2016 Sozialversicherungsrecht 55
[...]
4 Art. 8 und 21 IVG; Art. 14 IVV; Art. 2 HVI; Ziff. 10.05 HVI-Anhang Prüfung des Anspruchs auf invaliditätsbedingte Abänderungen von Motorfahrzeugen als kostspielige Hilfsmittelversorgung. In begründeten Ausnahmen kann dabei von den Preislimiten gemäss dem entsprechenden Kreisschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherungen abgewichen werden, wenn das Hilfsmittel die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt; vorliegend bejaht für den Einbau eines automatischen Getriebes. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. Februar 2016 i.S. A.S. gegen SVA Aargau (VBE.2015.521; bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts 8C_256/2016 vom 22. Juli 2016) Aus den Erwägungen
2.
(Grundsätze zum Anspruch auf kostspielige Hilfsmittel für die
Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt
oder für die Selbstsorge nach Art. 8 und 21 Abs. 2 IVG, Art. 14 IVV,
Art. 2 HVI sowie Ziff. 10.05 HVI-Anhang)
3.
3.1.
Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer - nach
vorgängiger Rücksprache mit der Beschwerdegegnerin in Deutsch-
2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 56
land das Fahrzeug "Mercedes-Benz E 220 CDI T-Modell" als
Neuwagen erworben hat, weil sein bisheriges angepasstes Fahrzeug
"Peugeot 406 Break" mit Jahrgang 2000 das Ende der Lebensdauer
erreicht habe. Unter anderem waren im neuen Fahrzeug ab Werk fol-
gende optionalen Ausstattungen verbaut:
Code Bezeichnung Preis (in EUR)
211 Polsterung Leder "Lugano" schwarz 1'730.00
228 Standheizung 1'370.00
427 7G-TRONIC PLUS 2'150.00
Mit Eingabe vom 10. Juni 2014 ersuchte der Beschwerdeführer
die Beschwerdegegnerin um Kostengutsprache für invaliditätsbe-
dingte Änderungen am neuen Fahrzeug. Die Beschwerdegegnerin
veranlasste in der Folge am 17. Juni 2014 eine fachtechnische Beur-
teilung durch die SAHB, welche am 20. August 2014 erstattet wurde.
Bezüglich der hier streitigen Positionen wird in dieser mit Verweis
auf Rz. 2099 KHMI ausgeführt, das automatische Getriebe könne im
Umfang von Fr. 1'300.00 übernommen werden. Lederausstattung
und Standheizung seien nicht zu übernehmen. Dies könne jedoch we-
gen möglicher medizinisch relevanter Faktoren nicht abschliessend
beurteilt werden. Total seien neben den hier unstreitigen weiteren
Kosten der Abänderung durch die G. AG, (...), im Umfang von total
Fr. 48'968.45 für das automatische Getriebe Fr. 1'300.00 und für das
weitere Zubehör ab Werk EUR 4'225.00 der Kostengutsprache zu-
gänglich. Nachdem die Beschwerdegegnerin in diesem Sinne am
17. September 2014 einen Vorbescheid erlassen und der Beschwerde-
führer am 15. Oktober 2014 Einwände erhoben hatte, holte die Be-
schwerdegegnerin zusätzlich eine Stellungnahme bezüglich Harn-
und Stuhlinkontinenz bei der behandelnden Ärztin ein. H., Fachärz-
tin für Physikalische Medizin und Rehabilitation, (...), beantwortete
diese Anfrage am 16. März 2015 dahingehend, dass trotz bestmög-
licher Vorkehrungen eine Harnund Stuhlinkontinenz nicht gänzlich
vermieden werden könne.
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3.2.
Bezüglich der erwähnten ab Werk verbauten optionalen Aus-
stattungen hat die Beschwerdegegnerin in ihrer Verfügung vom
16. Juli 2015 zutreffend erkannt, dass auch diese unter dem Titel der
invaliditätsbedingten Abänderung von Motorfahrzeugen im Sinne
von Ziff. 10.05 des HVI-Anhangs der Kostengutsprache zugänglich
sind, auch wenn keine eigentliche Nachrüstung im Sinne einer
Abänderung erfolgt (vgl. hierzu SILVIA BUCHER, Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung, 2011, Rz. 451 mit Hinweisen).
3.3.
3.3.1.
