2006 Schätzungskommission nach Baugesetz 348
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70 Materielle Enteignung; vorübergehende Nutzungsbeschränkung - Für eine vorübergehende Nutzungsbeschränkung ist nur dann eine Entschädigung geschuldet, wenn eine bessere Nutzung über lange Zeit zurückgestellt werden muss. Dies ist anhand der konkreten Um- stände zu prüfen.
Aus dem Entscheid der Schätzungskommission nach Baugesetz vom 22. November 2006 in Sachen Erbengemeinschaft Z. gegen Einwohnerge-
meinde B.
Sachverhalt
Bei der Zonenplanrevision 1991/1994 wurde die Parzelle 137
der Landwirtschaftszone zugewiesen. In der Folge stellten die betrof-
fenen Eigentümer ein Begehren um Entschädigung wegen materiel-
ler Enteignung. Mit Entscheid vom 26. November 2002 bejahte das
Bundesgericht das Vorliegen einer materiellen Enteignung und wies
die Schätzungskommission an, die Entschädigung festzusetzen.
Im März 2004, noch bevor die Entschädigung festgelegt war,
wies die Gemeinde B. die Parzelle 137 der Bauzone zu. Daraufhin
verlangten die Eigentümer eine Entschädigung für die vorüberge-
hende Nutzungsbeschränkung. Es ist zu prüfen, ob diese einer mate-
riellen Enteignung gleichkommt.
Aus den Erwägungen
3.2.2. Wird eine Eigentumsbeschränkung vor der definitiven
Festlegung einer Entschädigung aufgehoben, besteht für eine Ent-
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schädigung mangels Schaden für den Eigentümer grundsätzlich
keine Ursache mehr. Eine Ausnahme von dieser Regel ist gerechtfer-
tigt, wo die Zeitspanne zwischen der ersten Beschränkung und der
späteren Änderung der rechtlichen Regelung besonders lang war, so
dass der Eigentümer ohne die Beschränkung in der Zwischenzeit
eine bessere Nutzung seines Landes hätte vornehmen können (BGE
121 II 317 in Pra 1996 S. 604 mit Hinweisen; Peter Hänni, Planungs-
Bauund besonderes Umweltschutzrecht, 4. Auflage, Bern 2002,
S. 623). Dasselbe gilt auch bei einer Bausperre, wo die Eigentümer-
befugnisse ebenfalls nur vorübergehend beschränkt werden. Sie sind
entschädigungslos zu dulden, ausser ein Eigentümer wird besonders
schwer getroffen, weil er ein bewilligungsfähiges Bauvorhaben auf
baureifem Land während längerer Zeit zurückstellen muss. Aus der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich keine feste zeitliche
Begrenzung entnehmen, bei deren Überschreitung eine materielle
Enteignung angenommen werden müsste. Massgebend sind die Um-
stände des Einzelfalls. In der Regel löst ein auf fünf Jahre befristetes
Bauverbot keine Entschädigungspflicht aus. Ein zehn Jahre dauern-
des Bauverbot auf baureifem Land kann hingegen enteignungsähn-
lich wirken, allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Sonderopfers.
Die Beeinträchtigung einer zukünftigen besseren Nutzung hat aber
nur dann enteignungsähnliche Wirkung, wenn im massgebenden
Zeitpunkt anzunehmen war, die bessere Nutzung lasse sich mit hoher
Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verwirklichen. Auch in der Li-
teratur wird die Auffassung vertreten, dass auf fünf bis zehn Jahre
befristete Bauverbote entschädigungslos zu dulden sind (BGE 109 Ib
23 ff.).
Bei der Prüfung der konkreten Umstände eines befristeten Bau-
verbots ist insbesondere auf die Baureife des betroffenen Grund-
stücks zu achten (Ulrich Zimmerli, Die Rechtsprechung des Bundes-
gerichts zur materiellen Enteignung, in ZBl 1974 S. 149).
(...)
