SK 2009 212 - Verfahrensund Parteikosten (Leitentscheid)
SK-Nr. 2009/212
Urteil der 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern,
unter Mitwirkung von Oberrichter Zihlmann (Präsident i.V.), Oberrichter Stucki und
Oberrichterin Schnell sowie Kammerschreiberin Kurt
vom 10. September 2009
in der Strafsache gegen
tA., nun dessen Erbengemeinschaft
vertreten durch Fürsprecher X.
Angeschuldigter/Appellant
wegen Kostenverlegung
B.
vertreten durch Fürsprecherin Y.
C.
Vertreten durch Fürsprecher Z.
Privatklägerinnen/Appellatinnen
Regeste
Können die Verfahrensund Parteikosten allenfalls den Erben des vor der angesetzten Hauptverhandlung verstorbenen Angeschuldigten auferlegt werden Wie verhält es sich mit der Ausrichtung einer Entschädigung an die Erben des Angeschuldigten Im Kanton Bern können die Verfahrenskosten eines wegen Ablebens des Angeschuldigten niedergelegten Strafverfahrens infolge mangelnder gesetzlicher Grundlage nicht den Erben auferlegt werden, sondern sind in Anwendung von Art. 395 StrV vom Kanton zu tragen. Ebensowenig können die Interventionskosten der Privatkläger den Erben des Angeschuldigten auferlegt werden. Auch in Bezug auf die Ausrichtung einer Entschädigung an die Erben des Angeschuldigten fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Das Recht auf Entschädigung entsteht erst mit der entsprechenden Verfügung. Es erfolgt keine Rechtsnachfolge der Erben in die Prozessstellung des verstorbenen Angeschuldigten.
Redaktionelle Vorbemerkungen:
Vorliegend wurde dem Verfahren infolge Hinschieds des Angeschuldigten keine weitere Folge gegeben. Die Vorinstanz entschied, dass die Verfahrenskosten von Fr. 600.sowie je eine Parteientschädigung für die beiden Privatklägerinnen an die Erben des verstorbenen Angeschuldigten überbunden werden. Dagegen erhob die Erbengemeinschaft des Angeschuldigten die Appellation.
Auszug aus den Erwägungen:
(...)
C.
(...)
Was die erstinstanzlichen Verfahrenskosten betrifft, schliesst sich die Kammer der Argumentation der Generalprokuratur an. Wie das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat, können im Kanton Bern die Verfahrenskosten eines wegen Ablebens des Angeschuldigten niedergelegten Strafverfahrens infolge mangelnder gesetzlicher Grundlage nicht den Erben auferlegt werden, sondern sind in Anwendung von Art. 395 StrV vom Kanton zu tragen.
Nach der geltenden Regelung im Bernischen Gesetz über das Strafverfahren (StrV) können in der vorliegenden Konstellation dem Appellanten auch keine Interventionskosten der Privatklägerinnen auferlegt werden. Gemäss Art. 396 Abs. 1 u. 2 StrV kann die obsiegende Privatklägerschaft von der angeschuldigten Person, die angeschuldigte Person von der im Strafpunkt unterliegenden Privatklägerschaft den Ersatz der Parteikosten verlangen (letzteres nur, wenn die Beteiligung der Privatklägerschaft im Verfahren nicht gerechtfertigt war). Vorliegend wurde dem Verfahren infolge Hinschieds des Angeschuldigten richtigerweise keine weitere Folge gegeben, weshalb beispielsweise auch das Beweisverfahren gar nicht zu Ende geführt wurde. Es gibt somit auch keine obsiegende Partei, welche von der Gegenpartei den Ersatz der Parteikosten verlangen könnte. Weil in der Sache gar nicht entschieden wurde, kann auch nicht von einer teilweisen Zusprechung der Begehren die Rede sein, wo gemäss Abs. 4 von Art. 396 StrV auch eine verhältnismässige Teilung der Kosten möglich wäre. Schliesslich hält Art. 396 Abs. 5 StrV fest, dass die Kostenregelung gemäss den vorstehenden Abs. 1 bis 4 ausnahmsweise auch im Falle gelte, wo einem Verfahren keine weitere Folge gegeben wird. Eine solche Ausnahme liegt in concreto allerdings nicht vor, ist diese Bestimmung doch ausschliesslich für Fälle gedacht, in denen eine Partei mutwillig einen Keine-weitere-Folgegebung-Beschluss provoziert hat — MAURER nennt das Beispiel des Angeschuldigten, der erfolgreich auf Zeit
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gespielt und sich dadurch in die Verjährung gerettet hat (THOMAS MAURER, Das bernische Strafverfahren, 2. Auflage, Seite 605). Ein anderer Entscheid — z.B. analog Art. 206 ZPO, wonach trotz Abbruch des Rechtsstreites zur Kostenverlegung noch nachträglich entschieden wird, wer wohl in der Sache obsiegt hätte — ist dem Strafrecht völlig fremd. Die Interventionskosten sind daher wettzuschlagen.