Das automatische Getriebe "7G-TRONIC PLUS" hat einen Lis-
tenpreis von EUR 2'150.00 exkl. MwSt. (...). Die Beschwerdegegne-
rin will davon mit Verweis auf Rz. 2099 KHMI bloss Fr. 1'300.00
übernehmen. Bei der KHMI handelt es sich um eine Verwaltungs-
weisung, die sich an die Durchführungsstellen richtet und für das
Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich ist. Dieses soll sie bei
seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem
Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der an-
wendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulässt. Das Gericht weicht
also nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen ab, wenn
diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben
darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch in-
terne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewähr-
leisten, Rechnung getragen (vgl. Urteil des Bundesgerichts
8C_331/2011 vom 19. Juli 2011 E. 3.1 mit Hinweisen). Setzt das
BSV weisungsmässig Preislimiten fest und konkretisiert so das
gesetzliche Erfordernis der einfachen und zweckmässigen Ausfüh-
rung eines Hilfsmittels, so darf damit der Hilfsmittelanspruch einer
versicherten Person jedoch nicht eingeschränkt werden. Eine Preisli-
mite darf insbesondere nicht dazu führen, dass einer versicherten
Person ein zuvor als notwendig erkanntes Hilfsmittel vorenthalten
wird (BGE 130 V 163 E. 4.3.2 und 4.3.3 S. 172 ff.; vgl. auch
BUCHER, a.a.O., Rz. 424 ff.). Auch ein die Preislimite überschreiten- des Hilfsmittel kann demnach das Erfordernis der einfachen und
zweckmässigen Ausführung erfüllen (BGE 131 V 167 E. 3 S. 170 f.;
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Urteil des Bundesgerichts 9C_554/2007 vom 22. August 2008
E. 4.3.1).
3.3.2.
Unbestritten und auf Grund einer aktenkundigen Verfügung des
kantonalen Strassenverkehrsamts vom 29. März 2001 auch hin-
reichend erstellt ist, dass der Beschwerdeführer auf ein automa-
tisches Getriebe angewiesen ist, wobei je nach Fahrzeugtyp für die
Betätigung der Getriebewahlsperre eine Zusatzvorrichtung erforder-
lich ist. Aus diesem Grund wurde beim früheren Personenwagen
"Peugeot 406 Break" die Schalthebelvorrichtung des Automatik-
getriebes entsprechend adaptiert, weil der Beschwerdeführer den
Arretierungsknopf nicht betätigen konnte. Im hier fraglichen
Fahrzeug "Mercedes Benz E 220 CDI T-Modell" sind ein Hebel-
verlegungspaket zum Preis von EUR 540.00 sowie ein "DIRECT
SELECT"-Wahlhebel verbaut. Im diesbezüglichen SAHB-Abklä-
rungsbericht vom 20. August 2014 ging die Abklärungsperson davon
aus, das Hebelverlegungspaket bewirke eine werkseitige Montage
des Gangwahlhebels rechts an der Lenksäule. Dies ermögliche eine
einfachere Bedienung, insbesondere der Hebelentsperrung. Ferner
entfalle damit ein zusätzliches Transferhindernis. Dies sei nach-
vollziehbar und zweckmässig, weil weitere Anpassungen des Gang-
wahlhebels eingespart werden könnten. Es werde daher die Kosten-
übernahme empfohlen. Die Abklärungsperson verkennt dabei, dass
der "DIRECT SELECT"-Wahlhebel bei Auswahl des aufpreispflich-
tigen "7G-TRONIC PLUS"-Automatikgetriebes ohne zusätzliche
Kosten ab Werk rechts an der Lenksäule verbaut wird (...). Das
Hebelverlegungspaket indes bewirkt die Bedienbarkeit der sich links
der Lenksäule befindlichen Blinkerund Tempomathebel von rechts
(...). Trotzdem ist dem SAHB-Abklärungsbericht vom 20. August
2014 insofern zuzustimmen, als das Fahrzeug durch die Wahl des
"7G-TRONIC PLUS"-Automatikgetriebes gleichzeitig mit einem für
den Beschwerdeführer bereits optimal angepassten Automatikwahl-
hebel ("DIRECT SELECT"-Wahlhebel) ab Werk ausgeliefert wurde.
