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Urteil Rekursgericht im Ausländerrecht (AG)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2009 80: -

Es geht um die Haftdauer bei Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem Dublin-Verfahren. Es wird betont, dass eine Haft nur so lange angeordnet werden darf, wie eine Rückführung in den Zielstaat zulässig ist. Es wird auch darauf hingewiesen, dass eine Rückführung in einen Dublin-Staat nur innerhalb bestimmter Fristen möglich ist. Der Entscheid des Präsidenten des Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 2. Juli 2009 betrifft eine Haftüberprüfung des Migrationsamts des Kantons Aargau gegen Y.O. Es wird festgestellt, dass die Haft nicht bestätigt werden kann, wenn die maximal zulässige Rückführungsfrist nicht zuverlässig berechnet werden kann.

Urteilsdetails des Kantongerichts AGVE 2009 80

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2009 80
Instanz:-
Abteilung:Rekursgericht im Ausländerrecht
- Entscheid AGVE 2009 80 vom 02.07.2009 (AG)
Datum:02.07.2009
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:AGVE - Archiv 2009 ZwangsmassnahmenimAusländerrecht 367 80 Ausschaffungshaft; Haftdauer; Dublin-Verfahren; Verfristung EineHaft...
Schlagwörter : Rückführung; Dublin; Verordnung; Zielstaat; II-Verordnung; Rückübernahme; Frist; Haftdauer; Entscheid; Ausländerrecht; Antwort; Rückführungsfrist; Verfristung; Unterlagen; Rekursgerichts; Migrationsamt; Gesuch; Berechnung; Haftüberprüfung; Ausschaffungshaft; Schweiz; Zwangsmassnahmen; ZwangsmassnahmenimAusländerrecht; Fristen
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar:
Heinrich, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2015

Entscheid des Kantongerichts AGVE 2009 80

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80 Ausschaffungshaft; Haftdauer; Dublin-Verfahren; Verfristung Eine Haft darf nur so lange angeordnet werden, als eine Rückführung in den Zielstaat zulässig ist (E. II./2.3.). Eine Rückführung in einen Dublin-Staat (Zielstaat) gestützt auf die Dub- lin II-Verordnung ist nur innert bestimmter Fristen möglich (E. II./2.3.1.) Bei der ersten Haftüberprüfung ist die maximal zulässige Haftdauer auf- grund objektiver Angaben und unter Beizug der notwendigen Unterlagen zu überprüfen und festzulegen, ob sich eine Inhaftierung unter Berück- sichtigung der zulässigen Haftdauer und der konkreten Rückführungs- möglichkeiten rechtfertigen lässt (E. II./2.3.2.). Kann die maximal zulässige Rückführungsfrist nicht zuverlässig berech- net werden und steht deshalb nicht zweifelsfrei fest, wie lange ein Betrof- fener in Haft genommen werden kann, ist die Ausschaffungshaft nicht zu bestätigen (E. II./3.).
Entscheid des Präsidenten des Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 2. Juli 2009 in Sachen Migrationsamt des Kantons Aargau gegen Y.O. betreffend Haftüberprüfung (1-HA.2009.79).
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Aus den Erwägungen

