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59 Grundstückgewinnsteuer; Ersatzbeschaffung (§ 98 Abs. 1 StG; § 44 Abs. 2 StGV). Steueraufschub beim Erwerb von je einer Wohnliegenschaft durch die Ehegatten aus dem Verkaufserlös der bisher gemeinsam bewohnten, sich im Alleineigentum eines Ehegatten befindenden Liegenschaft.
Aus dem Entscheid des Steuerrekursgerichtes vom 24. Juni 2010 in Sachen
M. + B.S. (3-RV.2009.217)
Aus den Erwägungen
3.2.2.
Bei Miteigentum wird die Ersatzbeschaffung auf dem Erlös-
anteil gewährt, der dem im Grundbuch eingetragenen Miteigentums-
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anteil entspricht; bei Gesamteigentum auf dem Erlösanteil, welcher
der Quote des Innenverhältnisses entspricht (§ 44 Abs. 1 StGV). Er-
folgt die Veräusserung der Wohnliegenschaft durch den einen und
der Erwerb der Ersatzliegenschaft durch den anderen Eheteil, so
gelten die veräussernde und die erwerbende Person als identisch und
es kann, sofern die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, die Er-
satzbeschaffung beansprucht werden (§ 44 Abs. 2 StGV). § 44 Abs. 2
StGV reduziert somit die Anforderungen an den Steueraufschub bei
der Ersatzbeschaffung von Wohneigentum durch Ehegatten (RGE
vom 25. September 2008 in Sachen T.D.).
(...)
4.
4.1.
Vorliegend steht die Auslegung von § 44 Abs. 2 StGV zur Dis-
kussion. Es ist zu prüfen, ob mit dem Veräusserungserlös der Wohn-
liegenschaft, die im Alleineigentum eines Ehegatten steht, beide
Ehegatten je eine Ersatzliegenschaft erwerben und hierfür die Er-
satzbeschaffung gemäss § 98 StG beanspruchen können.
4.2.
4.2.1.
Sowohl der Wortlaut von § 98 Abs. 1 StG wie auch von § 44
Abs. 2 StGV spricht nur von der Veräusserung und vom Erwerb einer
Liegenschaft.
4.2.2.
4.2.2.1.
§ 44 Abs. 2 StGV entspricht im Wesentlichen § 38 aStGV
(vgl. Bereinigter Bericht zum Entwurf StGV vom 15. August 2000
S. 18). § 33 des Entwurfs zur aStGV (= § 38 aStGV) sah noch vor,
dass das Ersatzbeschaffungsprivileg "auch dann gewährt" wird,
"wenn der Erwerber einer Ersatzliegenschaft nicht mit dem Eigen-
tümer der veräusserten Wohnliegenschaft identisch ist, die Identität
aber durch ein steueraufschiebendes Rechtsgeschäft im Sinne von
§ 69 vorgängig hätte herbeigeführt werden können". Das aargauische
Verwaltungsgericht brachte in seiner Stellungnahme vom 13. Juni
1984 zum "Entwurf Verordnung zum Steuergesetz" zu § 33 aStGV-
Entwurf Vorbehalte gegen diese Bestimmung vor. Sie könnte "zur
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Folge haben, dass die Ersatzbeschaffung auch Steuerpflichtigen
gewährt werden müsste, welche sonst (...) nie auf den Gedanken
gekommen wären, sie zu beanspruchen. Es wäre sogar denkbar, dass
mehrere Erwerber von Ersatzliegenschaften (z.B. Kinder des
Eigentümers der veräusserten Wohnliegenschaft) gleichzeitig das
Ersatzbeschaffungsprivileg beanspruchen würden. Die Ersatz-
beschaffung würde ausufern". Gestützt auf diese Bedenken wurde
die Privilegierung auf Ehegatten beschränkt (7. Protokoll der
Arbeitsgruppe "Verordnung zum neuen Steuergesetz" vom 18. Juni
1984).
4.2.2.2.
Zu beachten ist, dass sich bis zum Inkrafttreten des neuen Ehe-
rechts am 1. Januar 1988 der Wohnsitz der Ehefrau automatisch nach
demjenigen des Ehemannes richtete und ungetrennte Ehegatten nicht
getrennte Wohnsitze nehmen konnten. Die Konstellation, dass aus
dem Erlös des Verkaufs der ehelichen Wohnliegenschaft je eine
Wohnliegenschaft an den verschiedenen Wohnsitzen der ungetrenn-
ten Ehegatten erworben werden könnte, war deshalb bei der Legi-
ferierung von § 38 aStGV noch nicht absehbar.
§ 3 Abs. 2 aStGV kannte hingegen bereits die tatsächliche
Trennung der Ehe, "wenn der gemeinsame Haushalt aufgehoben ist
und zwischen den Ehegatten keinerlei Gemeinschaftlichkeit der
Mittel für Wohnung und Unterhalt mehr besteht". Es kann kein
Zweifel bestehen, dass es der gesetzgeberischen Absicht entsprach,
dass § 44 Abs. 2 aStG nur bei intakten Ehen, d.h. nicht (faktisch und
rechtlich) getrennten Ehegatten, greifen konnte.
