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Urteil Obergericht (AG)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2004 20: Obergericht

Der Beschuldigte wurde der Brandstiftung, versuchten einfachen Körperverletzung und Hausfriedensbruch schuldig gesprochen. Er wurde zu einer ambulanten Behandlung und 6 Monaten Freiheitsentzug verurteilt, wovon 4 Monate aufgeschoben wurden. Er muss auch Schadenersatz leisten. Die Anklage wegen Hausfriedensbruch wurde aufgrund der glaubhaften Angaben des Beschuldigten abgewiesen. Die Strafe wurde aufgrund der Deliktsmehrheit angemessen erhöht. Die Straferhöhung berücksichtigt auch die brutalen Handlungen des Beschuldigten bei der versuchten Körperverletzung.

Urteilsdetails des Kantongerichts AGVE 2004 20

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2004 20
Instanz:Obergericht
Abteilung:Handelsgericht
Obergericht Entscheid AGVE 2004 20 vom 22.06.2004 (AG)
Datum:22.06.2004
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:AGVE 2004 20 S.72 2004 Obergericht/Handelsgericht 72 20 Art. 220 StGB, Entziehen von Unmündigen: Der alleinige Inhaber der...
Schlagwörter : Recht; Eltern; Besuchsrecht; Elternteil; Täter; Obhut; Recht; Gewalt; Kommentar; Sorge; Entscheid; Basler; Scheidung; Besuchsrechts; Inhaber; Barkeit; Elternteils; Unmündigen; Angeklagte; Hinweis; Sinne; Person; Kinder; Massnahmen; Richter
Rechtsnorm:Art. 133 ZGB ;Art. 145 ZGB ;Art. 220 StGB ;Art. 292 StGB ;Art. 297 ZGB ;
Referenz BGE:104 IV 90; 110 IV 35; 125 IV 14; 128 IV 154; 98 IV 35; 98 IV 37;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts AGVE 2004 20

2004 Obergericht/Handelsgericht 72

20 Art. 220 StGB, Entziehen von Unmündigen:
Der alleinige Inhaber der elterlichen Obhut kann, selbst wenn er das Be-
suchsrecht des andern Elternteils vereitelt, nicht Täter im Sinne von
Art. 220 StGB sein. Der Tatbestand schützt nicht die elterliche Sorge als
solche, sondern das Recht, über den Aufenthalt des Unmündigen zu be-
stimmen.

Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 22. Juni 2004 i.S. Staatsanwaltschaft gegen B. S.
Aus den Erwägungen
2. Gemäss Art. 220 StGB (in der seit 1. Januar 1990 gültigen, gegenüber der früheren geringfügig geänderten Fassung, AS 1989 III S. 2449 ff.) wird, auf Antrag, mit Gefängnis mit Busse bestraft, wer eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen der vormundschaftlichen Gewalt entzieht sich weigert, sie ihm zurückzugeben. Täter kann nach dieser Bestimmung grundsätzlich jedermann sein, der die elterliche Sorge vormundschaftliche Gewalt nicht allein und uneingeschränkt ausübt. Das bedeutet zunächst, dass ein Aussenstehender, d.h. eine Person, welche gänzlich unabhängig von der Familie ist, das Delikt verüben kann. Unter bestimmten Umstän- den kann aber auch ein Elternteil Täter sein (A. Eckert in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Basel/Genf/München 2003, N 7 zu Art. 220). Gegenüber X. und Y. erging am 19. Juni 2002 durch den Gerichtspräsidenten von Z. gestützt auf Art. 175 f. ZGB ein Eheschutzentscheid. In dessen Ziff. 2a wurden die Kinder A. und B., beide geboren am 3. November 1991, für die Dauer der Trennung unter die Obhut der Angeklagten gestellt und dem Kläger ein Besuchsrecht, namentlich am ersten und dritten Wochenende eines jeden Monats, sowie ein Ferienrecht eingeräumt. Gemäss den Erwägungen im angefochtenen Strafurteil erwuchs dieser Entscheid erst am 23. August 2002 in Rechtskraft, somit nach den hier zu beurteilenden Vorfällen
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vom 19. - 21. Juli und 2. - 4. August 2002. Ebenfalls laut dem angefochtenen Strafurteil hatte der Gerichtspräsident aber mit vorsorglich sofortiger Verfügung vom 20. Dezember 2001 im Rahmen des mit Klage von X. vom 21. Oktober 2001 eingeleiteten Eheschutzverfahrens die beiden Kinder unter die Obhut der Angeklagten gestellt und dem Vater ein Besuchsrecht eingeräumt. Damit steht fest, dass die Angeklagte im Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Vorfälle allein obhutsberechtigt war. Nach massgebender Lehrmeinung kann nun der (alleinige) Inhaber der Obhut nicht Täter im Sinne von Art. 220 StGB sein, namentlich auch dann nicht, wenn er das Besuchsrecht des andern Elternteils vereitelt. Denn Art. 220 StGB schützt nicht die elterliche Sorge als solche, sondern das Recht, über den Aufenthalt des Unmündigen zu bestimmen. Das Besuchsrecht ist nicht Ausfluss dieses Rechts. Hinzu kommt, dass bei anderer Betrachtungsweise der Elternteil, der das Besuchsrecht vereitelt, während des Scheidungsverfahrens als Täter(in) in Frage kommt, nach Eintritt der rechtskräftigen Scheidung eine Strafbarkeit derselben Person aber ohnehin entfällt (wenn nach Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes im Eheschutzverfahren bei vorsorglichen Massnahmen im Scheidungsoder Trennungsverfahren die elterliche Sorge beider Eltern aufgrund von Art. 297 Abs. 2 ZGB weiterbesteht [es sei denn, sie werde vom Richter einem Elternteil übertragen], nach der Scheidung die elterliche Sorge indessen aufgrund von Art. 297 Abs. 3 i.V. mit Art. 133 Abs. 1 ZGB nur einem Elternteil zusteht [es sei denn, die Eltern hätten gemäss Art. 133 Abs. 3 ZGB das gemeinsame Sorgerecht]). Diese unterschiedliche Behandlung des gleichen Elternteils einfach zu verschiedenen Zeitpunkten ist schwer begründbar (Basler Kommentar, a.a.O., N 12 f. zu Art. 220; s.a. Schubarth, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Besonderer Teil, 4. Band, Bern 1997, N 38 zu Art. 220). Im zitierten Basler Kommentar wird unter Hinweis auf BGE 98 IV 37 erwähnt, dass die Praxis die Frage der Anwendbarkeit von Art. 220 StGB auch auf den obhutsberechtigten Elternteil zu bejahen scheine, vorausgesetzt, dass das Besuchsrecht durch bindende Konvention der Parteien richterlichen Entscheid festgelegt wurde.
