berufung sowie auf eine Stellungnahme zur Begründung der Anschlussberufung (pag. 141). Daraufhin wurde der Schriftenwechsel mit Verfügung vom 10. Juni 2020 für geschlossen erklärt (pag. 142).
Oberinstanzliche Beweismassnahmen
Von Amtes wegen wurde ein aktueller Strafregisterauszug des Beschuldigten eingeholt (pag. 109).
Anträge der Parteien
In ihrer Berufungsbegründung vom 25. März 2020 stellt und begründet die Generalstaatsanwaltschaft folgende Anträge (pag. 111):
1. Es sei festzustellen, dass das Urteil vom 20. November 2019 insofern in Rechtskraft erwachsen ist, als der Beschuldigte schuldig erklärt wurde der Missachtung von mit dem Fahrzeugausweis verbundenen Beschränkungen Auflagen.
2. Der Beschuldigte sei schuldig zu sprechen wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln, begangen durch Mitführen von zwei nicht vorschriftsgemäss gesicherten Kindern unter 12 Jahren und kleiner als 150 cm am 10. Februar 2019 in C.__.
3. Er sei bei einer Probezeit von zwei Jahren zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu CHF 130.00 und zu einer Verbindungsbusse von CHF 650.00 sowie zu einer Übertretungsbusse von CHF 60.00 zu verurteilen.
4. Es seien ihm die Verfahrenskosten der ersten und der oberen Instanz aufzuerlegen.
Der Beschuldigte stellt in seiner Stellungnahme zur Berufungsbegründung und Begründung der Anschlussberufung die folgenden Anträge (pag. 129):
5. Der Beschuldigte / Anschlussberufungsführer sei schuldig zu sprechen wegen Mitführens von zwei nicht vorschriftgemäss gesicherten Kindern unter 12 Jahren, begangen am 10.02.2019 zwischen D.__, E.__ und C.__, F.__.
6. Der Beschuldigte / Anschlussberufungsführer sei zu einer angemessenen Busse nach den Bestimmungen des Ordnungsbussenverfahrens zu verurteilen.
7. Die Verfahrenskosten der ersten und der oberen Instanz seien dem Staat aufzuerlegen.
8. Es sei dem Beschuldigten / Anschlussberufungsführer eine angemessene Entschädigung für die Ausübung seiner Verfahrensrechte zuzusprechen.
Verfahrensgegenstand und Kognition der Kammer
Sowohl die Hauptwie auch die Anschlussberufung beschränken sich auf den Schuldspruch wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln durch Mitführen von zwei nicht vorschriftsgemäss gesicherten Kindern unter 12 Jahren und kleiner als 150 cm sowie auf die Strafzumessung. Daraus ergibt sich, dass der Schuldspruch wegen Missachtung von mit dem Fahrzeugausweis verbundenen Beschränkungen Auflagen durch Mitführen von mehr Personen als Plätze bewilligt sind, in Rechtskraft erwachsen ist (pag. 60, Ziff. I.2 des vorinstanzlichen Urteils).
Die Kammer hat somit den Schuldspruch wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln sowie unter Einbezug des rechtskräftigen Schuldspruches die sich daraus ergebenden Straf-, Kostenund Entschädigungsfolgen zu überprüfen. Die Kammer verfügt dabei über volle Kognition (Art. 398 Abs. 2 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]). Aufgrund der Berufung durch die Generalstaatsanwaltschaft zuungunsten des Beschuldigten ist sie dabei nicht an das Verschlechterungsverbot gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO (Verbot der «reformatio in peius») gebunden.
II. Sachverhalt und Beweiswürdigung
1. Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz
Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz wird weder durch die Generalstaatsanwaltschaft noch durch den Beschuldigten bestritten (pag. 112 und pag. 131). Es kann somit oberinstanzlich grundsätzlich von dem durch die Vorinstanz als erwiesen erachteten Sachverhalt ausgegangen werden (pag. 75 f., S. 6 f. der vorinstanzlichen Urteilsbegründung). Demnach gilt für die Kammer folgender Sachverhalt als erstellt:
Der Beschuldigte besuchte am 10. Februar 2019 mit seiner Ehefrau, den zwei gemeinsamen Kindern sowie einer Freundin und deren beiden Kindern das E.__ im G.__ in D.__. Die Freundin war mit ihren Kindern mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist. Die beiden Familien hatten sich für später am Abend bei der Familie der Freundin in C.__ zum Nachtessen verabredet. Geplant war, dass die beiden Familien getrennt vom G.__ nach C.__ fahren würden. Beim Verlassen des E.__ stürmte und regnete es offensichtlich stark. Zudem geriet eines der Kinder auf dem Parkplatz mit dem Tretrad in eine gefährliche Situation. Die unangenehmen äusseren Bedingungen versetzten die vier Kinder in Angst. Für die Freundin und deren beiden Kinder war zudem kurzfristig keine Fahrgelegenheit vorhanden (Freund, Bus). Deshalb entschlossen sich der Beschuldigte und seine Ehefrau, ihre Hilfe anzubieten und die beiden Kinder der Freundin mit dem Auto vom E.__ nach Hause im eigenen Auto mitzunehmen, nicht zuletzt um den Kindern angesichts des garstigen Wetters ein weiteres Warten zu ersparen. Abgesprochen war, dass die Freundin später nachfolgen würde.
In der Folge fuhr der Beschuldigte zusammen mit seiner Ehefrau und den vier Kindern vom G.__ hinunter Richtung C.__ zur Wohnadresse der erwähnten Freundin. Befahren wurde eine Strecke von rund fünf Kilometern, grösstenteils innerorts; gemäss Anzeige war die Geschwindigkeit auf 50 km/h, auf einer kurzen Strecke auf 60 km/h beschränkt. Weiter steht gemäss Anzeige bzw. Aussagen der befragten Polizistin fest, dass es stark windete und regnete und dass nur wenig Verkehr herrschte.
Unbestritten ist schliesslich, dass zwei Kinder korrekt in entsprechenden Sitzen (Maxicosi, Kindersitz) und zwei Kinder nicht gesichert waren. Zudem befand sich im Auto ein Paar Ski, welches durch die Öffnung in der Mitte der Rücksitzbank in den Passagierraum hineinragte. Gestützt auf die glaubhaften und für sich gesehen logischen Aussagen des Beschuldigten, welche von der Ehefrau bestätigt und von der als Zeugin befragten Polizistin nicht als unmöglich bezeichnet wurden, geht das Gericht des Weiteren davon aus, dass eines der nicht gesicherten Kinder während der Fahrt auf der Rücksitzbank zwischen dem Maxicosi und den Skis sass und sich das andere auf dem Schoss (auf beiden Beinen) der mit dem Sicherheitsgurt gesicherten Beifahrerin befand und von dieser gehalten/gesichert wurde. Nachdem der Beschuldigte nach knapp 5 km Fahrt in C.__ von der Polizei zum Anhalten aufgefordert worden war, fuhr er auf den nächstmöglichen Parkplatz und hielt sein Auto dort an. In der Zeit zwischen dem Abstellen des Autos und dem Auftauchen der Polizisten beim stehenden Auto (Beginn der eigentlichen Kontrolle) veränderten die beiden ungesicherten Kinder ihre Positionen im Auto erklärbar mit der durch die überraschende polizeiliche Anhaltung entstandenen Aufregung. Offenbar verschob sich das auf dem Schoss der Beifahrerin sitzende Kind nach links auf nur noch ein Bein der Beifahrerin und das Kind auf der Rückbank nach vorne auf die Mittelkonsole zwischen den beiden Frontsitzen. Dies war denn auch das (End-)Bild, welches sich den Polizisten präsentierte, als sie auf der Fahrerseite neben dem Auto des Beschuldigten auftauchten.