4.2.2.3.
Aus der Entstehungsgeschichte von § 44 StGV bzw. § 38
aStGV ergibt sich somit zum einen, dass es sich um eine Norm mit
Ausnahmecharakter handelt, die deshalb grundsätzlich nur zurück-
haltend anzuwenden ist (VGE vom 9. Januar 2001 in Sachen R. +
A.F. [BE.1999.00248]). In der erwähnten Stellungnahme des aar-
gauischen Verwaltungsgerichts kann zum andern ein Indiz dafür ge-
sehen werden, dass das Ersatzbeschaffungsprivileg beim Verkauf
einer Wohnliegenschaft nur einer Ersatzliegenschaft zuteil werden
soll.
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4.2.2.4.
Für eine restriktive Auslegung von § 44 Abs. 2 StGV spricht
auch der Rechtsvergleich mit der Regelung anderer Kantone. Bei-
spielsweise wird in den Kantonen Zürich, Bern und St. Gallen der
Verkauf einer Wohnliegenschaft durch den einen Ehegatten, der
Alleineigentümer ist, und der Kauf der Ersatzliegenschaft durch den
anderen Ehegatten zu Alleineigentum nicht als Ersatzbeschaffung
akzeptiert (Richner/Frei/Kaufmann/ Meuter, a.a.O., § 216 StG
N 336; Langenegger, Handbuch zur bernischen Grundstückgewinn-
steuer 2001, Muri/Bern 2002, Art. 134 StG N 2; BVR 1995
S. 439 ff.; GVP 1999 Nr. 29).
4.2.3.
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass gemäss dem Wort-
laut und der gesetzgeberischen Absicht von § 98 Abs. 1 StGV in
Verbindung mit § 44 Abs. 2 StGV grundsätzlich aus dem Verkaufs-
erlös einer Liegenschaft, die sich im Alleineigentum eines Ehegatten
befindet, auch nur eine Liegenschaft ersatzbeschafft und § 44 Abs. 2
StGV nur mit Bezug auf intakte, d.h. (faktisch und rechtlich)
ungetrennte Ehen angewendet werden kann.
4.2.4.
4.2.4.1.
§ 44 Abs. 2 StG geht einerseits von der Fiktion der Identität der
Eheleute aus, verlangt anderseits aber gleichzeitig, dass auch "die üb-
rigen Voraussetzungen gegeben sind".
4.2.4.2.
Die "übrigen Voraussetzungen" ergeben sich aus § 98 Abs. 1
StG (in Übereinstimmung mit Art. 12 Abs. 3 lit. e StHG). Verlangt
wird die "Veräusserung einer dauernd und ausschliesslich selbst ge-
nutzten Wohnliegenschaft" und die Verwendung des Erlöses inner-
halb der Ersatzbeschaffungsfrist von zwei Jahren vor drei Jah-
ren nach der Veräusserung "zum Erwerb zum Bau einer gleich
genutzten Ersatzliegenschaft in der Schweiz". Mit "gleich genutzt"
ist die dauernde und ausschliessliche Selbstnutzung gemeint. Statt
von "selbst genutzt" wäre allerdings besser die Rede von "selbst
bewohnt". Eine Selbstnutzung im Sinne von § 98 Abs. 1 StG liegt
nämlich nur vor, wenn die (veräusserte) Liegenschaft durch den
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Steuerpflichtigen selbst dauernd und ausschliesslich zu Wohn-
zwecken genutzt wird (RGE vom 25. Juni 2009 in Sachen S.H.). Das
Ersatzbeschaffungsprivileg gemäss § 98 Abs. 1 StG gilt also nur für
selbstbewohntes Grundeigentum. Sowohl die veräusserte als auch die
Ersatzliegenschaft müssen von der steuerpflichtigen Person ganzjäh-
rig selbst und tatsächlich bewohnt werden (Kommentar zum Aar-
gauer Steuergesetz, a.a.O., § 98 StG N 6; Richner/Frei/Kaufmann/
Meuter, a.a.O., § 216 StG N 333).
4.2.4.3.
Im RGE vom 21. Juni 2001 in Sachen P.P. hat das Steuerrekurs-
gericht Folgendes ausgeführt:
"Für einen Steueraufschub infolge Ersatzbeschaffung (§ 70 aStG) wird in jedem Fall vorausgesetzt, dass sowohl die veräusserte wie auch die erworbene Liegenschaft vom Steuerpflichtigen selber bewohnt wird. Der Rekurrent hat die verkaufte Liegenschaft in B. nie selber bewohnt. Der Wille, in B. zu wohnen, reicht allein nicht aus (RGE vom 31. Mai 1995 in Sachen S. mit Verweis auf den VGE vom 29. Dezember 1994 in Sachen G.). Der Rekurrent kann somit das Ersatzbeschaffungsprivileg nicht beanspruchen." 4.2.4.4.
