I. Zivilrecht
A. Familienrecht
1 Art. 111 Abs. 2, 113 und 116 ZGB. Die Bedenkzeit gemäss Art. 111 Abs. 2 ZGB ist auch im Rahmen von Art. 116 ZGB zwingend zu beachten. Die Parteien sind mit der Eröffnung der Bedenkfrist auf die Rechtsfolgen einer Nichtbestätigung des Scheidungswillens ausdrücklich hinzuweisen. Da im Anwendungsbereich von Art. 116 ZGB bereits eine Klage und gegebenenfalls eine Wider- klage angehoben worden sind, bedarf es bei Ausbleiben der Bestätigung des Scheidungswillens keiner Fristansetzung i.S.v. Art. 113 ZGB zur Er- setzung des gemeinsamen Scheidungsbegehrens durch eine Klage. Bei Ausbleiben der Bestätigung des Scheidungswillens hat das Gericht den Parteien in anfechtbarer Form die Abweisung des gemeinsamen Schei- dungsbegehrens und deren Gründe zu eröffnen.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 1. November 2005 in Sachen G. B. gegen C. B.
Aus den Erwägungen
Nach Art. 116 ZGB sind die Bestimmungen über die Scheidung auf gemeinsames Begehren sinngemäss anwendbar, wenn ein Ehegatte die Scheidung nach Getrenntleben wegen Unzumutbarkeit verlangt und der andere Ehegatte ausdrücklich zustimmt Widerklage erhebt. Der Scheidungsgrund von Art. 114 115 ZGB kommt alsdann nicht mehr zur Anwendung, sondern weicht - da faktisch ein gemeinsames Begehren vorliegt jenem nach Art. 111/112 ZGB (Steck, Basler Kommentar, 2. A., Basel/Genf/München 2002, N 10 zu Art. 116 ZGB; Rumo-Jungo, Die Scheidung auf Klage, in: AJP 1999, S. 1537; Fankhauser, in: Schwenzer, FamKommentar Scheidung, 2. A., Bern 2005, N 2 zu Art. 116 ZGB; Reusser, Die Scheidungsgründe und die Ehetrennung, in: Hausheer, Vom alten
zum neuen Scheidungsrecht, ASR 625, Bern 1999, Rz 1.87). Bei dieser Konstellation bezweckt Art. 116 ZGB in erster Linie die Einhaltung der Verfahrensgarantien von Art. 111 und 112 ZGB, d.h. es soll verhindert werden, dass diese insbesondere die zweimonatige Bedenkzeit - durch eine fingierte Streitscheidung umgangen werden (Botschaft des Bundesrates über die Änderung des schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15. November 1995, BBl 1996, S. 93; Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 9 zu Art. 116 ZGB; Steck, a.a.O., N 3 ff. zu Art. 116 ZGB; Reusser, a.a.O., Rz 1.88; Fankhauser, a.a.O., N 2 f. zu Art. 116 ZGB; Rumo-Jungo, a.a.O., S. 1537). Diese Verfahrensgarantien gelten sowohl für den Scheidungswillen als auch für eine Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung (Fankhauser, a.a.O., N 6, 23 zu Art. 116 ZGB; Steck, a.a.O., N 14, 30 zu Art. 116 ZGB; Reusser, a.a.O., Rz 1.98; Bräm, Die Scheidung auf gemeinsames Begehren, die Wechsel der Verfahren [Art. 111 bis 113, 116 ZGB] und die Anfechtung der Scheidung auf gemeinsames Begehren [149 ZGB], in: AJP 1999, S. 1519; Rumo-Jungo, a.a.O., S. 1539; a.A. Sutter/ Freiburghaus, a.a.O., N 15 zu Art. 116 ZGB). Auch die Anfechtung eines gestützt auf Art. 116 ZGB in analoger Anwendung von Art. 111 112 ZGB ergangenen Scheidungsurteils richtet sich nach den Bestimmungen über die Scheidung auf gemeinsames Begehren (Steck, a.a.O., N 