2. Oberinstanzliche Ergänzungen
In Ergänzung dazu gehen folgende Informationen aus den Akten hervor, auf die ebenfalls abgestellt werden kann: Korrekt gesichert in einem Maxicosi resp. einem Kindersitz waren der 9 Monate alte Sohn des Beschuldigten sowie der knapp 2-jährige Sohn der befreundeten Familie. Ohne Kindersitz auf der Rückbank sass die 3.5-jährige Tochter des Beschuldigten. Sie war nicht angegurtet (pag. 50). Der 3.5-jährige zweite Sohn der befreundeten Familie befand sich während der Fahrt auf dem Schoss der Beifahrerin (pag. 2). Diese hatte den eigenen Sicherheitsgurt um das auf ihrem Schoss sitzende Kind gelegt (pag. 50 und 53). Im Zeitpunkt der Fahrt hatte die Abenddämmerung bereits eingesetzt (pag. 50). In Bezug auf das subjektive Geschehen sind zudem folgende Aussagen des Beschuldigten und seiner Ehefrau hervorzuheben: Der Beschuldigte gibt an, aus Bedauern gehandelt zu haben. Er habe der hochschwangeren Frau helfen wollen (pag. 50). Sie hätten in ihrem Auto zwei spezielle Sitze, «Reboarder», bei denen die Kinder gegen hinten sitzen bzw. schauen. Sie hätten sich also zur Sicherheit viele Gedanken gemacht. Leider sei in diesem Fall die Hilfe im Vordergrund gestanden (pag. 51). Seine Ehefrau, die als Beifahrerin das eine Kind auf dem Schoss gehabt hatte, schilderte die Situation wie folgt: «Die Umstände auch mit diesem Wetter, da habe ich die Kinder einfach genommen und gesagt wir nehmen die Kinder und gehen jetzt. Ich habe nicht mehr an die Plätze gedacht» (pag. 52). Die Gefährlichkeit des Ganzen sei in diesem Moment kein Thema gewesen, sie habe einfach helfen und gehen wollen (pag. 53). Dies sei etwas Einmaliges gewesen, sie seien sich damals nicht bewusst gewesen, es sei aus dem Affekt passiert. Sie würden sonst sehr genau auf die Sicherung der Kinder schauen (pag. 53). Mit Blick auf diese Aussagen ist davon auszugehen, dass dem Beschuldigten die Gefährdung im Zusammenhang mit der fehlenden Sicherung eines Kindes grundsätzlich bewusst war. Während seine Ehefrau angab, die Gefährlichkeit sei in diesem Moment kein Thema gewesen, zeigt die Formulierung des Beschuldigten, wonach «in diesem Fall die Hilfe im Vordergrund gestanden sei», dass zumindest er die Gefährlichkeit der Situation nicht momentan vergessen, sondern mitberücksichtigt hat. Dies verdeutlicht sich weiter durch die Verteilung der Kinder: Die beiden kleinen und damit sowohl verletzlicheren wie auch schwieriger zu kontrollierenden Kinder wurden in die vorhandenen Kindersitze gesetzt und ein weiteres Kind wurde auf dem Beifahrersitz gehalten und mit dem Sicherheitsgurt der Beifahrerin ebenfalls «mitgesichert». Diese Sitzverteilung kann nicht anders gedeutet werden, als dass damit versucht wurde, die Kinder insgesamt so sicher wie möglich zu transportieren und das vorhandene Risiko so gut wie möglich zu reduzieren.

III. Rechtliche Würdigung
Gestützt auf Art. 57 Abs. 5 Bst. a des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) i.V.m. Art. 3a Abs. 1 und 4 der Verkehrsregelverordnung (VRV, SR 741.11) haben die Fahrzeugführer sicherzustellen, dass Kinder unter zwölf Jahren ordnungsgemäss gesichert sind. Dabei müssen Kinder bis zum Alter von 12 Jahren bis zum Erreichen einer Körpergrösse von 150 cm in einer Kinderrückhaltevorrichtung platziert werden. Es ist grundsätzlich unbestritten, dass der als erstellt erachtete Sachverhalt einen Verstoss gegen diese Bestimmung darstellt. Strittig ist jedoch, gestützt auf welche Bestimmung und mit welcher Straffolge dieser Verstoss zu sanktionieren ist.
1. Rechtliche Grundlagen
Zur Ahndung von Verletzungen einer Vorschrift aus der VRV stehen verschiedene Rechtsgrundlagen zur Verfügung. Übertretungen, die in der Bussenliste der Ordnungsbussenverordnung (OBV, SR 314.11) aufgeführt sind, können im vereinfachten Ordnungsbussenverfahren mit einer Ordnungsbusse sanktioniert werden. Ausgeschlossen ist das Ordnungsbussenverfahren jedoch unter anderem dann, wenn die beschuldigte Person anlässlich der Widerhandlung jemanden gefährdet verletzt Schaden verursacht hat (Art. 4 Abs. 3 Bst. a Ordnungsbussengesetz [OBG, SR 314.1]). Ist eine Bestrafung im Ordnungsbussenverfahren nicht möglich, ist je nachdem, ob gegen eine Verkehrsregel eine weitere Vorschrift verstossen wurde, eine Sanktion gestützt auf Art. 90 SVG Art. 96 VRV auszusprechen. Nach Art. 90 SVG wird bestraft, wer Verkehrsregeln des SVG der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. Zu Letzteren gehört auch die VRV. Anders als nach dem OBG werden gestützt auf Art. 90 SVG somit nicht generell Verletzungen von Verkehrsvorschriften geahndet, sondern lediglich Verstösse gegen «Verkehrsregeln» (Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2015, 2. Auflage, Übersicht über das Ordnungsbussenverfahren, S. 854). Der Verstoss gegen eine Vorschrift des VRV, die mangels Qualifikation als Verkehrsregel nicht nach Art. 90 SVG sanktioniert werden kann und für die auch keine andere, spezifische Strafbestimmung besteht, wird gestützt auf Art. 96 VRV als Übertretung geahndet (BGE 116 IV 233 E. 2c). Das Mitführen eines nicht gesicherten Kindes unter 12 Jahren gemäss Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV könnte somit einerseits mit einer Ordnungsbusse nach OBG geahndet werden. Ist das Ordnungsbussenverfahren nicht anwendbar, ist je nach dem, ob die Bestimmung als Verkehrsregel zu qualifizieren ist, eine Sanktion nach Art. 90 SVG aber eine solche nach Art. 96 VRV auszufällen.
