Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-3715/2020 |
Datum: | 18.09.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung |
Schlagwörter : | ühren; Beschwerdeführende; Beschwerdeführenden; Familie; Wegweisung; Gericht; Bundesverwaltungsgericht; Freiheit; Vollzug; Recht; Freiheitsstrafe; Verfahren; Quot;; Heimat; Beziehung; Ehebruch; Urteil; Ehemann; Ehebruchs; Person; Vorinstanz; Verfügung; Provinz; Ausreise; Schweiz; Vater |
Rechtsnorm: | Art. 48 VwVG ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 55 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 AIG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D-3715/2020
Besetzung Einzelrichterin Nina Spälti Giannakitsas,
mit Zustimmung von Richterin Barbara Balmelli; Gerichtsschreiber Philipp Reimann.
Parteien A. , geboren am (…), mit seiner Ehefrau
, geboren am (…), sowie den Kindern
, geboren am (…),
, geboren am (…), und E. , geboren am (…), Irak,
alle vertreten durch Lena Weissinger, Rechtsanwältin, Beschwerdeführende,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl und Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 19. Juni 2020 / N (…).
Die Beschwerdeführenden, irakische Staatsangehörige kurdischer
Ethnie aus der Stadt F.
(Ehemann) beziehungsweise aus dem
Dorf G. in der Provinz H. , verliessen ihre Heimat gemeinsam mit ihren beiden Kindern eigenen Angaben zufolge am 31. März 2019 und gelangten am 27. August 2019 via die Türkei, Griechenland, Albanien, den Kosovo, Kroatien, Slowenien und Österreich illegal in die Schweiz, wo sie noch am selben Tag um Asyl nachsuchten. Am 5. September 2019 erhob das SEM im Bundesasylzentrum (BAZ) der Region I. ihre Personalien und befragte sie zu ihrem Reiseweg (sogenanntes Protokoll der Personalienaufnahme; PA). Am 18. Oktober 2019 hörte das SEM sie einlässlich zu ihren Asylgründen an.
Einleitend trugen die Beschwerdeführenden vor, sie hätten am 31. Mai 2013 in F. geheiratet und gehörten beide dem Stamme der (…) an. Sie hätten F. im Verlaufe des Jahres 2016 oder 2017 verlassen
und seien nach J. F. zu entziehen.
gezogen, um sich der IS-Herrschaft in
Der Beschwerdeführer machte hinsichtlich seiner Asylgründe im Wesentlichen geltend, er habe in J. im Lebensmittelgeschäft seines Vaters gearbeitet. Eines Tages sei dort eine (mit einem Peshmerga verheiratete) Frau aus einer einflussreichen Familie vom Stamm der (…) namens K. erschienen, die sich ihm in unsittlicher Absicht genähert habe und unbedingt eine Beziehung mit ihm habe eingehen wollen, wiewohl er ihr erklärt habe, glücklich verheiratet zu sein, und er ihre Avancen entschieden zurückgewiesen habe. Die Frau habe indessen an ihrem Vorhaben festgehalten, ihm anzügliche SMS geschrieben und einmal im Geschäft gar ihre Brüste vor ihm entblösst. Ausserdem habe sie ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht, auf seine glückliche Ehe neidisch zu sein, und so lange auf eine gemeinsame Beziehung zwischen ihnen hinarbeiten zu wollen, bis er sich von seiner Ehefrau scheiden lasse. In der Folge habe sich Avan von ihrem Ehemann scheiden lassen. Sie habe diesem gegenüber wider besseres Wissen behauptet, er – der Beschwerdeführer – habe ihr aufgetragen, sich von ihm scheiden zu lassen. In der Folge habe der Ehemann dieser Frau eine Strafanzeige wegen Ehebruchs gegen ihn eingereicht. Ausserdem hätten der Vater sowie ein Bruder von Avan ihn aufgefordert, den Ehebruch zuzugeben, ansonsten man ihn umbringen werde. Er selbst habe sich deswegen mit diversen Strafanzeigen
an die örtliche Polizei gewandt. Diese habe seine Anzeigen jedoch nicht weiterverfolgt, da die Familie der ihn belästigenden Frau sehr einflussreich gewesen sei. So sei der Vater von Avan verantwortlich für die Sektion der KDP (Partiya Demokrat a Kurdistanê; Demokratische Partei Kurdistans) in J. gewesen. Ein Onkel von Avan sei Generalmajor, ein Weiterer Brigadegeneral und ein Dritter Leiter des Geheimdienstes gewesen. Nachdem sein Schwiegervater von den Gerüchten erfahren habe, habe er ihn aufgefordert, sich von seiner Tochter scheiden zu lassen. Auf Geheiss seines Schwiegervaters sei dessen Tochter zu ihren Eltern zurückgekehrt. Dank der Hilfe zweier Kinder seiner Schwiegereltern sei seine Ehefrau allerdings wieder zu ihm zurückgebracht worden, worauf er ihre gemeinsame Ausreise vorbereitet habe. Aus diesen Gründen habe er seine Heimat schliesslich Ende März 2019 gemeinsam mit seiner Ehefrau sowie den beiden Kindern verlassen. Nach seiner Ausreise habe er erfahren, dass er in Abwesenheit wegen Ehebruchs zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden und K. zu ihrem Ex-Ehemann zurückgekehrt sei.