Damit entfallen anderes als beim erwähnten Fahrzeug "Peugeot
406 Break" anderen Fahrzeugen mit in der Mittelkonsole
verbauten Gangwahlhebeln mit herkömmlicher Getriebewahlsperre -
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weitere diesbezügliche Anpassungskosten, wie die Abklärungsperson
richtigerweise festhält. Weil zwar der Preis für das Automatik-
getriebe die gesetzte Limite von Fr. 1'300.00 gemäss Rz. 2099 KHMI
übersteigt, jedoch die Voraussetzungen der Einfachheit und Zweck-
mässigkeit der Massnahme im Sinne des Gesagten trotzdem erfüllt
sind, liegt ein Ausnahmefall vor (vgl. vorne E. 3.3.1. und Urteil des
Bundesgerichts 9C_308/2014 vom 19. Mai 2015 E. 4.5 mit Hin-
weisen). Es ist damit vorliegend von der erwähnten Beschränkung in
Rz. 2099 KHMI zu Gunsten des Beschwerdeführers abzuweichen
und es sind die vollen Kosten für das automatische Getriebe im
Umfang von EUR 2'150.00 zu übernehmen. Die Kostengutsprache
hat wie die Beschwerdegegnerin in ihrer Verfügung vom 16. Juli
2015 richtig erkannte in Euro zu erfolgen, weil der Kaufpreis in
Euro geleistet wurde, womit der Erstattungsanspruch ebenfalls auf
Euro lautet (vgl. hierzu BGE 134 III 151).
3.4.
Hinsichtlich der Lederausstattung "Lugano" gibt der Beschwer-
deführer an, diese erleichtere ihm das Einund Aussteigen. Ferner
leide er an Blasenund Darmfunktionsstörungen, weshalb ein Leder-
sitzbezug wegen der erleichterten Reinigung praktischer sei. Es ist
indes der Beschwerdegegnerin zuzustimmen, dass damit jedenfalls
bloss die Belederung des Fahrersitzes zu rechtfertigen wäre, wo-
hingegen die Lederausstattung "Lugano" unbestrittenermassen die
gesamte Innenausstattung erfasst. Doch auch bezüglich des leder-
bezogenen Fahrersitzes ist nicht von einer einfachen und zweck-
mässigen Ausführung auszugehen. Vielmehr sind sowohl der verein-
fachte Transfer vom und in das Fahrzeug als auch die erleichterte
Reinigungsfähigkeit auch durch die Verwendung geeigneter
Schonbezüge wesentlich kostengünstiger ebenfalls zu erreichen. So-
weit die Dauerhaftigkeit und Robustheit von Ledersitzbezügen ange-
führt wird, sind diese weder aktenmässig erstellt noch angesichts
heutiger moderner Stoffe überzeugend. Im Übrigen führen auch die
erwähnten Schonbezüge zum gleichen Effekt. Schliesslich ist darauf
hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bezüglich Standheizung un-
ter anderem eine Temperaturregulationsstörung anführt (dazu so-
gleich unter E. 3.5.; vgl. hierzu auch Urteil des Eidgenössischen Ver-
2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 60
sicherungsgerichts I 829/05 vom 16. August 2006 E. 3.3.2). Erfah-
rungsgemäss unterliegen jedoch Ledersitze wesentlich grösseren
Oberflächentemperaturschwankungen als Stoffsitze, weshalb sie
unter diesem Aspekt nicht als zweckmässig zu erachten sind, zumal
das Fahrzeug zwar über eine Sitzheizung, nicht aber über eine
Sitzbelüftung zur Kühlung verfügt. Die Übernahme der Kosten für
die Lederausstattung "Lugano" wurde damit von der Beschwerde-
gegnerin zu Recht verneint.
3.5.
3.5.1.