2. Rechtliche Würdigung der Vorinstanz
Nach Ansicht der Vorinstanz handelt es sich bei der Pflicht, Kinder gemäss Art. 3a Abs. 4 VRV zu sichern, um eine Verkehrsregel, deren Verstoss nach Art. 90 SVG zu sanktionieren ist. Dabei seien vorliegend die objektiven Tatbestandsmerkmale der groben Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt. Nicht gegeben sei jedoch die auf der subjektiven Seite verlangte grobe Fahrlässigkeit, da der Beschuldigte unbewusst fahrlässig gehandelt habe und die Umstände dieses momentane Versagen des Beschuldigten in einem milderen Licht erscheinen liessen. In der Folge wurde der Beschuldigte gestützt auf Art. 90 Abs. 1 SVG verurteilt (pag. 76 ff.).
Vorbringen der Parteien
Die Generalstaatsanwaltschaft verweist in ihrer Berufungsbegründung zunächst auf die Ausführungen der Vorinstanz und ergänzt diese mit diversen Beispielen aus der Rechtsprechung, in denen das Mitführen eines nicht korrekt gesicherten Kindes zu einer Verurteilung wegen Verletzung einer Verkehrsregel nach Art. 90 SVG führte. Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist die Vorinstanz jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Beschuldigte nicht grobfahrlässig gehandelt habe und deshalb keine grobe Verkehrsregelverletzung erfolgt sei. Es gebe in den Aussagen des Beschuldigten und seiner Ehefrau zahlreiche Hinweise darauf, dass diese sich der Gefährlichkeit ihres Handelns bewusst gewesen seien. Der Beschuldigte habe sich über elementare Sorgfaltspflichten hinweggesetzt und pflichtwidrig darauf vertraut, dass die dadurch geschaffene erhebliche Gefahr sich nicht verwirklichen würde. Damit sei auch der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt (pag. 113 ff.).
Der Beschuldigte bringt demgegenüber vor, für das Mitführen eines nicht gesicherten Kindes gemäss Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV sehe die OBV eine Ordnungsbusse vor. Es treffe demnach nicht zu, dass jede Widerhandlung gestützt auf die Strafbestimmungen des Art. 90 SVG geahndet werde. Vielmehr müssten qualifizierende Umstände im konkreten Fall vorliegen, die eine Bestrafung im Ordnungsbussenverfahren nicht mehr zulassen. Solche Umstände seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Im Übrigen sei mangels Gefährdung und grober Fahrlässigkeit weder der objektive noch der subjektive Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt.
3. Sanktionierung im Ordnungsbussenverfahren
Für das Mitführen eines nicht gesicherten Kindes unter 12 Jahren nach Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV ist in Anhang 1 zur OBV eine Ordnungsbusse von CHF 60.00 vorgesehen. Die Vorschrift ist somit im Ordnungsbussenkatalog aufgeführt. Fraglich ist deshalb zuerst, ob das Ordnungsbussenverfahren vorliegend zur Anwendung gelangt wegen Gefährdung Dritter im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Bst. a OBG ausgeschlossen ist.
Anwendungsbereich des Ordnungsbussenverfahrens
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist das Ordnungsbussenverfahren nicht nur bei einer konkreten, sondern bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung von Personen ausgeschlossen. Für den Begriff der «erhöhten abstrakten Gefahr» stellt das Bundesgericht dabei auf die eigenen Kriterien ab, die es für den objektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG entwickelt hat, bei dem die Schaffung einer ernstlichen Gefahr für die Sicherheit anderer verlangt wird. Ob eine konkrete, eine erhöhte abstrakte nur eine abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt demnach nicht von der übertretenen Verkehrsregel, sondern von der Situation ab, in welcher die Übertretung geschieht. Wesentliches Kriterium für die Annahme einer ernstlichen erhöhten abstrakten Gefahr nach Art. 90 Abs. 2 SVG ist die Nähe der Verwirklichung der Gefahr. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt demnach nur dann zur Erfüllung des Tatbestandes von Art. 90 Abs. 2 SVG, wenn wegen besonderer Umstände - Tageszeit, Verkehrsdichte, Sichtverhältnisse - der Eintritt einer konkreten Gefährdung gar einer Verletzung naheliegt. Die erhöhte abstrakte Gefahr setzt damit die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung Verletzung voraus (BGE 118 IV 285 E. 3a mit Hinweisen; Weissenberger, a.a.O., Art. 2 OBG N 3).
Erwägungen der Kammer
Der Beschuldigte führte am 10. Februar 2019 gegen 17:30 Uhr zwei rund 3.5 Jahre alte Kinder ungesichert resp. unkorrekt gesichert im Auto mit und fuhr mit ihnen sowie zwei weiteren, korrekt gesicherten Kindern und seiner Ehefrau vom G.__ in Richtung C.__. Eines der nicht gesicherten Kinder sass während der Fahrt auf der Rücksitzbank zwischen dem Maxicosi und einem Paar Ski. Das andere befand sich auf dem Schoss der mit dem Sicherheitsgurt gesicherten Beifahrerin und wurde von dieser gehalten sowie mit dem eigenen Sicherheitsgurt ebenfalls gesichert. Die geplante Strecke hätte rund fünf Kilometer betragen. Die Strasse verlief dabei grösstenteils innerorts, wobei die Geschwindigkeit auf 50 km/h, auf einer kurzen Strecke auf 60 km/h beschränkt war. Das Verkehrsaufkommen war gering. Es windete stark und regnete. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt.
