2011 Abgeltungen gemäss kantonalem Landwirtschaft... 307
II. Abgeltungen gemäss kantonalem
Landwirtschaftsgesetz
75 Falsche Rechtsmittelbelehrung. Aufklärungspflicht der Behörde bei ver- waltungsrechtlichen Verträgen. - Einem juristischen Laien kann nicht vorgeworfen werden, er hätte die Unrichtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung erkennen müssen, wenn sich bereits die Identifizierung der massgeblichen Verfahrens- bestimmung als schwierig erweist (Erw. I/4). - Jede Vertragspartei trägt das Risiko, einem Irrtum zu unterliegen, grundsätzlich selber (Erw. II/5.2); eine Aufklärungspflicht der Ge- genpartei besteht nur ausnahmsweise (Erw. II/5.3.1). - In casu war es für die Vorinstanz nicht erkennbar, dass ihre Aus- kunft, wonach eine bestimmte Parzelle infolge Verkleinerung des Perimeters nicht mehr Gegenstand des Vertrags über die verlängerte Nutzung von Kunstwiesen sei, von den Betroffenen so verstanden wurde, dass dies auch für den Trinkwasservertrag gelte (Erw. II/5.1 und 5.3.2).
Aus dem Entscheid der Landwirtschaftlichen Rekurskommission vom 16. Dezember 2011 i.S. A.B., P.B. und H.B. gegen Departement Finanzen und
Ressourcen, Landwirtschaft Aargau (5-BE.2011.3).
Aus den Erwägungen
I.
4.
4.1.
Wie grundsätzlich bei allen gesetzlichen und richterlichen Fris-
ten gelten auch in Bezug auf die Frist zur Beschwerde an die Land-
wirtschaftliche Rekurskommission die Gerichtsferien (vgl. § 40
2011 Landwirtschaftliche Rekurskommission 308
Abs. 2 LwG-AG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 VRPG und Art. 145
ZPO).
4.2.
Der massgebende Entscheid der Vorinstanz wurde den Be-
schwerdeführern am 21. Juni 2011 zugestellt. Die Rechtsmittelfrist
begann somit am 22. Juni 2011 zu laufen (vgl. Art. 142 Abs. 1 ZPO)
und stand aufgrund der Gerichtsferien vom 15. Juli 2011 bis und mit
dem 15. August 2011 still (Art. 145 Abs. 1 lit. b ZPO). Entsprechend
fiel das Fristende auf den 22. August 2011. Die Beschwerde vom
5. September 2011 erfolgte somit nicht fristgerecht. Allerdings hielt
der Entscheid der Vorinstanz vom 20. Juni 2011 in der Rechtsmittel-
belehrung unrichtigerweise fest, dass die Frist "vom 1. Juli bis
15. August" stillstehe. Unter Berücksichtigung dieser altrechtlichen
Stillstandsfristen (vgl. § 89 Abs. 1 lit. b aZPO) wäre die Beschwerde
vom 5. September 2011 fristgerecht erfolgt.
4.3.
Aus der Unrichtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung darf einer
Partei kein Rechtsnachteil erwachsen (Ulrich Häfelin/Georg Mül-
ler/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zü-
rich/St. Gallen 2010, Rz. 1645 ff.). Allerdings darf sich nur derjenige
auf eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung berufen, der die Unrich-
tigkeit nicht kennt und auch bei gebührender Aufmerksamkeit nicht
hätte erkennen können. So geniesst der Private keinen Schutz, wenn
der Mangel für ihn allein schon durch Konsultierung der massgebli-
chen Verfahrensbestimmung ersichtlich ist. Dagegen wird nicht ver-
langt, dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige
Rechtsprechung Literatur nachgeschlagen wird (vgl. BGE 134 I
199, Erw. 1.3.1; BGE 112 Ia 310, Erw. 3).
4.4.
