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Urteil Obergericht (AG)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2016 1: Obergericht

In dem Fall vor dem Obergericht des Kantons Zürich ging es um einen Beschuldigten, der wegen einfacher Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Hinderung einer Amtshandlung angeklagt war. Der Beschuldigte wurde zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je Fr. 10.- verurteilt, deren Vollzug nicht aufgeschoben wurde. Zudem wurde eine frühere Geldstrafe widerrufen. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beschuldigten auferlegt. Die Entscheidungsgebühr wurde festgesetzt, und die Kosten der amtlichen Verteidigung wurden auf die Gerichtskasse genommen. Der Beschuldigte war männlich.

Urteilsdetails des Kantongerichts AGVE 2016 1

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2016 1
Instanz:Obergericht
Abteilung:Abteilung Versicherungsgericht
Obergericht Entscheid AGVE 2016 1 vom 27.10.2016 (AG)
Datum:27.10.2016
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:AGVE - Archiv 2016 Sozialversicherungsrecht 29 I. Sozialversicherungsrecht 1 Art. 13 und 14 IVG; Art. 3 Abs. 2 ATSG; Art....
Schlagwörter : Synagis; Kinder; Studie; Kindern; Lebensjahr; Infekt; Alter; Spezialitäten; Virus; Risiko; Hospitalisation; Spezialitätenliste; Syncytial; Invaliden; Geburt; Invalidenversicherung; Prophylaxe; Behandlung; Respiratory; Sozialversicherungsrecht; Geburtsgebrechen; Limitatio; Erkenntnis; Therapie; Palivizumab; Impact-Studie; Saison; Massnahme; Versicherungsgericht
Rechtsnorm:Art. 3 ATSG ;
Referenz BGE:123 V 53;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts AGVE 2016 1

2016 Sozialversicherungsrecht 29

I. Sozialversicherungsrecht
1 Art. 13 und 14 IVG; Art. 3 Abs. 2 ATSG; Art. 1 f. GgV; Art. 4bis IVV; Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 64 ff. KVV Voraussetzungen, unter welchen ein Off-Label Use eines Medikamentes (Synagis) als medizinische Massnahme bei einem Geburtsgebrechen von der Invalidenversicherung zu tragen ist. Die Kostentragungspflicht der Invalidenversicherung über die Limitatio hinaus wurde vorliegend mangels eines aufgrund bewährter wissenschaftlicher Erkenntnisse nach- gewiesenen grossen therapeutischen Nutzens verneint. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 31. Mai
2016, i.S. M.B. gegen SVA Aargau (VBE.2015.734; bestätigt durch Urteil des
Bundesgerichts 8C_523/2016 vom 27. Oktober 2016)
Aus den Erwägungen 2.
2.1.-2.2.
(Grundsätze zum Anspruch auf medizinische Massnahmen bei Geburtsgebrechen nach Art. 13 f. IVG, Art. 3 Abs. 2 ATSG in Verbin- dung mit Art. 1 Abs. 1 GgV; Art. 2 GgV) 2.3.
2.3.1.
Als medizinische Massnahmen im Sinne dieser Bestimmung
gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medi-
zinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Er-
folg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3
GgV).
2.3.2.
Eine Behandlungsart entspricht bewährter Erkenntnis der
medizinischen Wissenschaft, wenn sie von Forschern und Praktikern
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der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Das
Schwergewicht liegt auf der Erfahrung und dem Erfolg im Bereich
einer bestimmten Therapie (BGE 123 V 53 E. 2b/aa S. 58). Die für
den Bereich der Krankenpflege entwickelte Definition der Wissen-
schaftlichkeit findet prinzipiell auch auf die medizinischen Massnah-
men der Invalidenversicherung Anwendung. Eine Vorkehr, welche
mangels Wissenschaftlichkeit nicht durch die obligatorische
Krankenversicherung zu übernehmen ist, kann grundsätzlich auch
nicht als medizinische Massnahme nach Art. 12 13 IVG zu Las-
ten der Invalidenversicherung gehen (Urteil des Bundesgerichts
8C_590/2011 vom 13. Juni 2011 E. 2.4 mit Hinweisen). Medizini-
sche Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung sowie
Analysen und Arzneimittel (Art. 4bisIVV) werden somit nur unter der
Voraussetzung gewährt, dass sie wissenschaftlich anerkannt sind.