II. 2.3. Gemäss Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG ist die Haft zu beenden, wenn sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Es sind keine Anzeichen vorhanden, die an der Ausschaffungsmöglichkeit in tatsächlicher Hinsicht Zweifel aufkommen lassen würden. Bezüglich der rechtlichen Hindernisse ist festzuhalten, dass die Haft nur so lange angeordnet werden darf, als eine Rückführung in den Zielstaat zulässig ist. 2.3.1. Für die Rückführung nach Griechenland sind die auch für die Schweiz geltende Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung; ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1 ff.) sowie die dazu gehörenden Ausführungsbestimmungen, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 (Dublin II-Durchführungsverordnung; ABl. L 222 vom 5.9.2003, S. 3 ff.) massgebend (vgl. Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat in der Schweiz gestellten Asylantrags [SR 0.142.392.68]). Anders als bei Rückführungen in den Heimatstaat ist eine Rückführung in einen Dublin-Staat (Zielstaat) gestützt auf die Dublin IIVerordnung nur innert bestimmter Fristen möglich. Massgebend für die Fristberechnung ist insbesondere, wann der Betroffene illegal in den Zielstaat eingereist ist (Art. 10 Abs. 1 der Dublin II-Verordnung), welchen Status der Betroffene im Zielstaat hatte (Art. 16 Abs. 1 lit. a und b Art. 16 Abs. 1 lit. c bis e Dublin II-Verordnung), wann das Gesuch um Rückübernahme gestellt wurde (Art. 17 Abs. 1 der Dublin II-Verordnung), ob um dringliche Antwort ersucht wurde (Art. 17 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung), ob das Gesuch um Rückübernahme gestützt auf einen Eurodac-Treffer gestellt wurde (Art. 20 Abs. 1 lit. b und c der Dublin II-Verordnung) und ob der Zielstaat das Rückübernahmegesuch beantwortet hat (Art. 18 Abs. 7 bzw. Art. 20
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Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung). In allen Fällen hat die Rückführung vorbehältlich einer allfälligen Unterbrechung im Sinne von Art. 19 Abs. 3 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. d einer Verlängerung nach Art. 20 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung innert sechs Monaten seit Zustimmung zur Rückübernahme zu erfolgen (Art. 19 Abs. 3 bzw. Art. 20 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung). Ausgangspunkt für jede Rückführung im Rahmen der Dublin II-Verordnung ist das Gesuch um Rückübernahme an den Zielstaat. Diesem ist zu entnehmen, gestützt auf welche gesetzliche Grundlage die Rückführung in den Zielstaat erfolgen soll und ob um dringliche Antwort ersucht wird. Antwortet der Zielstaat nicht innert der erforderlichen Frist, wird angenommen, dass der Rückübernahme zugestimmt wird (so genannte Verfristung). Die sechsmonatige Rückführungsfrist beginnt diesfalls mit ungenutztem Ablauf der Antwortfrist zu laufen. Antwortet der Zielstaat innerhalb der Frist, beginnt die sechsmonatige Rückführungsfrist mit Annahme des Antrages. Keine ausdrückliche Regelung kann der Dublin II-Verordnung entnommen werden für den Fall, in welchem der Zielstaat erst nach Ablauf der Frist antwortet. Es ist davon auszugehen, dass die Rückführungsfrist in einer solchen Konstellation bereits mit Ablauf der Antwortfrist beginnt und die verspätete Antwort lediglich eine Bestätigung des Zielstaates darstellt, dass die Verfristung eingetreten ist und die Rückübernahme akzeptiert wird (Entscheid des Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 19. Juni 2009, 1-HA.2009.75, E. II/2.3, S. 7). Offen gelassen werden kann an dieser Stelle, ob es dem Zielstaat frei steht, eine längere Frist als die vertraglich statuierten sechs Monate für die Rückübernahme einzuräumen. Prima vista ist dem nichts entgegen zu halten, zumal die genannten Fristen wohl einzig der zwischenstaatlichen Zuständigkeitsklärung dienen und nicht als Schutznormen für die Betroffenen gedacht sind (vgl. hierzu auch den Entscheid des Bayrischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. April 2009, W 6 K 08.30170, E. II/1. b, S. 10 [online einsehbar unter www.fluechtlingsrat-nrw.de, Dublin II > Rechtsprechung zur Dublin II-Verordnung > Überstellungsfristen, aufgerufen am 8. Juli 2009).
