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112 Formelle Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche. - Dem Entschädigungsbegehren aus behaupteter Enteignung nachbar- rechtlicher Abwehransprüche kommt gegenüber den übrigen formellen Enteignungen selbständige Bedeutung zu; bei der Verteilung der Verfahrenskosten ist diesem Umstand Rechnung zu tragen.
Aus einem Entscheid der Schätzungskommission nach Baugesetz vom 7. November 2000 in Sachen R. M. gegen Kanton Aargau.
Aus den Erwägungen
....6. Wird in einem Verfahren keine Entschädigung zuerkannt,
so kommt die normale Kostenregelung von § 149 Abs. 1 BauG
i.V.m. § 33 Abs. 2 VRPG zum Zug, wonach der Antragsteller die
Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Wird in Enteignungsverfahren
jedoch eine Entschädigung zugesprochen, so sind die Verfah-
renskosten gemäss § 149 Abs. 2 BauG in der Regel vom entschädi-
gungspflichtigen Gemeinwesen zu tragen.
Obwohl die Enteignung nachbarlicher Abwehrrechte eine for-
melle Enteignung darstellt (...), kommen hier analoge Bezüge zur
materiellen Enteignung ins Spiel. Bei "gewöhnlichen" Fällen for-
meller Enteignung (z. B. Übereignung eines Parzellenstreifens an
den Kanton zur Strassenverbreiterung) stellt sich die Frage nicht, ob
eine Entschädigung zugesprochen wird, da das Vorliegen eines ent-
schädigungspflichtigen Enteignungsfalles auf der Hand liegt. Steht
jedoch der Entzug der nachbarlichen Abwehrrechte zur Diskussion,
so stellt sich wie bei der materiellen Enteignung vorerst die Frage, ob
überhaupt ein Enteignungsfall gegeben ist nicht.
Die in § 149 BauG dargelegte Kostenregelung gilt seit jeher
auch für materielle Enteignungen (vgl. den Grundsatzentscheid des
Verwaltungsgerichts in AGVE 1985, S. 375 ff., auf der Basis des
alten Baugesetzes; vgl. nun auch die Systematik: Einreihung von
§ 149 BauG unter "I. Allgemeines", vor der separaten Regelung "II.
Verfahren der formellen Enteignung" und "III. Verfahren der materi-
ellen Enteignung") und wurde von der Schätzungskommission schon
mehrfach bei anderen Fällen, wo zunächst die Entschädigungspflicht
an sich in Frage stand, angewandt, wie z. B. nutzlos gewordene Pla-
nungskosten (SKE EV.94.50019 vom 23. Oktober 1995 i. S. K. AG
vs. Einwohnergemeinde H.) nachträgliche Entschädigungsbe-
gehren für die Beanspruchung privater Grundstücke durch Gewäs-
serschutzmassnahmen (vgl. § 126 BauG; SKE DS.94.50001 vom
5. Dezember 1995 i. S. E. M. und R. M. vs. Kanton Aargau) oder
Behinderung in der landwirtschaftlichen Nutzung durch eine Signali-
sationstafel (§ 86 aBauG; SKE 93/38 vom 7. März 1994 i. S. S. S.
vs. Einwohnergemeinde A.). Allerdings erhielten jene Antragsteller -
im Gegensatz zur Gesuchstellerin des nun zu beurteilenden Falles
(Anpassung des bestehenden Vorplatzes an die neuen Strassenver-
hältnisse mit einem Schwarzbelag; Lärmschutzfenster) - unter kei-
nem Titel eine Entschädigung, so dass eine Anknüpfungsbasis in
jenen Fällen nicht weiter zu diskutieren war. Im vorliegenden Fall
stellt sich daher zum ersten Mal die Frage, ob Leistungen, wie sie der
Antragsstellerin erbracht wurden, die Basis zur Anwendung von
§ 149 Abs. 2 BauG bilden nicht. Die vorerwähnten Leistungen
beeinflussen den Entscheid über die Frage, ob eine nachbarrechtliche
Enteignung gegeben ist, nicht. Die Frage der Enteignung nachbarli-
cher Abwehransprüche ist daher als selbständige Angelegenheit zu
betrachten, auch deshalb, weil es sich um eine nachträgliche Forde-
rung handelt (...). Sie ist weder in Verbindung mit den Sachleistun-
gen in Form der Anpassung des bestehenden Vorplatzes an die neuen
Strassenverhältnisse noch im Zusammenhang mit den Lärmschutz-
massnahmen (Schallschutzfenster) zu sehen. Die Verneinung des
Vorliegens einer entschädigungspflichtigen Enteignung nachbarlicher
Abwehransprüche führt daher unmittelbar zur Kostentragungspflicht
der Antragstellerin nach § 149 Abs. 1 BauG i.V.m. § 33 Abs. 2
VRPG. Damit wird der Eigenständigkeit von Entschädigungsbegeh-
ren wegen Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten Rechnung getra-
gen.
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