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Im neuesten Entscheid des Bundesgerichts vom 2. Juli 2002 zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 220 StGB auf einen Elternteil (BGE 128 IV 154 Erw. 3.2 S. 159) wurde unter Hinweis auf frühere Urteile ausgeführt, es könne sich auch ein Elternteil der Entziehung eines Unmündigen strafbar machen, der seinem Ehepartner das Kind vorenthalte. Das gelte namentlich für den Fall, dass ein Elternteil, dem im Rahmen vorsorglicher Massnahmen im Scheidungsverfahren ein Besuchsrecht zugesprochen worden sei, dieses Besuchrecht überschreite bzw. sich weigere, das Kind dem Inhaber der elterlichen Obhut zurückzubringen. Es wurde dazu auf BGE 110 IV 35 Erw. 1c S. 37, 108 IV 22 S. 24 sowie auf den bereits erwähnten Entscheid 98 IV 35 Erw. 2 S. 37 f. verwiesen, ferner auf BGE 125 IV 14 Erw. 2b S. 16 und 118 IV 61 Erw. 2a S. 63. Dass der Obhutsinhaber Täter nach Art. 220 StGB sein könne, wird in den dem BGE 98 IV 35 nachfolgenden Urteilen allerdings nie ausdrücklich gesagt, und in jenem Entscheid aus dem Jahre 1972 (Pra 61 [1972] Nr. 153), der nach der zitierten Meinung im Basler Kommentar die Strafbarkeit des Obhutsinhabers zu bejahen scheine, wurde vorausgesetzt, dass dem sein Besuchsrecht geltend machenden Elternteil die (nicht ausgeübte) elterliche Gewalt gemeinsam mit dem andern Elternteil sogar ausschliesslich zustand, was im hier zu beurteilenden Fall nicht zutraf. Weiter wurde ausgeführt, dass ein Ehegatte (gemeint: mit teilweiser ausschliesslicher, aber nicht ausgeübter elterlicher Gewalt), der befürchte, die Ausübung seines Besuchsrechts werde vom andern Gatten erschwert vereitelt, den Richter gemäss Art. 145 aZGB ersuchen müsse, vorsorgliche Massnahmen zu treffen, um die Ausübung seines Besuchsrechts unter Androhung der Strafen von Art. 292 StGB sicherzustellen. Diese Auffassung wird auch im erwähnten Basler Kommentar vertreten, wenn ausgeführt wird, es sei dem Besuchsberechtigten unbenommen und ohne weiteres zuzumuten, sein Recht auf zivilprozessualem Weg durchzusetzen, wobei der zuständige Richter immer noch den Hinweis auf die Strafdrohung des Ungehorsamstatbestands (Art. 292 StGB) machen könne (a.a.O., N 13 zu Art. 220). Beizufügen ist, dass anlässlich der StGB-Revision von 1989, die zur heutigen Formulierung von Art. 220 StGB führte, in der Botschaft des Bundesrates die Auffassung vertreten wurde, es
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bestehe keine Notwendigkeit, das Besuchsrecht jenes Elternteils, der keine elterliche Gewalt mehr habe, durch Art. 220 StGB besonders zu schützen; Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen) dürfte zur Durchsetzung dieser Rechte genügen (BBl 1985 II S. 1060). 3. Es steht somit auch nach der bundesgerichtlichen Praxis nicht fest, dass der (alleinige) Obhutsinhaber Täter nach Art. 220 StGB sein kann (vgl. auch Basler Kommentar, a.a.O., N 14 zu Art. 220, mit dem Hinweis auf BGE 104 IV 90 und 125 IV 14, wonach Täter nur derjenige sein könne, dem die Kinder nicht zugesprochen wurden). Lehnt zusätzlich die aktuelle Lehre die Anwendbarkeit von Art. 220 StGB in diesem Sinne mit guten Gründen ab (s.a. Donatsch/Wohlers, Strafrecht IV, 3. Aufl., Zürich 2004, S. 25; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 5. Aufl., Bern 2000, N 5 zu § 27), kann der (allein) obhutsberechtigte Elternteil, der dem andern das Besuchsrecht verweigert, nicht nach Art. 220 StGB bestraft werden. Stratenwerth (a.a.O.) weist zwar darauf hin, dass der Vorentwurf der Expertenkommission zur Teilrevision von 1989 vorgesehen habe, Täter des Delikts könne nur noch sein, wer nicht Inhaber der elterlichen Gewalt sei, wobei aber der Gesetzgeber diesem Vorschlag nicht gefolgt sei, weshalb die veränderte Schutzrichtung des Tatbestands als geltendes Recht hinzunehmen sei. Schubarth (a.a.O.) führt indessen zu Recht an, daraus könne nicht geschlossen werden, dass die Rechtsprechung zur Vereitelung des Besuchsrechts vor der rechtskräftigen Scheidung vom Gesetzgeber sanktioniert worden sei; die Ablehnung des Expertenvorschlags sei ja nicht im Hinblick auf die Fälle der Vereitelung des Besuchsrechts erfolgt. Zusammenfassend führt Schubarth aus, die Ausübung des Besuchsrechts durch den Mitinhaber der elterlichen Gewalt werde von Art. 220 StGB nicht geschützt. Demzufolge kann die Angeklagte, der die Vereitelung des Besuchsrechts vorgeworfen wird, nicht aufgrund dieser Bestimmung bestraft werden.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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