§ 44 Abs. 2 StGV basiert wie gesagt auf der rechtlichen Fiktion
der Einheit (Identität) der Eheleute. Es spielt infolge dieser Fiktion
keine Rolle, ob der die bisherige eheliche Wohnliegenschaft ver-
äussernde Ehepartner selber die neue eheliche Wohnliegenschaft er-
wirbt ob der Erwerb durch den anderen Ehepartner erfolgt. Die
Fiktion der Einheit bringt es gleichzeitig auch mit sich, dass die von
§ 98 Abs. 1 StG vorausgesetzte dauernde und ausschliessliche
Selbstnutzung der bisherigen wie auch der neuen Wohnliegenschaft
von beiden Ehepartnern erfüllt sein muss, damit § 44 Abs. 2 StG zur
Anwendung kommen kann (vgl. Basellandschaftliche Steuerpraxis
XII S. 376 [die steuerfreie Ersatzbeschaffung von Wohneigentum
verlangt, dass die erworbene Liegenschaft von den Ehegatten aus-
schliesslich und dauernd bewohnt wird; es genügt nicht, wenn ledig-
lich die Ehefrau zeitweise ein Zimmer des betreffenden Hauses be-
legt]). Ein Steueraufschub kann hingegen grundsätzlich nicht ge-
währt werden, wenn der die bisherige eheliche Liegenschaft ver-
äussernde Ehegatte eine durch den anderen Ehegatten erworbene
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neue Liegenschaft nicht ebenfalls dauernd und ausschliesslich be-
nutzt. Ein allfälliger Wille zur dauernden und ausschliesslichen Be-
nutzung genügt nicht.
4.2.5.
Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass die Re-
kurrentin die von ihrem Ehemann am 15. Mai 2008 gekaufte Liegen-
schaft in U. bis zu ihrem Wegzug nach R. per 1. September 2008
(bzw. gemäss der Wohnsitzbestätigung der Einwohnerkontrolle B.
per 30. September 2008) jemals bewohnt hat, wobei eine solche
kurze Zeitspanne auch nicht als "dauernd" qualifiziert werden
könnte. Dagegen sprechen die in den drei Kaufverträgen vereinbar-
ten Termine des Eigentumsantritts bzw. des Übergangs von Nutzen
und Gefahr. Die Liegenschaften in U. (15. Mai 2008) und R.
(25. Juni 2008) wurden nicht nur vor dem Verkauf der ehelichen Lie-
genschaft in B. (11. Juli 2008) erworben, sondern auch der Übergang
von Nutzen und Gefahr erfolgte bei den neu erworbenen Liegen-
schaften in U. (1. Mai 2008) und R. (14. Juli 2008) deutlich vor
demjenigen der veräusserten ehelichen Liegenschaft in B.
(1. September 2008). Dadurch konnten die direkten Umzüge der
Rekurrentin von der ehelichen Liegenschaft in B. in ihre neue Woh-
nung in R. und ihres Ehegatten in seine neue Liegenschaft in U. ge-
währleistet werden.
Von der Rekurrentin wird auch nicht geltend gemacht, die Lie-
genschaft in U. sei (als eheliche Wohnung) als Ersatz für die eheliche
Liegenschaft in B. gekauft worden. Zwar kann gemäss Art. 162 ZGB
ein Ehepaar grundsätzlich über mehrere eheliche Wohnungen an
verschiedenen Orten verfügen. Vorausgesetzt wird jedoch auch in
diesem Fall, dass die Ehegatten zumindest mit einer gewissen Re-
gelmässigkeit in diesen Wohnungen zusammenwohnen (Honsell/
Vogt/Geiser, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 3. Auflage, Basel
2006, Art. 162 ZGB N 7). Dies trifft bei den Rekurrenten auf ihre
Wohnungen in U. und R. nicht zu.
Gemäss den eigenen Angaben der Rekurrentin erfolgte der Ver-
kauf des gemeinsam bewohnten Einfamilienhauses in B. und der Er-
werb der Liegenschaften in U. und R. im Hinblick auf die Trennung.
Eine gemeinsame Nutzung beider Ersatzliegenschaften wie auch eine
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Nutzung als eheliche Wohnung waren nie vorgesehen. Selbst wenn
die Rekurrentin anfänglich den Willen gehabt hätte, die Liegenschaft
in U. mitzubewohnen, würde dies gemäss dem zitierten RGE vom
21. Juni 2001 in Sachen P.P. nicht ausreichen, um hinsichtlich des
Kaufes der Liegenschaft in U. durch ihren Ehemann einen Steuerauf-
schub infolge Ersatzbeschaffung zu gewähren.