Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-3766/2020 |
Datum: | 09.09.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl (ohne Wegweisungsvollzug) |
Schlagwörter : | Vater; Mafia; Bundesverwaltungsgericht; Verfahren; Wegweisung; Beschwerdeführers; Kostenvorschuss; Afghanistan; Verfügung; Mafiaorganisation; Schweiz; Flüchtlingseigenschaft; Asylgesuch; Erpressung; Person; Verfahrens; Wegweisungsvollzug; Heimat; Wesentlichen; Familie; Bruder; Söhne |
Rechtsnorm: | Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 AIG ;Art. 83 BGG ;Art. 83 BV ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D-3766/2020
law/bah
Besetzung Einzelrichter Walter Lang,
mit Zustimmung von Richterin Jeannine Scherrer-Bänziger; Gerichtsschreiber Christoph Basler.
Parteien A. ,
geboren am (…), Afghanistan, (…),
Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);
Verfügung des SEM vom 25. Juni 2020 / N (…).
dass der Beschwerdeführer, ein Hazara mit letztem Wohnsitz in B. (Afghanistan) seine Heimat eigenen Angaben zufolge Ende Oktober 2017 verliess und nach einem längeren Aufenthalt (…) am 17. September 2019 in die Schweiz einreiste, wo er am selben Tag um Asyl nachsuchte,
dass das SEM mit dem Beschwerdeführer am 23. September 2019 die Personalienaufnahme durchführte, wobei er auch zum Reiseweg befragt wurde,
dass das SEM mit ihm am 3. Oktober 2019 ein Gespräch gemäss Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (ABl. L 180/31 vom 29.6.2013; nachfolgend: Dublin-III-VO), durchführte, wobei er unter anderem erklärte, er sei aufgrund psychischer Probleme in Behandlung und nehme deshalb schon seit drei Jahren Medikamente ein,
dass der Beschwerdeführer bei der Anhörung zu den Asylgründen vom
19. November 2019 zur Begründung des Asylgesuchs im Wesentlichen geltend machte, er sei in der Provinz Maydan Wardak geboren und zusammen mit seiner Familie in den Jahren 2007/2008 nach Kabul geflohen, wo sein Vater als (…) gearbeitet und es zu finanziellem Wohlstand gebracht habe,
dass sein Bruder 2014 entführt und nach Bezahlung eines hohen Lösegelds freigelassen worden sei,
dass sein Vater 2017 erneut von der Mafia erpresst worden sei, wobei diese einen noch höheren Geldbetrag verlangt und gedroht habe, falls er nicht zahle, werde man seine beiden Söhne entführen,
dass seinem Vater zur Beschaffung des Geldes eine Frist von zwei Wochen gesetzt worden sei,
dass sein Vater keinen anderen Ausweg gesehen habe, als ihn (den Beschwerdeführer) und seinen Bruder aus Afghanistan fortzuschicken,
dass der Beschwerdeführer beim SEM Kopien seines afghanischen Reisepasses und seiner Tazkira zu den Akten gab,
dass das SEM den Beschwerdeführer am 22. November 2019 dem erweiterten Verfahren zuwies,
dass der Beschwerdeführer durch seine damalige Rechtsvertretung mit Schreiben vom 25. November 2019 dem SEM mehrere «medizinische Informationen» zukommen liess,
dass dem SEM ein vom 25. November 2019 datierender, von Dr. med. C. , ausgestellter ärztlicher Bericht zuging,
dass das SEM mit Verfügung vom 25. Juni 2020 – eröffnet am 27. Juni 2020 (Poststempel) – feststellte, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, sein Asylgesuch vom 17. September 2019 ablehnte und die Wegweisung aus der Schweiz verfügte,
dass es indessen zufolge derzeitiger Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers anordnete,
dass das SEM zur Begründung im Wesentlichen anführte, der Beschwerdeführer sei nach Ablauf der Frist zur Geldübergabe noch mehrere Wochen lang in seiner Heimat verblieben,
dass nicht nachvollziehbar sei, dass sich die Erpresser in dieser Zeit weder bei seinem Vater gemeldet noch ihre Drohung (Entführung der Söhne) wahrgemacht hätten,
dass seine Eltern und seine Grossmutter gemäss seinen Aussagen immer noch in B. lebten und es ihnen gut gehe, die Erpresser seinen Vater unmittelbar nach seiner Ausreise «ein paarmal verfolgt» hätten (vgl. SEM-act. 22/16 F80), dies aber für seine Angehörigen keine weiteren Folgen gehabt habe,
dass die Tatsache, dass seine Eltern über zweieinhalb Jahre nach der angeblichen Erpressung nach wie vor in B. lebten, es ihnen gut gehe und ihnen nichts geschehen sei, nicht auf eine tatsächlich bestandene Verfolgungslage schliessen lasse,