Eine konkrete Gefährdungssituation kann diesen Sachverhaltsfeststellungen nicht entnommen werden. Auch legen die allgemeinen Umstände der Fahrt (geringes Verkehrsaufkommen, kurze Strecke, kein hohes Tempo) per se keine erhöhte abstrakte Gefährdung nahe. Ins Gewicht fällt in diesem Zusammenhang jedoch die besondere Verletzlichkeit von Kleinkindern, die auch den Hintergrund der zusätzlichen Sicherungspflichten gemäss Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV darstellt. Diese führt dazu, dass sich die ungesicherten Kinder bereits bei einem kleineren Zwischenfall im Verkehr schwer verletzen können (vgl. Schlegel, Kommentar zu Art. 57 SVG, in: Niggli Marcel/Probst Thomas/Waldmann Bernhard [Hrsg.], Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, Basel 2014, N 86 [nachfolgend zit. als BSK-Bearbeiter/in, Art. N ]). So entspricht der Aufprall mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h einem Sturz aus einer Höhe von 9 m (TCS «Auto-Kindersitze 2020», 26. Ausgabe, 2020, S. 10). Aufgrund der fehlenden Sicherung hätte das auf der Rückbank sitzende Kind somit bereits durch ein abruptes Abbremsen bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h nach vorne geschleudert und dadurch erheblich verletzt werden können. Mit einem brüsken Bremsmanöver muss während einer Autofahrt jederzeit gerechnet werden. Unabhängig davon, ob die Strasse durch Siedlungsgebiet, Wald über Land führt, können beispielsweise Tiere auf die Fahrbahn springen und den Fahrzeuglenker zum abrupten Bremsen veranlassen. Es ist zudem gerichtsnotorisch, dass windiges und regnerisches Wetter sowie die einbrechende Abenddämmerung die Sichtverhältnisse beim Autofahren zusätzlich einschränken und dadurch das Risiko eines unerwarteten Bremsmanövers steigern. Erst recht bestand dadurch für beide Kinder die Gefahr, bei einem Unfall durch die fehlende resp. unkorrekte Sicherung schwere Verletzungen zu erleiden für das Kind auf dem Rücksitz durch die Gefahr, nach vorne zur Seite geschleudert zu werden, für das Kind auf dem Frontsitz sowohl durch die Gefahr, (seitlich) herumgeschleudert zu werden, wie auch durch die Gefahr, von der Wucht eines ausgelösten Airbags verletzt zu werden. Der Versuch, das auf dem Schoss befindliche Kind durch das Umlegen des eigenen Sicherheitsgurtes zu schützen, hat die Gefahr für das Kind nicht zwingend verringert falsch umgelegte Sicherheitsgurte können bei Kindern sogar zusätzliche Verletzungen verursachen (TCS «Auto-Kindersitze 2020», a.a.O., S. 6 und 22). Da bereits kleinere Zwischenfälle im Verkehr eine erhebliche Verletzungsgefahr für die beiden Kinder mit sich gebracht hätten, lag die Verwirklichung einer Gefahr für die Kinder durch die fehlende resp. ungenügende Sicherung vorliegend nahe und es wurde zweifellos eine erhöhte abstrakte Gefahr geschaffen. Als Folge davon ist die Sanktionierung mit einer Ordnungsbusse vorliegend ausgeschlossen.
Zwischenfazit
Das Mitführen der beiden ungesicherten Kinder kann nicht im Ordnungsbussenverfahren sanktioniert werden, weil eine erhöhte abstrakte Gefährdung geschaffen wurde.
4. Sanktionierung gestützt auf Art. 90 SVG
Als nächstes ist demnach zu prüfen, ob die Vorschrift zur Sicherung von Kindern gemäss Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV eine Verkehrsregel darstellt und somit eine Sanktionierung in Anwendung von Art. 90 SVG erfolgen kann.
Begriff der «Verkehrsregel»
Zu den Verkehrsregeln gemäss Art. 90 SVG gehören grundsätzlich die Bestimmungen des III. Titels des SVG (Art. 26-57) sowie die gestützt auf Art. 57 SVG erlassenen Vollziehungsverordnungen des Bundesrates, zu denen auch die VRV gehört. Allerdings ist nicht jede dieser Bestimmungen als Verkehrsregel einzuordnen (BSK SVG-Fiolka, Art. 90 N 22; Weissenberger, a.a.O., Art. 90 N 6). Laut Bundesgericht regeln Verkehrsregeln vor allem die Art und Weise, mit der sich die Fahrzeuge die Strassenbenützer untereinander sowie mit Bezug auf die Strassenverhältnisse und die allgemeinen Umweltbedingungen zu bewegen zu verhalten haben. Indirekt dienen diese Vorschriften auch dem Schutz des Fahrers und der Fahrgäste vor sich selber, keine dieser Vorschriften hat dieses Ziel jedoch als hauptsächlichen einzigen Zweck («Indirectement, de telles règles servent évidemment aussi à protéger le conducteur et les passagers contre eux-mêmes (notamment les art. 29, 30 al. 1 et 31 al. 3 LCR), mais aucune ne vise ce but à titre principal ou exclusif.» BGE 103 IV 192 E. 2c). Als Folge dieser Rechtsprechung gelten beispielsweise die Regeln über das Tragen von Sicherheitsgurten nach Art. 3a VRV gemäss Bundesgericht grundsätzlich nicht als Verkehrsregeln (BGE 137 IV 290 E. 3.6, BGE 103 IV 192 E. 2c). Dieser Entscheid ist jedoch in Bezug auf die allgemeine Pflicht zum Tragen von Sicherheitsgurten ergangen und präzisiert nicht, ob mit «Art. 3a VRV» der gesamte Artikel inkl. der Sicherungspflicht von Kindern nach Abs. 4 lediglich die allgemeine Pflicht zum Tragen von Sicherheitsgurten gemäss Art. 3a Abs. 1 VRV gemeint ist.
Gerichtliche Praxis und Lehrmeinungen
Der Rechtsprechung anderer Gerichte kann entnommen werden, dass der Verstoss gegen Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV bereits mehrfach zu einer Sanktionierung nach Art. 90 SVG geführt hat. Aufzuführen sind etwa die von der Generalstaatsanwaltschaft genannten Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich (SB170099 vom 21. August 2017) und des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg (501 2016 139 vom 11. Juli 2017), in denen der Verstoss gegen Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV vor der oberen Instanz jedoch nicht angefochten war und die Verurteilung gestützt auf Art. 90 SVG somit nicht überprüft wurde. Zu ergänzen ist diese Aufzählung um das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich SB110444 vom 25. Oktober 2011. In diesem Entscheid wurde die Verurteilung wegen Art. 90 Abs. 1 SVG oberinstanzlich überprüft und bestätigt, wenn auch die rechtliche Würdigung nicht der strittige Punkt war. Auch nach Ansicht der Vorinstanz handelt es sich bei der Pflicht, Kinder gemäss Art. 3a Abs. 4 VRV zu sichern, um eine Verkehrsregel. Die Vorinstanz unterscheidet dabei die Sicherungspflicht von Kindern von der allgemeinen Pflicht, Sicherheitsgurte zu tragen (pag. 70 ff.). Die Vorinstanz stützt sich auf die Lehrmeinung von Weissenberger, wonach die Sicherungspflicht von Kindern eine Verkehrsregel sei, da Kinder als Mitfahrer nicht selbstbestimmt handeln können (Weissenberger, a.a.O., Art. 90 N 6). Gleicher Meinung ist Schlegel, der die Ansicht vertritt, es handle sich beim Mitführen eines Kindes ohne die Benützung der vorgeschriebenen Kinderrückhaltevorrichtung nicht bloss um eine Ordnungswidrigkeit, sondern um eine Verkehrsregelverletzung i.S.v. Art. 90 SVG (BSK SVG-Schlegel, Art. 57 N 87; vgl. auch Maurer, Kommentar zu Art. 90, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar StGB, 20. Auflage, Zürich 2018, N 24; a.M: BSK SVG-Fiolka, Art. 90 N 22-27 und Fn. 31).