2.3.3.
In die durch das Bundesamt für Gesundheit erstellte Liste der
pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel
(Spezialitätenliste; Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 64 KVV) werden
Arzneimittel aufgenommen, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit
und Wirtschaftlichkeit nachgewiesen ist (vgl. Art. 65 ff. KVV). Ge-
mäss Rz. 1205 des Kreisschreibens über die medizinischen Einglie-
derungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME; in den für
den massgeblichen Zeitpunkt gültigen Fassungen) gelten für jene
Medikamente, welche auf der Spezialitätenliste aufgeführt werden,
die in Art. 2 Abs. 3 GgV genannten Voraussetzungen als erfüllt.
Synagis, ein antivirales Präparat zur Prophylaxe von bestimm-
ten Lungeninfektionen, ist seit dem 1. Oktober 2000 unter Ziff. 08.03
in der Spezialitätenliste enthalten. Es unterliegt Limitierungen. So ist
Synagis namentlich für die Behandlung von Kindern bis zum Alter
von einem Jahr mit vorbestehender und bereits behandelter broncho-
pulmonaler Dysplasie (BPD), Frühgeburten, welche bei Beginn der
Respiratory Syncytial Virus (RSV)-Saison höchstens 6 Monate alt
sind und von Kindern bis zu einem Alter von 2 Jahren mit
hämodynamisch signifikanter, angeborener Herzerkrankung (Verord-
nung nur durch den Pädiater den Kardiologen) angezeigt (vgl.
Ziff. 08.03 der Spezialitätenliste).
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Zwar hat die Invalidenversicherung grundsätzlich nicht für pro-
phylaktische Massnahmen aufzukommen (vgl. Rz. 1023 KSME). In-
dessen fallen Heilmittel, mit welchen das geburtsgebrechensbedingte
Risiko anderweitiger Krankheiten vermindert wird, in ihren Leis-
tungsbereich. Ist eine Behandlung wegen eines Geburtsgebrechens
notwendig, ist sie sowohl für die Behandlung des Geburtsgebrechens
selbst als auch für die geburtsgebrechensbedingte Prävention
zuständig; es findet keine Aufteilung der medizinischen Behandlung
zwischen Invalidenund Krankenversicherung statt (SVR 2011 IV
Nr. 80 S. 243, 9C_530/2010 E. 5.2; Urteil des Bundesgerichts
8C_590/2011 vom 13. Juni 2011 E. 4).
3.
3.1.
Es ist unbestritten, dass bei der Beschwerdeführerin das
Geburtsgebrechen Ziff. 247 (Syndrom der hyalinen Membranen)
vorlag und sie in der Folge eine schwere BPD entwickelte (welche
behandelt wurde), von Seiten der Beschwerdegegnerin für den mass-
geblichen Zeitraum eine Kostengutsprache für medizinische Mass-
nahmen im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziff. 247
bestand und die Behandlung mit Synagis ärztlich sowohl als
indiziert betrachtet wurde und die Behandlung gemäss geltender
Rechtsprechung in der vorliegenden Konstellation (unter Vorbehalt
der Limitatio) von der Beschwerdegegnerin zu übernehmen ist (vgl.
Urteil des Bundesgerichts 9C_190/2013 vom 23. April 2013 E. 3).
Des Weiteren wird von der Beschwerdeführerin anerkannt, dass
Synagis zwar auf der Spezialitätenliste verzeichnet ist, jedoch den
unter E. 2.3.3. hiervor dargelegten Limitierungen in casu Behand-
lung von Kindern bis zum Alter von einem Jahr mit vorbestehender
und bereits behandelter BPD - unterliegt, welche der Übernahme der
Kosten durch die Beschwerdegegnerin entgegenstehen. Die Be-
schwerdeführerin sieht hingegen eine Leistungspflicht der Beschwer-
degegnerin in Art. 71a KVV begründet.
