Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung VI |
Dossiernummer: | F-2541/2022 |
Datum: | 02.08.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | Zuweisung der Asylsuchenden an die Kantone |
Schlagwörter : | Kanton; Familie; Lebenspartnerin; Kantons; Recht; Kantonswechsel; Schweiz; Interesse; Kinder; Familienleben; Vorinstanz; Verfügung; Bundesverwaltungsgericht; BVGer; Verfahren; Beschwerdeführers; Urteil; Person; Wegweisung; BVGer-act; Schwyz; Situation; Interessen; Kantone; Entscheid; Kindes |
Rechtsnorm: | Art. 13 BV ;Art. 13 KRK ;Art. 48 VwVG ;Art. 49 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 135 I 153; 137 I 113; 139 I 145; 144 I 266 |
Kommentar: |
Abteilung VI F-2541/2022
Besetzung Richter Yannick Antoniazza-Hafner (Vorsitz),
Richterin Claudia Cotting-Schalch, Richter Gregor Chatton, Gerichtsschreiberin Sandra Hutter.
Parteien A. ,
vertreten durch Raffaella Massara, Rechtsanwältin, Advokaturbüro Massara,
Beschwerdeführer,
gegen
Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.
Gegenstand Zuweisung der Asylsuchenden an die Kantone; Verfügung des SEM vom 9. Mai 2022.
Der Beschwerdeführer (geb. 1984, sri-lankischer Staatsangehöriger tamilischer Ethnie) reiste am 1. Dezember 2014 in die Schweiz ein, wo er gleichentags ein Asylgesuch stellte. Das SEM lehnte mit Verfügung vom
21. Dezember 2016 sein Asylgesuch ab und wies ihn aus der Schweiz weg; der Wegweisungsvollzug wurde angeordnet. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-522/2017 vom 29. Juli 2020 ab. Er wurde dem Kanton Schwyz zugewiesen.
Im Februar 2020 lernte der Beschwerdeführer in Zürich B. (geb. 1993, sri-lankische Staatsangehörige) kennen. Sie begannen im März 2020 eine Beziehung und heirateten in Folge am
2. September 2020 in einer religiösen Zeremonie in einem schweizerischen Hindutempel.
B. (nachstehend: die Lebenspartnerin) hatte zuvor am 17. Februar 2020 in der Schweiz ein Asylgesuch eingereicht. Sie wurde mit Entscheid vom 3. Juni 2020 dem erweiterten Verfahren zugewiesen und dem Kanton Genf zugeteilt. Mit Verfügung vom 10. Februar 2022 lehnte die Vorinstanz ihr Asylgesuch ab und ordnete den Vollzug der Wegweisung an. Sie reichte gegen diesen Entscheid Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das diesbezügliche Verfahren ist derzeit noch hängig (Verfahren D- 1227/2022).
Am 21. Dezember 2020 stellte der Beschwerdeführer ein Gesuch um Wiedererwägung seines Asylentscheides. Gleichzeitig beantragte er, sein hängiges Vollzugsverfahren mit dem hängigen Asylverfahren seiner Lebenspartnerin zu koordinieren und ihr den Wechsel in den Kanton Schwyz zu gestatten. Das SEM wies das Wiedererwägungsgesuch und das Gesuch um Koordination mit Verfügung vom 2. Februar 2021 ab und hielt fest, dass über das Kantonswechselgesuch in einem separaten Verfahren befunden werde. Eine gegen die Verfügung gerichtete Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-984/2021 vom 20. April 2021 abgewiesen.
Am […] 2021 wurde die gemeinsame Tochter des Beschwerdeführers und seiner Lebenspartnerin im Universitätsspital Genf geboren. Der Beschwerdeführer erkannte die Tochter, C. , am […] 2021 an. Die Eltern erklärten gleichentags, die gemeinsame elterliche Sorge gleichmässig zu teilen.