33 zu Art. 116 ZGB; Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 9 zu Art. 116 ZGB; Rumo-Jungo, a.a.O., S. 1539). Eine Scheidung auf gemeinsames Begehren darf gemäss Art. 111 Abs. 2 ZGB erst ausgesprochen und die Vereinbarung genehmigt werden, wenn beide Ehegatten nach einer zweimonatigen Bedenkzeit seit der Anhörung schriftlich ihren Scheidungswillen und ihre Vereinbarung bestätigt haben. Diese Bestimmung ist auch im Rahmen von Art. 116 ZGB zwingend zu beachten (Steck, a.a.O., N 14 zu Art. 116 ZGB; Fankhauser, a.a.O., N 24 ff. zu Art. 116 ZGB; Bräm, a.a.O., S. 1519; Rumo-Jungo, a.a.O., S. 1539; Reusser, a.a.O., Rz 1.98; Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 15 zu Art. 116 ZGB, eingeschränkt auf den Scheidungswillen). Erfolgt nach Ablauf der Bedenkzeit von keiner Partei eine schriftliche Bestätigung des Scheidungswillens, ist Rückzug sowohl der Klage wie auch der Widerkla-
ge anzunehmen und das Verfahren abzuschreiben. Bleibt die Bestätigung nur einer Partei aus, ist Rückzug von deren Hauptoder Widerklage anzunehmen, indes mit Bezug auf die hängig gebliebene Klage bzw. Widerklage das streitige Verfahren weiterzuführen und diese aufgrund von Art. 114 115 ZGB zu beurteilen (Fankhauser, a.a.O., N 31 zu Art. 116 ZGB; Steck, a.a.O., N 16 zu Art. 116 ZGB; Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 19 ff. zu Art. 116 ZGB; Hegnauer/Breitschmid, Grundriss des Eherechts, 4. A., Bern 2000, Rz. 9.41; Reusser, a.a.O., Rz. 1.99; Rumo-Jungo, a.a.O., S. 1539; Hausheer, Die wesentlichen Neuerungen des Scheidungsrechts, in: ZBJV 1999, S. 10 [der allerdings von einer Abweisung statt Abschreibung der Klage ausgeht]; Rhiner, Die Scheidungsvoraussetzungen nach revidiertem schweizerischem Recht [Art. 111 - 116 ZGB], Diss. Zürich 2001, S. 352 f.). Da im Anwendungsbereich von Art. 116 ZGB bereits eine Klage und gegebenenfalls eine Widerklage angehoben sind, bedarf es bei Ausbleiben der Bestätigung des Scheidungswillens keiner Fristansetzung i.S.v. Art. 113 ZGB zur Ersetzung des gemeinsamen Scheidungsbegehrens durch eine Klage zwecks Wahrung der Rechtshängigkeit des Verfahrens (Steck, a.a.O., N 3 zu Art. 113 ZGB; Reusser, a.a.O., Rz 1.60; Hausheer/Kobel/Geiser, Das Eherecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 2. A., Bern 2002, Rz 10.28; Rhiner, a.a.O., S. 356 ff.; a.A. Fankhauser, a.a.O., N 31 zu Art. 116 ZGB, der eine Fristansetzung an die Parteien zur Bekanntgabe, ob sie an Klage Widerklage festhalten, für nötig erachtet). Hingegen sind die Parteien mit der Eröffnung der Bedenkfrist auf die Rechtsfolgen einer Nichtbestätigung des Scheidungswillens ausdrücklich hinzuweisen (Steck, a.a.O., N 15 zu Art. 116 ZGB). Da nach Art. 44 lit. bbis OG gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Verweigerung der Scheidung auf gemeinsames Begehren die Berufung ans Bundesgericht offen steht, hat das Gericht den Parteien in anfechtbarer Form im Sinne eines Zwischenentscheides (§ 274 Abs. 1 lit. b ZPO) die Abweisung des gemeinsamen Scheidungsbegehrens und deren Gründe zu eröffnen.