3.2.
(Darstellung von Art. 71a Abs. 1 KVV und Rz. 1208 KSME)
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3.3.
Die Beschwerdeführerin macht einen Anspruch aus Art. 71a
Abs.1 lit. b KVV geltend und verweist auf einen Bericht des
Universitäts-Kinderspitals Z. vom 19. Dezember 2014. Demgemäss
sei die Beschwerdeführerin aufgrund der BPD weiterhin symptoma-
tisch und zeige die typische Klinik mit angestrengter Atmung, erhöh-
ter Atemfrequenz und einem obstruktiven Atemgeräusch. Ein Über-
gang in eine chronische Lungenerkrankung sei sehr gut möglich.
Dank der passiven Immunisierung mit Synagis in der Infektsaison
2013/14 und aufwändigsten Isolationsmassnahmen zu Hause, habe
die Beschwerdeführerin bis anhin einen RSV-Infekt vermeiden kön-
nen. Das Infektrisiko sei aus folgenden Gründe für die Wintersaison
2014/2015 deutlich erhöht: Vermehrte und engere soziale Kontakte
auch mit anderen Kindern, vermehrte Aufenthalte ausser Haus sowie
eine high-incidence (des RS-Virus) für die Infektsaison 2014/2015.
Eine komplexe Konstellation von Risikofaktoren erhöhe zudem das
Risiko eines komplizierten Verlaufes einer RSV-Infektion, so näm-
lich das Alter, der Schweregrad der BPD, die persistierende
respiratorische Symptomatik sowie die familiäre Risikokonstellation
mit ausgeprägter atopischer Diathese (beide Eltern mit Allergien und
Asthma). Aus diesen Gründen müssten alle prophylaktischen Mass-
nahmen bzgl. RSV-Aquisition möglichst ausgeschöpft werden.
Synagis stelle dabei als monoklonaler Antikörper gegen den RS-
Virus eine wirksame prophylaktische Therapie bei Risikopatienten
dar. Ein RSV-Infekt würde bei der Beschwerdeführerin sehr wahr-
scheinlich eine komplikationsreiche Hospitalisation nach sich ziehen.
Die Prophylaxe mit Synagis werde daher dringlichst empfohlen.
3.4.
3.4.1.
Wie bereits dargelegt (vgl. E. 2.3.3. hiervor) wurde Synagis
im Jahr 2000 in die Spezialitätenliste aufgenommen (vgl. Bulletins
39/00 und 44/00 des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), S. 750;
S. 864: Therapie. Gruppe 08.03.00, Dossier-Nr. 17484). Die Limita-
tio beschränkte sich dabei auf Kinder bis zum Alter von einem Jahr
mit vorbestehender und bereits behandelter BPD sowie Frühgebur-
ten, welche bei Beginn der Respiratory-Syncytial-Virus-(RSV-)Sai-
2016 Sozialversicherungsrecht 33

son höchstens sechs Monate alt sind. Die Erweiterung auf Kinder bis
zu einem Alter von 2 Jahren mit hämodynamisch signifikanter, ange-
borener Herzerkrankung erfolgte sodann im März 2014 (Bulletin
11/14 des BAG, S. 205).