Erwägungen der Kammer
Die Vorschrift zur Sicherung von Kindern bezweckt in erster Linie den Schutz des betroffenen Kindes. Im Falle einer Kollision auch nur eines abrupten Fahrmanövers ist dessen körperliche Integrität ohne entsprechende Sicherung einer erheblichen Gefahr ausgesetzt und könnte in gravierender Weise in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Vorrichtung dient aber auch der Sicherheit der Mitinsassen, für welche ein nicht angegurtetes Kind mit dem x-fachen seines Körpergewichts zu einem gefährlichen «Wurfgeschoss» werden kann (BSK SVG-Schlegel, Art. 57 N 87). Im Vordergrund dieser Bestimmung steht also nicht nur der Schutz eines Verkehrsteilnehmers vor sich selber, sondern ebenso der Schutz anderer Verkehrsteilnehmer jener der Kinder sowie der Mitinsassen, die durch das ungesicherte Kind ebenfalls gefährdet werden können. In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre und der einschlägigen Rechtsprechung ist somit davon auszugehen, dass in Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV eine Verkehrsregel verankert wird, deren Verletzung gestützt auf Art. 90 SVG sanktioniert wird, wenn eine Verurteilung nach dem Ordnungsbussenverfahren ausgeschlossen ist.
Zwischenfazit
Durch das Mitführen der beiden ungenügend resp. nicht gesicherten Kinder wurde eine Verkehrsregel verletzt. Da das Ordnungsbussenverfahren vorliegend keine Anwendung findet, ist dieser Verstoss gestützt auf Art. 90 SVG zu sanktionieren.
5. Einfache grobe Verkehrsregelverletzung
Zu prüfen ist somit letztlich, ob die Verkehrsregelverletzung als einfache Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG als grobe Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG zu beurteilen ist. Eine einfache Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 1 SVG begeht, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. Den Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft in Kauf nimmt. Hinsichtlich beider Tatbestandsvarianten ist auch die fahrlässige Handlung strafbar (Art. 100 Abs. 1 SVG). Eine einfache Verkehrsregelverletzung ist dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen für die grobe Verkehrsregelverletzung nicht erfüllt sind (Weissenberger, a.a.O., Art. 90 N 54).
Objektiver Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung
Der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet (BGE 131 IV 133 E. 3.2 mit Hinweisen).
5.0.1 Missachtung einer wichtigen Verkehrsvorschrift in gravierender Weise
Ob eine wichtige Verkehrsvorschrift in gravierender Weise missachtet wurde, ist mit Blick auf das äussere Erscheinungsbild der Verkehrsregelverletzung, ihr Ausmass und ihre Tragweite für die Verkehrssicherheit zu beurteilen (BGE 106 IV 385 E. 6). Als Faustregel gilt dabei, dass alle Verkehrsregeln wichtig resp. grundlegend sind, es sei denn, sie dienten allgemein nach den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht der Verkehrssicherheit (Weissenberger, a.a.O., Art. 90 N 64). Wie bereits ausgeführt, bezweckt die Sicherungsvorschrift von Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV den Schutz einerseits des betroffenen Kindes, andererseits der Mitinsassen. Die Vorschrift soll diese Personen vor Verletzungen schützen, die sie sich ohne eine korrekte Sicherung der Kinder im Strassenverkehr zuziehen könnten, und dient damit direkt der Verkehrssicherheit. Es handelt sich bei der verletzten Vorschrift von Art. 3a Abs. 4 SVG somit um eine wichtige Verkehrsvorschrift.
Der Beschuldigte hat vorliegend gleich zwei Kinder ungesichert in seinem Auto mitgeführt, wovon eines gänzlich ohne Sicherung auf dem Mittelsitz der Rückbank sass. Das andere Kind wurde zwar auf dem Schoss der Beifahrerin gehalten, diese Sitzposition schuf jedoch für das Kind weitere Gefährdungsmöglichkeiten (Airbag, Sicherheitsgurt). Durch dieses Verhalten wurde das Unfallbzw. Verletzungsrisiko deutlich erhöht. Der Beschuldigte hat die Verkehrsregel damit in schwerwiegender Weise missachtet und das erste Kriterium des objektiven Tatbestands der groben Verkehrsregelverletzung erfüllt.
5.0.2 Ernsthafte Gefährdung der Verkehrssicherheit
In objektiver Hinsicht ist für die Erfüllung der groben Verkehrsregelverletzung weiter gefordert, dass durch die schwere Widerhandlung gegen eine wichtige Verkehrsregel die Verkehrssicherheit ernsthaft gefährdet wurde. Dabei genügt die Schaffung einer erhöhten abstrakten Gefährdung.
Das Vorliegen einer solchen Gefährdung wurde im Zusammenhang mit dem Ausschluss des Ordnungsbussenverfahrens bereits begründet und bejaht. Darauf kann verwiesen werden (E. 13.2 oben).
Subjektiver Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung
Auf der subjektiven Seite muss ein rücksichtsloses sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten vorliegen, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässiger Begehung mindestens grobe Fahrlässigkeit. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit immer dann vor, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst ist (Vorsatz bewusste Fahrlässigkeit). Grobe Fahrlässigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht (unbewusste Fahrlässigkeit). Im Falle einer unbewussten Fahrlässigkeit darf eine grobe Verkehrsregelverletzung jedoch nur angenommen werden, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer wiederum auf Rücksichtslosigkeit beruht. Die Rücksichtslosigkeit ist dabei ausnahmsweise zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen (BGE 131 IV 133 E. 3.2 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts 6B_462/2019 vom 23. August 2019 E. 1.1.1 mit Hinweisen).
Mit der Formulierung, wonach ein schweres Verschulden, bei fahrlässiger Begehung mindestens grobe Fahrlässigkeit verlangt sei, macht das Bundesgericht deutlich, dass eine grobe Fahrlässigkeit zwar ausreichen kann, um ein schweres Verschulden im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG zu begründen, jedoch dafür nicht ausreichen muss. Auch bei einer grobfahrlässigen Tatbegehung muss demnach unter Betrachtung der konkreten Umstände begründet werden, weshalb die grobe Fahrlässigkeit genügt, um das Verhalten des Täters als rücksichtsloses sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten resp. sein Verschulden als schwer zu bezeichnen. Das Bundesgericht definiert Rücksichtslosigkeit dabei als eine besondere Gleichgültigkeit bzw. ein bedenkenoder gewissenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern (Urteil des Bundesgerichts 6S_11/2002 vom 20. März 2002 E. 3a). Eine solche differenzierte Betrachtung drängt sich insbesondere dann auf, wenn es mit Blick auf die gesamten Umstände der Tat nicht adäquat erscheint, den Täter, der sich des Risikos zwar bewusst ist, jedoch versucht, dieses zu minimieren, ungeachtet der konkreten Umstände automatisch strenger zu behandeln, als jemanden, der das damit einhergehende Risiko nicht einmal bedenkt.
