B. Anwaltsrecht
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25 Ungebührliche Urteilskritik Der Vorwurf, man werde "den Eindruck nicht los, es handle sich um ein politisches, rassistisches und sexistisches Urteil", überschreitet die Gren- zen der zulässigen Urteilskritik und verstösst gegen § 14 Abs. 1 AnwG.
Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 12. August 2002 i.S. R.
(bestätigt durch Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2002)
Aus den Erwägungen
4. d) Der beschuldigte Anwalt führte in seiner Beschwerde-
schrift gegen das Urteil des Gerichtspräsidiums X aus (S. 2/3), es sei
derart einseitig, emotional, ja geradezu gehässig, dass es sich gerade
selber disqualifiziere. Im Übrigen werde man den Eindruck nicht los,
es handle sich um ein politisches, rassistisches und sexistisches Ur-
teil.
aa) In seinem Schreiben vom 28. Dezember 2001 stellte der
beschuldigte Anwalt sich dann auf den Standpunkt, nicht behauptet
zu haben, das Urteil sei politisch, rassistisch und sexistisch. Diese
Argumentation ist spitzfindig und nicht überzeugend, da die in der
Beschwerdeschrift gewählte Formulierung klar zum Ausdruck bringt,
dass die Urteilskritik den Vorwurf, das Urteil sei ,,politisch, rassi-
stisch und sexistisch", beinhaltetet. In seiner Stellungnahme vom
22. Februar 2002 an die Anwaltskommission hält der beschuldigte
Anwalt überdies fest, er habe nur die ,,relative und zweifellos
erlaubte Empfindung" zum Ausdruck bringen wollen, dass man den
entsprechenden Eindruck (nämlich, dass es sich um ein politisches,
rassistisches und sexistisches Urteil handle) nicht loswerde. Durch
die Formulierung (,,zweifellos erlaubte Empfindung", ,,man (...) den
Eindruck nicht los werde") suggeriert der beschuldigte Anwalt, dass
dieser Eindruck schlechthin gerechtfertigt sei. Er bringt damit aber
auch zum Ausdruck, dass er selbst sehr wohl das angefochtene Urteil
als politisch, rassistisch und sexistisch erachtet.
bb) Dies zeigt sich auch darin, dass er im Schreiben vom
28. Dezember 2001 mitteilte, er habe sich stellvertretend bei seinem
Klienten für das Urteil entschuldigt. Damit bringt er zum Ausdruck,
dass sich seines Erachtens im Grunde Gerichtspräsident Y zu ent-
schuldigen hätte. Der beschuldigte Anwalt wiederholt damit die an
die Adresse von Gerichtspräsident Y in der Beschwerde erhobenen
Vorwürfe. Dass er sich im Schreiben vom 28. Dezember 2001 an Ge-
richtspräsident Y wohl formell entschuldigte, ist zudem nicht aus-
schlaggebend, liess er doch klar durchscheinen, dass er seine Äusse-
rung nicht zurückzunehmen bereit war, und erhob zusätzlich den
neuen Vorwurf der Zensur. Das ,,Entschuldigungsschreiben" kann
daher nicht als ein solches verstanden werden.
cc) Somit steht fest, dass die beanstandete Äusserung durch-
aus als Urteilskritik des beschuldigten Anwaltes anzusehen ist.
e) Damit stellt sich die Frage nach der (Un-)Gehörigkeit der ge-
machten Äusserung. Der Vorwurf, ein Urteil sei einseitig und gehäs-
sig respektive politisch, rassistisch und sexistisch wiegt schwer. Er
beinhaltet den Verdacht auf Parteilichkeit und Befangenheit (aus po-
litischen und gesellschaftlichen Motiven), aber auch den Vorwurf
moralisch verwerflichen und allenfalls strafrechtlich relevanten Ver-
haltens. Diese Vorwürfe wiegen umso schwerer, als das Angriffsub-
jekt ein Richter ist, an dessen Integrität im Interesse einer funktionie-
renden Rechtspflege und zur Durchsetzung der materiellen Wahrheit
und Gerechtigkeit hohe Anforderungen zu stellen sind. Die durch den
beschuldigten Anwalt gewählten Worte zweifeln letztlich diese Inte-
grität von Gerichtspräsident Y an. Sie sind aufgrund der Schwere der
darin enthaltenen Vorwürfe geeignet, auf ihn ehrverletzend zu wir-
ken. Sie sind unsachlich, aggressiv, unnötig und verunglimpfend
(vgl. ZR 1998 Nr. 93 S. 229, ZR 1999 Nr. 55 S. 273 ff.). Damit hat
der beschuldigte Anwalt die Grenze der zulässigen Urteilskritik und
damit des prozessualen Anstandes überschritten. Die Äusserungen
sind ungehörig und eines seriös tätigen Anwaltes nicht würdig. Der
beschuldigte Anwalt hat somit gegen § 14 Abs. 1 AnwG verstossen.