Der Aufnahme und der Limitatio im Jahr 2000 ging zeitlich ein
"Konsensus Statement zur Prävention von Respiratory-Syncytial Vi-
rus (RSV-)Infektionen beim Neugeborenen und Säugling mit dem
humanisierten monoklonalen Antikörper Palivizumab (Synagis)"
von C. AEBI, D. NADAL, C. KIND, R. PFISTER, C. BARAZZONE und
J. HAMMER, in: Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ), 1999, 80: 2927
- 30 (nachfolgend AEBI ET AL.) voraus. Demnach sei der RSV der
häufigste Erreger hospitalisationsbedürftiger respiratorischer Infek-
tionen im ersten Lebensjahr. Bis zu 70 % aller Kinder würden im
ersten Lebensjahr erstmals mit RSV infiziert. Die RSV-Hospitalisa-
tionsrate gesunder Säuglinge liege im Bereich von 1 - 3 %. Risiko-
faktoren seien im ersten Lebensjahr enge Wohnverhältnisse, häufiger
Kontakt mit anderen Kindern, fehlende Muttermilchernährung,
Rauchexposition und Geburt innert sechs Monaten vor der RSV-Sai-
son. Bei Vorliegen von Risikofaktoren sei die RSV-bedingte
Hospitalisationsrate deutlich höher und liege bei BPD bei 15 - 45 %.
Die mittlere Hospitalisationsdauer betrage sieben Tage. Infektionen
träten in jährlichen Epidemien zwischen Oktober und März auf. In
der Schweiz werde eine zweijährige Periodizität beobachtet, indem
jeweils ein Winter mit hoher auf einen solchen mit geringer
Infektionshäufigkeit folge. Erste Ergebnisse zur klinischen Wirksam-
keit von Palivizumab hätten sich aus der Impact-Studie über 139
Zentren in den USA, Grossbritannien und Kanada, Saison 1996/1997
mit Kindern bis 24 Monate ergeben (AEBI ET AL. S. 2928). Die
Reduktion der Anzahl RSV-bedingter Hospitalisationen betrug
relativ 39 % (absolut 12.8 % zu 7.9 % (vgl.: Palivizumab, a
Humanized Respiratory Syncytial Virus Monoclonal Antibody,
Reduces Hospitalization From Respiratory Syncytial Virus Infection
in Highrisk Infants (Impact-Studie), Pediatrics, September 1998,
Volume / Issue 3)). In dieser Studie fehlt es an einer klaren
Unterscheidung zwischen Kindern unter 12 Monate und Kindern
zwischen 12 und 24 Monaten (vgl. Impact-Studie S. 532). Jedoch
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wurde festgehalten, dass auch bei Filterung nach Alter, Gewicht,
Geschlecht und BPD die prophylaktische Wirksamkeit von Synagis
statistisch signifikant geblieben sei (... Impact-Studie S. 533). Eine
Erläuterung dieses Modells einer tabellarischen Darstellung ist
jedoch nicht zugänglich.
Der Einbezug weiterer Forschungsergebnisse ergab gemäss den
Autoren C. AEBI, D. NADAL, C. KIND, R. PFISTER, C. BARAZZONE
UND J. HAMMER, dass mit der Verabreichung von Synagis kein
signifikanter Effekt auf die Letalität die Intubation habe erzielt
werden können. Unter Berücksichtigung der hohen Kosten von
Synagis könne daher eine prophylaktische Verabreichung grund-
sätzlich nicht empfohlen werden. Die Autoren würden den pro-
phylaktischen Einsatz einzig für frühgeborene Kinder im ersten Le-
bensjahr mit schwerer BPD, die innerhalb von sechs Monaten vor
der RSV-Saison einer Therapie bedurfte, in Erwägung ziehen (vgl.
AEBI ET AL., a.a.O., S. 2930).
3.4.2.
