E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht (BE)

Zusammenfassung des Urteils SK 2013 106: Obergericht

In dem Fall SK 2013 106 ging es um eine Vorladung der Staatsanwaltschaft im Berufungsverfahren wegen Raubes. Die Staatsanwaltschaft hatte auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung verzichtet, was jedoch nicht als ausreichend konkreter Antrag zur Sanktion galt. Das Gericht hätte die Staatsanwaltschaft vorladen müssen, da eine Freiheitsstrafe von über 12 Monaten in Betracht gezogen wurde. Da dies nicht geschah, wies das Obergericht des Kantons Bern das erstinstanzliche Urteil aufgrund wesentlicher Mängel zurück und ordnete eine neue Hauptverhandlung an. Der Richter war Oberrichter Vicari, die Gerichtskosten betrugen CHF 0, und die verlorene Partei war die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (weiblich).

Urteilsdetails des Kantongerichts SK 2013 106

Kanton:BE
Fallnummer:SK 2013 106
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid SK 2013 106 vom 16.07.2014 (BE)
Datum:16.07.2014
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Vorladung Staatsanwaltschaft im Berufungsverfahren (Leitentscheid)
Schlagwörter : Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Gericht; Sanktion; Freiheitsstrafe; Antrag; Verletzung; Verfahren; Urteil; Hauptverhandlung; Verzicht; Verhandlung; Anklage; Beschuldigte; Oberrichter; Generalstaatsanwaltschaft; Raubes; Teilnahme; Recht; Kantons; Ermessen; Hinweis; Betracht; Fehlens
Rechtsnorm:Art. 337 StPO ;Art. 409 StPO ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
Schneider, Basler Kommentar Strafrecht I, Art. 42 StGB, 2019

Entscheid des Kantongerichts SK 2013 106

SK 2013 106 - Vorladung Staatsanwaltschaft im Berufungsverfahren (Leitentscheid)
SK 2013 106
Urteil der 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern
Oberrichter Vicari (Präsident), Oberrichter Guéra, Oberrichterin Hubschmid Volz
Gerichtsschreiberin Rampa


vom 25. Juni 2014


in der Strafsache gegen


A.
vertreten durch Rechtsanwältin X.
Beschuldigter/Berufungsführer

gegen


Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern


und


B.
Strafund Zivilkläger

wegen Raubes


Regeste
Legt die Staatsanwaltschaft die Strafe ins richterliche Ermessen und stellt ihr Verzicht auf die Teilnahme an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung der einzige Hinweis auf das beantragte Strafmass dar, liegt kein genügend konkreter Antrag zur Sanktion vor, weshalb die Staatsanwaltschaft vorgeladen werden muss.
Selbst wenn man diesen impliziten Antrag als genügend konkret erachten würde, muss das Gericht die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 337 Abs. 4 StPO vorladen, wenn es eine Freiheitsstrafe von über 12 Monaten in Betracht zieht.
Wird eine Verhandlung in Verletzung von Art. 337 Abs. 5 StPO trotz Fehlens der Staatsanwaltschaft durchgeführt, stellt dies eine klare Verletzung dieser Verfahrensregel dar, womit das erstinstanzliche Verfahren wesentliche Mängel im Sinne von Art. 409 Abs. 1 StPO aufweist.



Redaktionelle Vorbemerkungen
Der Beschuldigte/Berufungsführer wurde am 6. November 2012 von der Vorinstanz wegen Raubes zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Der zuständige regionale Staatsanwalt verzichtete auf eine persönliche Anklage vor Gericht.