5.0.3 Erwägungen der Vorinstanz und Vorbringen der Parteien
Nach Ansicht der Vorinstanz hat der Beschuldigte den subjektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung nicht erfüllt. Sie führt aus, das Fehlverhalten des Beschuldigten basiere auf einem «kurzen momentanen Nichtbedenken der Gefährdung, womit auf unbewusste Fahrlässigkeit geschlossen werden könne» (pag. 80). Die von ihm geltend gemachte Hilfsbereitschaft und die besonderen Umstände liessen das «momentane Versagen des Beschuldigten in einem milderen Licht erscheinen» (pag. 80).
Die Generalstaatsanwaltschaft bringt demgegenüber vor, es könne vorliegend nicht von einer unbewussten Fahrlässigkeit ausgegangen werden. Dem Beschuldigten und seiner Frau sei die grosse Gefahr eines nicht gesicherten Kindes bekannt und bewusst gewesen. Dies zeige sich daran, dass sie in ihrem Auto zwei spezielle Kindersitze, sog. „Reboarder“, hätten und in der Einvernahme angegeben hätten, sich zur Sicherheit viele Gedanken gemacht zu haben, wobei in diesem Fall leider die Hilfeleistung im Vordergrund gestanden habe (pag. 51). Weiter falle auf, dass nicht die beiden eigenen Kinder in ihren Sitzen gesichert worden seien, sondern die beiden jüngeren der vier Kinder. Die Überlegung dahinter sei einleuchtend, liessen sich die älteren Kinder doch besser unter Kontrolle behalten als die jüngeren. Damit sei dem Beschuldigten aber offensichtlich in der konkreten Situation ganz klar bewusst gewesen, dass von ungesicherten Kindern eine Gefahr ausgehe. Hinzu komme, dass sich der Beschuldigte und seine Frau auch beim „Sichern“ des Kindes auf ihrem Schoss offensichtlich Gedanken gemacht hätten. Anders könne man die Tatsache nicht deuten, dass versucht worden sei, dieses Kind mittels Dreipunktegurt der Beifahrerin „mitzusichern“. Auch hier habe der Beschuldigte bewusst versucht, die Kinder so gut wie möglich zu sichern, was zeige, dass er sich der Gefährlichkeit seines Handelns sehr wohl bewusst gewesen sei. Für die Annahme einer unbewussten Fahrlässigkeit bleibe somit kein Raum. Er habe nicht kurzzeitig vergessen, wie gefährlich das Nichtsichern sei, sondern er habe sich bewusst dagegen und für das Risiko entschieden bzw. pflichtwidrig darauf vertraut, dass schon nichts passieren werde. Diese Fahrlässigkeit müsse als grob bezeichnet werden. Er habe die Sicherungspflicht missachtet, obwohl er sich der dadurch geschaffenen Gefahr und des möglichen Erfolgs dieser Tat bewusst gewesen sei und obwohl er sich keinesfalls in einer Notlage befunden habe. Aus diesem Grund sei der subjektive Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung erfüllt (pag. 114 ff.).
5.0.4 Erwägungen der Kammer
Tatsächlich erscheint es vorliegend unwahrscheinlich, dass dem Beschuldigten die erhöhte Gefährdungssituation im Zeitpunkt der Fahrt resp. des Einsteigens nicht bewusst war (siehe E. II.9 oben). So gibt er selber an, sie hätten sich zur Sicherheit viele Gedanken gemacht, leider sei in diesem Fall die Hilfe im Vordergrund gestanden (pag. 51). Wie die Generalstaatsanwaltschaft korrekt ausführt, deuten weiter die Verteilung der Kinder auf die vorhandenen Kindersitze sowie der Versuch, das eine Kind auf dem Beifahrersitz durch den Sicherheitsgurt «mitzusichern» daraufhin, dass dem Beschuldigten die Gefährdung durchaus bewusst war, das Risiko jedoch angesichts der widrigen Umstände eingegangen wurde. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon gesprochen werden, der Beschuldigte habe die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht gezogen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass er die Gefährlichkeit zwar erkannt hat, jedoch darauf vertraut hat, dass sich die Gefahr nicht realisieren würde. Der Beschuldigte hat somit bewusst fahrlässig gehandelt. Gemäss Bundesgericht ist stets eine grobe Fahrlässigkeit gegeben, wenn sich der Täter der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Indem der Beschuldigte die beiden Kinder ungesichert in seinem Auto mitgeführt hat, obwohl ihm die damit einhergehende Gefährdung bewusst war, hat er demnach grobfahrlässig gehandelt.
Dennoch darf mit Blick auf die Umstände der Tatbegehung hier vom Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit nicht per se auf ein rücksichtsloses sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten resp. schweres Verschulden im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG geschlossen werden: Der Beschuldigte war mit seiner Frau, den eigenen beiden Kindern sowie einer Freundin und deren beiden Kindern im G.__. Die Kinder waren zwischen 9 Monate und 3.5 Jahre alt. Es war Winter und die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Es windete stark und regnete. In dieser Situation geriet eines der Kinder auf dem Parkplatz in eine gefährliche Situation mit einem anderen Auto. Die Kinder waren daraufhin stark verängstigt. Während der Beschuldigte und seine Frau mit dem Auto da waren, hatte ihre hochschwangere Freundin innert nützlicher Frist keine Transportgelegenheit für sich selber und ihre Kinder. In dieser Situation entschieden sich der Beschuldigte und seine Frau, die Kinder so rasch wie möglich nach Hause zu bringen und deshalb alle vier Kinder für die kurze Strecke von fünf Kilometern mit dem Auto mitzunehmen. Dabei haben die beiden durchaus versucht, das dabei verursachte Risiko so gut wie möglich zu minimieren, indem die beiden kleinen und damit sowohl verletzlicheren wie auch schwieriger zu kontrollierenden Kinder in die vorhandenen Kindersitze gesetzt wurden und ein weiteres Kind auf dem Beifahrersitz gehalten und mit dem Sicherheitsgurt der Beifahrerin ebenfalls «mitgesichert» wurde. Es trifft zu, dass diese Umstände keine Notlage im Sinne eines Notstandes gemäss Art. 17 und 18 StGB zu begründen vermögen und dass der Beschuldigte mit seinem Verhalten ein unerlaubtes Risiko in Kauf genommen hat. Es kann ihm aber in Anbetracht der Gesamtumstände keine besondere Gleichgültigkeit gegenüber fremden Rechtsgütern vorgeworfen werden, hat er doch gerade versucht, die für die Gruppe unter dem Strich beste Lösung zu treffen. Dass es in dieser Situation, wie von der Generalstaatsanwaltschaft angeführt, im Nachhinein bessere Lösungen gegeben hätte (gemeinsam warten, mehrfach Fahren) ist nicht zu bestreiten, es erscheint aber nicht geradezu rücksichtslos, wenn sich der Beschuldigte unter den geschilderten Umständen nicht dafür entschieden resp. nicht daran gedacht hat. Vor diesem Hintergrund kann dem Beschuldigten subjektiv kein schweres Verschulden im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG vorgeworfen werden.