Am 21. Juni 2021 stellte der Beschwerdeführer abermals ein Gesuch um Wiedererwägung seines Asylentscheides, welches vom SEM mit Verfügung vom 2. Februar 2022 abgewiesen wurde. Eine dagegen gerichtete Beschwerde ist derzeit noch beim Bundesverwaltungsgericht hängig. Der Vollzug der Wegweisung wurde einstweilen ausgesetzt (Verfahren D-1086/2022).
Der Beschwerdeführer beantragte mit Eingabe vom 3. Dezember 2021 einen Kantonswechsel vom Kanton Schwyz in den Kanton Genf. Der Kanton Schwyz stimmte dem Wechsel am 15. Februar 2022 aufgrund der besonderen familiären Situation und im Hinblick auf das Kindeswohl zu, wohingegen der Kanton Genf dem Wechsel am 16. Februar 2022 seine Zustimmung verweigerte.
Mit Verfügung vom 9. Mai 2022 (eröffnet 10. Mai 2022) wies das SEM das Gesuch ab.
Mit Rechtsmittel vom 8. Juni 2022 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und die Bewilligung des Kantonswechsels. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und um Befreiung von der Kostenvorschusspflicht sowie um Beiordnung seiner Rechtsvertreterin als unentgeltliche Rechtsbeiständin.
Mit Zwischenverfügung vom 30. Juni 2022 wurde dem Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege entsprochen und dem Beschwerdeführer antragsgemäss die mandatierte Rechtsvertreterin als unentgeltliche Rechtsbeiständin zugeordnet.
In seiner Vernehmlassung vom 22. Juli 2022 hielt das SEM an der angefochtenen Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hielt mit Replik vom 14. September 2022 an seinen eingangs gestellten Anträgen fest.
Mit Eingabe vom 4. November 2022 übermittelte die Rechtsvertreterin dem Bundesverwaltungsgericht mehrere Eingaben aus dem Verfahren der Lebenspartnerin. Gleichzeitig reichte sie eine Honorarnote ein.
Mit Schreiben vom 21. November 2023 und vom 7. Januar 2024 reichte der Beschwerdeführer Arztund Sozialarbeiterberichte ein, wonach die erneute Schwangerschaft der Lebenspartnerin schwierig verlaufe und sie an
starker Schwangerschaftsübelkeit, einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Aufgrund ihrer Gebrechen könne sie sich gemäss Arztbericht zeitweise nicht um C. kümmern.
Am […] 2024 kam das zweite Kind des Beschwerdeführers und seiner Lebenspartnerin im Universitätsspital Genf zur Welt. Der Beschwerdeführer unternahm die notwendigen Schritte, um seine Tochter, D. , anerkennen zu lassen.
Am 27. Juni 2024 reichte der Beschwerdeführer ein psychologisches Arztzeugnis vom 26. Juni 2024 betreffend seine Lebenspartnerin ein. Diese leide demnach an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (Klassifikation nach ICD-11. 6B41) aufgrund einer Gewalterfahrung im Heimatland. Sie befinde sich in einer psychotraumatologischen sowie psychiatrischen Behandlung. Dem Arztbericht könne entnommen werden, dass für den Erfolg der Therapien ein Mindestmass an emotionaler Stabilität und psychosozialer Sicherheit notwendig seien. Ohne Behandlung bestehe die Gefahr einer Chronifizierung und damit einer dauernden Behinderung.
Aus organisatorischen Gründen wurde das vorliegende Beschwerdeverfahren zwischenzeitlich zur Behandlung auf den nunmehr vorsitzenden Richter übertragen.
Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt auf Beschwerde hin Verfügungen des SEM betreffend Kantonszuweisung und Kantonswechsel (Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 107 Abs. 1 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 31 ff. VGG).
Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das AsylG oder das VGG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG; Art. 6 AsylG).
Entscheide über die Zuweisung der asylsuchenden Person an einen Kanton oder über einen Kantonswechsel können gemäss Art. 27 Abs. 3 AsylG nur mit der Begründung angefochten werden, sie verletzten den Grundsatz der Einheit der Familie (vgl. Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 8 Ziff. 1
EMRK; siehe ferner BVGE 2009/54 E. 1.3.1; 2008/47 E. 1.2 und 1.3.2 f.).
