2 Art. 217 StGB; Art. 124 und 125 ZGB. Die Nichtleistung einer nachehelichen Rente nach Art. 124 ZGB als Ent- schädigung für den scheidungsbedingten Vorsorgeausfall erfüllt den Tat- bestand der Vernachlässigung von Unterhaltspflichten im Sinne von Art. 217 StGB nicht. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 21. August 2014 i.S. Staatsanwaltschaft Baden, Einwohnergemeinde W. sowie I.H. gegen H.J. (SST.2014.71). Aus den Erwägungen
2.
(...)
2.4.3.
Gemäss Art. 125 Abs. 1 ZGB besteht ein Anspruch auf nach-
ehelichen Unterhalt, soweit einem Ehegatten nicht zuzumuten ist, für
den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen
Altersvorsorge selbst aufzukommen. In Art. 125 Abs. 2 ZGB werden
in nicht abschliessender Weise die Kriterien für die Beurteilung
aufgezählt, ob, in welcher Höhe und für welche Dauer eine Unter-
haltspflicht besteht (Urteil des Bundesgerichts 5A_894/2011 vom
14. Mai 2012 E. 6.2.1 mit Hinweis auf BGE 137 III 102 E. 4.1.1
S. 104 f.). Der grundsätzlich verschuldensunabhängige nacheheliche
Unterhaltsanspruch sieht keinen Anspruch auf Entschädigung wegen
Beeinträchtigungen von Anwartschaften mehr vor. Hingegen sind
Anwartschaften aus der AHV und aus der beruflichen einer
anderen privaten staatlichen Vorsorge einschliesslich des
voraussichtlichen Ergebnisses der Teilung der Austrittsleistung bei
der Festsetzung des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen
(Thomas Bosshard, in: Basler Kommentar, Strafrecht II,
3. Aufl. 2013, N. 12 zu Art. 217 StGB; Art. 125 Abs. 2 Ziff. 8 ZGB).
Die Art. 122 ff. ZGB regeln die Scheidungsfolgen betreffend
"Berufliche Vorsorge". Gehört ein Ehegatte gehören beide Ehe-
gatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge an und ist bei kei-
nem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten, so hat jeder Ehegatte
Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom
17. Dezember 1993 (FZG; SR 831.42) für die Ehedauer zu ermitteln-
den Austrittsleistung des anderen Ehegatten (Art. 122 Abs. 1 ZGB).
Ist bei einem bei beiden Ehegatten ein Vorsorgefall bereits
eingetreten können aus anderen Gründen Ansprüche aus der be-
ruflichen Vorsorge, die während der Dauer der Ehe erworben worden
sind, nicht geteilt werden, so ist eine angemessene Entschädigung
geschuldet (Art. 124 Abs. 1 ZGB; BGE 129 III 483 E. 3.1). Das Ge-
setz regelt die Form nicht, in der die angemessene Entschädigung ge-
mäss Art. 124 ZGB zu zahlen ist. Je nach Vermögenslage kann so-
wohl eine Kapitalleistung als auch eine Rentenleistung zugesprochen
werden (BGE 129 III 488 E. 3.5.1). Die Zahlung in Rentenform ist
vorab dann vorzuziehen, wenn die nötigen Barmittel für eine Kapi-
talzahlung fehlen und der Verpflichtete aus seiner eigenen Altersrente
regelmässige Leistungen bezieht (BGE 131 III 6 E. 4.3.1).
2.4.4.
Bereits gestützt auf den Wortlaut der Strafnorm von Art. 217
StGB, der die Vernachlässigung von familienrechtlichen Unterhalts-
und Unterstützungspflichten unter Strafe stellt, drängt sich auf, die
Strafbarkeit auszuschliessen, wenn der Leistungspflichtige einer
Rente nach Art. 124 ZGB nicht nachkommt. Unter dem alten Schei-
dungsrecht wurde die Strafbarkeit auch nur bei Leistungen nach
aArt. 152 und 151 Abs. 1 ZGB bejaht, nicht aber für Entschädigun-
gen nach aArt. 151 Abs. 2 ZGB (Thomas Geiser, Rechtsnatur der
Rente nach Art. 124 ZGB, in: Mitteilungen zum Familienrecht des
Kantonsgerichts St. Gallen, Ausgabe Nr. 10/Januar 2009, S. 30 mit
Hinweis auf Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurz-
kommentar, Zürich 1997, N. 5 zu Art. 217 StGB). Im Weiteren
sprechen aber auch die Unterschiede zwischen den beiden An-
sprüchen nach Art. 124 und 125 ZGB gegen die Anwendbarkeit der
Strafnorm von Art. 217 StGB bei Nichtleistung einer Rente nach
Art. 124 ZGB.