Die Beschwerdeführerin führte ergänzend aus, sie hätten eigentlich bereits bei der Flucht aus F. beabsichtigt, nach Europa zu kommen, hätten sich dies aber zunächst aus finanziellen Gründen nicht leisten können. Deshalb hätten sie eine gewisse Zeit zuwarten wollen, bis ihr Ehemann etwas gearbeitet und gespart habe, um dann auszureisen. Schliesslich seien die Probleme mit Avan und deren Familie dazugekommen.
Am 23. Oktober 2019 reichten die Beschwerdeführenden mehrere irakische Gerichtsdokumente zu den Akten.
Am 28. Oktober 2019 wies das SEM die Beschwerdeführenden dem erweiterten Verfahren zu.
Mit Zwischenverfügung vom 11. November 2019 wies das SEM die Beschwerdeführenden für die Dauer ihres Asylverfahrens dem Kanton Thurgau zu.
Am 18. November 2019 brachte die Beschwerdeführerin das Kind E. zur Welt. Das Kind wird in das hängige Verfahren seiner Eltern einbezogen.
Am 20. Mai 2020 führte das SEM mit dem Beschwerdeführer eine ergänzende Anhörung durch. Dabei stellte ihm das SEM namentlich Fragen im Zusammenhang mit den am 23. Oktober 2019 eingereichten irakischen Gerichtsdokumenten. Den Dokumenten ist unter anderem zu entnehmen,
dass der Beschwerdeführer am 28. Juli 2019 von einem Gericht in
J.
in Abwesenheit wegen Ehebruchs zu einer einjährigen Frei-
heitsstrafe verurteilt worden ist.
Mit Verfügung vom 19. Juni 2020 – eröffnet am 22. Juni 2020 – stellte das SEM fest, die Beschwerdeführenden erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte ihre Asylgesuche ab, verfügte ihre Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.
Mit Eingabe vom 22. Juli 2020 (Datum des Poststempels) erhoben die Beschwerdeführenden mittels ihrer Rechtsvertreterin Beschwerde gegen die Verfügung des SEM vom 19. Juni 2020 beim Bundesverwaltungsgericht. Dabei beantragten sie, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihnen in Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Asyl zu gewähren. Eventualiter sei das Asylgesuch zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei ihnen die vorläufige Aufnahme zu gewähren. Ferner beantragten sie, es sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde zu konstituieren. Schliesslich beantragten sie, es sei ihnen die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und in der Person ihrer Rechtsvertreterin ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2020 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Eingang der vorliegenden Beschwerde.
Mit Zwischenverfügung vom 12. August 2020 hielt die zuständige Instruktionsrichterin des Bundesverwaltungsgerichts fest, die Beschwerdeführenden dürften den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten. Gleichzeitig lehnte sie die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Beiordnung einer amtlichen Rechtsverbeiständin wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerdebegehren ab und forderte die Beschwerdeführenden zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 750.– bis zum
27. August 2020 auf, unter Androhung des Nichteintretens auf die Beschwerde im Unterlassungsfall.
Am 26. August 2020 zahlten die Beschwerdeführenden den verlangten Kostenvorschuss ein.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Über Beschwerden gegen Verfügungen, die gestützt auf das AsylG durch das SEM erlassen worden sind, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich (mit Ausnahme von Verfahren betreffend Personen, gegen die ein Auslieferungsersuchen des Staates vorliegt, vor welchem sie Schutz suchen) endgültig (Art. 105 AsylG [SR 142.31] i.V.m. Art. 31–33 VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Die Beschwerdeführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Nachdem der Kostenvorschuss fristgerecht geleistet wurde, ist auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde einzutreten (Art. 108 Abs. 2 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich um eine solche, weshalb das Urteil nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.
Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen und die Vorinstanz hat sie nicht entzogen (vgl. Art. 55 Abs. 1 und 2 VwVG). Auf den Antrag, "es sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde zu konstituieren", ist demzufolge mangels Vorliegens eines Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen (Art. 3 Abs. 2 AsylG).
Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anforderungen an das Glaubhaftmachen der Vorbringen gemäss Art. 7 AsylG in verschiedenen Entscheiden dargelegt und präzisiert. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. BVGE 2015/3 E. 6.5.1; Urteil des BVGer D-5779/2013 vom 23. Februar 2015 E. 5.6.1 [als Referenzurteil publiziert] m.w.H.).
Der Beschwerdeführer begründete sein Asylgesuch im Wesentlichen damit, eine mit einem Peshmerga verheiratete und aus einer einflussreichen Familie stammende Frau mit Kindern habe ihn über längere Zeit in unsittlicher Absicht belästigt und eine Beziehung mit ihm aufnehmen wollen, obwohl er sie wiederholt zurückgewiesen beziehungsweise auf seine glückliche Ehe aufmerksam gemacht habe. In der Folge sei er von ihrem Ehemann wegen Ehebruchs angezeigt, von ihrer Familie bedroht und schliesslich in Abwesenheit gerichtlich zu einer fünfbeziehungsweise einjährigen Freiheitsstrafe wegen Ehebruchs verurteilt worden.
Einleitend hält das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Vorinstanz fest, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Schwierigkeiten mit der ihn des Ehebruchs bezichtigenden Familie von K. nicht asylrelevant sind, weil sie nicht auf einem der in Art. 3
Abs. 1 AsylG genannten Gründen – Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Anschauungen – beruhen, womit es an einem asylbeachtlichen Verfolgungsmotiv fehlt. Vielmehr liegt dem Konflikt ein privater interfamiliärer Streit zugrunde.
Darüber hinaus erscheinen die diesbezüglichen Vorbringen in höchstem Masse unglaubhaft. Zunächst müsste K. , würde sie sich tatsächlich derart freizügig gegenüber dem Beschwerdeführer verhalten haben, im Kontext der sozialen Gepflogenheiten der Autonomen Region Kurdistans (ARK) ernsthafteste Konsequenzen seitens der Gesellschaft wie auch seitens ihrer eigenen Familie gewärtigen, zumal sie aus einer angesehenen Familie stammen soll, in der einzelne ihrer Familienangehörigen wichtige Positionen innerhalb der traditionsorientierten KDP und andere bei den lokalen Sicherheitskräften Generalsrang haben sollen. Ferner ist nicht nachvollziehbar, dass eine Frau aus einer solchen Familie, die zusätzlich mit einem Peshmerga verheiratet ist und mit diesem gemeinsame Kinder hat, die Ehre ihrer Familie und den häuslichen Frieden mit ihrem Ehemann selbst aufs Spiel setzen würde, nur um mit einem Mann von bescheidenem sozialen Hintergrund zusammen zu sein, der sämtliche ihrer Avancen zurückgewiesen hat. Der diesbezügliche Erklärungsversuch in der Beschwerde, K. habe in ihrem "Liebeswahn" den Moralund Wertevorstellungen ihres Heimatlandes zuwidergehandelt und sei sich dabei auch nicht über die realen Chancen ihrer unerwiderten Liebe und der dadurch gesellschaftspolitisch für sie entstehenden Gefahren bewusst gewesen (a.a.O. S. 3), vermag das Gericht nicht ansatzweise zu überzeugen.