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2.3.2. Einmal mehr ist im Hinblick auf die Berechnung der Rückübernahmefrist festzuhalten, dass dem Wegweisungsentscheid des BFM vom 16. Juni 2009 keine entsprechenden Angaben zu entnehmen sind, obschon dies gemäss Art. 19 Abs. 2 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e der Dublin II-Verordnung geboten wäre und es nicht Aufgabe des Haftrichters ist, erstmals die Frist der maximal zulässigen Rückführung zu berechnen (vgl. Entscheid des Rekursgerichts im Auslän- derrecht vom 15. Juni 2009, 1-HA.2009.71, E. II/2.4, S. 8). Auch das Bundesverwaltungsgericht hielt in seinem Urteil vom 24. Juni 2009 (E-3805/2009, S. 8) fest, dass in den Entscheiden des BFM betreffend Wegweisung gestützt auf die Dublin II-Verordnung der letztmögliche Zeitpunkt für die Durchführung der Überstellung anzugeben sei und die Frist insbesondere in ausländerrechtlichen Haftverfahren weitreichende Konsequenzen zeitigen könne. Mit Entscheid vom 26. Juni 2009 (1-HA.2009.78), welcher am 1. Juli 2009 versandt wurde, hielt der Präsident des Rekursgerichts fest, das Migrationsamt werde erneut angewiesen, inskünftig bereits in seiner Haftanordnung darzulegen, bis wann die Rückübergabe maximal zulässig sei und entsprechende Belege spätestens anlässlich der mündlichen Haftüberprüfungsverhandlung vorzulegen. Zudem wurde das Migrationsamt mit Verfügung vom 1. Juli 2009 aufgefordert, die erforderlichen Belege einzureichen. Zwar äussert sich die Haftanordnung zur maximal zulässigen Rückführung. Belege, die der Berechnung zu Grunde gelegt wurden, hat das Migrationsamt jedoch keine eingereicht, womit die Berechnung nicht überprüfbar ist. Den Vorakten liegt lediglich der Nichteintretensentscheid des BFM vom 16. Juni 2009 bei. In diesem Entscheid wird ohne Verweis auf irgendwelche Aktenstücke ausgeführt, es sei am 13. März 2009 ein Rückübernahmegesuch an die griechischen Behörden gestellt worden, welches diese bis am 15. Mai 2009 nicht beantwortet hätten. 2.3.3. Da die Berechnung der Rückführungsfrist wie oben gezeigt wurde (E. II/2.3.1) - äusserst komplex ist und diverse potentielle Fehlerquellen bestehen, geht es im Bereich ausländerrechtlicher Zwangsmassnahmen nicht an, einzig auf eine unbelegte Datumsangabe in einem BFM-Entscheid abzustellen, um den spätest mögli-
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chen Rückführungstermin und damit die maximal zulässige Haftdauer festzulegen. Vielmehr entspricht es der richterlichen Sorgfaltspflicht, bereits bei der ersten Haftüberprüfung die maximal zulässige Haftdauer aufgrund objektiver Angaben und unter Beizug der notwendigen Unterlagen zu überprüfen und festzulegen, ob sich eine Inhaftierung unter Berücksichtigung der zulässigen Haftdauer und der konkreten Rückführungsmöglichkeiten rechtfertigen lässt. Es geht nicht an, die Haft gestützt auf eine mutmasslich zulässige Haftdauer zu bewilligen, wenn weder ein Rückübernahmegesuch der Schweiz noch eine Antwort des Zielstaates bzw. eine Verfristungsanzeige vorliegen. Dies umso weniger, als es den zuständigen Bundesbehör- den problemlos möglich wäre, die für die korrekte Fristberechnung notwendigen Unterlagen zu edieren. Jedenfalls wurde seitens des BFM zu Recht nicht vorgebracht, die Edition der Dokumente sei aus zeitlichen Gründen nicht möglich mit unverhältnismässigem administrativem Aufwand verbunden, nachdem in einem anderen Verfahren (1-HA.2009.74) auf telefonisches Ersuchen des Präsidenten des Rekursgerichts innert Stunden sowohl der Antrag auf Rück- übernahme als auch die Verfristungsanzeige per Fax übermittelt werden konnten. Festzuhalten bleibt, dass es entgegen der Auffassung des BFM - nicht darum geht, den Asylentscheid zu überprüfen, sondern einzig darum, die maximal zulässige Rückübernahmefrist, über die der BFM-Entscheid eigentlich zwingend Auskunft geben müsste, und daraus abgeleitet, die maximal zulässige Haftdauer zu ermitteln. 3. Da es aufgrund der fehlenden Unterlagen nicht möglich ist, die maximal zulässige Rückführungsfrist zuverlässig zu berechnen und somit nicht zweifelsfrei feststeht, wie lange der Gesuchsgegner in Haft genommen werden kann, ist die Ausschaffungshaft nicht zu bestätigen und der Gesuchsgegner aus der Haft zu entlassen. Eine bloss teilweise Bestätigung der Ausschaffungshaft für eine kürzere als die vom Migrationsamt angeordnete Dauer kommt schliesslich ebenfalls nicht in Betracht. Aufgrund der ausdrücklichen Weigerung des BFM, die für die Berechnung der maximal zulässigen Haftdauer erforderlichen Unterlagen zu edieren, kann nicht damit gerechnet werden, dass sich die zuständigen kantonalen Behörden in absehbarer Zukunft Klarheit darüber verschaffen können, bis zu welchem
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Zeitpunkt im vorliegenden Fall die Haft angeordnet bzw. bestätigt werden dürfte.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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