Der Beschwerdeführer rügt in vertretbarer Weise eine Verletzung dieses Grundsatzes und beantragt die Zuweisung an den Kanton Genf, den Wohnort seiner Lebenspartnerin und seiner zwei minderjährigen Kinder.
Da der Beschwerdeführer als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert ist (Art. 48 Abs. 1 VwVG), ist auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde einzutreten (vgl. Art. 108 Abs. 3 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Dieses Urteil ist endgültig (vgl. Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Die Praxis des Gerichts in Bezug auf die Verfahrensbestimmungen, die auf den Kantonswechsel von vorläufig aufgenommenen Ausländern anwendbar sind, ist nicht einheitlich (vgl. z.B. Urteile BVGer F-4727/2020 vom 11. Januar 2021 und D-5392/2014 vom 7. Oktober 2014). In Bezug auf die Kognition stellt sich insbesondere die Frage, ob Art. 49 VwVG oder Art. 106 AsylG Anwendung findet. Gemäss beiden Vorschriften kann mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens und die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gerügt werden. Art. 49 Bst. c VwVG erlaubt es dem Gericht zusätzlich, die Unangemessenheit zu prüfen, wenn keine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz vorgängig verfügt hat. Wie in der Folge gezeigt wird, muss vorliegend das Gericht keine Angemessenheitsprüfung vornehmen. Die Frage, welche der obgenannten Bestimmungen (Art. 49 VwVG oder Art. 106 AsylG) anwendbar ist, kann demnach offen bleiben.
Massgebend ist grundsätzlich die Sachlage zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2020 VII/4 E. 2.2).
Gemäss Art. 27 Abs. 3 AsylG weist das SEM asylsuchende Personen den Kantonen zu und trägt dabei den schützenswerten Interessen dieser Personen sowie der Kantone Rechnung. Auch berücksichtigt es dabei in der Schweiz lebende Familienangehörige, die Staatsangehörigkeiten und die besondere Betreuungsintensität der Fälle (Art. 22 Abs. 1 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 [AsylV 1, SR 142.311]). Bei bereits erfolgter Zuweisung einer asylsuchenden Person an einen bestimmten Kanton verfügt die Vorinstanz nur dann einen Wechsel in einen anderen Kanton,
wenn beide Kantone einem solchen Wechsel zustimmen oder wenn dies aufgrund des Anspruchs auf Einheit der Familie oder bei schwerwiegender Gefährdung der asylsuchenden Person oder anderer Personen geboten ist (Art. 22 Abs. 2 AsylV 1).
Bei weggewiesenen Personen, denen das SEM nach Abschluss des ordentlichen Verfahrens eine Ausreisefrist angesetzt hat, ist ein Prozess zwecks Kantonswechsel grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 2A.361/2004 vom 15. September 2004 E. 1.3). Allerdings gilt dies mit Blick auf die Urteile Agraw und Kimfe nicht uneingeschränkt (vgl. BGE 137 I 113 E. 6.2). So entschied der EGMR in diesen beiden Fällen, dass die Ablehnung eines Kantonswechselgesuchs von weggewiesenen Asylsuchenden Art. 8 EMRK verletzt, wenn die privaten Interessen der weggewiesenen Asylsuchenden an einem solchen Wechsel das Interesse des Staates an einer ausgewogenen Verteilung der Asylbewerber auf die Kantone überwiegen. Zwar erklärte der Gerichtshof die Interessen der Schweiz, die Asylbewerber gleichmässig auf die Kantone zu verteilen und den Status von weggewiesenen Asylbewerbern aufgrund des Abschlusses ihres Verfahrens nicht mehr zu ändern, für grundsätzlich legitim. So hielt er in diesem Zusammenhang denn auch fest, dass sich ausländische Familienangehörige von in der Schweiz lebenden Ausländern gestützt auf Art. 8 EMRK nicht einfach dort niederlassen können, wo es ihnen beliebt. Der Gerichtshof hob jedoch hervor, dass es sich in den beiden konkreten Fällen um eine Lebensgemeinschaft handelte, die zur Kernfamilie im Sinne von Art. 8 EMRK gehörte. Dabei gestaltete sich der Wegweisungsvollzug faktisch unmöglich, so dass es für die Betroffenen mithin ausgeschlossen war, ausserhalb der Schweiz ein Familienleben zu führen. Es kam noch hinzu, dass das Zusammenleben im selben Kanton bereits seit 5 Jahren verweigert wurde. Vor dem Hintergrund dieser konkreten Umstände wertete der EGMR das Interesse der Asylsuchenden an einem Kantonswechsel für gewichtiger als die Interessen des Staates.