dass es den Ausführungen des Beschwerdeführers insgesamt an der signifikanten Dichte an Realkennzeichen fehle, die bei einer erlebnisbasierten Erzählung vorhanden sein müsste,
dass die Qualität seiner Aussagen sich auch ohne Erlebnishintergrund hätte realisieren können, seine Äusserungen zur Erpressung im Jahr 2017 oberflächlich geblieben seien und keine Realkennzeichen aufwiesen, obwohl ihm diesbezüglich mehrere Fragen gestellt worden seien,
dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft habe darlegen können, dass er vor seiner Ausreise aus Afghanistan eine begründete Furcht, Opfer einer Entführung der Mafia zu werden, gehabt habe,
dass der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 24. Juli 2020 gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhob und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, es sei die Flüchtlingseigenschaft festzustellen und ihm in der Schweiz Asyl zu gewähren, und es sei die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren sowie auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten,
dass der Beschwerdeführer am 9. August 2020 ein Arztzeugnis der (…) vom 31. Juli 2020 einreichte, in dem eine mittelgradige depressive Episode und eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert wurden,
dass der Instruktionsrichter die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses mit Zwischenverfügung vom 18. August 2020 abwies, und den Beschwerdeführer aufforderte, bis zum 2. September 2020 einen Kostenvorschuss von Fr. 750.– zu leisten, unter der Androhung, bei ungenutzter Frist werde auf die Beschwerde nicht eingetreten,
dass beim Bundesverwaltungsgericht am 31. August 2020 ein Kostenvorschuss von Fr. 750.– eingezahlt wurde,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 VwVG) des SEM entscheidet, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor
welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG [SR 142.31] i.V.m. Art. 31–33 VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG), eine solche Ausnahme hier jedoch nicht vorliegt,
dass der Beschwerdeführer am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen hat, durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung hat und daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert ist (Art. 105 AsylG und Art. 37 VGG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG),
dass auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde einzutreten ist (Art. 108 Abs. 2 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG i.V.m Art. 52 Abs. 1 VwVG), nachdem auch der erhobene Kostenvorschuss fristgerecht eingezahlt wurde,
dass sich die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG richten (vgl. BVGE 2014/26 E. 5),
dass über offensichtlich unbegründete Beschwerden in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden wird (Art. 111 Bst. e AsylG) und es sich, wie nachfolgend aufgezeigt, um eine solche handelt, weshalb das Urteil nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG auf einen Schriftenwechsel verzichtet wurde,
dass die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl gewährt (Art. 2 Abs. 1 AsylG), wobei Flüchtlinge Personen sind, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG),
dass die Flüchtlingseigenschaft nachgewiesen oder zumindest glaubhaft gemacht werden muss (Art. 7 AsylG),
dass die Flüchtlingseigenschaft glaubhaft gemacht ist, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält,
dass Vorbringen insbesondere dann unglaubhaft sind, wenn sie in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden,
dass der Beschwerdeführer bei der Anhörung zu den Asylgründen vom
19. November 2019 im Wesentlichen geltend machte, sein Vater habe durch seine berufliche Tätigkeit als (…) über gewisse finanzielle Mittel verfügt,
dass Angehörige einer Mafiaorganisation von seinem Vater im Jahr 2014 einen hohen Geldbetrag erpresst hätten, nachdem sie seinen Bruder entführt hätten,
dass möglicherweise dieselbe Mafiaorganisation im Jahr 2017 von seinem Vater einen noch höheren Betrag habe erpressen wollen, indem sie gedroht habe, sie werde seine Söhne entführen, falls er nicht zahle,
dass die Polizeistelle, an die sich sein Vater gewandt habe, ihnen nicht habe helfen können,