3.3.1. In der Zeit vom 18. Januar 1994 (grossrätliche Genehmi-
gung der Zuweisung zur Landwirtschaftszone) bis am 3. März 2004
(Beschluss des Regierungsrats über Zuweisung zur Zone W2) war
die Parzelle 137 einer baulichen Nutzung entzogen. Die Eigentums-
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beschränkung dauerte 10 Jahre und 2 Monate (...). In dieser Zeit
wurden anderseits die Erschliessungsanlagen soweit ergänzt, dass
das Grundstück bei der Einzonung im 2004 erschliessbar war (...).
3.3.2. Gemäss der angeführten Rechtsprechung liegt hier ein
Grenzfall vor. Es ist anhand der konkreten Umstände zu entscheiden,
ob die Intensität des Eingriffs eine Entschädigungspflicht begründet.
Dabei hat die Baureife des Grundstücks besonderes Gewicht (...).
3.3.2.1. Ein Grundstück ist baureif, wenn es sich für die Über-
bauung eignet (nach Form, Lage, Beschaffenheit) und erschlossen ist
(vgl. § 32 BauG). Baureif ist Land, das nach seiner rechtlichen und
tatsächlichen Qualität überbaubar ist (Hänni, a.a.O., S. 237). Die Ge-
suchsgegnerin bestreitet, dass die Parzelle 137 im fraglichen Zeit-
punkt baureif gewesen sei (...).
Das Bundesgericht hat im Entscheid vom 26. November 2002
(...) festgestellt, dass die Erschliessung im massgeblichen Zeitpunkt
nicht in allen Teilen vorhanden war. Es bejahte die Einzonungspflicht
trotzdem, weil die Parzelle 137 eine Baulücke bildet. Das Gericht
stellte weiter fest, das Grundstück hätte innert zwei bis drei Jahren
(1996/1997) erschlossen und danach überbaut werden können (...).
Es bejahte die Realisierungswahrscheinlichkeit in diesem erweiterten
Rahmen. Die Ausführungen der Parteien zu diesem Thema sind da-
her unerheblich. Es ist davon auszugehen, dass die Parzelle (frühes-
tens) ab 1996 überbaubar war.
Die Intensität des Eingriffs hängt ab von der Dauer der Be-
schränkung, während der hätte gebaut werden können und auch ge-
baut worden wäre (Bernische Verwaltungsrechtsprechung [BVR]
2003, S. 79). (...)
Es ist offensichtlich, dass die Gesuchsteller von der zeitweiligen
Nutzungsbeschränkung weniger stark betroffen waren als ein Grund-
eigentümer, der voll erschlossenes, sofort überbaubares Land hat.
Die am Stichtag bestehenden Erschliessungsprobleme sind als ein
den Eigentumseingriff mildernder Umstand zu berücksichtigen. Die
allein der Zuweisung zur Landwirtschaftszone zuzurechnende Nut-
zungsbeschränkung dauerte rund sieben bis acht Jahre (1996/1997
bis März 2004).
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3.3.2.2. Eine befristete Nutzungsbeschränkung wirkt sich dann
besonders stark aus, wenn sie baureifes Land beschlägt, für das ein
bewilligungsfähiges Bauprojekt zurückgestellt werden muss. Die Ge-
suchsgegnerin bestreitet, dass je ein bewilligungsfähiges Bauprojekt
eingereicht worden sei, und dass überhaupt ein Überbauungswille
bestehe (...).
(...)
Nach den eingereichten Unterlagen (Kaufrechtverträge, Bauge-
such, Lärmgutachten, Kostenvoranschläge) waren die Gesuchsteller
zweifellos willens, die Parzelle 137 zu verkaufen zu überbauen.
Aus den Akten geht eindeutig hervor, dass sie versucht haben, das
Land ökonomisch zu verwerten. Der Misserfolg kann unter den be-
sonderen Umständen (schwierige Erschliessungssituation infolge
Lage an der Gemeindegrenze) nicht als mangelnder Wille ausgelegt
werden.