Aus Art. 145 Abs. 1 lit. b ZPO geht klar hervor, dass die Fristen
jeweils vom 15. Juli und nicht vom 1. Juli an stillstehen. Daraus kann
allerdings noch nicht der Schluss gezogen werden, es sei als grober
Fehler zu betrachten, dass die Beschwerdeführer sich auf die ihnen
mitgeteilte Rechtsmittelbelehrung verlassen haben, ohne das Gesetz
zu konsultieren. Das Erkennen der Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittel-
belehrung setzte nämlich die Kenntnis voraus, dass das Verwaltungs-
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rechtspflegegesetz und die Zivilprozessordnung anwendbar sind. Im
Anwendungsbereich des Landwirtschaftsrechts ist diese Folgerung
für die juristischen Laien ohne Anhaltspunkte in der angegebenen
Rechtsmittelbelehrung - nicht ohne weiteres zu ziehen. Falls sich
jedoch bereits die Identifizierung der massgeblichen Verfahrensbe-
stimmung als schwierig gestaltet, wäre es stossend, dem Laien
mangelnde Aufmerksamkeit vorzuwerfen, wenn er die Gesetzes-
bestimmung nicht ausfindig macht und daher die einschlägigen
Bestimmungen nicht nachschlägt. Vielmehr muss es bei einer sol-
chen Sachlage beim Grundsatz bleiben, wonach den Beschwerde-
führern aus der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil
erwachsen darf. Entsprechend ist im Folgenden auf die (unrichtige)
Rechtmittelbelehrung abzustellen. Damit ist die am 5. September
2011 der Landwirtschaftlichen Rekurskommission überbrachte Be-
schwerde als fristgerecht erfolgt zu betrachten.
II.
1.
Sind in einem zusammenhängenden Gebiet einer mehrerer
Gemeinden Massnahmepläne zur qualitativen Verbesserung von
Trinkwasservorkommen, Gewässern Böden vorgesehen, die be-
sondere Einschränkungen der Bewirtschaftung besonders be-
lastende Betriebsumstellungen erfordern, können die Gemeinden die-
se im Rahmen von vertraglichen Vereinbarungen mit Beiträgen un-
terstützen (§ 28b Abs. 1 LwG-AG).
2.
Ein verwaltungsrechtlicher Vertrag entsteht durch übereinstim-
mende Willensäusserung der Parteien, wobei die Vorschriften des
Obligationenrechts analog Anwendung finden, soweit das öffentliche
Recht keine eigenen Regeln vorsieht und die für zivilrechtliche Ver-
träge geltenden Grundsätze sich als sachgerecht erweisen (BGE 105
Ia 207, Erw. 2/c; BGE 122 I 328, Erw. 7/b; ZBl 1982, S. 73; Thomas
Müller-Tschumi in: Der verwaltungsrechtliche Vertrag in der Praxis,
Isabelle Häner/Bernhard Waldmann [Hrsg.], Zürich/Basel/Genf
2007, S. 58 f.; Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., Rz. 1102). Als sach-
gerecht ist die zivilrechtliche Lösung für verwaltungsrechtliche Ver-
träge dann anzusehen, wenn sie der Beteiligung der Verwaltungs-
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behörden am Rechtsverhältnis und dem involvierten öffentlichen In-
teresse ausreichend Rechnung trägt (Müller-Tschumi, a.a.O., S. 59).
Die Rechte und Pflichten ergeben sich unmittelbar aus dem Vertrag
respektive aus dem Parteiwillen (vgl. § 6 ÖkoV; Müller-Tschumi,
a.a.O., S. 69) und wirken lediglich zwischen den Parteien (Ingeborg
Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil,
4. Auflage, Bern 2006, Rz. 4.06).
3.
Gemäss dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag
müssen bestimmte Bewirtschaftungsbeschränkungen auf der land-
wirtschaftlichen Nutzfläche innerhalb des Nitratgebietes "X." einge-
halten werden. Entsprechend dürfen in der Nitratzone N 2 keine
Konservenund Verarbeitungsgemüse angebaut werden. Als Sankti-
on bei Zuwiderhandlungen gegen diese Beschränkungen sieht der
Vertrag auch bei nur teilweiser Nichterfüllung vor, dass keine Ab-
geltungen ausgerichtet werden.
