SK 2008 362 - Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Leitentscheid)
SK-Nr. 2008/362
Urteil der 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern,
unter Mitwirkung von Oberrichter Stucki (Präsident i. V.), Oberrichter Weber und Oberrichter Zihlmann sowie Kammerschreiberin Kurt
vom 27. November 2008
in der Strafsache gegen
A.
Angeschuldigter/Appellant
wegen Vernachlässigung von Unterhaltspflichten
B.
Privatklägerin
Regeste
Bei Verurteilungen wegen Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217 StGB) ist generell auf die Ausfällung einer Verbindungsbusse gemäss Art. 42 Abs. 4 StGB zu verzichten, wenn die Unterhaltspflichten des Angeschuldigten auch nach dem Urteil fortdauern (E. II. 7.).
Redaktionelle Vorbemerkungen:
Der Angeschuldigte wurde vor erster Instanz schuldig gesprochen wegen Vernachlässigung von Unterhaltspflichten, begangen in der Zeit von Mai 2001 bis Dezember 2007 z.N. von B. und deswegen verurteilt zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 60.00, ausmachend total Fr. 3’000.00 (Probezeit von drei Jahren), zu einer Busse von Fr. 1'500.00 (Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Tagen) sowie zu den Verfahrenskosten von Fr. 1'200.00. Der Angeschuldigte appellierte gegen das ausgefällte Strafmass.
Auszug aus den Erwägungen:
(...)
II. Strafzumessung
(...)
7. Busse
Die Vorinstanz sprach zusätzlich eine Busse nach Art. 42 Abs. 4 i. V. m. Art. 106 StGB in der Höhe von Fr. 1'500.00 aus. Diese Busse erscheine unter den genannten Umständen als angemessen (pag. 229).
Der Generalprokurator führte bezüglich der ausgesprochenen Busse folgendes aus:
Gemäss Art. 42 Abs. 4 StGB können bedingte Geldstrafen mit einer Busse verbunden werden. Diese Busse hat gemäss ihrer Entstehungsgeschichte zwei Zwecke: Der eine Zweck liegt darin, eine Person, die ein Vergehen begangen hat, nicht milder zu bestrafen als diejenige, die sich im gleichen Bereich lediglich einer Übertretung schuldig gemacht. Diese Überlegung muss bei A. nicht angestellt werden. Der zweite Zweck liegt darin, einem Angeschuldigten zu zeigen, dass strafbares Verhalten eine spürbare staatliche Reaktion zur Folge hat (Denkzettelfunktion). Die Voraussetzungen dafür sind hier an sich gegeben. Man könnte sich allerdings fragen, ob es sehr sinnvoll ist, wenn im Verfahren wegen Vernachlässigung der Unterhaltspflichten der Staat durch Ausfällung einer zusätzlichen Busse in Konkurrenz tritt mit der Trägerin des angegriffenen Rechtsgutes und somit im Ergebnis deren Chancen, zu ihrem Recht zu kommen, schmälert. Die Staatsanwaltschaft hätte wohl kaum selbstständig die Appellation erklärt, wenn der Gerichtspräsident in dieser Konstellation auf eine Denkzettelbusse verzichtet hätte. (Seite 3)
Gemäss Art. 42 Abs. 4 StGB kann eine bedingte Geldstrafe mit einer unbedingten Geldstrafe mit einer Busse nach Art. 106 StGB verbunden werden. Der Zweck dieser Verbindungsbusse wird vom Bundesgericht in BGE 134 IV 60 E. 7.3.1. wie folgt beschrieben:
Dadurch soll im Bereich der Massendelinquenz die Möglichkeit geschaffen werden, eine spürbare Sanktion zu verhängen. Die Bestimmung dient in erster Linie dazu, die Schnittstellenproblematik zwischen der Busse (für Übertretungen) und der bedingten Geldstrafe (für Vergehen) zu entschärfen (Botschaft 2005 S. 4695, 4699 ff. und 4705 ff.). Auf Massendelikte, die im untersten Bereich bloss mit Bussen geahndet werden, soll auch mit einer unbedingten Sanktion reagiert werden können, wenn sie die Schwelle zum Vergehen überschreiten. Insoweit, also im Bereich der leichteren Kriminalität, verhilft Art. 42 Abs. 4 StGB zu einer rechtsgleichen Sanktionierung (BGE 134 IV 82 E. 8 S. 94) und übernimmt auch Aufgaben der Generalprävention (BGE 134 IV 1 E. 4.5.1). Die unbedingte Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse trägt ferner dazu bei, das unter spezialund generalpräventiven Gesichtspunkten eher geringe Drohpotential der bedingten Geldstrafe zu erhöhen. Dem Verurteilten soll ein Denkzettel verpasst werden können, um ihm (und soweit nötig allen anderen) den Ernst der Lage vor Augen zu führen und zugleich zu demonstrieren, was bei Nichtbewährung droht (siehe BOMMER, a.a.O., S. 35).
Im Fall des Tatbestandes der Vernachlässigung von Unterhaltspflichten gemäss Art. 217 StGB besteht die oben erwähnte Schnittstellenproblematik nicht (so auch der Generalprokurator auf Seite 3 seines Parteivortrages). In dieser Hinsicht ist die Aussprechung einer Busse damit nicht geboten.
Oft liegen gerade in den Fällen von Art. 217 StGB finanzielle Engpässe vor. Aufgrund der persönlichen Beziehung bestehen meistens wenig durchschaubare Gründe, welche zur Tat geführt haben. Vor diesem Hintergrund genügt es nach Ansicht der Kammer, dem Täter durch das gerichtliche Verfahren und den damit verbundenen Kosten vor Augen zu führen, dass sein Verhalten nicht gebilligt und vom Staat pönalisiert wird. Eine Denkzettelbusse ist in der Regel nicht erforderlich. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass bei der Ausfällung einer Verbindungsbusse der Staat mit der Weiterzahlung des Unterhaltsanspruchs in Konkurrenz tritt, wenn auch nach dem Urteil Unterhaltspflichten weiter bestehen. Diese Konstellation ist nicht sinnvoll und sollte vermieden werden. Aus den genannten Gründen ist in Fällen nach Art. 217 StGB, wenn die Unterhaltsverpflichtungen des Angeschuldigten fortdauern, generell auf eine Busse nach Art. 42 Abs. 4 StGB zu verzichten.
Nach dem Gesagten wird damit von der durch die Vorinstanz ausgefällten Verbindungsbusse von Fr. 1'500.00 abgesehen.
(...)