II. Zivilprozessrecht
2 Art. 121 ZPO. Beschwerdelegitimation der Gegenpartei im Verfahren be- treffend Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 6. September
2012 in Sachen B.O. F. gegen D.R. B. (ZSU.2012.77)
Aus den Erwägungen
2.
Gemäss Art. 121 ZPO kann der Entscheid mit Beschwerde an-
gefochten werden, wenn die unentgeltliche Rechtspflege ganz oder
teilweise abgelehnt entzogen wird. Beschwerdelegitimiert ist
die gesuchstellende Partei. Die Gegenpartei ist mangels Rechts-
schutzinteresses nicht legitimiert (Botschaft des Bundesrats zur
Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] vom 28. Juni 2006
S. 7303; Huber, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizeri-
sche Zivilprozessordnung, Kommentar, 2011, Art. 121 N. 7). Ob sie
zur Beschwerde legitimiert ist, wenn die unentgeltliche Rechtspflege
bewilligt wird, ist umstritten. Gemäss Botschaft kann sie gegen eine
Befreiung von der Sicherheitsleistung für die Parteientschädigung
Beschwerde gemäss Art. 103 ZPO führen (Botschaft S. 7303). Da-
nach ist sie nicht legitimiert, gegen einen die unentgeltliche Rechts-
pflege bewilligenden Entscheid Beschwerde gemäss Art. 121 ZPO zu
führen. Dieser Auffassung folgt ein Teil der Lehre, welche dafürhält,
dass der Gegenpartei die Beschwerde gemäss Art. 103 ZPO offen-
steht, sofern mit der Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege
zugleich die Befreiung von der Sicherheitsleistung für die Partei-
entschädigung verfügt wird (Huber, a.a.O., Art. 121 N. 7; Rüegg, in:
Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizeri-
sche Zivilprozessordnung, 2010, Art. 121 N. 1; Gasser/Rickli,
Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, 2010,
Art. 121 N. 2; Köchli, in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Schweizeri-
sche Zivilprozessordnung, Handkommentar, 2010, Art. 121 N. 2;
Mohs, in: Gehri/Kramer [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessord-
nung, Kommentar, 2010, Art. 121 N. 2; Tappy, in: Bohnet/Hal-
dy/Jeandin/Schweizer/Tappy, Code de procédure civile commenté,
2011, Art. 121 N. 16). Andere Autoren bejahen die Beschwerdele-
gitimation der Gegenpartei direkt gestützt auf Art. 121 ZPO mit der
Begründung, dass die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege
die Befreiung von Sicherheitsleistungen von Gesetzes wegen impli-
ziere, womit die Beschwer gegeben sei (Staehelin/Staehelin/Groli-
mund, Zivilprozessrecht nach dem Entwurf für eine Schweizerische
Zivilprozessordnung und weiteren Erlassen - unter Einbezug des
internationalen Rechts, 2008, § 16 N. 68; Emmel, in: Sutter-
Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schwei-
zerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, Art. 121 N. 2; Jent-
Srensen, in Oberhammer [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessord-
nung, Kurzkommentar, 2010, Art. 121 N. 2). Gegen diese Auffassung
spricht jedoch der Wortlaut von Art. 121 ZPO, wonach der Entscheid
mit Beschwerde angefochten werden kann, wenn die unentgeltliche
Rechtspflege ganz teilweise abgelehnt entzogen wird
(Huber, a.a.O., Art. 121 FN. 11). Gemäss diesem Autor kann die Ge-
genpartei gegen den die unentgeltliche Rechtspflege bewilligenden
Entscheid Beschwerde gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO führen,
weil damit die gesuchstellende Partei von der Pflicht zur Sicherheits-
leistung für die Parteientschädigung befreit wird (Art. 118 Abs. 1
lit. a ZPO) und der Gegenpartei dadurch ein nicht leicht wiedergut-
zumachender Nachteil droht (Huber, a.a.O., Art. 121 N. 7). Diese
Auffassung überzeugt, weil sie die Beschwer der Gegenpartei im Fall
der Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege anerkennt und ihr
daher zu Recht die Legitimation zur Beschwerdeführung zugesteht,
ohne gegen den Wortlaut des Gesetzes zu verstossen zu einer
heiklen Lückenfüllung Zuflucht nehmen zu müssen. Der Beklagte ist
durch die angefochtene Verfügung der angeordneten Sicherheits-
leistung für die Parteientschädigung verlustig gegangen, folglich
beschwert und zur Beschwerde legitimiert. Auf die rechtzeitig erho-
bene Beschwerde ist demnach einzutreten.