Gemäss Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privatund Familienlebens. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 EMRK).
Der Begriff der «Einheit der Familie» gemäss Art. 27 Abs. 3 AsylG wird im Asylgesetz einheitlich verwendet und entspricht dem Schutzbereich von Art. 8 EMRK (BVGE 2008/47 E. 4.1). Er umfasst die Kernfamilie, das heisst Ehegatten, eingetragene Partnerinnen und Partner, in dauernder eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebende Personen sowie deren minderjährige Kinder (vgl. Art. 1a Bst. e AsylV 1). Über diesen engen Kern hinaus fallen auch andere familiäre Verhältnisse in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK, sofern eine genügend nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung besteht und zwischen diesen Personen ein eigentliches Abhängigkeitsverhältnis besteht. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung können sich auch Personen auf Art. 8 EMRK berufen, die kein gefestigtes Anwesenheitsrecht haben, deren Anwesenheit in der Schweiz jedoch faktisch als Realität hingenommen werden muss (Urteile des BGer 2C_360/2016 vom 30. Januar 2017; 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013).
Die Vorinstanz stellte in der angefochtenen Verfügung im Wesentlichen fest, dass das Vorliegen einer familiären Einheit im Sinne von Art. 8 EMRK gegenständlich nicht ausgeschlossen werden könne. Jedoch seien der Beschwerdeführer und seine Lebenspartnerin nur nach Brauch und nicht zivilrechtlich verheiratet. Ferner sei die Familiengemeinschaft zu einem Zeitpunkt begründet worden, in welchem die Beteiligten aufgrund der rechtlichen Situation des Beschwerdeführers gewusst hätten, dass die Aufrechterhaltung des Familienlebens in der Schweiz nicht gesichert sei. Der Wegweisungsvollzug des Beschwerdeführers und seiner Lebenspartnerin mitsamt Kind nach Sri Lanka sei von der Vorinstanz als möglich beurteilt worden. Auch sei ein Zusammenleben der Familie in Sri Lanka möglich und werde diese ferner nicht seit fünf Jahren am Zusammenleben gehindert. Ein Anspruch auf Einheit der Familie sei somit nicht gegeben und vermöge das Kindeswohl keinen direkten Anspruch auf einen Kantonswechsel zu begründen. Somit setze ein Kantonswechsel die Zustimmung beider betroffener Kantone voraus, wobei das Migrationsamt des Kantons Genf die Zustimmung zum Kantonswechsel verweigert habe. Aufgrund der Sachlage könne der Kantonswechsel nicht bewilligt werden.
