SK 2017 455 - Ausstandsgesuch
Obergericht
des Kantons Bern
1. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne
1re Chambre pénale
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Beschluss
SK 17 455
Bern, 22. November 2017
Besetzung Oberrichter Niklaus (Präsident i.V.),
Oberrichter Geiser, Oberrichter Kiener
Gerichtsschreiberin Bettler
Verfahrensbeteiligte A.__
Gesuchsteller
gegen
B.__, c/o Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach, 3001 Bern
Gesuchsgegnerin
C.__, c/o Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach, 3001 Bern
Gesuchsgegner
D.__, c/o Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach, 3001 Bern
Gesuchsgegner
Gegenstand Ausstandsgesuch vom 3. November 2017 gegen die Besetzung der 1. Strafkammer im Verfahren SK 17 442
Erwägungen:
1. Mit Eingabe vom 3. November 2017 stellte Rechtsanwalt A.__ (nachfolgend: Gesuchsteller) ein Revisionsgesuch gegen den Beschluss der Beschwerdekammer in Strafsachen BK 17 263 vom 7. September 2017 (pag. 1 ff.). Dieses Revisionsgesuch reichte er bei der Beschwerdekammer ein, welche es von Amtes wegen zuständigkeitshalber an das «Berufungsgericht» (vgl. Art. 411 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]), d.h. die Strafkammern des Obergerichts weiterleitete. Der Gesuchsteller wurde über die Weiterleitung orientiert. Das Revisionsverfahren wird unter der Verfahrensnummer SK 17 442 von der 1. Strafkammer in der Besetzung Oberrichterin B.__, Oberrichter C.__ und Oberrichter D.__ geführt. In diesem Revisionsgesuch macht der Gesuchsteller vorab geltend, er lehne das Gericht in seiner Besetzung für das vorliegende Revisionsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit ab (pag. 9).
Zur Begründung führt er insbesondere aus, die Beschwerdekammer des Obergerichts verfüge über keinen gesetzlichen Geschäftsverteilungsplan und die Zuteilung der vorliegenden Richterbank erfolge nach Ermessen des Obergerichts. Die Besetzung der Beschwerde entspreche mangels gesetzlicher Grundlage nicht Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101). Die Festlegung der Zusammensetzung durch Justizorgane sei konventionswidrig. Derartige Einflussnahmen auf die Besetzung würden auch die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Spruchkörpers berühren, da objektiv nicht erkennbar sei, ob dieser gegen Einflussnahme von aussen hinreichend geschützt sei. Für die Besetzung des Gerichts und damit für den für die richterliche Unabhängigkeit bedeutenden Aspekt der Fallzuteilung sei eine gesetzliche Grundlage wesentlich (pag. 7 ff.).
Der Gesuchsteller spricht in seiner Begründung von der Beschwerdekammer, bei der er fälschlicherweise auch sein Revisionsgesuch anhängig machte. Da aus dem Wortlaut hervorgeht, dass er das mit dem Revisionsgesuch befasste Gericht in seiner Besetzung ablehnt und da er auf die Mitteilung bezüglich Weiterleitung an die Strafkammern nicht reagierte, wird vorliegend von einem Ausstandsgesuch betreffend die Besetzung der 1. Strafkammer im Verfahren SK 17 442 ausgegangen.
2. Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat (Art. 58 Abs. 1 StPO).
Gemäss Art. 59 Abs. 1 Bst. c StPO entscheidet das Berufungsgericht, wenn einzelne Mitglieder des Berufungsgerichts von einem Ausstandsgesuch betroffen sind. Die Richterinnen und Richter sind bei Bedarf zur gegenseitigen Aushilfe verpflichtet (Art. 45 Abs. 5 des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft [GSOG, BSG 161.1]), wenn nötig auch abteilungsübergreifend (Art. 23 Abs. 5 des Organisationsreglements des Obergerichts [OrR OG; BSG 162.11]). Sämtliche Richterinnen und Richter sind verpflichtet, bei Bedarf in beiden Amtssprachen des Kantons Bern zu arbeiten (Art. 29 Abs. 2 Bst. a GSOG).
Das fristgerechte gestellte Ausstandsgesuch wird von Mitgliedern der Strafkammern beurteilt, die nicht Teil der Besetzung im Revisionsverfahren SK 17 442 und daher vom eingereichten Ausstandsbegehren des Gesuchstellers nicht betroffen sind (Oberrichter Niklaus, Oberrichter Geiser und Oberrichter Kiener).
Mit Blick auf das Nachfolgende hat die Kammer auf das Einholen einer Stellungnahme nach Art. 58 Abs. 2 StPO verzichtet (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_461/2016 vom 3. November 2016 E. 5.1 zu Art. 49 Abs. 2 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272], dessen Wortlaut fast deckungsgleich ist mit Art. 58 Abs. 2 StPO).
3. Der Gesuchsteller hält ausdrücklich fest, er lehne das Gericht in seiner jetzigen Besetzung für das vorliegende Revisionsverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab (pag. 9).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind pauschale Ausstandsgesuche gegen eine Behörde als Ganzes grundsätzlich nicht zulässig. Rekusationsersuchen haben sich auf einzelne Mitglieder der Behörde zu beziehen, und der Gesuchsteller hat eine persönliche Befangenheit der betreffenden Personen aufgrund von Tatsachen konkret glaubhaft zu machen (Art. 58 Abs. 1 StPO). Ein formal gegen eine Gesamtbehörde gerichtetes Ersuchen kann daher in aller Regel nur entgegengenommen werden, wenn im Ausstandsbegehren Befangenheitsgründe gegen alle Einzelmitglieder ausreichend substanziiert werden. Das Gesetz (vgl. Art. 56 - 60 StPO) spricht denn auch (ausschliesslich und konsequent) von Ausstandsgesuchen gegenüber «einer in einer Strafbehörde tätigen Person» (Urteile des Bundesgerichts 1B_97/2017 vom 7. Juni 2017 E. 3.2.; 1B_405/2014 vom 12. Mai 2015 E. 6.2).
Der Gesuchsteller substanziiert sein Ausstandsgesuch nicht hinreichend. Er zeigt nicht auf, aufgrund welcher konkreter Tatsachen bei den Gesuchgegnern der Anschein der Befangenheit im Sinne von Art. 56 Bst. f StPO bestehen könnte. Es gibt denn auch keinerlei Hinweise auf Feindschaft sonstige Umstände, die ein faires Verfahren gegenüber dem Gesuchsteller in Frage stellen würden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_185/2017 vom 21. August 2017 E. 2. mit Hinweis). Auf das Ausstandsgesuch vom 3. November 2017 ist deshalb insoweit nicht einzutreten.
4. Der Gesuchsteller rügt die Art und Weise der Besetzung des Spruchkörpers als Verletzung von Art. 6 EMRK. Diesbezüglich ist auf das Ausstandsbegehren einzutreten.
4.1 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Verfassungsbestimmung von Art. 30 Abs. 1 BV wird in Art. 56 StPO konkretisiert. Nach dieser Bestimmung tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person unter anderem in den Ausstand, wenn sie aus anderen (als den in Bst. a-e genannten) Gründen, insbesondere wegen Freundschaft Feindschaft mit einer Partei deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (Art. 56 Bst. f StPO; Urteil des Bundesgerichts 1B_97/2017 vom 7. Juni 2017 E. 2.).
Der Anspruch auf ein unparteiisches Gericht wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit die Gefahr der Voreingenommenheit begründen. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein. Bei der Beurteilung solcher Gegebenheiten ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen (Urteile des Bundesgerichts 1B_150/2017 vom 4. Oktober 2017 E. 4.3; 1B_97/2017 vom 7. Juni 2017 E. 2.; je mit Hinweisen).
Das Bundesgericht sah davon ab, das Gebot des gesetzlichen Richters auch auf die Besetzung des Spruchkörpers im Einzelfall zu erstrecken (BGE 128 V 82 E. 2b; BGE 117 Ia 322 E. 1c; Kiener Regina/Kälin Walter, Grundrechte, 2. Aufl. 2013, S. 525). Nach dieser Rechtsprechung müssen weder die gerichtsinterne Geschäftsverteilung, noch die personelle Zusammensetzung des Spruchkörpers die Modalitäten des Beizugs von Ersatzrichtern generell-abstrakt normiert und damit im Voraus bestimmbar sein. Vielmehr genügen unter der Voraussetzung einer gewissen Regelmässigkeit sachliche Gründe für die Zuteilung (Kiener/Kälin, a.a.O., S. 525; Andreas Müller, Rechtlicher Rahmen für die Geschäftslastbewirtschaftung in der schweizerischen Justiz, Diss. Bern 2016, S. 111). In BGE 105 la 172 E. 5b hielt das Bundesgericht fest, ein strenger Schematismus in der Besetzung der Richterbank und der Geschäftszuteilung entspreche nicht dem schweizerischen Rechtsempfinden: Zwar möge die blinde Zuteilung der Prozesse an die Spruchkörper und die Referenten einer theoretischen Vorstellung zur idealen Rechtsprechung entsprechen, jedoch stünden ihr praktische Nachteile gegenüber (vgl. dazu Meyer Lorenz/Tschümperlin Paul, Zusammensetzung des Spruchkörpers - Auswahl Automatisierung, in: «Justice - Justiz - Giustizia» 2012/1, Rz 15 f.).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung genügt es, wenn die Liste der in Frage kommenden Gerichtspersonen in einer öffentlich zugänglichen Quelle wie dem Internet zur Verfügung steht. Ein Anspruch auf Bekanntgabe des Geschäfts-verteilungsplans besteht nicht (Urteil des Bundesgerichts 5A_605/2013 vom 11. November 2013 E. 3.1 mit Hinweisen).
