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Urteil Obergericht (AG)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2015 3: Obergericht

Es ging um einen Fall im Sozialversicherungsrecht, bei dem die Haftung der Militärversicherung für die Verschlimmerung eines Diabetes mellitus während der Dienstzeit beurteilt wurde. Es wurde festgestellt, dass der Diabetes vor Dienstantritt aufgetreten war und somit die Vordienstlichkeit erfüllt war. Es konnte nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass eine Verschlimmerung während des Dienstes stattgefunden hatte, daher durfte die Haftung nicht abgelehnt werden. Das Ausmass der dienstfremden Einflüsse auf den Diabetes wurde auf 95% geschätzt, jedoch musste die Angelegenheit bezüglich der Kürzung der Leistungen an die Beschwerdegegnerin zurückverwiesen werden. Der Richter des Versicherungsgerichts war nicht genannt.

Urteilsdetails des Kantongerichts AGVE 2015 3

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2015 3
Instanz:Obergericht
Abteilung:Abteilung Versicherungsgericht
Obergericht Entscheid AGVE 2015 3 vom 08.01.2015 (AG)
Datum:08.01.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:AGVE - Archiv 2015 Sozialversicherungsrecht 37 I. Sozialversicherungsrecht 3 Art. 5 und 64 MVG Haftung der Militärversicherung...
Schlagwörter : Dienst; Haftung; Dienstes; Sicherheit; AESCHI; Beweis; Diabetes; Gesundheitsschädigung; Militärversicherung; Kürzung; Vermutung; Akten; Bundesgericht; Sozialversicherungsrecht; Verschlimmerung; Ausmass; Einwirkungen; Beweisgrad; Therapie; Urteil; Bundesgerichts; Sicher-; Verschlechterung; Einflüsse; ätzlich
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:105 V 225; 111 V 370; 119 V 347; 123 V 137; 134 V 231; 135 V 465;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts AGVE 2015 3

2015 Sozialversicherungsrecht 37

I. Sozialversicherungsrecht
3 Art. 5 und 64 MVG Haftung der Militärversicherung für die Verschlimmerung eines (vor- dienstlichen) Diabetes mellitus während der Dienstzeit; Ausmass der Haf- tung - Der Diabetes mellitus ist vor Dienstantritt aufgetreten, womit das Er- fordernis der Vordienstlichkeit gemäss Art. 5 Abs. 2 lit. a MVG er- füllt ist (E. 3.1). - Unter dem Aspekt des Sicherheitsbeweises konnte medizinisch eine gewisse Verschlimmerung während des Dienstes nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Beschwerdegegnerin gelang damit be- züglich Art. 5 Abs. 2 lit. b MVG der Nachweis nicht, dass mit Sicher- heit keine dienstliche Verschlechterung stattgefunden habe, weshalb sie ihre Haftung nicht ablehnen durfte (E. 3.2.2). - Die Leistungen der Militärversicherung werden nach Art. 64 MVG angemessen gekürzt, wenn die versicherte Gesundheitsschädigung nur teilweise auf Einwirkungen während des Dienstes zurückgeht. Damit eine Kürzung vorgenommen werden kann, muss die nichtver- sicherte Schadensursache eine natürliche und adäquate Teilursache der Gesundheitsschädigung bilden. Bei der Leistungsreduktion gilt der Beweisgrad der empirischen Sicherheit (E. 4.2). - Vorliegend liegt das Ausmass der dienstfremden Einflüsse auf den Diabetes mellitus bei 95%. Daraus kann aber noch nicht auf die Haf- tungsquote geschlossen werden, denn zusätzlich ist die Angemessen- heit der Kürzung zu beurteilen, weshalb die Sache diesbezüglich an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen war (E. 4.3). Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 2. Kammer, vom 8. Januar 2015 i.S. R.E. gegen Suva Abteilung Militärversicherung (VBE.2014.296).
2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 38

