2007 Zivilprozessrecht 49
[...]
10 Art. 12 lit. c BGFA Tätigkeit als Notar bei Grundstückkaufvertrag und anschliessend als Parteivertreter einer der Parteien des Kaufvertrages in einem Streit ge-
2007 Obergericht/Handelsgericht 50
gen die andere Partei: Abgrenzung der Zuständigkeit der Anwaltskom- mission gegenüber der Notariatskommission; Interessenkollision
Entscheid der Anwaltskommission vom 14. November 2007 i.S. M. S.
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Im vorliegenden Fall ist der beanzeigte Anwalt ebenfalls Notar,
und der erhobene Vorwurf ergibt sich aus der Kombination beider
Tätigkeiten. Da die Anwaltskommission Aufsichtsbehörde über die
Anwälte und die Notariatskommission / der Regierungsrat Aufsichts-
behörde über die Notare ist, stellt sich vorab die Frage der aufsichts-
rechtlichen Zuständigkeit.
Nachdem keine Bestimmung für solche Sachverhalte ein
gemeinsam durchzuführendes Verfahren allenfalls die Kompe-
tenzattraktion bei der einen Behörde vorsieht, bedarf es einer
Abgrenzung. Abgrenzungskriterium ist, zu welchen Berufspflichten
(Anwalt Notar) die nähere sachliche Beziehung besteht (AGVE
2002, Nr. 86, S. 371).
1.2.
[...]
1.3.
[...]
1.4.
Die Streitigkeit zwischen den Käufern (Anzeiger) und dem ehe-
maligen Verkäufer hinsichtlich der Stützmauer ist nicht gestützt auf
den vom beanzeigten Anwalt beurkundeten Vertrag (Kaufvertrag be-
treffend Parzelle 4291, vgl. Beilage zur Eingabe vom 23. März 2007
des beanzeigten Anwaltes [Kaufvertrag]) entstanden. So wurde we-
der die Gültigkeit des Kaufvertrages bestritten, noch geht es um den
Inhalt die Folgen dieses Vertrages. Gegenstand des
Beschwerdeverfahrens betreffend Baubewilligung und Beseitigung,
2007 Zivilprozessrecht 51
in welchem der beanzeigte Anwalt den damaligen Verkäufer vertre-
ten hat, war die Terrainaufschüttung und die Grenzmauer auf der
Nachbarparzelle Nr. 4289/4290 (Beilage 1 zur Stellungnahme vom
13. März 2007).
Damit kann festgehalten werden, dass die Streitigkeit zwischen
Käufer und Verkäufer nicht den beurkundeten Vertrag und auch nicht
die Vertragsfolgen betroffen haben, weshalb vorliegend auch nicht
die Unabhängigkeitspflicht des Notars tangiert wird. Demzufolge be-
steht bezüglich der Frage einer allfälligen Interessenkollision die
nähere sachliche Beziehung nicht zu den Berufspflichten des Notars,
sondern zu denjenigen des Anwaltes, weshalb die Überprüfung einer
allfälligen Berufsregelverletzung in die Zuständigkeit der Anwalts-
kommission fällt.
[...]
3.
3.1.
3.1.1.
[...]
3.1.2.
Auch wenn sich das BGFA nicht über eine Treuepflicht des An-
waltes gegenüber Klienten, die er zuerst als Notar betreut hatte, aus-
spricht, so wurde mit der Mandatsübernahme für den ehemaligen
Verkäufer eine Situation geschaffen, in der der beanzeigte Anwalt
unter Umständen gegen die Interessen der Käufer Kenntnisse aus
dem früheren Notariatsmandat zur Ausübung des neuen Mandates
hätte verwenden können (vgl. auch MARTIN STERCHI, Kommentar zum bernischen Fürsprechergesetz, Bern 1992, N 4 zu Art. 13: Ver-
bot der Vertretung entgegengesetzter Interessen trifft alle in einer Bü-
rogemeinschaft stehende Anwälte auch hinsichtlich der Notariatsge-
schäfte eines Kollegen). Es besteht somit ein enger Zusammenhang
zwischen der Tätigkeit als Urkundsperson und dem Rechtsanwalts-
beruf, weshalb vorliegend zu prüfen ist, ob der beanzeigte Anwalt
durch sein Verhalten als Notar und dann als Anwalt das Verbot der
Interessenkollision verletzt hat.
2007 Obergericht/Handelsgericht 52
3.2.
3.2.1.