Der Vorsorgeausgleich ist ein selbständiges Rechtsinstitut. Wie
der nacheheliche Unterhalt ist er eine Nebenfolge der Scheidung. Für
seine Berechnung sind indessen eigene Kriterien massgebend. Zwi-
schen den beiden Sachfragen besteht lediglich insofern eine Interde-
pendenz, als die Höhe der Vorsorgeleistungen als eines von vielen
Kriterien bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrages zu berücksichti-
gen ist. Die Höhe der Entschädigung nach Art. 124 ZGB bemisst sich
nach Recht und Billigkeit (Art. 4 ZGB) unter Gewichtung aller
erheblichen Fallumstände. Für die in einem ersten Schritt vorzuneh-
mende Berechnung der Höhe des zu teilenden virtuellen Ausgangs-
betrages muss wie bei Art. 122 ZGB die gesamte Ehedauer massgeb-
lich sein. Sodann hat sich die in einem zweiten Schritt festzusetzende
angemessene Entschädigung für den Normalfall am gesetzgebe-
rischen Konzept der grundsätzlichen hälftigen Teilung gemäss
Art. 122 ZGB zu orientieren, soweit dies im konkreten Einzelfall
möglich ist. Ein schematisches Vorgehen soll indessen vermieden
werden, da die Bestimmung von Art. 124 ZGB durch die Verwen-
dung des Begriffes der Angemessenheit bewusst offen gehalten ist.
So ist namentlich den Vermögensverhältnissen nach Durchführung
der güterrechtlichen Auseinandersetzung wie auch der sonstigen
wirtschaftlichen Lage der Parteien nach der Scheidung gebührend
Rechnung zu tragen. Mithin müssen bei der Festsetzung der ange-
messenen Entschädigung insbesondere Kriterien wie Eigenbedarf
und Leistungsfähigkeit des Pflichtigen sowie die Vorsorge(-Bedürf-
nisse) des Berechtigten mitberücksichtigt werden (BGE 133 III 403
f. E. 3.1 und 3.2 mit Hinweisen auf BGE 129 III 481 E. 3.4.1 und
BGE 131 III 1 E. 4.2).
Wie erwähnt sind zwar die Entschädigung nach Art. 124 ZGB
und der nacheheliche Unterhalt nach Art. 125 ZGB insofern zueinan-
der interdependent, als dass eine unangemessene Entschädigung
durch einen höheren Unterhalt zu kompensieren ist. Umgekehrt
rechtfertigt eine angemessene Entschädigung einen tieferen Unter-
haltsbeitrag (Alexandra Rumo-Jungo/Christophe A. Herzig, Neuere
Rechtsprechung und Literatur zur beruflichen und freiwilligen Vor-
sorge in der Schweiz, in: Berufliche und freiwillige Vorsorge in der
Scheidung, 2010, S. 228 mit Verweis auf BGE 129 III 257; vgl. auch
Urteil des Bundesgerichts 5A_210/2013 vom 24. Dezember 2013
E. 5.2). Die Bemessung der Entschädigung folgt indessen anderen
Grundsätzen als diejenige des nachehelichen Unterhalts. Die Ent-
schädigung nach Art. 124 ZGB muss sich an der Teilung nach
Art. 122 ZGB ausrichten. Diese erfolgt unabhängig davon, ob der
Ausgleichspflichtige im Alter seinen Existenzbedarf mit der verblei-
benden Rente wird decken können nicht (Myriam Grütter, Vor-
sorgeausgleich durch die Entschädigung im Alter bei Invalidität, in:
Berufliche und freiwillige Vorsorge in der Scheidung, 2010, S. 195).
2.4.5.
Der gestützt auf Art. 124 Abs. 1 ZGB der Strafklägerin 1 zuge-
sprochene monatliche Betrag von Fr. 1'574.00 erfolgte als Aus-
gleichsanspruch für die entgangene hälftige Aufteilung des nicht
mehr vorhandenen Vorsorgekapitals. Die Entschädigung wurde auf-
grund des gehäuften Vorsorgeguthabens des Beschuldigten von der
Eheschliessung bis zur Barauszahlung berechnet (Urteil des Oberge-
richts des Kantons Aargau vom 30. März 2011 S. 9 ff; UA act. 132
ff.). Gestützt auf den Wortlaut von Art. 217 StGB sowie unter Be-
rücksichtigung der von Art. 125 ZGB verschiedenen Rechtsnatur und
der Bemessungskriterien einer Rente nach Art. 124 ZGB ist eine
Strafbarkeit zufolge Vernachlässigung der Leistungspflicht gemäss
Art. 124 ZGB zu verneinen. Dem Beschuldigten kann daher ein Ver-
nachlässigen der Unterhaltspflichten nur für den Zeitraum von März
2008 bis Ende September 2010 vorgeworfen werden, was eine Re-
duktion der geschuldeten Beiträge auf den Betrag von Fr. 76'065.00
zur Folge hat (vgl. Aufstellung der Alimenteninkasso Aargau GA
act. 21; UA act. 81). Für den angeklagten Zeitraum von Oktober
2010 bis August 2011 ist er demgegenüber freizusprechen, was sich
indessen beim Schuldspruch der Vernachlässigung von Unterhalts-
pflichten im Sinne von Art. 217 Abs. 1 StGB nicht auswirkt, hinge-
gen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist.