2000 Beschwerden gegen Einspracheentscheide der Fremdenpolizei
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II. Beschwerden gegen Einspracheentscheide der
Fremdenpolizei
117 Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 13 lit. f BVO. - Für die Erteilung einer Härtefallbewilligung nach Art. 13 lit. f BVO ist nicht vorausgesetzt, dass der Betroffene bereits über eine Anstellung verfügt (Erw. II/4). - Von einem Härtefall nach Art. 13 lit. f BVO ist bei Erwachsenen, die sich 9 Jahre in der Schweiz aufhalten und bei Familien mit Kindern, die älter als 13 Jahre sind und länger als fünf Jahre in der Schweiz weilen, auszugehen, falls die übrigen Voraussetzungen der guten Integration, der finanziellen Unabhängigkeit und des tadellosen Verhaltens erfüllt sind (Erw. II/5/b/aa). - Bei der Berechnung der Anwesenheitsdauer von Personen, die in der Schweiz mündig geworden sind, zählen die Jahre als Unmündige doppelt (Erw. II/5/b/cc).
Aus dem Entscheid des Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 24. November 2000 in Sachen S.O. gegen einen Entscheid der Fremdenpolizei (BE.1999.00003).
Sachverhalt
A. Der Beschwerdeführer 1 reiste am 25. September 1992 in die Schweiz ein, die Beschwerdeführer 2, 3 und 4 am 7. Dezember 1992. Mit Verfügung des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF) vom 2. November 1992 beziehungsweise 15. März 1993 wurden die Asylgesuche der Beschwerdeführer abgelehnt. Das BFF verfügte gleichzeitig die Wegweisung der Beschwerdeführer aus der Schweiz und, gestützt auf einen Beschluss des Bundesrates vom 18. Dezember 1991, ihre gruppenweise vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit des Vollzuges der Wegweisung.
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Nachdem der Beschwerdeführer 1 aufgrund seiner schweren Erkrankung bereits 1995 erfolglos um Erteilung einer Jahresaufenthaltsbewilligung ersucht hatte, beantragten er und die Beschwerdeführerin 2 am 24. Februar 1998 für sich und ihre Kinder die Umwandlung der vorläufigen Aufnahme in eine Jahresaufenthaltsbewilligung. Sie begründeten das Gesuch im Wesentlichen mit der nicht ausreichenden Behandlungsmöglichkeit des Schilddrüsenkarzinoms des Beschwerdeführers 1 in Bosnien, der kritischen Lage im ehemaligen Wohnort und der guten Integration vor allem der beiden Kinder in der Schweiz. Mit Verfügung der Fremdenpolizei, Sektion Aufenthalt, vom 30. Juni 1998 wurde das Gesuch abgewiesen. B. Gegen diese Verfügung erhoben die Beschwerdeführer am 21. Juli 1998 Einsprache. Am 17. Dezember 1998 wies der Rechtsdienst der Fremdenpolizei die Einsprache ab. C. Am 25. Januar 1999 reichten die Beschwerdeführer gegen den vorinstanzlichen Entscheid beim Rekursgericht Beschwerde ein. Am 22. September 1999 orientierte die Fremdenpolizei das Rekursgericht, der Beschwerdeführer 1 sei am 14. September 1999 verstorben.
Aus den Erwägungen
II. 4. Die Vorinstanz geht davon aus, dass ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 13 lit. f BVO nur dann bewilligt werden könne, wenn die Betroffenen über eine ausreichende Anstellung verfügen würden. Die Anstellung sei für einen auf Dauer hin angelegten Verbleib der Familie in der Schweiz vorausgesetzt. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar kann aus der systematischen Stellung von Art. 13 BVO der Schluss gezogen werden, dass es sich beim Gesuchsteller um einen inskünftig erwerbstätigen Ausländer handeln muss. Dies im Gegensatz zu Art. 36 BVO, bei dem es ebenfalls um die Erteilung einer "Härtefall-
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bewilligung" geht, jedoch ohne Erwerbstätigkeit. Daraus die Voraussetzung abzuleiten, nur einem Betroffenen mit bereits bestehender Anstellung könne eine Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 13 BVO erteilt werden, ist nicht zulässig. Dies ergibt sich auch aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 13 lit. f BVO, wonach eine Bewilligung gestützt auf diese Bestimmung sogar dann erteilt werden kann, wenn der Betroffene noch gar nicht in der Schweiz weilt und damit selbstredend noch nicht über eine Anstellung verfügt (BGE 119 Ib 33, E. 4c, S. 43). Unter diesen Umständen ist nachfolgend zu prüfen, ob die Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 13 lit. f BVO erfüllen. 