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90 Widerruf der Niederlassungsbewilligung; Verschweigen wesentlicher Tatsachen Soll einem aus einem anderen Kanton zuziehenden Niedergelassenen der Kantonswechsel bewilligt und eine Niederlassungsbewilligung erteilt wer- den, muss das Migrationsamt das bisherige Verhalten nochmals einge- hend prüfen. Wird auf den Beizug der Akten des Vorkantons verzichtet, kann die Niederlassungsbewilligung später nicht aufgrund von Umstän- den, die in diesen Akten hinreichend dokumentiert sind, widerrufen wer- den (E. II./4.3.).
Aus dem Entscheid des Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 27. Juni 2008 in Sachen D.A. betreffend Widerruf der Niederlassungsbewilligung bzw. Familiennachzug (1-BE.2007.39).
2008 Beschwerden gegen Einspracheentscheide des Migrationsamts
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Sachverhalt
Der Beschwerdeführer war in den Jahren 1983 bis 1988 in Ma-
zedonien verheiratet. Im März 1992 heiratete er eine in der Schweiz
niedergelassene Landsfrau, von der er seit Oktober 2004 geschieden
ist. Aufgrund dieser Ehe erteilte ihm der Kanton Luzern am 1. März
2001 die Niederlassungsbewilligung. Im Januar 2005 heiratete der
Beschwerdeführer erneut seine erste Ehefrau. Mit dieser hat er fünf
gemeinsame Kinder, wovon zwei im Laufe seiner zweiten Ehe gebo-
ren worden waren. Per 1. März 2006 nahm der Beschwerdeführer im
Kanton Aargau Wohnsitz, worauf ihm im Rahmen des Kantons-
wechsels die Niederlassungsbewilligung für den Kanton Aargau er-
teilt wurde. Nachdem er kurz darauf darum ersuchte, seine Familie
nachziehen zu dürfen, widerrief das Migrationsamt seine Niederlas-
sungsbewilligung mit der Begründung, er habe die im Jahre 2001
erteilte Niederlassungsbewilligung durch wissentliches Verschwei-
gen wesentlicher Tatsachen erschlichen.
Aus den Erwägungen
II. 4.3. In casu ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer dem
Amt für Migration des Kantons Luzern vor Erteilung der Niederlas-
sungsbewilligung im März 2001 nicht mitgeteilt hat, dass er Vater
zweier ausserehelich geborenen Kinder geworden ist.
Dies ist jedoch nicht mehr relevant. Entgegen der Ansicht der
Vorinstanz geht es vorliegend nicht um den Widerruf der durch das
Amt für Migration des Kantons Luzern erteilten Niederlassungsbe-
willigung, sondern um den Widerruf der durch das Migrationsamt
des Kantons Aargau am 5. Juli 2006 erteilten Niederlassungsbewilli-
gung.
Mit Blick auf die durch das Migrationsamt des Kantons Aargau
erteilte Niederlassungsbewilligung kann dem Beschwerdeführer
nicht vorgeworfen werden, er habe seine ungewöhnliche Familien-
situation verschwiegen und dies gar in Täuschungsabsicht getan.
Dem Amt für Migration des Kantons Luzern war seit April 2001 be-
kannt, dass der Beschwerdeführer mit seiner früheren Ehefrau fünf
gemeinsame Kinder hat. Der Beschwerdeführer gab den Luzerner
Behörden auch im Rahmen des Nachzugsgesuches für seine Tochter
F. offen Auskunft über die ausserehelich gezeugten jüngsten Kinder.
Überdies geht aus der Befragung der zweiten Ehefrau vom
6. Dezember 2005 detailliert hervor, wie sich die familiäre Situation
im Heimatland präsentierte.
Wie bereits ausgeführt, sind die Migrationsbehörden gestützt
auf Art. 11 ANAV verpflichtet, vor Erteilung der Niederlassungsbe-
willigung das bisherige Verhalten des Ausländers nochmals einge-
hend zu prüfen. Wird die Niederlassungsbewilligung trotz hinrei-
chender Kenntnis des fragwürdigen Verhaltens des Ausländers erteilt,
ist ein späterer Widerruf nicht mehr möglich.
Bekanntlich müssen ausländische Personen die Migrationsbe-
hörden über ausserehelich gezeugte Kinder von sich aus orientieren,
auch wenn sie nicht direkt danach gefragt wurden, weil sie damit
rechnen müssen, dass dieser Umstand für die Bewilligungserteilung
bzw. -verlängerung relevant sein könnte. Es kommt demnach nicht
darauf an, ob sie effektiv wussten, dass eine Information für den Be-
willigungsentscheid relevant ist. Vielmehr genügt, dass sie dies hät-
ten wissen müssen. Gleich verhält es sich bei den Migrationsbehör-
den. Hinreichende Kenntnis über ein fragwürdiges Verhalten bedeu-
tet nicht, dass die Migrationsbehörden effektiv Kenntnis über den
entsprechenden Sachverhalt hatten. Entscheidend ist einzig, ob sie
die relevanten Umstände hätten kennen können diese gar hätten
kennen müssen. Soll einem aus einem anderen Kanton zuziehenden
Niedergelassenen der Kantonswechsel bewilligt und eine Niederlas-
sungsbewilligung erteilt werden, ist das Migrationsamt gehalten, das
bisherige Verhalten nochmals eingehend zu prüfen. Dazu genügt es
nicht, dem Betroffenen einzig einen Fragebogen zuzustellen. Viel-
mehr gebietet eine sorgfältige Prüfung des Vorlebens geradezu den
Beizug der Migrationsakten des vormaligen Bewilligungskantons.
In casu wäre es dem Migrationsamt unter Beizug der Akten des
Migrationsamtes des Kantons Luzern ohne weiteres möglich gewe-
sen, sich ein umfassendes Bild von der familiären Situation des Be-
schwerdeführers zu machen. Es wurde indessen darauf verzichtet, die
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Akten beizuziehen. Nachdem jedoch in den Akten des Kantons Lu-
zern das dem Beschwerdeführer heute zur Last gelegte Verhalten
hinreichend dokumentiert ist, kann ihm nicht mehr vorgeworfen
werden, er habe wissentlich wesentliche Tatsachen verschwiegen.