II. Zivilprozessrecht
63 Art. 198 und 199 ZPO Bei Klagen auf Kinderunterhalt ist vorgängig ein Schlichtungsverfahren durchzuführen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 23. Juni 2014, i.S. A. gegen B. (ZOR.2014.13). Aus den Erwägungen 3.2.
Dem Entscheidverfahren hat ein Schlichtungsversuch vor einer
Schlichtungsbehörde vorauszugehen (Art. 197 ZPO). Art. 198 ZPO
regelt die Ausnahmen von diesem Grundsatz; Art. 199 ZPO be-
stimmt, in welchen Fällen ein Verzicht auf das Schlichtungsverfahren
zulässig ist. Gemäss Art. 198 ZPO entfällt das Schlichtungsverfahren
in summarischen Verfahren, bei Verfahren über den Personenstand,
im Scheidungsverfahren, im Verfahren zur Auflösung der eingetrage-
nen Partnerschaft, bei bestimmten Klagen aus dem SchKG, bei
Streitigkeiten, für die nach den Art. 5 und 6 ZPO eine einzige
kantonale Instanz zuständig ist, bei der Hauptintervention, der Wi-
derklage und der Streitverkündungsklage sowie, wenn das Gericht
Frist für eine Klage gesetzt hat.
Selbständige Klagen auf Kinderunterhalt, unter Einschluss
entsprechender Abänderungsklagen, sind im vereinfachten Verfahren
durchzuführen (Art. 295 ZPO). Sie fallen nach dem Wortlaut von
Art. 198 ZPO nicht unter die in dieser Bestimmung aufgeführten
Ausnahmen vom Erfordernis eines vorgängigen Schlichtungsver-
suchs. In Übereinstimmung mit dem Gesetzeswortlaut geht denn
auch die überwiegende Lehrmeinung davon aus, dass bei Kinder-
unterhaltsklagen vorgängig ein Schlichtungsverfahren durchzuführen
ist (Gloor/Umbricht Lukas, in: Kurzkommentar ZPO, 2. Aufl., Basel
2014, N. 4 zu Art. 198 ZPO; Honegger, in: Kommentar zur Schwei-
zerischen Zivilprozessordnung [ZPO-Komm.], 2. Aufl., Zürich/Ba-
sel/Genf 2013, N. 9 zu Art. 198 ZPO; Spycher, in: Berner Kommen-
tar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Band II, Bern 2012, N. 16
zu Art. 295 ZPO; Sutter-Somm, Das Schlichtungsverfahren der ZPO:
Ausgewählte Problempunkte, in: Schweizerische Zeitschrift für Zi-
vilprozessrecht [SZZP] 2012, S. 69 ff., 74).
Eine abweichende Lehrmeinung (Egli, in: Brunner/Gasser/
Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO],
Kommentar, Zürich/St. Gallen 2011, N. 8 zu Art. 198 ZPO) geht
zwar ebenfalls davon aus, dass bei reinen Unterhaltsklagen ausser-
halb des Scheidungsrechts nach dem Wortlaut des Gesetzes ein
vorgängiges Schlichtungsverfahren durchzuführen wäre. Dennoch
spricht sie sich für eine direkte Klageeinleitung aus, weil die Parteien
über den Streitgegenstand nicht frei verfügen könnten. Das mit der
Sache befasste Gericht müsse nicht nur das Recht anwenden, sondern
auch den Sachverhalt von Amtes wegen ermitteln. Die mit dem
Schlichtungsverfahren verbundene Freiheit, auch unangemessene
Ergebnisse zu akzeptieren, widerspreche den auf Unterhaltsklagen
anwendbaren Verfahrensgrundsätzen.
Der auf Verfahren betreffend Kinderunterhalt anwendbare Un-
tersuchungsgrundsatz (Art. 296 Abs. 1 ZPO) spricht nicht gegen ein
vorgängiges Schlichtungsverfahren, da er die Frage der Verfügungs-
befugnis über den Streitgegenstand und damit die Möglichkeit, sich
gütlich zu einigen, nicht berührt. Aufgehoben wird die freie Verfü-
gungsbefugnis dagegen durch die ebenfalls auf Verfahren betreffend
Kinderunterhalt anwendbare Offizialmaxime (Art. 296 Abs. 3 ZPO).
Dass die Parteien nicht frei über den Streitgegenstand verfügen
können, ist ein Umstand, der zu Gunsten eines Verzichts auf ein
Schlichtungsverfahren ins Gewicht fällt. So wurde die Ausnahme
vom Erfordernis eines vorgängigen Schlichtungsverfahrens bei Kla-
gen betreffend den Personenstand in der Botschaft des Bundesrats
damit begründet, hier sei ein separater Schlichtungsversuch nicht
sinnvoll, weil der Prozess grundsätzlich nicht einvernehmlich erle-
digt werden könne (Bundesblatt 2006, S. 7329). Die Ausnahme vom
Erfordernis eines Schlichtungsverfahrens bei Klagen betreffend den
Personenstand wird von einem Teil der Literatur allerdings kritisch
hinterfragt: Der Umstand, dass diese Verfahren nicht durch gütliche
Einigung erledigt werden könnten, habe nicht zur Folge, dass das
Interesse an einer Vermittlung wegfalle, die zu einem der gericht-
lichen Genehmigung unterliegenden Vergleich führen könnte
(Bohnet, in: Code de procédure civile commenté, Basel 2011, N. 6 zu
Art. 198 ZPO; vgl. auch Honegger, ZPO-Komm., a.a.O., N. 9 zu Art.
198 ZPO). Bezüglich der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern kann
in einem gerichtlichen Verfahren ein Vertrag abgeschlossen werden,
welcher der Genehmigung durch das Gericht unterliegt (Art. 287
Abs. 3 ZGB). Unterhaltsverträge können aber auch mit Genehmi-
gung der Kindesschutzbehörde für das Kind verbindlich abgeschlos-
sen werden (Art. 287 Abs. 1 ZGB).
Ob und inwieweit es sich rechtfertigt, in Verfahren mit Offizial-
maxime von einem vorgängigen Schlichtungsverfahren abzusehen,
ist demnach umstritten. Klare Anhaltspunkte dafür, dass nach Sinn
und Zweck der auf die selbständigen Klagen betreffend Kinderunter-
halt anwendbaren Regeln vom insoweit klaren Wortlaut der Art. 197
und 198 ZPO abzuweichen und von einem vorgängigen Schlich-
tungsverfahren abzusehen wäre, sind nicht ersichtlich. In Überein-
stimmung mit dem Gesetzeswortlaut und der überwiegenden Lehr-
meinung ist deshalb bei Klagen auf Kinderunterhalt vorgängig ein
Schlichtungsverfahren durchzuführen. Die Berufung erweist sich
somit in diesem Punkt als begründet.