Gegenstand des vom beanzeigten Anwalt beurkundeten Kauf-
vertrages vom 14. Dezember 2001 war das Kaufsobjekt ,,Grundbuch
E. Nr. 3604, Kat. Plan 44, Parzelle 4291. Im Kaufpreis von Fr.
629'000.-waren der Kaufpreis für die Parzelle 4291 und das schlüs-
selfertige Wohnhaus sowie die Garage enthalten. Des Weiteren wur-
de im Kaufvertrag unter der Rubrik ,,Dienstbarkeiten und Grundla-
sten" ein Näherbaurecht mit Parz. 4290 und ein Grenzbaurecht mit
Parz. 4292 vereinbart. Im Weiteren enthält der Kaufvertrag verschie-
dene Vertragsbestimmungen, welche u.a. Besitzantritt, Leistungsum-
fang des Verkäufers betreffend die schlüsselfertige Erstellung eines
Wohnhauses, Garantieansprüche etc. regeln.
3.2.2.
Der Rechtsstreit zwischen den Anzeigern und dem ehemaligen
Verkäufer (im Verfahren vor Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
Baukonsortium O. als Beschwerdeführer 1) bezog sich auf die Um-
gebungsgestaltung (Terrainaufschüttung und Stützmauer) auf der
Parzelle 4290 (Eigentümer: J.).
[...] Dem Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aar-
gau ist Folgendes zu entnehmen: ,,Gegenstand des vorliegenden Ver-
fahrens ist somit ausschliesslich die Stützmauer auf der Parzelle Nr.
4290, welche entlang der südöstlichen Parzellengrenze verläuft." Die
Beschwerdegegner (Anzeiger) verneinten die Rechtmässigkeit der
Stützmauer, weil der erforderliche Grenzabstand nicht eingehalten
worden sei.
Im Entscheid wurden u.a. die Fragen der Höhe der Mauer und
des Abstandes zur Nachbarsgrenze nach den gesetzlichen Grundla-
gen geprüft. Das Verwaltungsgericht stellte u.a. fest, dass die Stütz-
mauer nicht im Sinne des Umgebungsplans, sondern entsprechend
ihrem Mehrmass bloss mit einem vom Mauerfuss aus gemessenen
Grenzabstand von 60 cm hätte genehmigt werden dürfen. Das Ver-
waltungsgericht hat schliesslich mit Entscheid vom 6. Juni 2006 den
Umgebungsplan für die Umgebungsgestaltung auf den Parzellen
4289 und 4290 mit einer Änderung betreffend die Stützmauer (diese
muss gemäss Entscheid zurückversetzt werden) genehmigt.
2007 Zivilprozessrecht 53
3.3.
3.3.1.
Aus dem Gesagten lässt sich schliessen, dass die Streitigkeit, in
welcher der beanzeigte Anwalt den ehemaligen Verkäufer der Anzei-
ger vertreten hat, in keinem engen Zusammenhang mit dem damali-
gen notariellen Mandat (beurkundeter Vertrag) steht. Es handelte sich
um eine Streitigkeit, die nicht den beurkundeten Kaufvertrag (und
auch nicht Folgen daraus), sondern eine Stützmauer auf der Parzelle
4290 betroffen hat. Den beurkundeten Vertrag vom 14. Dezember
2001 hat das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid nicht erwähnt,
und er war nicht Gegenstand des Verfahrens. Dem Kaufvertrag ist
insbesondere auch keine Regelung betreffend eine allfällige Stütz-
mauer auf Parzelle 4290 zu entnehmen. Das Verfahren betreffend die
Stützmauer tangiert somit die im beurkundeten Vertrag abgehandel-
ten Tatsachen und Rechtsfragen nicht.
3.3.2.
[...]
3.3.3.
Es ist somit kein Sachzusammenhang zwischen dem notariellen
Mandat und der Mandatsübernahme für den Verkäufer hinsichtlich
der Streitigkeit betreffend die Stützmauer ersichtlich. Dass der bean-
zeigte Anwalt seine erlangten Kenntnisse bezüglich des beurkunde-
ten Vertrages in der Streitigkeit betreffend die Stützmauer auf dem
Nachbarsgrundstück verwertet erörtert hätte, kann ausgeschlos-
sen werden. Die Anzeiger behaupten auch nicht, der beanzeigte An-
walt habe als ihr Notar Erkenntnisse gewonnen, die er beim späteren
Verfahren betreffend die Stützmauer gegen sie ausgewertet hätte. Es
lag somit kein verbotener Parteiwechsel vor.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.