Dieser Eindruck wird allerdings relativiert durch die Untätigkeit
der Gesuchsteller seit der Einzonung des Grundstücks im 2004. Das
Land ist auch nach Darstellung der Gesuchsteller heute erschliess-
bar. Die vorgetragenen Gründe für die fehlenden Bemühungen (lau-
fendes Verfahren, Baustelle für Autobahnzubringer in rund 700 m
Distanz, Angst vor Einsprachen - dazu nachstehend) haben jeden-
falls nichts mit der kommunalen Planung zu tun und sind nicht von
der Gemeinde zu vertreten (...).
3.3.2.3. Die Nutzungsbeschränkung war vorliegend nicht von
Anfang an befristet. Der Erbengemeinschaft war daher eine vorberei-
tende Planung auf das Ende der Frist hin erschwert.
Nach Ansicht der Gesuchsteller werden Kaufinteressenten vom
laufenden Verfahren und der Baustelle für den Autobahnzubringer
abgeschreckt (...). Die Grundstückbewertung des Hauseigentümer-
verbandes vom 25. Februar 2004 beschreibt die Parzelle 137 als an
einem Hang mit schöner Aussicht liegend, mit Wohnlage für exklusi-
ve Einfamilienhäuser, im Nahbereich öffentlicher Verkehrsmittel und
in der Nähe von B.. Strassenund Zuglärm werden als preismin-
dernde Faktoren aufgeführt. Das Grundstück ist nach diesem Bericht
mit sämtlichen Werkleitungen erschlossen, die Zufahrt erfolge über
die S.-Strasse (...). An der Verhandlung vom 5. September 2006 be-
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stätigten die Gemeindevertreter, dass die Parzelle 137 heute erschlos-
sen werden könne (...).
Aufgrund dieser Beschreibung sollte mit keinen besonderen
Schwierigkeiten beim Verkauf zu rechnen sein. Das laufende Verfah-
ren betrifft Kaufinteressenten nicht. Die vorübergehende Belästigung
durch die Baustelle (in immerhin 700 m Distanz) dürfte auf das
Kaufinteresse für ein noch unbebautes Grundstück kaum Einfluss ha-
ben. Es ist auch zu beachten, dass die Verkaufschancen sich dank der
zwischenzeitlich vervollständigten Erschliessung verbessert haben.
Insgesamt hat sich die erst nachträgliche Befristung demnach kaum
ausgewirkt.
3.3.2.4. Die Gesuchsteller machen geltend, ihr Vertrauen in die
Zusagen der Gemeinden B. und Z. sei zu schützen (...). Nach An-
sicht der Gesuchsgegner spielen Vertrauensgesichtspunkte nach der
rechtskräftigen Einzonung der Parzelle 137 keine Rolle mehr (...).
(...)
Eine (...) vertrauensbildende, bedingungslose Zusicherung der
Überbaubarkeit der Parzelle 137 lässt sich in den Akten nicht finden.
Das an der Gemeindegrenze liegende Grundstück war für die Er-
schliessung auch auf Anschlussbewilligungen der Nachbargemeinde
Z. angewiesen. Zusicherungen der beiden Gemeinden, B. und Z.,
wurden jeweils an die Bedingung geknüpft, dass die Parzelle 137
vollständig erschlossen werde (...). Zudem wurden keine Dispositio-
nen getroffen, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden
könnten. Die Auslagen für die Planung wurden von den Kaufrecht-
nehmern getragen. Hätte die Planung ein bewilligungsfähiges Projekt
hervorgebracht, könnte es nun realisiert werden. Ein Vertrauensscha-
den ist den Gesuchstellern nicht entstanden.
3.3.3. Als weiterer Anhaltspunkt für die erforderliche Schwere
eines entschädigungspflichtigen Eigentumseingriffs ist die Recht-
sprechung zu den unbefristeten sachlichen Teilnutzungsbeschränkun-
gen (z.B. Abzonung, Umzonung) vergleichsweise heranzuziehen.