4.2 Die Geschäftsverteilung am Obergericht des Kantons Bern ist in Art. 44 und Art. 45 GSOG geregelt. Wie diese gerichtsorganisatorischen Normen in der Strafabteilung konkret angewendet werden, wurde dem Gesuchsteller einlässlich erklärt. Auf seine Anfrage vom 25. März 2017 betreffend die Kammerzusammensetzung in den Verfahren BK 16 456, BK 16 474, BK 16 540, BK 16 549, BK 16 550, BK 17 22+23, BK 17 24, BK 17 92 sowie SK 17 45, teilte der Präsident der Strafabteilung ihm mit Schreiben vom 29. März 2017 unter anderem mit, dass am Obergericht kein Geschäftsverteilungsplan nach deutschem Vorbild besteht. Den beiden Strafkammern werden die eingehenden Geschäfte abwechslungsweise je zur Hälfte zugeteilt. Kammerintern werden die Fälle fortlaufend nach Listen mit allen möglichen Zusammensetzungen zugeteilt, wobei die Anzahl Fälle als Referent vom Umfang der Tätigkeit für die Strafkammern abhängt.
4.3 Die Mitglieder der 1. Strafkammer sind im Staatskalender ersichtlich (www.justice.be.ch). Die Zusammensetzung des Spruchkörpers und die Mitwirkung als Referent werden nach dem Zufallsprinzip mit Hilfe von vom Sekretariat bewirtschafteten Listen bestimmt. Die Oberrichterinnen und Oberrichter sind an der Geschäftsverteilung nicht beteiligt. Inwiefern die Besetzung des Spruchkörpers im vorliegenden Fall auf verfassungsoder konventionswidrige Weise erfolgt sein soll, wird vom Gesuchsteller nicht hinreichend dargetan und ist auch nicht erkennbar (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_327/2017 vom 31. August 2017 E. 6.2). Die Art und Weise der Besetzung des Spruchkörpers ist nicht geeignet, Misstrauen in die Unparteilichkeit der Gesuchsgegner zu erwecken.
Weitere Gründe, welche den Anschein der Befangenheit bei den Gesuchsgegnern zu begründen vermöchten, sind nicht ersichtlich. Namentlich gibt es keinerlei Hin-weise auf Feindschaft sonstige Umstände, die ein faires Verfahren gegenüber dem Gesuchsteller in Frage stellen würden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_185/2017 vom 21. August 2017 E. 2. mit Hinweis). Das Ausstandsgesuch erweist sich somit insoweit als offensichtlich unbegründet und ist abzuweisen.
5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Gesuchsteller aufzuerlegen (Art. 59 Abs. 4 StPO). Diese werden in Anwendung von Art. 25 des Verfahrenskostendekrets (VKD; BSG 161.12) bestimmt auf CHF 500.00.
Die 1. Strafkammer beschliesst:
1. Auf das Ausstandsgesuch vom 3. November 2017 gegen die Besetzung der 1. Strafkammer im Verfahren SK 17 442 (Oberrichterin B.__, Oberrichter C.__ und Oberrichter D.__) wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2. Die Kosten des Verfahrens werden bestimmt auf CHF 500.00 und dem Gesuchsteller auferlegt.
3. Zu eröffnen:
• dem Gesuchsteller
• den Gesuchsgegnern
Bern, 22. November 2017
Im Namen der 1. Strafkammer
Der Präsident i.V.:
Oberrichter Niklaus
Die Gerichtsschreiberin:
Bettler
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung der schriftlichen Begründung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.