SK 2009 443 - Falschbeurkundung Unfallprotokoll (Leitentscheid)
SK-Nr. 2009 443
Urteil der 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern,
unter Mitwirkung von Obergerichtssuppleant Kiener (Präsidentin i.V.), Obergerichtssuppleant Chételat und Oberrichter Zihlmann sowie Kammerschreiberin Stebler
vom 1. Juli 2010
in der Strafsache gegen
A.
Angeschuldigter/Appellant
wegen BetmG-Widerhandlung, Geldwäscherei etc.
Regeste:
Wahrheitswidrige Angaben über den Fahrzeuglenker in einem Unfallprotokoll stellen keine Falschbeurkundung dar, da keine allgemeingültigen objektiven Garantien die Wahrheit dieser Erklärung gewährleisten.
Redaktionelle Vorbemerkungen:
Der Angeschuldigte verursachte gemeinsam mit weiteren Personen einen absichtlichen Autounfall. Als Fahrzeuglenker trug sich X. ein, der vorab telefonisch aufgefordert wurde, sich nach Bern zu begeben, um im Anschluss an einen Verkehrsunfall seine Unterschrift unter das Unfallprotokoll zu setzen, welches ihn fiktiv als Unfallverursacher auswies. Die Vorinstanz erklärte den Angeschuldigten der Falschbeurkundung gemäss Art. 251 StGB sowie der Anstiftung dazu schuldig.
Auszug aus den Erwägungen:
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III. Rechtliche Würdigung
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5. Falschbeurkundung und Anstiftung dazu
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5.3 Beurteilung durch die Kammer
Die allgemeinen Ausführungen der Vorinstanz zur Problematik der Falschbeurkundung sind zwar korrekt, hingegen kann sich die Kammer der vorinstanzlichen Subsumtion nicht anschliessen.
Eine qualifizierte schriftliche Lüge im Sinne der Falschbeurkundung wird nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur angenommen, wenn der Urkunde eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt und der Adressat ihr daher ein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Dies ist einzig und allein dann der Fall, wenn allgemein gültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber Dritten gewährleisten (BGE 117 IV 35; Urteil des BGer vom 16. August 2001 6S.655/2000, E. 2b). Als Beispiel kann an dieser Stelle auf den Arzt verwiesen werden, der gegenüber der Krankenkasse zur Wahrheit verpflichtet ist und demnach durch unwahre Krankenscheine eine Falschbeurkundung begehen kann, weil die Krankenkasse ihm aufgrund der vertraglichen Verbindung ein besonderes Vertrauen entgegen bringt (BGE 103 IV 178). Ein Unfallprotokoll kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich Urkundenqualität haben (BGE 118 IV 254, E. 3). Ob die wahrheitswidrige Angabe über den Fahrzeuglenker gleichzeitig eine Falschbeurkundung darstelle, d.h. ob allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit dieser Erklärung gewährleisten würden, liess das Bundesgericht in seinem Entscheid hingegen offen.
Auch wenn sich die Haftpflichtversicherung in gewissem Umfang auf die Angaben in einem Unfallprotokoll verlässt, so besteht zwischen ihr und den Ausstellern des Protokolls kein besonderes Vertrauensverhältnis, so dass sie sich bei der Prüfung des Unfallprotokolls nicht unbesehen auf die aus ihr ergehenden Erklärungen verlassen darf. Die Versicherung ist also gehalten, selber weitere Abklärungen zu treffen. Dafür spricht auch der Vermerk auf dem Protokoll selber, dass dieses keine Schuldanerkennung sei. Nach Ansicht der Kammer weist das Unfallprotokoll demnach nicht die erhöhte Glaubwürdigkeit auf, wie sie für eine Falschbeurkundung vorausgesetzt ist, da keine allgemeingültigen objektiven Garantien für die darin gemachten Behauptungen ersichtlich sind.
Subjektiv fehlt es dem Angeschuldigten an einer über den Vorsatz und die Täuschungsabsicht hinausgehenden Schädigungsoder Vorteilsabsicht, da die Zahlung der Versicherungsleistungen nicht von der Frage, welche Person den Wagen tatsächlich gelenkt hatte, abhängig war. Mit anderen Worten hätte der Angeschuldigte auch dann eine Versicherungsleistung erhalten, wenn auf dem Protokoll der wahre Lenker angegeben worden wäre.
Folglich kommt die Kammer zum Schluss, dass der Tatbestand der Falschbeurkundung nicht erfüllt ist. Der Angeschuldigte ist daher vom Vorwurf der Falschbeurkundung sowie der Anstiftung dazu freizusprechen.
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