Hier gilt der Grundsatz, dass eine Entschädigung als Folge einer
Planänderung nur geschuldet ist, wenn auf dem betroffenen Grund-
stück keine bestimmungsgemässe, wirtschaftlich gute Nutzung mehr
möglich ist (BVR 1995 S. 172 mit Hinweisen; BGE 114 Ib 121; 111
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Ib 265). Das Bundesgericht hat z.B. eine Reduktion der baulichen
Ausnützung auf einen Drittel in Folge einer Bauzonenänderung nicht
als materielle Enteignung anerkannt (BGE 97 I 632 ff.). Sogar bei ei-
ner Herabsetzung der Ausnützung um drei Viertel hat das Bundesge-
richt unter Hinweis auf die verbleibenden Baumöglichkeiten nicht
auf eine Entschädigung erkannt (BGE vom 21. November 1984, in
ZBl 1985 S. 211 ff.). Ebenfalls nicht als materielle Enteignung wur-
den Teilbauverbote auf einem Drittel bzw. zwei Fünftel eines Grund-
stücks beurteilt (BGE vom 14. Dezember 1983, in ZBl 1984 S. 366
ff.; BVR 1995 S. 172). Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
hat in einem Entscheid vom 20. Dezember 1996 für die Halbierung
der Ausnützungsziffer und die gleichzeitige Herabsetzung der zuläs-
sigen Geschosszahl keine Entschädigung gesprochen (AGVE 1996
S. 186). Ebenso hat es keine materielle Enteignung in der Einbusse
von rund 30 % der nutzbaren Fläche gesehen (AGVE 1988 S. 130
und 135).
Diese Eingriffe waren unbefristet zu dulden. Den Gesuchstel-
lern war die bauliche Nutzung während sieben bis acht Jahren (...)
faktisch entzogen. Sie können das Grundstück seit der Einzonung
aber unbeschränkt nutzen. Im Vergleich zu den teilweise doch recht
einschneidenden permanenten Nutzungsbeschränkungen wiegt die
hier in Frage stehende "Bausperre" jedenfalls nicht schwerer.
3.3.4. Andere Gründe, die auf die Intensität des Eingriffs Ein-
fluss hatten, wurden nicht angeführt und sind auch nicht ersichtlich.
Die 10 Jahre und 2 Monate dauernde Nutzungsbeschränkung wurde
vorliegend durch den Umstand gemildert, dass das Grundstück we-
gen der unvollständigen Erschliessung erst mit einer Verzögerung
von 2-3 Jahren hätte überbaut werden können (...). Die Erschlies-
sungsanlagen wurden in der Zwischenzeit ergänzt, so dass die Par-
zelle 137 bei der Einzonung 2004 erschliessbar war. Die nicht von
Anfang an absehbare Befristung des Eingriffs wirkte sich nicht über-
mässig aus (...). Der Wille, das Grundstück ökonomisch zu verwer-
ten, wird zwar anerkannt, durch die Untätigkeit der Gesuchsteller seit
der Einzonung aber relativiert. Es lag auch nie ein bewilligungsfähi-
ges Bauprojekt vor (...). Auf Vertrauensschutz können sich die Ge-
suchsteller nicht berufen (...). Im Vergleich mit der Rechtsprechung
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zu dauernden Nutzungsbeschränkungen, die ohne Entschädigung zu
dulden sind, wiegt der vorliegende Eingriff nicht schwerer (...). An
dieser Stelle sei auch daran erinnert, dass eine bereits ausbezahlte
Entschädigung nach Aufhebung der Nutzungsbeschränkung (Einzo-
nung) samt Zins zurückbezahlt werden müsste (vgl. § 141 Abs. 1
BauG), allerdings ohne Inkonvenienzen (Ernst Kistler/René Müller,
Baugesetz des Kantons Aargau, 2. Auflage, Lenzburg 2002, § 141
N 4).
Unter Würdigung all dieser Umstände kommt das Gericht über-
einstimmend zum Schluss, dass die zeitlich befristete Nutzungsbe-
schränkung vorliegend nicht so schwer wiegt, dass dafür eine Ent-
schädigung aus materieller Enteignung geschuldet wäre.