Gemäss Art. 399 Abs. 1 StrV hat die zuständige Gerichtsbehörde u.a. wenn dem Verfahren keine weitere Folge gegeben wird von Amtes wegen über die Ausrichtung einer Entschädigung an die angeschuldigte Person und deren Bemessung zu befinden. Die Entschädigung kann verweigert herabgesetzt werden, wenn die durch das Strafverfahren erlittenen Nachteile geringfügig sind, wenn die angeschuldigte Person in rechtlich vorwerfbarer Weise das Verfahren veranlasst so dessen Durchführung erschwert hat, insbesondere wenn ihr deswegen die Verfahrenskosten ganz teilweise auferlegt worden sind, wenn die Privatklägerschaft zu den Parteikosten der angeschuldigten Person verurteilt wird (Art. 401 Abs. 1 StrV). Der vorliegende Fall erfüllt keiner dieser Ausnahmebestimmungen, weshalb dem Angeschuldigten grundsätzlich eine Entschädigung auszurichten wäre. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Entschädigung infolge Ablebens des Angeschuldigten nun an die Erben auszuzahlen ist. Im Bezug auf die Verlegung der Verfahrenskosten hat das Bundesgericht festgehalten, dass bis zum gerichtlichen Kostenentscheid weder die Zahlungspflicht als solche noch der allfällige Forderungsbetrag feststeht. Die Pflicht zur Kostentragung entstehe somit durch die entsprechende Verfügung; diese wirke nicht feststellend, sondern rechtsgestaltend. Im Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Angeschuldigten sei keine Kostenforderung entstanden; als die Kostenverfügung ergangen sei, sei die Rechtspersönlichkeit des Angeschuldigten durch Tod bereits untergegangen. Daher sei ein Rechtsübergang vom Angeschuldigten auf die Alleinerbin ausgeschlossen. Unter diesen Voraussetzungen lasse sich die Zahlungspflicht nicht mit einer allfälligen Analogie zur Steuernachfolge zur erbrechtlichen Universalsukzession begründen (vgl. BGE 132 1117 E. 7.3. und 66_476/2008 E. 2.3.). Im Bezug auf die Ausrichtung einer Entschädigung kann nun nichts anderes gelten. Es fehlt ebenfalls an einer gesetzlichen Grundlage für die Ausrichtung der Entschädigung an die Erben. Gleich wie die Pflicht zur Leistung von Verfahrenskosten entsteht das Recht auf Entschädigung auch erst mit der entsprechenden Verfügung. Ein Rechtsübergang ist ausgeschlossen. Es erfolgt keine Rechtsnachfolge der Erben in die Prozessstellung des verstorbenen Angeschuldigten und somit besteht auch keine Handhabe für den Zuspruch einer Entschädigung an die Erben für die Verteidigungskosten.
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