dass die Mafiaorganisation auch Kontakte zu Regierungskreisen habe, weshalb deren Angehörige nicht lange in Haft wären, sollten sie festgenommen werden,
dass angesichts der gesamten Aktenlage davon auszugehen ist, die Familie des Beschwerdeführers sei aufgrund ihres vermuteten oder tatsächlichen Wohlstands ins Visier einer Mafiaorganisation geraten,
dass angedrohte Straftaten, deren Motiv die Erpressung von Geldzahlungen ist, in der Regel praxisgemäss als gemeinstrafrechtlich motiviert und damit als asylrechtlich nicht relevant zu werten sind,
dass sich an dieser Einschätzung selbst dann nichts ändert, wenn korrupte Regierungsvertreter Mitglieder von Mafiaorganisationen sind oder diese decken und an deren «Gewinn» beteiligt werden,
dass vorliegend keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Familie des Beschwerdeführers könnte aufgrund eines der in Art. 3 AsylG abschliessend genannten Gründe ins Visier der Mafiaorganisation geraten sein,
dass vermögende Personen (auch) in Afghanistan zwar wohl einer Risikogruppe, Opfer von strafbaren Handlungen (Erpressung, Raub, Diebstahl) zu werden, angehören, aber keine soziale Gruppe im Sinne des Asylgesetzes repräsentieren, da ererbte oder selbst erwirtschaftete Vermögenswerte keine untrennbar mit der Persönlichkeit der Opfer verbundene Persönlichkeitsmerkmale sind,
dass dem Beschwerdeführer somit auch bei Wahrunterstellung seiner Aussagen keine begründete Furcht vor zum Zeitpunkt der Ausreise oder heute drohender asylrechtlich relevanter Verfolgung zuerkannt werden kann,
dass die Frage der Glaubhaftigkeit der Vorbringen des Beschwerdeführers deshalb offengelassen werden kann,
dass es dem Beschwerdeführer somit nicht gelingt, die Flüchtlingseigenschaft nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen, weshalb das SEM das Asylgesuch zu Recht abgelehnt hat,
dass die Ablehnung eines Asylgesuchs in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz zur Folge hat (Art. 44 AsylG), vorliegend insbesondere der Kanton keine Aufenthaltsbewilligung erteilt hat und zudem kein Anspruch auf Erteilung einer solchen besteht (vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50
E. 9, je m.w.H.), weshalb die vom SEM verfügte Wegweisung im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen steht,
dass das SEM das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme regelt, wenn der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich ist (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG [SR 142.20]),
dass der generellen Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund der aktuellen Situation in Afghanistan im Sinn von Art. 83 Abs. 4 AIG durch das SEM mit der Anordnung der vorläufigen Aufnahme wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs hinreichend Rechnung getragen wurde und praxisgemäss das Vorliegen anderer Vollzugshindernisse nicht mehr zu prüfen ist, zumal diese alternativer Natur sind (vgl. Art. 44 i.V.m. Art. 83 Abs. 1 AIG; BVGE 2011/7 E. 8; 2009/51 E. 5.4),
dass der Beschwerdeführer gemäss einem ärztlichen Bericht von Dr. med. C. , vom 25. November 2019 mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer Depression und einer PTBS leidet,
dass diese (provisorische) Diagnose im Arztzeugnis der (…) vom 31. Juli 2020 bestätigt wird,
dass auf die Einholung eines weiteren Arztberichts verzichtet werden kann (vgl. Beschwerde S. 4), da das SEM auch der gesundheitlichen Verfassung des Beschwerdeführers durch die Anordnung der vorläufigen Aufnahme bereits in ausreichendem Mass Rechnung getragen hat,
dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und angemessen ist, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten von Fr. 750.– (Art. 1– 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen sind (Art. 63 Abs. 1 VwVG),
dass der in gleicher Höhe eingezahlte Kostenvorschuss zur Deckung der Verfahrenskosten zu verwenden ist.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Der in gleicher Höhe eingezahlte Kostenvorschuss wird zur Bezahlung der Verfahrenskosten verwendet.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:
Walter Lang Christoph Basler
Versand:
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.