Mit Update 2004 gaben die Autoren C. AEBI, D. NADAL,
C. KIND, R. PFISTER, C. BARAZZONE, J. HAMMER, J. GÜNTHARDT
und J. P. PFAMMATTER in: Paediatrica 2004, Vol. 15 No. 6, ein
überarbeitetes "Konsensus Statement zur Prävention von Respira-
tory-Syncytial Virus (RSV-)Infektionen mit dem humanisierten
monoklonalen Antikörper Palivizumab (Synagis)" ab. Demnach
empfehle die Fachgruppe die Anwendung von Synagis für Kinder
bis 12 Monate bei schwerer BPD sowie nicht korrigiertem, hämody-
namisch signifikantem kongenitalem Herzvitium und zusätzlichen
Risikofaktoren. Bei mittelschwerer BPD könne Synagis in Erwä-
gung gezogen werden. In den USA werde Synagis basierend auf
der vorgenannten Impact-Studie für Kinder mit behandelter BPD bis
ins Alter von 24 Monaten empfohlen (...). Die Autoren wiesen dabei
nochmals daraufhin, dass gemäss dem vorgenannten Statement aus
dem Jahr 1999 aufgrund der bescheidenen Wirksamkeit, der fehlen-
den Beeinflussung der Letalität sowie der hohen Kosten das routine-
mässige Verabreichen von Synagis nicht gerechtfertigt sei. Daran
sei aufgrund der bescheidenen Wirksamkeit weiter festzuhalten.
Ebenfalls sei an der Limitation auf Kinder mit schwerer BPD im
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chronologischen Alter von bis 12 Monaten festzuhalten (vgl. AEBI ET
AL., Update 2004, S. 15).
3.4.3.
Eine weitere Studie über 5067 Kinder jünger als fünf Jahre
ergab, dass 75 % aller wegen RSV hospitalisierten Kinder jünger als
zwölf Monate waren. Weniger als 20 % der Hospitalisationen fiel auf
Kinder im 2. Lebensjahr (... C.B. HALL, G.A. WEINBERG, M.K.
IWANE, ET AL. The burden of respiratory syncytial virus infection in
young children. N Engl. J Med. 2009; 360(6):588-598). Sodann
konnte anhand einer Studie über vier Jahre (Juli 1989 bis Juni 1993)
und 248'652 Kinderaltersjahren festgestellt werden, dass im zweiten
Lebensjahr die Hospitalisationsrate wegen RSV von Kindern mit
Komorbiditäten grundsätzlich tiefer war, als die Rate von gesunden
Kindern in deren erstem Lebensjahr. Die Hospitalisationsrate von
Kindern mit einer BPD blieb hingegen vergleichsweise hoch, wenn
auch hier eine Reduktion um circa 4/5 festgestellt werden konnte (...
T.G. BOYCE, B.G. MELLEN, E.F. MITCHEL JR, P.F. WRIGHT, M.R.
GRIFFIN, Rates of hospitalization for respiratory syncytial virus
infection among children, in: Medicaid. The Journal of pediatrics,
2000;137(6):865-870).
3.4.4.
Das Committee on infectious Diseases und das Bronchiolitis
Guidelines Committee kamen sodann in ihrer "Updated Guidance for
Palivizumab Prophylaxis Among Infants and Young Children at
Increased Risk of Hospitalization for Respiratory Syncytial Virus
Infection, Policy Statement und Technical Report" (Pediatrics;
August 2014, Volume 134 / Issue 2) in Würdigung der aktuellen
Erkenntnisse zum Schluss, es stünden nur begrenzte Daten über die
Sicherheit und keine Wirksamkeitsdaten in Bezug auf die Prophylaxe
mit Synagis für Kinder im zweiten Lebensjahr zur Verfügung
(a.a.O., Technical Report, S. e627). Die Hospitalisierungsraten
würden aber auch ohne Prophylaxe während der zweiten RSV-
Saison bei allen Kindern unbesehen deren Komorbiditäten stark
sinken. Eine Prophylaxe mit Synagis im zweiten Lebensjahr sei
einzig bei Frühgeburten bis zur 32. Schwangerschaftswoche zu
empfehlen, bei denen nach Geburt eine mindestens 28tägige Sauer-
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stoffversorgung notwendig gewesen sei und die innerhalb von sechs
Monaten vor der RSV-Saison weiterhin auf Sauerstoffsupplementie-
rung, chronisch systemische Kortikosteroid-Therapie eine
diuretische Therapie angewiesen seien (... a.a.O., Policy Statement,
S. 416).
Zu keinem anderen Ergebnis führte denn auch eine Überprü-
fung von 420 Studien im Jahr 2014 (vgl. HOMAIRA, N., RAWLINSON,
W., SNELLING, T. L., & JAFFE, A., Effectiveness of palivizumab in
preventing RSV hospitalization in high risk children: A real-world
perspective in: International journal of pediatrics, Dezember 2014).