Aus den Erwägungen
2.
2.1
(Haftungsgrundsätze nach Art. 4 f. MVG)
2.2.
Art. 5 Abs. 1 MVG statuiert die gesetzliche Vermutung, wonach
die während des Dienstes in Erscheinung getretene und festgestellte
Gesundheitsschädigung während des Dienstes (vollständig) verur-
sacht worden ist (sog. Kontemporalitätshaftung; CHRISTOF STEGER- BRUHIN, Die Haftungsgrundsätze der Militärversicherung, 1996, S. 215; JÜRG MAESCHI, Kommentar MVG vom 19. Juni 1992, 2000, N. 13 f. zu Art. 5). Die Vermutung bezieht sich dabei auf den natürli-
chen sowie adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 111 V 370 E. 1b
S. 272 f.; JÜRG
MAESCHI, a.a.O., N. 30 bei Vorbemerkungen zu Art. 5 bis 7). Die Haftung erstreckt sich auf alle ungünstigen Einwir-
kungen während des Dienstes, d.h. nicht nur durch den Dienst be-
dingte Ursachen typische Militärgefahren. Sie beschränkt sich
nicht auf die im spezifischen Militärrisiko begründeten Gefahren,
sondern umfasst auch Schädigungen, die lediglich bei Gelegenheit
des Dienstes verursacht worden sind und somit "dienstgleichzeitig"
sind (CHRISTOF
STEGER, Die Haftungsgrundsätze in der Militärver- sicherung, SZS 2001, S. 250).
2.3.
Für Gesundheitsschädigungen, welche während des Militär-
diensts in Erscheinung getreten sind, gilt bei zeitlichem Zusammen-
treffen von Dienst und Schädigung die widerlegbare Vermutung der
dienstlichen Verursachung (JÜRG
MAESCHI, a.a.O., N. 17 zu Art. 5). Art. 5 Abs. 2 MVG bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die
Vermutung widerlegt werden kann. Der Entlastungsbeweis enthält ei-
nerseits den Beweis der Dienstfremdheit im weiteren Sinne (Art. 5
Abs. 2 lit. a MVG) und andererseits den der fehlenden Verschlimme-
rung (Art. 5 Abs. 2 lit. b MVG). Dabei hat die Militärversicherung
die Entlastungsbeweise mit dem Beweisgrad der Sicherheit zu
erbringen. Der Begriff der Sicherheit ist nicht absolut, sondern rela-
tiv zu verstehen. Er bedeutet mehr als hohe Wahrscheinlichkeit, nicht
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aber völlige Gewissheit und bewegt sich im Rahmen einer an Sicher-
heit grenzenden Wahrscheinlichkeit (JÜRG MAESCHI, a.a.O., N. 21 zu Art. 5; BGE 105 V 225 E. 4a S. 230).
3.
3.1
(Wiedergabe der medizinischen Akten) Nachdem Dr. med. K.
eine Diagnose gestellt und eine adäquate medikamentöse Therapie
(...) aufgenommen hatte, ist erstellt, dass der Diabetes mellitus vor
dem Dienstantritt am xx.xx.2001 aufgetreten war. Unabhängig da-
von, ob die Therapie bis zum Diensteintritt durchgeführt wurde, ist
die Vordienstlichkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. a MVG somit er-
füllt.
3.2
3.2.1
(Widergabe der medizinischen Akten)
3.2.2
Die versicherungsmedizinische Stellungnahme basiert auf den
Akten. Dr. med. R. analysierte den Verlauf der Krankengeschichte
sorgfältig im Hinblick auf die verschiedenen Blutwerte und die
vorgenommenen Therapien. Seine Folgerungen sind begründet und
nachvollziehbar. Sie wird von den Parteien nicht gerügt (zum Rüge-
prinzip: BGE 119 V 347 E. 1a S. 349 f., 110 V 48 E. 4a S. 52 f.). Es
bestehen somit keine auch nur geringen Zweifel an der medizini-
schen Beurteilung, weshalb darauf abzustellen ist (zum Beweiswert
ärztlicher Berichte: BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232, insbes. von versi-
cherungsinternen Ärzten: BGE 135 V 465 E. 4.6 S. 471). Demnach
ist davon auszugehen, dass nicht mit Sicherheit eine gewisse dienstli-
che Verschlimmerung ausgeschlossen werden kann. Da Dr. med. R.
keinen Zeitpunkt nannte, an dem der Status quo sine erreicht sei, ist
von einer dauerhaften Verschlechterung auszugehen. Dieser genannte
Zeitpunkt kann im Übrigen nur ausnahmsweise festgelegt werden,
weil ein hypothetischer Sachverhalt zu beurteilen ist worauf auch
Dr. med. R. hinwies -, und das Gesetz mit dem Sicherheitsbeweis
(vgl. E. 2.3.) keinen Raum für Vermutungen lässt (JÜRG
MAESCHI, a.a.O., N. 42 zu Art. 5). Auch wenn Dr. med. R. nur einen sehr klei-
nen Diensteinfluss erkannte, konnte die Beschwerdegegnerin im Hin-
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blick auf Art. 5 Abs. 2 lit. b MVG nicht nachweisen, dass mit Sicher-
heit keine Verschlechterung stattgefunden hatte. Somit konnte sie
ihre Haftung für den Diabetes mellitus (...) nicht ablehnen.