5.0.5 Fazit
Der subjektive Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG ist vorliegend nicht erfüllt. Es hat deshalb keine Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung zu erfolgen.
Tatbestandsmerkmale der einfachen Verkehrsregelverletzung
Wurde eine Verkehrsregel verletzt, jedoch nicht jedes Tatbestandsmerkmal der groben Verkehrsregelverletzung erfüllt, erfolgt eine Verurteilung wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung. Das Mitführen der ungesicherten Kinder durch den Beschuldigten ist demnach als einfache Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG zu qualifizieren.
Der Beschuldigte hat die beiden Kinder mit Wissen und Willen ohne Kindersitz in seinem Auto mitgeführt und somit vorsätzlich gegen die Verkehrsregel verstossen.
Gerichtliche Praxis
Diese rechtliche Einordnung steht im Einklang mit der gerichtlichen Praxis anderer Kantone. In den bereits zitierten Urteilen anderer Gerichte wurde jeweils eine Busse gestützt auf Art. 90 Abs. 1 SVG ausgesprochen (Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich SB170099 vom 21. August 2017 und SB110444 vom 25. Oktober 2011 sowie Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg 501 2016 139 vom 11. Juli 2017). Im Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn STBER.2016.7 vom 30. November 2016 wurde ein Mitführen nicht gesicherter Kinder unter 12 Jahren ebenfalls als Übertretung mit einer Busse sanktioniert, wenn auch aus dem Urteil nicht hervorgeht, ob das Urteil sich auf Art. 90 Abs. 1 SVG stützte. Hingegen kann aus dem von der Generalstaatsanwaltschaft angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Stadt BJM 2013 S. 133 ff. vom 23. Februar 2012 nichts für den vorliegenden Fall abgeleitet werden. Aus dem Urteil geht hervor, dass der Verstoss gegen Art. 3a Abs. 1 und 4 VRV in einem rechtskräftigen Strafbefehl als grobe Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG qualifiziert wurde. Diese Verurteilung war jedoch gerichtlich nicht überprüft worden. Strittig war vor dem Basler Verwaltungsgericht denn auch nicht der Straftatbestand, sondern die sich daraus ergebende Administrativmassnahme. Das Urteil ist für den vorliegenden Fall somit nicht einschlägig.
Fazit rechtliche Würdigung
Der Beschuldigte ist wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung gestützt auf Art. 90 Abs. 1 SVG schuldig zu sprechen. Rechtfertigungsoder Entschuldigungsgründe liegen keine vor (vgl. E. 15.2.2 oben).
IV. Strafzumessung
1. Grundlagen der Strafzumessung
Die Vorinstanz hat die Grundlagen der Strafzumessung samt Asperation sowie die praktische Bedeutung der Richtlinien für die Strafzumessung des Verbands Bernischer Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (nachfolgend: VBRS-Richtlinien) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen (pag. 82 f., S. 13 f. der vorinstanzlichen Urteilsbegründung).
2. Übertretungsbusse für das Mitführen von zwei ungesicherten Kindern
Die einfache Verkehrsregelverletzung stellt eine Übertretung dar und wird mit Busse bis höchstens CHF 10‘000.00 bestraft (Art. 106 Abs. 1 Strafgesetzbuch [StGB, SR 311.0]). In den VBRS-Richtlinien ist für Verkehrsregelverletzungen im rollenden Verkehr ausserhalb der Autobahn für die meisten Grundsachverhalte eine Busse von CHF 300.00 vorgesehen.
Objektive Tatkomponente
Hinsichtlich der objektiven Tatkomponente ist zunächst anzuführen, dass der Beschuldigte zwei 3.5-jährige Kinder ungesichert bzw. nicht korrekt gesichert in seinem Auto mitgeführt hat. Dadurch hat er insbesondere für die Kinder, jedoch auch für die weiteren Mitinsassen des Fahrzeugs eine erhöhte abstrakte Gefahr für schwere Verletzungen geschaffen. Sein Verhalten qualifiziert denn auf der objektiven Tatbestandsseite auch für eine grobe Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG. Das betroffene Rechtsgut wurde damit nicht unerheblich gefährdet. Indem der Beschuldigte die Kinder nicht nur ohne Kindersitz, sondern das eine Kind gänzlich ungesichert neben einem Paar Ski auf dem Mittelsitz der Rückbank und das andere ohne eigenen Sitz auf dem Schoss der Beifahrerin transportierte, ging er in der Art und Weise der Tatbegehung ausserdem über das hinaus, was für die Erfüllung des Tatbestands von Art. 90 Abs. 1 SVG notwendig wäre. Es kann deshalb innerhalb des Art. 90 Abs. 1 SVG nicht mehr von einem sehr leichten Tatverschulden im untersten Bereich des Strafrahmens gesprochen werden. Hingegen kann im Handeln des Beschuldigten keine besondere Verwerflichkeit erblickt werden, so dass sich dieser Punkt neutral auf das Tatverschulden auswirkt.
Subjektive Tatkomponente
Die subjektive Tatkomponente ist zu Gunsten des Beschuldigten zu berücksichtigen: Der Beschuldigte handelte in Bezug auf das Nichtsichern der Kinder zwar vorsätzlich. Der Vorsatz bezog sich jedoch nicht auf die damit geschaffene Gefahr. Der Beschuldigte wollte mit seinem Handeln zudem seiner hochschwangeren Kollegin helfen und die verängstigten Kinder so rasch wie möglich aus einer unangenehmen Situation wegbringen. Er hat somit nicht aus egoistischen Beweggründen, sondern vielmehr aus Hilfsbereitschaft gehandelt. Auch sind an die Vermeidbarkeit vorliegend keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Ein rechtskonformes Verhalten wie etwa, mit allen Kindern im Auto zu warten wäre zwar vorliegend möglich gewesen, dennoch anerkennt die Kammer, dass es für die Beteiligten in dieser Situation naheliegend war, die Kinder rasch nach Hause zu bringen.
Fazit Tatkomponente
Unter Berücksichtigung dieser Elemente kann die Tatschwere noch als leicht bezeichnet werden. Es rechtfertigt sich jedoch, im Vergleich zu den Empfehlungen der VBRS-Richtlinien sowie unter Mitberücksichtigung der persönlichen Verhältnisse resp. der Einkommensund Vermögenssituation des Beschuldigten von einer höheren Busse auszugehen und diese auf CHF 700.00 anzusetzen.
Täterkomponente
Die Ausführungen der Vorinstanz zur Täterkomponente sind korrekt (pag. 84 f., S. 15 f. der vorinstanzlichen Urteilsbegründung). Diese wirkt sich neutral auf das Tatverschulden aus.
Fazit Übertretungsbusse
Für die einfache Verkehrsregelverletzung durch Mitführen zweier ungesicherter Kinder erscheint eine Busse von CHF 700.00 schuldangemessen.