Selbst bei unterstellter Glaubhaftigkeit der Gesamtvorbringen der Beschwerdeführenden sind diese nicht geeignet, einen Asylanspruch der Beschwerdeführenden zu begründen. So erscheint die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer wegen Ehebruchs im irakischen Kontext grundsätzlich rechtsstaatlich legitim. Weiter verstösst die angedrohte Freiheitsstrafe von einem Jahr auch nicht gegen die Bestimmungen der EMRK. Ferner ist dem Abwesenheitsurteil vom 28. Juli 2019 zu entnehmen, dass dieses anfechtbar gewesen wäre. Den vom Beschwerdeführer eingereichten Gerichtsdokumenten ist zusätzlich zu entnehmen, dass dieser am 26. März 2019 gerichtlich vom Vorwurf freigesprochen worden ist, den Ehemann von K. wiederholt bedroht zu haben (vgl. auch Aussagen des Beschwerdeführers in act. 1049772-68/15 S. 9 f., F69 bis F73). All diese Umstände sprechen klarerweise dafür, dass die angeblich gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Rechtsschritte den Anfor-
derungen an ein rechtsstaatliches Verfahren genügen. Ausserdem sprechen sie im Ergebnis auch klar für die Schutzfähigkeit und -willigkeit der dortigen Strafverfolgungsbehörden. Schliesslich spricht die Tatsache, dass die von der Familie von K. unterstellte aussereheliche Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und K. Gegenstand eines Strafverfahrens sein soll, dafür, dass deren Familie ihre Unstimmigkeiten über ein staatliches Gericht und nicht via private Vergeltungsmassnahmen zu lösen versucht. Die anderslautende Einschätzung in der Beschwerde, die
Familie von Frau K.
würde nebst dem gerichtlichen Weg "alle
Wege" beschreiten, um "den Beschwerdeführer für die vermeintliche Beziehung zu Frau K. zur Rechenschaft zu ziehen", stellt letztlich eine reine Parteibehauptung dar, die in den Akten keine Stütze findet.
Schliesslich bleibt anzufügen, dass an der Authentizität der vom Beschwerdeführer eingereichten Gerichtsdokumente erhebliche Zweifel bestehen. So fällt auf, dass sowohl der Beschwerdeführer als auch dessen Ehefrau anlässlich ihrer Anhörungen vom 18. Oktober 2019 ausgesagt haben, er sei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden (vgl. EM act. 1049772-45/16 S. 13 F106; EF act. 1079772-46/14
S. 10 F63). Danach gefragt, woher er um die Höhe der Freiheitsstrafe wisse, gab der Beschwerdeführer an, dies von seinem Vater sowie seinem Bruder vernommen zu haben, die damals an der Gerichtsverhandlung teilgenommen hätten (a.a.O. S. 13 F107). Die Beschwerdeführerin gab demgegenüber an, Behördenvertreter hätten eines Tages bei ihrem Schwiegervater vorgesprochen und diesem eröffnet, dass er (der Beschwerdeführer) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden sei, wobei sie nicht wisse, ob ihrem Schwiegervater das Urteil selbst ausgehändigt oder ihm nur dessen Inhalt bekanntgegeben worden sei (a.a.O. S. 10 F63 f.). Dem vom Beschwerdeführer im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens eingereichten Gerichtsdokument ist jedoch zu entnehmen, dass er lediglich zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. In der ergänzenden Anhörung vom 20. Mai 2020 zur Diskrepanz in seinen Aussagen zur Höhe der Freiheitsstrafe angesprochen, räumte der Beschwerdeführer diese zwar ein, um gleichzeitig auszuführen, er habe erst mittels eines von seinen Brüdern in der Heimat eingeschalteten Anwalts, der die fraglichen Gerichtsdokumente beim zuständigen Gericht besorgt habe, die genaue Freiheitsstrafe erfahren (a.a.O. S. 3 f. F22 i.V.m. F27 f.). Dieser Erklärungsversuch steht allerdings in unauflöslichem Widerspruch zu den früheren Aussagen der Beschwerdeführenden, sie hätten die Freiheitsstrafe von fünf Jahren via den persönlich an der Gerichtsverhandlung anwesenden
Vater und Bruder des Beschwerdeführers beziehungsweise durch den Umstand erfahren, dass dem Vater des Beschwerdeführers behördlicherseits das Urteil übergeben oder mündlich verkündet worden sei.
Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass es den Beschwerdeführenden nicht gelungen ist, eine asylrelevante Verfolgung nachzuweisen beziehungsweise glaubhaft zu machen. Das SEM hat zutreffend festgestellt, die Beschwerdeführenden erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht und ihre Asylgesuche zu Recht abgelehnt. Bei dieser Sachlage besteht auch keine Veranlassung, das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, weshalb der – von den Beschwerdeführenden nicht näher begründete – Kassationsantrag (vgl. Rechtsbegehren Ziff. 3) abzuweisen ist.
Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an (Art. 44 AsylG).
Die Beschwerdeführenden verfügen weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).
Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG [SR 142.20]).
In Bezug auf die Geltendmachung von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).
Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AIG).
So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]). Das flüchtlingsrechtliche Refoulement-Verbot schützt nur Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft erfüllen. Da es den Beschwerdeführenden nicht gelungen ist, eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, kann der in Art. 5 AsylG verankerte Grundsatz der Nichtrückschiebung im vorliegenden Verfahren keine Anwendung finden. Eine Rückkehr der Beschwerdeführenden nach (Nord-)Irak ist demnach unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen der Beschwerdeführenden noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass sie für den Fall einer Ausschaffung in den Irak dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wären. Diesbezüglich ist anzumerken, dass eine Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer einjährigen Freiheitsstrafe wegen Ehebruchs
Glaubhaftigkeit derselben vorausgesetzt – keinen Verstoss gegen die EMRK (Art. 3, 5, 6, 7 und 13) bedeuten würde. Gemäss Praxis des EGMR sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses müsste der Beschwerdeführer eine konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft machen, dass ihm im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung drohen würde (vgl. Urteil des EGMR Saadi gegen Italien vom 28. Februar 2008, Grosse Kammer 37201/06, §§ 124–127 m.w.H.). Dies ist ihm indessen vorliegend nicht gelungen. Auch die allgemeine Menschenrechtssituation in den kurdischen Gebieten des Nordiraks lässt den Wegweisungsvollzug im heutigen Zeitpunkt nicht als unzulässig erscheinen. Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl im Sinne der asylals auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.
Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG – die vorläufige Aufnahme zu gewähren.
In seinem Referenzurteil E-3737/2015 vom 14. Dezember 2015 (E. 7.4) bestätigte das Bundesverwaltungsgericht seine in BVGE 2008/5 publizierte Praxis zur Frage der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs in die kurdischen Provinzen im Nordirak. Es hielt dabei Folgendes fest: In den vier Provinzen des „Kurdistan Regional Government (KRG) – das betreffende Gebiet wird seit Anfang 2015 durch die Provinzen Dohuk, Erbil, Suleimaniya sowie der von Letzterer abgespalteten Provinz Halabja gebildet – sei nicht von einer Situation allgemeiner Gewalt im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG (heute: AIG) auszugehen, und es lägen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich dies in absehbarer Zeit massgeblich ändern würde. Diese Einschätzung erscheint weiterhin zutreffend; insbesondere vermag das am 25. September 2017 in der ARK durchgeführte Referendum – in welchem sich offenbar eine Mehrheit der Kurden für die Unabhängigkeit vom Irak aussprach – daran nichts zu ändern. Derzeit finden zwar – wie in der Beschwerde zutreffend vermerkt (a.a.O. S. 5 Ziff. 17)
Offensiven der Türkei gegen Rückzugsgebiete der PKK im Nordirak statt. Nichtsdestotrotz kann deswegen nicht von einer Situation allgemeiner Gewalt im Nordirak gesprochen werden. Die langjährige Praxis im Sinne von BVGE 2008/5 für aus dem KRG-Gebiet stammende oder längere Zeit dort wohnhafte Kurdinnen und Kurden bleibt somit weiterhin anwendbar. Demnach ist der Vollzug der Wegweisung in das KRG-Gebiet zumutbar, sofern begünstigende individuelle Faktoren vorliegen (vgl. dazu u.a. Urteile des BVGer E-2855/2018 vom 14. Januar 2019 E. 5.6.1; D-1779/2016 vom
6. Dezember 2018 E. 7.3.2; E-2036/2016 vom 21. November 2018
E. 6.3.1). Die Anordnung des Wegweisungsvollzugs setzt insbesondere voraus, dass die betreffende Person ursprünglich aus der Region stammt oder längere Zeit dort gelebt hat und dort über ein soziales Beziehungsnetz (Familie, Verwandtschaft oder Bekanntenkreis) oder über Beziehungen zu den herrschenden Parteien verfügt. Andernfalls dürfte eine soziale und wirtschaftliche Integration in die kurdische Gesellschaft nicht gelingen, da der Erhalt einer Arbeitsstelle oder von Wohnraum weitgehend von gesellschaftlichen und politischen Beziehungen abhängt (vgl. BVGE 2008/5