Auf Rechtsmittelebene wurde vom Beschwerdeführer zusammenfassend vorgebracht, eine zivilrechtliche Trauung sei aufgrund seines fehlenden Aufenthaltsstatus nicht möglich. Es liege gegenständlich aber zweifelsohne eine gefestigte eheähnliche Beziehung vor. Diese Beziehung sei vor seiner rechtskräftigen Wegweisung entstanden. Auch sei der Asylentscheid der Lebenspartnerin nicht in Rechtskraft erwachsen. Je nach
Ausgang des Verfahrens könne das Familienleben nur in der Schweiz geführt werden. Im vorliegenden Fall seien aussergewöhnliche Umstände gegeben. So handle es sich unbestrittenermassen um eine tatsächlich gelebte familiäre Beziehung. Durch die Verweigerung des Kantonswechsels werde nicht nur das Zusammenleben zwischen ihm und seiner Lebenspartnerin, sondern auch zwischen einem Kleinkind und seinem Vater verunmöglicht. Überdies leide der aktuell hauptbetreuende Elternteil (die Lebenspartnerin) unter schweren gesundheitlichen Problemen, welche zeitweise auch Einschränkungen ihrer Betreuungsfähigkeit mit sich bringen würden und nehme der andere Elternteil (der Beschwerdeführer) dann eine tragende Rolle ein. Er sei von der Nothilfe abhängig und verfüge offensichtlich nicht über die Mittel, seine Lebenspartnerin und sein Kind regelmässig zu besuchen. Seine Lebenspartnerin sei selbst von der Asylsozialhilfe abhängig und verfüge auch nicht über die notwendigen Mittel, ihn regelmässig zu besuchen, wobei sie ferner gesundheitlich massiv angeschlagen sei. Aufgrund ihres prekären Zustandes habe im Kanton Genf ein spezielles Betreuungssetting und nach der Geburt des Kindes ein (zeitweises) Unterbringungssetting geschaffen werden müssen. Mit einem Kantonswechsel könnte Abhilfe geschaffen werden, weil er eine tragende Rolle einnehmen und zur Entlastung der Mutter und besseren Betreuung des Kindes beitragen werde. Eine Verweigerung des Kantonswechsels verletze insgesamt Art. 8 EMRK (siehe auch Art. 13 BV) und Art. 3 KRK.
In ihrer Vernehmlassung führte die Vorinstanz aus, die Betroffenen seien gemäss eigenen Angaben seit März 2020 ein Paar. Das Asylgesuch des Beschwerdeführers sei bereits im Jahr 2016 von der Vorinstanz abgewiesen worden. Zwar sei der Entscheid erst im Juli 2020 rechtskräftig geworden, dennoch habe er aufgrund der im Jahr 2016 ausgesprochenen Wegweisung nicht damit rechnen können, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Auch sei die religiöse Trauung und die Erweiterung der Familie nach Rechtskraft der gegen ihn ausgesprochenen Wegweisung erfolgt. Das SEM anerkenne, dass die Situation für alle Beteiligten – aufgrund der gesundheitlichen Situation der Lebenspartnerin und der dadurch ergebenen Einschränkung ihrer Betreuungsfähigkeit – nicht ideal sei. Das Familienleben sei jedoch zum Zeitpunkt geschaffen worden, wo sie sich bewusst gewesen seien, dass der Fortbestand des Familienlebens in der Schweiz prekär sein würde. Auch sei der Wegweisungsvollzug nicht unmöglich. Sollte eine oder auch beide der noch hängigen (Asyl)Beschwerden gutgeheissen werden, werde die Sachlage anders sein und ein Entscheid über ein neues Kantonswechselgesuch könnte anders ausfallen. Dies sei aktuell aber noch nicht der Fall. Das private Interesse, im gleichen Kanton zu wohnen,
wiege somit nicht schwerer, als die öffentlichen Interessen der Schweiz an einer Ablehnung des Gesuchs. Der Entscheid sei somit verhältnismässig.
In seiner Replik bestreitet der Beschwerdeführer, dass sie ihre heutige Situation rechtswidrig herbeigeführt hätten. Ihre Beziehung und die Absicht zu heiraten, habe bereits bestanden, bevor sie den Ausgang seines Asylverfahrens gekannt hätten. Er betont ferner, dass der Begriff des Familienlebens auch die Bindung zwischen Elternteil und Kind umfasse, unabhängig von Zeitpunkt und Grund der Bindung der Elternteile. Letztlich leide das Kind unter der erzwungenen räumlichen Trennung. Das Kind habe ein Recht auf regelmässigen und persönlichen Kontakt zu beiden Elternteilen und es brauche seinen Vater angesichts der gesundheitlichen Verfassung der Mutter umso mehr. Auch sei bis dato über das Asylgesuch der Mutter nicht entschieden worden und es sei nicht klar, ob das Familienleben in Sri Lanka gelebt werden könne. Die Verweigerung des Kantonswechsels erweise sich als unverhältnismässig.