Bezüglich der Standheizung gibt der Beschwerdeführer an, ihm
stehe weder an seinem Wohnnoch am Arbeitsort ein geschützter
Parkplatz zur Verfügung, was von der Beschwerdegegnerin so aner-
kannt wird. Er sei weiter nicht in der Lage, das Fahrzeug von Eis und
Schnee zu befreien, weshalb es der Standheizung bedürfe. Schliess-
lich sei zu beachten, dass er als Tetraplegiker an Temperaturregulati-
onsstörungen leide, weshalb ihm das Verharren im kalten Auto unzu-
mutbar sei. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung können
Vereisung und Beschlag an den Scheiben grundsätzlich auch mit der
Standardheizung des Fahrzeuges entfernt werden. Eine wesentliche
Erleichterung durch eine Standheizung, welche die Finanzierung die-
ser kostspieligen Zusatzausrüstung durch die Invalidenversicherung
als verhältnismässig erscheinen liesse, sei grundsätzlich nicht gege-
ben. Vielmehr sei es der versicherten Person im Rahmen ihrer Scha-
denminderungspflicht zumutbar, den mit der alleinigen Verwendung
der Standardheizung verbundenen zeitlichen Mehraufwand zu erbrin-
gen. Dabei sei einer allfälligen Unterkühlung des Körpers mittels ge-
eigneter Kleidung vorzubeugen (Urteil des Bundesgerichts
9C_314/2014 vom 7. November 2014 E. 6.1; vgl. auch Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 589/2003 vom 11. Dezem-
ber 2003 E. 3.2). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die versi-
cherte Person nicht mehr in der Lage sein sollte, beschlagene Schei-
ben vom Rollstuhl aus zu säubern, und wenn ihr auf Grund einer
inkompletten Tetraplegie - das Ausharren im kalten Fahrzeug wäh-
rend der Zeit, welche die Standardheizung für die Enteisung der
Scheiben benötigt, weniger zumutbar ist (Urteil des Eidgenössischen
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Versicherungsgerichts I 829/05 vom 16. August 2006 E. 3.3.2). Da-
bei ist insbesondere zu beachten, dass es in den hiesigen Breitengra-
den auch im Winter äusserst selten zu einer Vereisung der Fahrzeug-
scheiben während eines Arbeitstages kommt. Leichten Fällen kann
dabei mittels der Standardheizung begegnet werden, den sehr selte-
nen Fällen starker Vereisung mit zu erwartender Hilfe von
Drittpersonen wie Arbeitskollegen (Urteil des Bundesgerichts
9C_314/2014 vom 7. November 2014 E. 6.1 und 6.2.2; vgl. auch Ur-
teil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 829/05 vom 16. Au-
gust 2006 E. 3.4).
3.5.2.
Vorliegend verhält es sich nicht anders. Zwar verfügt der Be-
schwerdeführer weder an seinem Wohnnoch an seinem Arbeitsort
über einen geschützten Parkplatz. Indes ist auf Grund der geographi-
schen Lage der beiden Orte im Sinne erwähnter Rechtsprechung
auch nicht mit einem häufigen Auftreten dieser Problematik zu rech-
nen. Angesichts des ausgesprochenen Ausnahmecharakters von
schweren Vereisungen ist es dem Beschwerdeführer vielmehr zumut-
bar, den leicht erhöhten Aufwand durch die Benutzung der Standard-
heizung in Kauf zu nehmen (Urteil des Bundesgerichts 9C_314/2014
vom 7. November 2014 E. 6.1 und 6.2.2; vgl. auch Urteil des Eidge-
nössischen Versicherungsgerichts I 829/05 vom 16. August 2006
E. 3.4 in fine). Im Übrigen wird der Beschwerdeführer bei Fällen
schwerer Vereisung in der Regel ohnehin auf Dritthilfe angewiesen
sein, weil im Sinne der Betriebssicherheit auch die Scheinwerfer und
Lichter des Fahrzeugs sowie bei Schneefall dessen Dach freigeräumt
werden müssen (vgl. Art. 29 und 41 des Strassenverkehrsgesetzes
[SVG]), was auch durch eine Standheizung nicht zu bewerkstelligen
ist (Urteil des Bundesgerichts 9C_314/2014 vom 7. November 2014
E. 6.2.2). In diesem Sinne ist der Anspruch auf eine Standheizung zu
verneinen.
4.
Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die Beschwerde-
gegnerin die Kosten des automatischen Getriebes von EUR 2'150.00
vollumfänglich und nicht bloss teilweise im Umfang von Fr. 1'300.00
zu übernehmen hat. Ein Anspruch auf die Lederausstattung "Lugano"
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und die Standheizung besteht demgegenüber nicht. Die Beschwerde
ist damit teilweise gutzuheissen und die Verfügung der Beschwer-
degegnerin vom 16. Juli 2015 entsprechend anzupassen.