E. 7.5; ausführlich zudem das Urteil des BVGer E-6430/2016 vom 31. Januar 2018 E. 6.4.1 ff., m.w.H.).
Im vorliegenden Fall kann das Vorliegen von begünstigenden Faktoren bejaht werden: So haben die Beschwerdeführenden vor ihrer Ausreise aus dem Irak mehrere Jahre lang in J. gelebt, wo nach wie vor die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers leben (vgl. act. 104977268/15 S. 7 F53 f.). Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer sowohl in F. als auch während der letzten Jahre den Lebensunterhalt für
seine Familie bestritten, weshalb anzunehmen ist, dass er dies auch in Zukunft tun kann. Ausserdem sind die Beschwerdeführenden aufgrund der Aktenlage jung und gesund. Darüber hinaus besitzt die Beschwerdeführerin mit der abgeschlossenen Mittelschule über eine gute Schulausbildung, was sie bei der Aufnahme einer künftigen Erwerbstätigkeit begünstigen dürfte. Die Eltern und Geschwister der Beschwerdeführerin leben zwar in L. , welches formell zur Provinz H. gehört, seit 1991 jedoch unter der Kontrolle der ARK steht und wie ein Teil der Provinz J. verwaltet wird. So besehen könnten sich die Beschwerdeführenden bei Bedarf auch an die Familie der Beschwerdeführerin wenden, um ihnen bei der Wiedereingliederung in ihrer Heimat behilflich zu sein. Es ist demnach davon auszugehen, dass die Beschwerdeführenden in J. über ein tragfähiges familiäres Beziehungsnetz verfügen, welches sie beherbergen und sie ausserdem bei der sozialen Reintegration sowie gegebenenfalls bei der Suche nach einer Arbeitsstelle unterstützen kann. Der Vollzug der Wegweisung der Beschwerdeführenden nach Nordirak erweist sich somit insgesamt als zumutbar im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AIG.
Schliesslich obliegt es den Beschwerdeführenden, sich bei der zuständigen Vertretung ihres Heimatstaates die für eine Rückkehr notwendigen Reisedokumente zu beschaffen (vgl. Art. 8 Abs. 4 AsylG und dazu auch BVGE 2008/34 E. 12), weshalb der Vollzug der Wegweisung auch als möglich zu bezeichnen ist (Art. 83 Abs. 2 AIG).
Hinsichtlich der allfälligen, aufgrund der Corona-Pandemie derzeit gegebenen Unmöglichkeit des Vollzugs ist Folgendes festzuhalten: Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts ist die Unmöglichkeit des Vollzugs dann festzustellen, wenn sich sowohl eine freiwillige Ausreise als auch ein zwangsweiser Vollzug klarerweise und aller Wahrscheinlichkeit nach für die Dauer von mindestens einem Jahr als undurchführbar erweisen (vgl. Urteil des BVGer E-7575/2016 vom 28. Juli 2017 E. 6.2). Dies ist in Anbetracht der derzeitigen Entwicklung der Pandemie nicht anzunehmen. Der aktuellen Situation kann indessen im Rahmen der Ansetzung der Ausreisefrist Rechnung getragen werden.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG; Art. 49 VwVG) und – soweit diesbezüglich überprüfbar – angemessen ist. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750. – den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Zu deren Begleichung ist der am 26. August 2020 eingezahlte Kostenvorschuss in gleicher Höhe zu verwenden.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Die Kosten des Verfahrens von Fr. 750. – werden den Beschwerdeführenden auferlegt. Zu deren Begleichung wird der eingezahlte Kostenvorschuss in gleicher Höhe verwendet.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.
Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:
Nina Spälti Giannakitsas Philipp Reimann
Versand:
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.