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27 § 197 Abs. 1, § 146 Abs. 1 und 2, § 198 Abs. 2 StPO; Einsprache des Geschädigten. - Voraussetzungen zur Einspracheerhebung durch den Geschädigten. - Prüfung der Einsprache durch das Gericht. - Kostenauflage bei Rückzug der Einsprache durch den mangels Gel- tendmachung privatrechtlicher Ansprüche gar nicht einsprachebe- rechtigten Geschädigten zu Lasten des Staates.
Auszug aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 23. Oktober 2001 i.S. S.B.
Aus den Erwägungen
2. a) Ein Einspracherückzug, der erst nach Eingang der Anklage
beim Bezirksgericht erfolgt, zieht Kostenfolgen nach sich; neben den
dem Beschuldigten im Strafbefehl rechtskräftig auferlegten Kosten
für das Strafbefehlsverfahren sind zusätzliche Kosten für die der
Einsprache nachfolgenden Schritte entstanden. Grundsätzlich hat
diejenige Partei die Kosten zu tragen, die mit ihrem Begehren unter-
liegt das Rechtsmittel beziehungsweise den Rechtsbehelf zu-
rückzieht. Gemäss § 198 Abs. 2 StPO sind solche durch den Rückzug
der Einsprache vor der Urteilsfällung entstandenen Mehrkosten dem
Einsprecher aufzuerlegen.
Es ergibt sich demnach, dass bei einem Rückzug der vom Ge-
schädigten erhobenen Einsprache grundsätzlich dieser (und nicht der
Angeklagte) die entstandenen Mehrkosten zu tragen hat.
b) aa) Gemäss § 56 StPO sind Parteien im Strafverfahren der
Beschuldigte Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und der Ver-
letzte Geschädigte, wenn er privatrechtliche Ansprüche aus der
strafbaren Handlung geltend macht und als Zivilkläger auftritt
(Ziff. 3). Letzterer kann, soweit er privatrechtliche Ansprüche gel-
tend gemacht hat, gegen einen Strafbefehl innert 20 Tagen seit Zu-
stellung beim Bezirksamt Einsprache erheben (§ 197 Abs. 1 StPO).
Die Einsprache bewirkt die Aufhebung des Strafbefehls.
bb) Ein Verletzter Geschädigter ist nur dann zur
Einsprache berechtigt, wenn er als Zivilkläger am Strafbefehlsver-
fahren teilgenommen hat (vgl. dazu Urteil der 2. Strafkammer vom
16. Januar 2001, StA und C.D.M. gegen S.H., S. 4; vgl. auch
Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern
1995, N 13 f. zu Art. 8). Er muss seine privatrechtlichen Ansprüche
vor der Ausfällung des strafbefehlsrichterlichen Entscheids beziffert
und eingeklagt haben (vgl. für das ordentliche Rechtsmittelverfahren
Beat Brühlmeier, Aargauische Strafprozessordnung, Kommentar,
2. Aufl., Aarau 1980, N 5 e zu § 206 StPO). Fehlt dem Verletzten
oder Geschädigten die Zivilklägereigenschaft, weil er seine Forde-
rung überhaupt nicht nicht rechtzeitig eingeklagt hat, geht ihm
auch die Legitimation zur Einsprache ab (Mark Schwitter, Der Straf-
befehl im aargauischen Strafprozess, Aarau 1996, S. 294).
3. a) Der Geschädigte hat bis zum Zeitpunkt der Ausfällung des
Strafbefehls nie privatrechtliche Ansprüche geltend gemacht; auch
anlässlich seiner Befragungen vom 30. Dezember 1999 und 3. Januar
2000 hat er mit keinem Wort darauf hingewiesen, dass er Forderun-
gen gegenüber dem Angeklagten geltend machen wolle. Der darauf-
hin erlassene Strafbefehl wurde dem Geschädigten deshalb bloss in
Form einer Mitteilung zugestellt, war er doch infolge fehlender Gel-
tendmachung privatrechtlicher Ansprüche nicht Partei im Sinne von
§ 56 Ziff. 3 StPO.
b) Gemäss § 146 Abs. 1 und 2 StPO hat das Bezirksgericht nach
Anklageerhebung, vor der Verhandlung und dem Entscheid in der
Sache, den rechtlichen Bestand der Einsprache zu prüfen. Unter an-
derem ist abzuklären, ob eine Einsprache gegen einen Strafbefehl
gültig ist, das heisst insbesondere, ob sie von einem Einsprachebe-
rechtigten erhoben worden ist. Ist die Einsprache ungültig, liegt mit
dem Strafbefehl eine rechtskräftige Entscheidung in der betreffenden
Strafsache vor.
c) aa) Bei korrekter Prüfung hätte das Gericht zum Schluss
kommen müssen, dass der Geschädigte infolge fehlender Legitima-
tion nicht zur Einsprache berechtigt war, diese demnach ungültig
war. Das Bezirksgericht hätte somit ein Prozessurteil erlassen müs-
sen, indem es das Verfahren für erledigt erklärt und die Rechtskraft
des Strafbefehls festgestellt hätte.
bb) Gestützt auf den Umstand, dass der rechtliche Bestand der
Einsprache durch das Gericht von Amtes wegen als Prozessvoraus-
setzung hätte geprüft werden müssen, dass die Vorinstanz die Ungül-
tigkeit der Einsprache rechtzeitig hätte bemerken können und das
Verfahren dementsprechend ohne Beweiserhebung hätte einstellen
müssen (§ 146 Abs. 2 StPO), können dem Einsprecher grundsätzlich
nur gerade jene Verfahrenskosten auferlegt werden, die er hätte tra-
gen müssen, wenn das Gericht die Ungültigkeit der Einsprache
rechtzeitig bemerkt hätte. Die übrigen Prozesskosten sind auf die
Staatskasse zu nehmen. Dasselbe muss bezüglich der Parteikosten
gelten (der Angeklagte hat sich erst nach Erhalt der Vorladung zur
Hauptverhandlung einen Anwalt genommen).
cc) Ein Einspracherückzug, der erst nach Eingang der Anklage
beim Bezirksgericht erfolgt, zieht, wie oben dargelegt, Kostenfolgen
nach sich (§ 198 Abs. 2 StPO). Nur wenn ein Einsprecher den Rück-
zug seiner Einsprache erklärt, bevor die Staatsanwaltschaft die Sache
durch Einreichung der Anklage beim Bezirksgericht rechtshängig
gemacht hat, hat er grundsätzlich keine Kosten zu tragen.
Aufgrund der Tatsache, dass das Gericht zur Beweisverhand-
lung vorgeladen hat und die für das Anhandnehmen des Verfahrens
durch das Bezirksgericht angefallenen Verfahrenskosten als gering
einzustufen sind, rechtfertigt es sich, keine Aufteilung der Verfah-
renskosten vorzunehmen und die gesamten angefallenen Kosten dem
Staat aufzuerlegen.