Vorliegend leidet die Lebenspartnerin aktuell an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (vgl. Bst. D oben; Akt des Bundesverwaltungsgerichts [BVGer-act.] 28) und wird eng von einem psycho-medizinischen Netzwerk begleitet (BVGer-act. 26, Beilage 2). Darüber hinaus gebar sie im März 2024 ein zweites Kind (siehe E. C). Gemäss mehrerer Arztund Sozialarbeiterberichte sind ihre Betreuungsfähigkeiten aufgrund ihrer Krankheit eingeschränkt (BVGer-act. 13; 15; 17; 26). Der Kinderschutzdienst, die Erwachsenenpsychiatrie und die Abteilung für frühkindliche Betreuung sind aufgrund dieser Umstände, die ein hohes Risiko für die Entwicklung der Kinder darstellen, involviert und ersuchen um schnellstmögliche Bereinigung der Situation (BVGer-act. 17).
Die Vorinstanz hat in ihrer Vernehmlassung die gesundheitlich problematische Verfassung der Lebenspartnerin und die dadurch ergebenen Einschränkung ihrer Betreuungsfähigkeit anerkannt, womit weitere Ausführungen hierzu unterbleiben können.
Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer und seine Lebenspartnerin seit März 2020 ein Paar und seit September 2020 religiös verheiratet sind. In tatsächlicher Hinsicht steht ferner fest, dass der Beschwerdeführer der biologische Vater von C. und D. ist und diese anerkannt hat respektive sich gegenwärtig um Anerkennung bemüht (Akten der
Vorinstanz, Vorhaben: […] «Wiedererwägungsgesuch» [SEM-act. «Wiedererwägungsgesuch»] 1, S. 4 Beilage 4; 6; BVGer-act. 26).
Der Beschwerdeführer beruft sich auf das in Art. 8 EMRK verbriefte Recht auf Achtung des Familienlebens (vgl. E. 3.3). Es steht vorliegend fest, dass der Beschwerdeführer und seine Lebenspartnerin seit nunmehr mehr als vier Jahren ein stabiles Konkubinat bilden, aus dem in den Jahren 2021 und 2024 zwei gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, und dass zwischen ihnen ein echtes, tatsächlich gelebtes Familienleben besteht. Der Beschwerdeführer wohnt bei seiner Lebenspartnerin und den Kindern in Genf, wobei er einmal in der Woche aus administrativen Gründen nach Zürich [recte: zum Kanton Schwyz] fahren muss (siehe Bericht des Vereines agapé [association genevoise d’actions préventives et éducatives] vom 27. November 2023, welcher irrtümlich den Kanton Zürich an der Stelle vom Kanton Schwyz erwähnt [BVGer-act. 15, Beilage 1]; dass der Beschwerdeführer dem Kanton Schwyz zugeteilt wurde, geht aus den Akten hervor [siehe namentlich BVGer-act. TAF 1 S. 3 und S. 5-6]). Er unterstützt seine kranke Lebenspartnerin und erzieht seine Kinder (BVGeract. 15; 17; 26).
Selbst wenn es dem Beschwerdeführer und seiner Lebenspartnerin möglich wäre, die Ehe einzugehen (was in der Beschwerde unter Verweis auf administrative Hindernisse bestritten wird), stünde dies einer Berufung auf Art. 8 EMRK als Konkubinatspaar rechtsprechungsgemäss von vornherein nicht entgegen. Dies aufgrund der gemeinsamen Kinder, mit denen sie als Familiengemeinschaft zusammenleben (BGE 144 I 266 E. 2.4 mit Hinweis auf die Botschaft vom 8. März 2002 zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [BBl 2002 3709 3740 Ziff. 1.3.4.1.1]).
Somit ist erstellt, dass es sich beim Beschwerdeführer, seiner Lebenspartnerin und den gemeinsamen Kindern um eine Familie sowohl im Sinne von Art. 8 EMRK als auch im Sinne von Art. 1a Bst. e AsylV 1 handelt, weshalb ihr faktisches Zusammenleben an sich geschützt ist. An dieser Tatsache ändert auch nichts, dass kein Mitglied dieser Familie über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügt (vgl. E. 3.4 oben).
Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK gilt nicht absolut. Vielmehr ist ein Eingriff in das Familienleben nach Massgabe von Art. 8 Ziff. 2 EMRK statthaft, wenn er gesetzlich vorgesehen ist (vgl. E 3.1) und eine verhältnismässige Massnahme bei der
Verfolgung legitimer öffentlicher Interessen darstellt (BGE 139 I 145 E. 2.2 m.H.).
Da eine Zuweisung des Beschwerdeführers an einen Kanton bereits erfolgt ist und der Kanton Genf einem Wechsel nicht zugestimmt hat (vgl. Bst. A.f), ist zu prüfen, ob aufgrund des Anspruchs auf Einheit der Familie ein solcher Wechsel dennoch geboten ist. Hierzu ist eine Verhältnismässigkeitsprüfung durchzuführen.
Die Abwägung zwischen den entgegengesetzten öffentlichen und privaten Interessen hat einzelfallorientiert zu erfolgen.
Gegenständlich stehen sich das Interesse des Staates an einer ausgewogenen Verteilung der Asylbewerber auf die Kantone und das Interesse des Beschwerdeführers an der Führung seines Familienlebens entgegen.
Die privaten Interessen des Beschwerdeführers sind vorliegend insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass seine Lebenspartnerin psychisch krank und aufgrund dessen nachweislich nur bedingt in der Lage ist, für die gemeinsamen Kinder zu sorgen. Dieser Umstand erfordert verständlicherweise eine erhöhte Anwesenheit des Beschwerdeführers in Genf. Bereits jetzt hält er sich hauptsächlich nicht in dem ihm zugeteilten Kanton Schwyz, sondern in Genf auf und unterstützt dort seine Familie. Er ist aber aus administrativen Gründen gezwungen, wöchentlich und trotz der finanziellen Notlage der Familie eine mehrstündige, teure Reise in den Kanton Schwyz zu unternehmen (siehe BVGer act. 15, Beilage 1 und E. 6.2 supra). In dieser Zeit ist die psychisch kranke Lebenspartnerin mit einem Kleinkind und einem Säugling alleine. Gegenüber ihrer Sozialarbeiterin kommunizierte sie verbal und nonverbal eine grosse Überforderung in einer solchen Situation (vgl. BVGer-act. 26 Beilage 2 [Bericht des Vereins agapé vom 16. Mai 2024]).
Die psychische Erkrankung der Lebenspartnerin hat sich gemäss Arztbericht vom Juni 2024 intensiviert. Anstelle der noch im Jahr 2022 diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1, BVGer-act. 13, Beilage 5) liegt nun eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung vor (ICD-11. 6B41). Überdies leidet die dreijährige C. an Angstzuständen und Hyperwachsamkeit. Diese sind aus pädopsychiatrischer Sicht besorgniserregend und können gemäss Arztbericht vom 15. Dezember 2023 auf den psychischen und physischen Gesundheitszustand der Mutter
zurückgeführt werden (BVGer-act. 17). Zu dieser sehr fordernden Situation kommt nun die Geburt eines zweiten Kindes hinzu.
Das Bundesverwaltungsgericht bezweifelt, dass die Kontaktmöglichkeiten, wie sie bisher genutzt wurden, der aktuellen Situation ausreichend Rechnung tragen. Es ist vielmehr von einer Gefährdung des Kindeswohls auszugehen, dem bei allen Entscheiden, die Kinder betreffen, vorrangige Bedeutung zukommt (vgl. Art. 3 und 9 Abs. 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes [UNO-Kinderrechtskonvention, KRK, SR. 0.107]; BGE 135 I 153 E. 2.2.2; Urteil des EGMR El Ghatet gegen die Schweiz vom 08.11.2016, Nr. 56971/10, Rz. 46).
