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28 § 222 Abs. 1 und 219 Abs. 2 StPO. - Ist eine Freiheitsstrafe von über 18 Monaten eine freiheitsentziehende Massnahme in Teilrechtskraft erwachsen und nur der Zivilpunkt mit Berufung angefochten worden, ist eine Parteiverhandlung vor Obergericht nicht obligatorisch (Erw. 2). - Haben von mehreren Zivilklägern nur einzelne Berufung erhoben, kann nur diesbezüglich Anschlussberufung eingereicht werden (Erw. 3).
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 25. Oktober
2001 i.S. Staatsanwaltschaft und verschiedene Zivilkläger gegen T.-M. H.
Aus den Erwägungen
2. Gemäss der am 1. März 1998 in Kraft getretenen Fassung
von § 222 Abs. 1 StPO wird eine Parteiverhandlung nur in Fällen
durchgeführt, in denen im angefochtenen Urteil eine Freiheitsstrafe
von über 18 Monaten eine freiheitsentziehende Massnahme
ausgesprochen mit der Berufung Anschlussberufung bean-
tragt wurde. Da die aargauische Strafprozessordnung die Teilrechts-
kraft kennt (§ 221 StPO), hätte eine wörtliche Auslegung dieser Be-
stimmung zur Folge, dass auch dann eine Parteiverhandlung durch-
zuführen wäre, wenn das vorinstanzliche Urteil im Strafbzw. Mass-
nahmepunkt in Rechtskraft erwachsen ist. Dies kann nun aber nicht
dem Sinn dieser Bestimmung entsprechen. So ist nicht einzusehen,
weshalb etwa im Falle eines Streites über den Zivilpunkt die Frage
der Durchführung einer Parteiverhandlung von der im selben Ver-
fahren ausgesprochenen Strafe abhängig sein soll, die im Übrigen
möglicherweise gar nur mit einem von mehreren verübten Delikten
zusammen hängt. In Fällen, in welchen die verhängte Freiheitsstrafe
bzw. die freiheitsentziehende Massnahme in Rechtskraft erwachsen
ist, ist demnach grundsätzlich keine Parteiverhandlung durchzufüh-
ren. Folglich entscheidet des Obergericht im vorliegenden Fall ohne
Berufungsverhandlung.
3. Mit seiner Anschlussberufung verlangte der Angeklagte die
Herabsetzung der Genugtuungsforderung der Zivilklägerin S.B., ob-
wohl diese keine Berufung erhoben hatte.
Die aargauische Strafprozessordnung sieht in § 219 Abs. 2 le-
diglich vor, dass mit der Berufungsantwort eine begründete An-
schlussberufung eingereicht werden kann, spricht sich aber über
deren Umfang nicht aus. Während ein Teil der Kantone der An-
schlussberufung unbegrenzte Wirkung in dem Sinne zumessen, dass
sie nicht an den Umfang der Hauptberufung gebunden ist, sehen an-
dere eine teilweise Beschränkung der Anschlussberufung vor (RO- BERT HAUSER/ERHARD SCHWERI, Schweizerisches Strafprozess- recht, 4.A., Basel/ Frankfurt a.M. 1999, § 99 N. 15). Einzig mit
dieser Frage befasst sich BRÜHLMEIER in seinem Werk an den vom Angeklagten angegebenen Stellen (BEAT BRÜHLMEIER, Aargauische Strafprozessordnung, 2.A., Aarau 1980, Ziff. 5 und 8 zu § 219
Abs. 2). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, wie es sich im
Falle der Anfechtung des Zivilpunktes durch nur einen von mehreren
Zivilklägern verhält.
Im vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte mehrerer
Straftaten gegen verschiedene Kinder schuldig gesprochen. Verfah-
rensrechtlich betrachtet bildet nun der geltend gemachte Zivilan-
spruch jedes dieser Kinder ein eigenes Adhäsionsverfahren, woran
die Tatsache des gemeinsam durchgeführten Verfahrens nichts zu
ändern vermag. Mit Berufung wurde weder der Schuldpunkt bezüg-
lich der Verfehlungen des Angeklagten gegen S.B. noch ihr Zivilan-
spruch angefochten, so dass diese zusammen hängenden Punkte in
Rechtskraft erwachsen sind und mit Anschlussberufung gegen die
Berufung anderer Zivilkläger nicht mehr angefochten werden kön-
nen. Soweit die Anschlussberufung den Zivilanspruch von S.B. be-
trifft, ist folglich auf sie nicht einzutreten.