Auszug aus den Erwägungen:
[ ]
6. Vorliegend stellt sich die Frage, ob die erstinstanzliche Verhandlung in Verletzung von Art. 337 StPO durchgeführt worden ist. Gemäss Art. 337 StPO kann die Staatsanwaltschaft dem Gericht schriftliche Anträge stellen persönlich vor Gericht auftreten (Abs. 1). Beantragt sie hingegen eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr eine freiheitsentziehende Massnahme, hat sie die Anklage persönlich vor Gericht zu vertreten (Abs. 3). Die Verfahrensleitung kann die Staatsanwaltschaft auch in anderen Fällen zur persönlichen Vertretung der Anklage verpflichten, wenn sie dies für nötig erachtet (Abs. 4). Liegen dem Gericht keine schriftlichen Anträge (zu den Sanktionen) vor, ist die Staatsanwaltschaft vorzuladen (Weber/Wildi, in: Basler Kommentar Schweizerische Strafprozessordnung, 2011 [nachfolgend: BSK StPO], Art. 337 N 21). Denn die Staatsanwaltschaft hat in Anwendung von Art. 326 Abs. 1 lit. f StPO dem Gericht aus ihrer Sicht adäquate Sanktionen zu beantragen anzukündigen. Beantragte Freiheitsstrafen sind in Tagen, Monaten Jahren anzugeben; hinsichtlich Geldstrafen sind sowohl die Anzahl Tagessätze als auch die auszusprechende Tagessatzhöhe zu bestimmen. Ebenfalls ist zu beantragen, ob und inwieweit der bedingte Strafvollzug zu gewähren ist (Heimgartner/Niggli, BSK StPO, Art. 326 N 10). Erscheint die Staatsanwaltschaft nicht an der Hauptverhandlung, obwohl sie dazu verpflichtet wäre, so wird die Verhandlung verschoben (Abs. 5). Wird eine Verhandlung in Verletzung von Abs. 5 trotz Fehlens der Staatsanwaltschaft durchgeführt, stellt dies eine klare Verletzung dieser Verfahrensregel dar. Wird gegen ein solches Urteil als Ganzes in Teilen ein Rechtsmittel erhoben, ist es vor oberer Instanz zu kassieren und zur Neubeurteilung - unter Anwesenheit der Staatsanwaltschaft an die Vorinstanz zurückzuweisen (Weber/Wildi, BSK StPO, Art. 337 N 26).
7. Der Staatsanwalt hat in der Anklageschrift vom 5. März 2012 in Ziff. III. den Antrag gestellt, der Beschuldigte sei zu einer Zusatzstrafe zum Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 9. Juni 2011 zu verurteilen; diese werde ins richterliche Ermessen gelegt (pag. 139). Wie die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht darauf hinweist, stellt vorliegend der Verzicht der Staatsanwaltschaft auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung der einzige Hinweis auf das beantragte Strafmass dar (der Verzicht ist nur möglich bei einer Strafe unter einem Jahr Freiheitsstrafe, vgl. Art. 337 Abs. 3 StPO), was kein genügend konkreter Antrag zur Sanktion darstellt. Das erstinstanzliche Gericht hätte die Staatsanwaltschaft somit vorladen müssen. Der Generalstaatsanwaltschaft ist weiter zu folgen, wenn sie ausführt (vgl. pag. 333): Aber selbst wenn man diesen impliziten Antrag als genügend konkret erachten würde, hätte das Gericht die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 337 Abs. 4 StPO vorladen müssen. Fasst das Gericht nämlich eine höhere als die von der Staatsanwaltschaft beantragte Sanktion ins Auge, hat es nach Art. 337 Abs. 4 StPO vorzuladen (Schmid, Praxiskommentar, Art. 337 N 7). Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft zwar keinen konkreten Antrag zur Sanktion gestellt, aufgrund des Verzichts auf die Teilnahme aber implizit eine Sanktion von unter 12 Monaten Freiheitsstrafe „beantragt“. Da das Gericht offensichtlich eine Freiheitsstrafe von über 12 Monaten in Betracht gezogen hat, hätte es die Staatsanwaltschaft nach Abs. 4 vorladen müssen.
8. Aufgrund der gemachten Ausführungen kann festgestellt werden, dass die erstinstanzliche Hauptverhandlung im Verfahren wegen Raubes gegen den Beschuldigten/Berufungsführer in Verletzung von Art. 337 StPO durchgeführt worden ist, womit das erstinstanzliche Verfahren wesentliche Mängel im Sinne von Art. 409 Abs. 1 StPO aufweist. Das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland (Einzelgericht) vom 6. November 2012 wird deshalb aufgehoben und die Sache zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung und zur Fällung eines neuen Urteils an das erstinstanzliche Gericht zurückgewiesen.
[ ]
Quelle: https://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.