5. (...) b) aa) Das Bundesgericht ist in BGE 124 II 110, E. 3, S. 113 davon ausgegangen, dass ein Härtefall gestützt auf Art. 13 lit. f BVO aufgrund der Anwesenheitsdauer in der Schweiz gegeben ist, wenn ein in beruflicher und sozialer Hinsicht gut integrierter Ausländer, der nicht von der staatlichen Fürsorge abhängig ist und sich tadellos verhalten hat, seit 10 Jahren in der Schweiz lebt. Gemäss schriftlicher Auskunft des Bundesamtes für Ausländerfragen (BFA) an das Rekursgericht vom 27. April 2000 zur Praxis der Härtefallbewilligung gemäss Art. 13 lit. f BVO, die sich an der bundesgerichtlichen Praxis orientiert, ist davon auszugehen, dass bei gut integrierten, unbescholtenen ledigen Personen die Voraussetzungen für einen schwerwiegenden persönlichen Härtefall in der Regel bereits bei einem Aufenthalt von 9 Jahren erfüllt sind. Bei sozial und wirtschaftlich integrierten Familien mit Kindern und Jugendlichen, die älter als 13 Jahre sind und länger als 5 Jahre in der Schweiz weilen, ist gemäss Praxis ebenfalls von einem Härtefall auszugehen. Diese Praxis wurde durch die Fremdenpolizei des Kantons Aargau übernommen (Entscheid des Rekursgerichts vom 10. November 2000 i.S. A.Z., BE.1999.00033, E. 4b, S. 7). bb) Die heute über 16-jährige Beschwerdeführerin 4 lebt seit 8 Jahren in der Schweiz und erfüllt somit die gemäss Praxis für die
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Annahme eines Härtefalls erforderliche Voraussetzung der Mindestaufenthaltsdauer bei weitem. cc) Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn ein Betroffener als Jugendlicher einreiste, während weniger als 5 Jahren als Jugendlicher in der Schweiz weilte und insgesamt noch nicht 9 Jahre hier war. Die Festlegung einer bestimmten Aufenthaltsdauer, nach der - unter der Bedingung der in beruflicher und sozialer Hinsicht guten Integration, der Unabhängigkeit von der staatlichen Fürsorge und des tadellosen Verhaltens in der Regel davon ausgegangen wird, es liege ein Härtefall vor, hängt damit zusammen, dass nach einer gewissen Aufenthaltsdauer in der Schweiz die Vermutung besteht, ein Betroffener, der sich über eine lange Zeitdauer in einem Land aufhalte, gewöhne sich derart stark an dieses Land, dass eine unfreiwillige Rückkehr in sein Heimatland für ihn eine eigentliche Entwurzelung darstelle. Durch Festlegung einer bestimmten Mindestaufenthaltsdauer soll eine messbare Grösse definiert werden, um eine möglichst rechtsgleiche Behandlung der Betroffenen sicherzustellen. Dabei wird für Jugendliche rund eine halb so lange Mindestaufenthaltsdauer definiert als für Erwachsene, da sich Jugendliche in einer für ihre Entwicklung prägenden Phase befinden und sich in der Regel während dieser Zeit stärker verwurzeln als Erwachsene. Diese Praxis ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Hingegen darf sie im konkreten Fall nicht zu einem stossenden Ergebnis führen. Unzulässig wäre insbesondere, aufgrund einer knapp zu kurzen Aufenthaltsdauer das Vorliegen eines Härtefalles zu verneinen und das Element der Aufenthaltsdauer später im Rahmen der Gesamtbetrachtung ausser Acht zu lassen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nach Überschreiten der Mindestaufenthaltsdauer grundsätzlich ein Härtefall vorliegt, wenn ein Betroffener in beruflicher und sozialer Hinsicht gut integriert ist, er nicht durch staatliche Fürsorge unterstützt werden muss und sich zudem tadellos verhalten hat. In diesem Falle muss die persönliche Notlage des Betroffenen nicht mit zusätzlichen Argumenten belegt werden. Je weniger lange ein Betroffener aber in
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der Schweiz weilte, je länger es demzufolge dauert, bis er die festgelegte Mindestaufenthaltsdauer erreicht, umso mehr müssen andere Elemente für die Begründung der Notlage beziehungsweise zur Annahme eines Härtefalles hinzukommen. Weilt ein Betroffener längere Zeit als Jugendlicher und anschliessend als junger Erwachsener in der Schweiz, wäre es stossend, erst nach neunjähriger Anwesenheitsdauer ein Härtefall anzunehmen. Geht man davon aus, dass die Aufenthaltsdauer als Jugendlicher gemäss Praxis doppelt zu zählen ist, ergibt sich für den Beschwerdeführer 3 eine anrechenbare Aufenthaltsdauer als Jugendlicher von 14 Jahren. Zählt man die Aufenthaltsdauer als junger Erwachsener hinzu, erhellt klar, dass der Beschwerdeführer die erforderliche Mindestaufenthaltsdauer von 9 Jahren bei weitem überschritten hat. Seine Anwesenheitsdauer begründet damit in analoger Anwendung der Praxis des BFA und der Fremdenpolizei - unter der Voraussetzung der guten Integration, der finanziellen Unabhängigkeit und des tadellosen Verhaltens für sich allein bereits eine derart enge Beziehung zur Schweiz, dass ein Härtefall im Sinne von Art. 13 lit. f BVO vorliegt. c) Die Anwesenheitsdauer der Beschwerdeführerin 4 und auch diejenige des Beschwerdeführers 3 begründen - unter Vorbehalt der erfüllten anderen Voraussetzungen je für die ganze Familie einen schwerwiegenden persönlichen Härtefall nach Art. 13 lit. f BVO (unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom 21. November 1995, 2A.187/1995, E. 4, S. 10). Unter diesen Umständen ist nachfolgend noch zu prüfen, wie sich die Beschwerdeführer 2 bis 4 gesellschaftlich und beruflich in die hiesigen Verhältnisse integriert haben, ob sie finanziell unabhängig sind und sich tadellos verhalten haben.