3. Ordnungsbusse für das Mitführen einer überzähligen Person
Vorliegend ist die Strafe unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Schuldspruches wegen Missachtung von mit dem Fahrzeugausweis verbundenen Beschränkungen Auflagen durch Mitführen von mehr Personen als Plätze bewilligt sind, festzusetzen. Dieser Verstoss wird gestützt auf Art. 96 Abs. 1 lit. c SVG mit Busse bestraft. Die Vorinstanz hat diese Busse in Anwendung von Ziff. 331 der Bussenliste der OBV auf CHF 60.00 festgelegt. Im Gegensatz zur Busse wegen einfacher Verkehrsregelverletzung (Übertretungsbusse) handelt es sich bei dieser Busse um eine Ordnungsbusse. Übertretungsbussen und Ordnungsbussen können infolge Ungleichartigkeit nicht zu einer Gesamtbusse nach Art. 49 StGB zusammengefasst werden (vgl. BSK StGB I-Ackermann, Art. 49 N 105). Die Ordnungsbusse von CHF 60.00 ist somit mit der Übertretungsbusse von CHF 700.00 zu kumulieren.
4. Fazit Strafzumessung
Der Beschuldigte wird insgesamt zu einer Busse von CHF 760.00 verurteilt. Die Ersatzfreiheitsstrafe wird praxisgemäss auf acht Tage festgesetzt (Art. 106 Abs. 2 StGB).
V. Kosten und Entschädigung
1. Erstinstanzliches Verfahren
Der Beschuldigte trägt die Verfahrenskosten des erstinstanzlichen Verfahrens, wenn er verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 StPO). Vorliegend wurde der Schuldspruch der Vorinstanz bestätigt. Der Beschuldigte hat somit die erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 1'520.00 zu tragen. Eine Entschädigung ist nicht auszurichten (Art. 429 StPO).
2. Oberinstanzliches Verfahren
Verfahrenskosten
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens und Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Ob eine Partei im Rechtsmittelverfahren als obsiegend unterliegend gilt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor Berufungsgericht gestellten Anträge gutgeheissen wurden. Der Beschuldigte beantragt vorliegend eine Bestrafung in Anwendung des Ordnungsbussenkatalogs, die Generalstaatsanwaltschaft eine Sanktionierung gestützt auf Art. 90 Abs. 2 SVG. Im Ergebnis wurde der Beschuldigte gestützt auf Art. 90 Abs. 1 SVG zu einer Busse verurteilt. Damit sind beide Parteien vor oberer Instanz teilweise unterlegen. In der Folge haben sie die Verfahrenskosten anteilsmässig je zur Hälfte zu tragen. Die oberinstanzlichen Verfahrenskosten werden in Anwendung von Art. 5 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Bst. a des Verfahrenskostendekrets (VKD, BSG 161.12) auf CHF 2'000.00 festgelegt und je im Umfang von CHF 1'000.00 dem Beschuldigten und dem Kanton Bern zur Bezahlung auferlegt.
Entschädigung
Erfolgt im Rechtsmittelverfahren weder ein vollständiger teilweiser Freispruch noch eine Einstellung des Verfahrens, obsiegt die beschuldigte Person aber in andern Punkten, so hat sie Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für ihre Aufwendungen (Art. 436 Abs. 2 StPO). Vorliegend hat der Beschuldigte im Rechtsmittelverfahren insofern obsiegt, als dass die Generalstaatsanwaltschaft als Berufungsführerin mit ihren Anträgen nicht durchgedrungen ist. Die für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte entstandenen Aufwendungen sind ihm deshalb zur Hälfte durch den Kanton Bern zu entschädigen. Die von Rechtsanwältin B.__ eingereichte Kostennote vom 11. August 2020 in der Höhe von CHF 2'997.60 (inkl. Auslagen und MWSt) wird als angemessen erachtet. Die Entschädigung des Beschuldigten für die Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte vor oberer Instanz wird gestützt darauf auf CHF 1'498.80 festgelegt. Die Entschädigung und die vom Beschuldigten geschuldeten Verfahrenskosten in der Höhe von insgesamt CHF 2'520.00 werden in Anwendung von Art. 442 Abs. 4 StPO miteinander verrechnet.
VI. Dispositiv
Die 1. Strafkammer erkennt:
I.
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 20. November 2019 insoweit in Rechtskraft erwachsen ist, als
A.__ der Missachtung von mit dem Fahrzeugausweis verbundenen Beschränkungen Auflagen durch Mitführen von mehr Personen als Plätze bewilligt sind, begangen am 10. Februar 2019 in C.__, schuldig erklärt wurde.
II.
A.__ wird schuldig erklärt
der einfachen Verkehrsregelverletzung, begangen am 10. Februar 2019 in C.__ durch Mitführen von zwei nicht vorschriftsgemäss gesicherten Kindern unter 12 Jahren und kleiner als 150 cm
und gestützt auf den in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch gemäss Ziff. I und den Schuldspruch gemäss Ziff. II sowie in Anwendung von Art. 47, 103, 106 StGB, Art. 30 Abs. 1, 57 Abs. 5 lit. a, 90 Abs. 1, 96 Abs. 1 lit. c SVG, Art. 3a Abs.1 und 4, 60 Abs. 2 VRV, Art. 426, 428 StPO
verurteilt:
1. zu einer Busse von CHF 760.00. Die Ersatzfreiheitstrafe bei schuldhaftem Nichtbezahlen wird auf 8 Tage festgesetzt.
2. zur Bezahlung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten, insgesamt bestimmt auf CHF 1'520.00.
3. zur Bezahlung der anteilsmässigen oberinstanzlichen Verfahrenskosten im Umfang von 50%, insgesamt bestimmt auf eine Pauschalgebühr von CHF 2'000.00, ausmachend CHF 1'000.00.
III.
1. Die verbleibenden oberinstanzlichen Verfahrenskosten im Umfang von CHF 1'000.00 trägt der Kanton Bern.
2. A.__ wird für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte vor oberer Instanz eine Entschädigung in der Höhe von CHF 1'498.80 ausgerichtet. Die Entschädigung wird verrechnet mit den von A.__ zu tragenden Verfahrenskosten gemäss Ziffer II. 2 und 3.
IV.
3. Zu eröffnen:
• dem Beschuldigten, v.d. Rechtsanwältin B.__
• der Generalstaatsanwaltschaft
Mitzuteilen:
• der Vorinstanz
• der Koordinationsstelle Strafregister (nur Dispositiv, nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
• dem Strassenverkehrsund Schifffahrtsamt des Kantons Bern (nur Dispositiv, nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)


Bern, 19. August 2020

Im Namen der 1. Strafkammer
Der Präsident i.V.:
Oberrichter Gerber

Die Gerichtsschreiberin:
Hafner



Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung der schriftlichen Begründung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Quelle: https://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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