3.5.
Zusammenfassend ergibt sich aufgrund der aktuellen wissen-
schaftlichen Erkenntnisse, dass bei Vorliegen einer BPD zwar auch
im zweiten Lebensjahr eine erhöhte Infektionsgefahr mit dem RSV
und eine dadurch resultierende Hospitalisationsrate besteht, diese
aber gegenüber den Verhältnissen während des ersten Lebensjahres
als deutlich reduziert zu beurteilen ist. Sodann fehlt es soweit er-
sichtlich an umfassenden Studien, die sowohl die Infektund
Hospitalisationsrate und gleichzeitig auch die Wahrscheinlichkeit der
Prophylaxe durch Verabreichung von Synagis bei behandelter
schwerer BPD (und im Übrigen auch CLD, vgl. Updated Guidance
for Palivizumab Prophylaxis Among Infants and Young Children at
Increased Risk of Hospitalization for Respiratory Syncytial Virus In-
fection (Pediatrics; August 2014, Volume 134 / Issue 2)) im zweiten
Lebensjahr behandeln. Die Impact-Studie hielt zwar eine stabile
Effektivitätsrate von Synagis auch unter Filterung nach Alter bzw.
BPD fest, jedoch bleibt unklar, von welchen Messgrössen die
Studienleiter genau ausgingen. Zudem werden die diesbezüglichen
Ergebnisse auch in nachfolgenden Studien nicht dazu verwendet, die
Anwendbarkeit von Synagis ab dem zweiten Lebensjahr bei behan-
delter BPD zu begründen. Ein grosser therapeutischer Nutzen kann
der im Streit stehenden Synagis Impfung gegen den RSV aufgrund
fehlender fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse daher nicht
attestiert werden, wenn auch ein tödlicher Verlauf schwere und
chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen als Folgen eines In-
fektes und auch eine mögliche Prophylaxe durch die Gabe von
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Synagis nicht ausgeschlossen werden kann. Für die Zulassung
eines Off-Label Use kann jedoch nicht jeglicher therapeutische Nut-
zen genügen, könnte doch sonst in jedem Einzelfall die Beurteilung
des Nutzens an die Stelle der heilmittelrechtlichen Zulassung treten;
dadurch würde das gesetzliche System der Spezialitätenliste
unterwandert. Insbesondere muss vermieden werden, dass durch eine
extensive Praxis der ordentliche Weg der Listenaufnahme durch Ein-
zelfallbeurteilungen ersetzt und dadurch die mit der Spezialitätenliste
verbundene Wirtschaftlichkeitskontrolle umgangen wird (BGE 136
V 395 E. 5.2 S. 399 f. mit Hinweise). Vorliegend stellt die Limitatio
die Ausnahme zur Übernahme der Medikationskosten dar, während
in allen übrigen Fällen keine Kassenpflicht besteht. Die Beschwerde-
führerin hatte demnach genau aufgrund der von ihr vorgebrachten
Komorbiditäten und Risikofaktoren Anspruch auf Übernahme der
Kosten für die Synagis-Impfung in der Wintersaison 13/14. Ein
über die Limitatio hinausgehende Kostentragungspflicht der Be-
schwerdegegnerin rechtfertigt sich daher auch unter diesem
Gesichtspunkt nicht.
4.
4.1.
Gemäss dem Dargelegten wies die Beschwerdegegnerin mit
angefochtener Verfügung vom 19. November 2015 das Gesuch um
Kostenübernahme der Synagis-Impfungen für die Saison
2014/2015 zu Recht ab, weshalb die dagegen erhobene Beschwerde
abzuweisen ist.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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