Soweit die Beschwerdegegnerin vorbringt, die dienstliche Ver-
schlimmerung sei nur vorübergehender Natur gewesen (...), wider-
spricht sie Dr. med. R. Er hat nachvollziehbar und in Überein-
stimmung mit den Akten begründet, worin die dienstliche Ver-
schlimmerung bestand (vgl. E. 3.2.1: Intensivierung der Diabetes-
Therapie, neu aufgetretene Sekundärkomplikationen). Entgegen der
Beschwerdegegnerin beurteilt sich die Frage des Haftungsaus-
schlusses ("Ausstiegsfrage" gem. CHRISTOF STEGER, Die Haftungs- grundsätze in der Militärversicherung, SZS 2001, S. 256) nicht mit
dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Vielmehr
ist nach dem Massstab der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlich-
keit zu entscheiden (vgl. E. 2.3.). Die diesbezügliche Argumentation
der Beschwerdegegnerin ist im Unfallversicherungsrecht nach dem
Bundesgesetz über die Unfallversicherung verhaftet; vorliegend sind
aber die besonderen Normen des MVG anwendbar. Auch ist unzu-
treffend, dass das Bundesgericht (mit MAESCHI
) der Kontemporali- tätshaftung (vgl. E. 2.2.) nicht folge (vgl. exemplarisch Urteil des
Bundesgerichts M 8/05 vom 25. August 2006 E. 3.1 und 6), weshalb
die Ausführungen zur Kausalität nicht verfangen.
4.
4.1.
Nach der Bejahung der (grundsätzlichen) Haftung ist die An-
schlussfrage des Haftungsausmasses zu beantworten.
4.2.
Bezüglich des Ausmasses der Haftung bestimmt Art. 64 MVG
(Leistungsbemessung bei Teilhaftung), dass die Leistungen der Mili-
tärversicherung angemessen gekürzt werden, wenn die versicherte
Gesundheitsschädigung nur teilweise auf Einwirkungen während des
Dienstes zurückgeht. Von der Kürzung sind nur Geldleistungen be-
troffen (Art. 66 MVG).
Damit eine Kürzung vorgenommen werden kann, muss die
nichtversicherte Schadensursache eine natürliche und adäquate Teil-
ursache der Gesundheitsschädigung bilden. Bei der Leistungsre-
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duktion gelten die gleichen Beweisregeln, wie sie für die Bundeshaf-
tung Geltung haben; im Rahmen von Art. 5 MVG der Beweisgrad
der empirischen Sicherheit (JÜRG MAESCHI, a.a.O., N. 13 ff. zu Art. 64).
Nach der Rechtsprechung (in BGE 123 V 137 nicht publizierte
E. 4) sind bei der Festsetzung des Kürzungsmasses namentlich die
vordienstliche Gesundheitsschädigung, ihr Stadium beim Dienstein-
tritt, ihr mehr weniger schicksalsmässiger Charakter, ihr mut-
masslicher Verlauf ohne den Dienst, die Dauer des Dienstes, die Na-
tur der gesundheitlichen Einwirkungen während des Dienstes sowie
der Umstand zu berücksichtigen, inwiefern diese von den zivilen
Einflüssen, denen der Versicherte ohne den Dienst ausgesetzt wäre,
verschieden sind (Urteil des Bundesgerichts M 8/05 vom 25. August
2006, E. 8.1; JÜRG
MAESCHI, a.a.O., N. 19 zu Art. 64). Art. 64 MVG sieht sodann keine reine verhältnismässige Leistungskürzung vor. Im
Rahmen der Angemessenheit sind die persönlichen und wirtschaftli-
chen Verhältnisse des Versicherten zu berücksichtigen, so die Unter-
haltspflichten des Anspruchsberechtigten, Einkommen und Vermö-
gen sowie allfällige Schulden (Urteil des Bundesgerichts, a.a.O., E.
8.4 unter Hinweis auf JÜRG
MAESCHI, a.a.O., N. 18 zu Art. 64). 4.3.
Was die medizinischen Kriterien betrifft, ist festzustellen, dass
sich Dr. med. R. damit in seiner Stellungnahme auseinandersetzte.
Auch würdigte er den vordienstlichen Gesundheitszustand des Be-
schwerdeführers anhand der Angaben von Dr. med. K. Er kam zum
Schluss, dass das Ausmass der durch dienstliche Einwirkungen
verursachten Verschlimmerung sehr gering sei. Er schätzte die
dienstfremden Einflüsse bei diesem Diabetes mellitus auf "sicher"
95 %. Nachdem seiner Stellungnahme Beweiswert zukommt (vgl. E.
3.2.2.), ist darauf abzustellen. Daraus kann aber noch nicht auf die
Haftungsquote geschlossen werden, denn zusätzlich ist die Ange-
messenheit der Kürzung zu beurteilen. Weil darüber keine Angaben
in den Akten liegen und hierbei der Beschwerdegegnerin ein ge-
wisser Ermessensspielraum zusteht (Urteil des Bundesgerichts M
8/05 vom 25. August 2006, E. 8.4), ist die Streitsache an sie
zurückzuweisen, damit sie die Haftungsquote festlege.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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