4.
Die Parzelle "Y." liegt im Nitratgebiet "X." und gehört zur land-
wirtschaftlichen Nutzfläche der Beschwerdeführer. Folglich müssen
die Auflagen und Bedingungen des Trinkwasservertrages hinsichtlich
dieser Parzelle eingehalten werden.
5.
5.1.
Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, auf der betroffenen
Parzelle "Y." im Jahr 2010 Konservengemüse angebaut zu haben. Sie
bringen jedoch vor, sie hätten im Herbst 2009 Kontakt mit Z., dem
zuständigen Mitarbeiter der Vorinstanz, aufgenommen, um betref-
fend die Parzelle "Y." einen Vertrag über eine verlängerte Kunstwiese
abzuschliessen. Z. habe ihnen mitgeteilt, dass diese Parzelle nicht
mehr innerhalb des Perimeters für Kunstwiesen und Stilllegungen
liege bzw. der bisher definierte Zuströmbereich verkleinert worden
sei und daher kein Vertrag betreffend verlängerte Nutzung von
Kunstwiesen (mehr) abgeschlossen werden könne. Gestützt auf diese
Auskunft seien die Beschwerdeführer davon ausgegangen, die Par-
zelle dürfe wieder konventionell ackerbaulich genutzt werden. Der
Umstand, dass die Parzelle trotz der Änderung des Zuströmbereichs
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weiterhin als der Nitratzone N 2 zugehörend zu betrachten sei, sei
ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen. Sinngemäss ma-
chen die Beschwerdeführer somit geltend, sie hätten sich aufgrund
der Auskunft von Z. über den Umfang des Trinkwasservertrages bzw.
darüber, dass auch die Parzelle "Y." noch vom Trinkwasservertrag
erfasst werde, geirrt.
5.2.
Jede Vertragspartei hat sich selbst über das für sie Wesentliche
in Bezug auf den Vertrag bzw. über den zugehörigen Vertragsinhalt
zu informieren (vgl. Max Baumann, Kommentar zum Schweizeri-
schen Zivilgesetzbuch, Band 1, 3. Auflage, Zürich 1998, Art. 2
N 158) und trägt daher das Risiko, einem Irrtum zu unterliegen,
grundsätzlich selber. Allerdings ist zu prüfen, ob sich die Beschwer-
deführer auf die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht berufen
können. Falls der Irrtum der Beschwerdeführer durch eine Pflicht-
verletzung der Gegenparteien entstanden wäre, könnte es treuwidrig
sein, den Beschwerdeführern die Abgeltungen zu kürzen.
5.3.
5.3.1.
In der Regel besteht keine Aufklärungspflicht zwischen den
Vertragsparteien. Nur ausnahmsweise lässt sich eine solche Neben-
pflicht gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben herleiten.
Dieses Prinzip verpflichtet die Partei, welche den Irrtum der Gegen-
partei erkennt, die irrende Partei mit Bezug auf erhebliche Tatsachen,
welche diese nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist, aufzu-
klären (BGE 121 III 350, Erw. 6/c; Peter Gauch/Walter Schluep/Jörg
Schmid/Heinz Rey, OR Allgemeiner Teil, Band I, 9. Auflage, Zü-
rich/Basel/Genf 2008, Rz. 861).
5.3.2.
Vorliegend ist nicht ersichtlich, inwiefern Z. im Zusammenhang
mit seiner Auskunft betreffend den Vertrag über die verlängerte Nut-
zung von Kunstwiesen hätte erkennen können, dass die Beschwer-
deführer daraus schlossen, die Parzelle sei nicht mehr Gegenstand
des Trinkwasservertrages. Entsprechend scheitert eine Aufklärungs-
pflicht bereits daran. Im Übrigen wäre es den Beschwerdeführern
durchaus möglich gewesen, bei Z. nachzufragen, ob und gegebenen-
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falls wie sich die Änderung des Zuströmbereichs auf den Trink-
wasservertrag auswirke.