Ferner ist zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer und seiner Lebenspartnerin nun während mehr als vier Jahren das Zusammenleben im selben Kanton verweigert wurde (vgl. Urteile des EGMR Agraw gegen Schweiz vom 29. Juli 2010, 3295/06; Mengesha Kimfe gegen Schweiz vom
29. Juli 2010, 24404/05). Auch ist der Umstand zu beachten, dass selbst bei der Geburt des zweiten Kindes das Asylverfahren der Lebenspartnerin
sowie das Wiedererwägungsverfahren des Beschwerdeführers – noch nicht abgeschlossen waren; diese Verfahren sind auch jetzt noch hängig. Ob sie ausserhalb der Schweiz ein Familienleben führen können, ist demnach zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Ferner ist unklar, ob der Wegweisungsvollzug der Lebenspartnerin überhaupt möglich ist. Schliesslich besteht auch ein öffentliches Interesse daran, dass der Beschwerdeführer sich weiterhin für seine Familie einsetzt, da seine Lebenspartnerin die Kinderbetreuung nur eingeschränkt wahrnehmen kann. Würde diese Unterstützung wegfallen, wäre zu befürchten, dass die schweizerischen Behörden die Kinder in einem Heim platzieren müssten.
Die ausserordentlichen Umstände der vorliegenden Streitsache lassen das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss kommen, dass die Verweigerung des Kantonswechsels einen unzulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben des Beschwerdeführers, seiner Lebenspartnerin und seiner Kinder darstellt (vgl. Urteil des BVGer F-5156/2015 vom 16. Januar 2017 E. 6.6 und 6.7).
Die privaten Interessen des Beschwerdeführers und seiner Familie an einem Kantonswechsel überwiegen angesichts obiger Ausführungen das Interesse des Staates an einer ausgewogenen Verteilung der Asylbewerber auf die Kantone.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Verweigerung des Kantonswechsels den Grundsatz der Familieneinheit verletzt. Die angefochtene Verfügung ist daher aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, den Beschwerdeführer dem Kanton Genf zuzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).
Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts seines Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers reichte am 4. November 2022 eine Honorarnote in der Höhe von Fr. 1'268.17 (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuerzuschlag) ein. Der Stundenansatz (Fr. 250.–) erweist sich als reglementskonform (Art. 10 Abs. 2 VKGE) und der zeitliche Aufwand sowie die Höhe der Auslagen sind auf der Grundlage der reglementarischen Bemessungsfaktoren (Art. 9-13 VGKE) nicht zu beanstanden. Ferner sind der Rechtsvertretung die nach Einreichung der Honorarnote getätigten Eingaben und Aufwendungen zu vergüten, welche bei einem geschätzten Zeitaufwand von drei Stunden und obigem Stundenansatz mit Fr. 750.– berechnet werden.
Die Vorinstanz ist somit anzuweisen, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 2'018.20 (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuerzuschlag i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Bst. c VGKE) auszurichten.
Mit dieser Kostenund Entschädigungsregelung ist die dem Beschwerdeführer gewährte unentgeltliche Rechtspflege infolge Subsidiarität gegenstandslos geworden (MARCEL MAILLARD, in: WALDMANN/WEISSENBERGER [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, N. 46 zu Art. 65 VwVG).
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
Die Verfügung des SEM vom 9. Mai 2022 wird aufgehoben und das SEM angewiesen, den Beschwerdeführer dem Kanton Genf zuzuweisen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Die Vorinstanz wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 2'018.20 auszurichten.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer und die Vorinstanz.
Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:
Yannick Antoniazza-Hafner Sandra Hutter
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den Beschwerdeführer (Einschreiben)
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