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Bundesverwaltungsgericht Urteil D-5684/2021

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts D-5684/2021

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-5684/2021
Datum:06.01.2022
Leitsatz/Stichwort:Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren)
Schlagwörter : Bulgarien; Dublin-III-VO; Mitgliedstaat; Über; Recht; Asylgesuch; Verfügung; Verfahren; Überstellung; Behörde; Asylverfahren; Antrag; Staat; Behörden; Beschwerdeführers; Vorinstanz; Wegweisung; Bundesverwaltungsgericht; Person; Schweiz; Antrags; Schutz; Gehör; Vollzug; Entscheid
Rechtsnorm: Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 AIG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:143 III 65; 144 I 11
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-5684/2021

U r t e i l v o m 6 . J a n u a r 2 0 2 2

Besetzung Einzelrichterin Daniela Brüschweiler,

mit Zustimmung von Richter Grégory Sauder; Gerichtsschreiberin Susanne Burgherr.

Parteien A. , geboren am (…), Afghanistan,

vertreten durch MLaw Sophie Frühauf, (…)

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);

Verfügung des SEM vom 22. Dezember 2021 / N (…).

Sachverhalt:

A.

    1. Der Beschwerdeführer suchte am 27. November 2021 in der Schweiz um Asyl nach.

    2. Ein Abgleich seiner Fingerabdrücke mit der Eurodac-Datenbank ergab, dass er am 27. Oktober 2021 in Bulgarien und am 21. November 2021 in B. Asylgesuche gestellt hatte.

    3. Das SEM ersuchte die bulgarischen Behörden am 2. Dezember 2021 um Übernahme des Beschwerdeführers gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO).

    4. Anlässlich des am 16. Dezember 2021 im Beisein seiner Rechtsvertreterin durchgeführten persönlichen Gesprächs gemäss Art. 5 Dublin-IIIVO wurde dem Beschwerdeführer, der seinen Angaben zufolge im Sommer 2021 aus Afghanistan ausgereist sei, das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Nichteintretensentscheid und der Möglichkeit der Überstellung nach Bulgarien gewährt. Er gab diesbezüglich zu Protokoll, die bulgarischen Behörden hätten ihn zwei Mal heftig geschlagen und in die Türkei abgeschoben, dies in Unterwäsche. In der Türkei habe er sich zehn Tage pflegen lassen müssen. Auch Hunde seien auf die Migranten losgelassen worden. Er habe noch Bissspuren an den Beinen. In Bulgarien seien 33 Personen während zehn Tagen in einem Zimmer eingesperrt worden. Es habe dort Läuse gehabt, aber sie hätten keine Medikamente bekommen; er hätte eine Salbe gegen den Juckreiz gebraucht. Er sei gesund.

    5. Die bulgarischen Behörden nahmen innert Frist (Art. 25 Abs. 1 DublinIII-VO) keine Stellung zum Übernahmeersuchen vom 2. Dezember 2021.

B.

Mit Verfügung vom 22. Dezember 2021 – eröffnet am 23. Dezember 2021

  • trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, ordnete die Wegweisung aus der Schweiz in den zuständigen Dublin-Staat (Bulgarien) an, forderte den Beschwerdeführer auf, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Be-

    schwerdefrist zu verlassen und beauftragte den Kanton C.

    mit

    dem Vollzug der Wegweisung. Gleichzeitig verfügte es die Aushändigung der editionspflichtigen Akten und stellte fest, dass einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid keine aufschiebende Wirkung zukomme.

    Für die Begründung wird auf die Ausführungen der Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung verwiesen.

    C.

    Mit Eingabe vom 30. Dezember 2021 erhob der Beschwerdeführer durch die rubrizierte Rechtsvertreterin beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde, worin um Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und um Anweisung an das SEM, auf das Asylgesuch einzutreten, eventualiter um Rückweisung der Sache an das SEM zwecks rechtsgenüglicher Sachverhaltsabklärung und Neubeurteilung ersucht wurde. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wurde zudem um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses ersucht. Des Weiteren wurde beantragt, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

    Er machte geltend, nachdem er von der in Bulgarien erlebten schlechten Behandlung und Gewalt sowie der menschenunwürdigen Rückführung in die Türkei berichtet habe, könne insbesondere mit Blick auf die dortige tiefe Anerkennungsquote von afghanischen Asylsuchenden nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass ihm nach einer Überstellung in Bulgarien ein rechtsstaatliches Asylverfahren ohne Risiko einer Kettenabschiebung garantiert wäre. Auf die detaillierte Beschwerdebegründung ist, soweit für den Entscheid wesentlich, in den nachfolgenden Erwägungen einzugehen.

    D.

    Die vorinstanzlichen Akten lagen dem Bundesverwaltungsgericht am

    31. Dezember 2021 in elektronischer Form vor (vgl. Art. 109 Abs. 3 AsylG). Gleichentags setzte die Instruktionsrichterin den Vollzug der Überstellung im Sinne einer vorsorglichen Massnahme aus.

    Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

    1.

      1. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet auf dem Gebiet des Asyls

  • in der Regel und auch vorliegend – endgültig über Beschwerden gegen

Verfügungen (Art. 5 VwVG) des SEM (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 3133 VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    1. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist somit einzutreten (Art. 108 Abs. 3 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

2.

Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachfolgend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche, weshalb das Urteil nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG). Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf einen Schriftenwechsel verzichtet.

3.

    1. Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

    2. Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1–3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.w.H.).

4.

    1. Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des zuständigen Staats prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des

      Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung explizit oder implizit zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 6.2).

    2. Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 8 -15 Dublin-III-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO).

    3. Der nach der Dublin-III-VO zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wiederaufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO).

5.

    1. Vorab ist zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer erhobene verfahrensrechtliche Rüge einer Gehörsverletzung seitens der Vorinstanz geeignet ist, eine Kassation der angefochtenen Verfügung herbeizuführen.

    2. Das Verwaltungsrespektive Asylverfahren wird vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 12 VwVG i.V.m. Art. 6 AsylG). Demnach hat die Behörde von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen, die für das Verfahren notwendigen Unterlagen zu beschaffen, die rechtlich relevanten Umstände abzuklären und ordnungsgemäss darüber Beweis zu führen (vgl. BVGE 2012/21 E. 5.1. m.w.H.).

      Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör, welches als Mitwirkungsrecht alle Befugnisse umfasst, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 144 I 11 E. 5.3; BVGE 2009/35 E. 6.4.1). Mit dem Gehörsanspruch korreliert die Pflicht der Behörden, die Vorbringen tatsächlich zu hören, ernsthaft zu prüfen und in ihrer Entscheidfindung angemessen zu berücksichtigen. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sie eine sachgerechte Anfechtung ermöglicht. Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt (vgl. BGE 143 III 65 E. 5.2).

    3. Der Beschwerdeführer monierte, das SEM sei nicht auf seine Vorbringen, in Bulgarien schlechte Behandlung, Gewalt und Rückführung in die Türkei erlebt zu haben, eingegangen, und habe damit den Sachverhalt unvollständig festgestellt. Die vom Beschwerdeführer im Rahmen des DublinGesprächs vom 16. Dezember 2021 vorgebrachte schlechte Behandlung in Bulgarien und die dort zwei Mal erlittenen Schläge hat das SEM jedoch gehört und in seinem Entscheid berücksichtigt (vgl. S. 3 der angefochtenen Verfügung). In diesem Zusammenhang liegt somit keine Gehörsverletzung vor. Demgegenüber trifft es zu, dass das SEM die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rückweisung an der bulgarischen Grenze in die Türkei in der angefochtenen Verfügung nicht thematisiert hat. Aber nachdem Bulgarien den Beschwerdeführer am 27. Oktober 2021 als asylsuchende Person registriert und ihm somit den Zugang zum Asylverfahren gewährt hat, ist die zuvor erfolgte Rückweisung an der Grenze, deren Glaubhaftigkeit vorliegend nicht abschliessend zu beurteilen ist, für die im Rahmen des Dublin-Verfahrens zu prüfende Frage der Zuständigkeit Bulgariens zur Durchführung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers nicht (mehr) ausschlaggebend. Insofern vermag deren Nichterwähnung durch das SEM nicht zu einer Kassation der angefochtenen Verfügung wegen einer relevanten Gehörsverletzung zu führen. Im Rahmen des Dublin-Verfahrens ist zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer im Fall einer Überstellung in Bulgarien eine Verletzung des Non-Refoulement-Gebots drohen würde. Damit hat sich das SEM befasst (vgl. S. 3 der angefochtenen Verfügung).

    4. Die formellen Rügen des Beschwerdeführers vermögen angesichts dieser Sachlage nicht zu greifen, weshalb keine Veranlassung besteht, die angefochtene Verfügung aus formellen Gründen aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der entsprechende (Eventual-)Antrag ist damit abzuweisen.

6.

    1. Vorliegend ist unbestritten und durch den Abgleich der Fingerabdrücke mit der Zentraleinheit Eurodac belegt, dass der Beschwerdeführer am

      27. Oktober 2021 in Bulgarien als asylsuchende Person registriert worden ist. Die bulgarischen Behörden liessen das Wiederaufnahmeersuchen des SEM vom 2. Dezember 2021 innert der in Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO vorgesehenen Frist unbeantwortet, womit sie die Zuständigkeit Bulgariens implizit anerkannt haben (Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO).

    2. Die grundsätzliche Zuständigkeit Bulgariens für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens des Beschwerdeführers ist somit gegeben. Allein der Wunsch des Beschwerdeführers um Verbleib in der Schweiz vermag daran nichts zu ändern, zumal die Dublin-III-VO den Schutzsuchenden kein Recht einräumt, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. auch BVGE 2010/40 E. 8.3).

7.

    1. Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2012/C 326/02, nachfolgend: EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO).

    2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Referenzurteil F-7195/2018 vom 11. Februar 2020 ausführlich mit dem bulgarischen Asylsystem und der Situation asylsuchender Personen in Bulgarien auseinandergesetzt. Es hat festgehalten, dass das dortige Asylverfahren sowie die Aufnahmebedingungen zwar gewisse Mängel aufweisen würden, diese aber nicht systemischer Natur seien, weshalb von Überstellungen nach Bulgarien grundsätzlich nicht abzusehen sei. Korrekte Asylverfahren seien in Bulgarien nicht systembedingt unmöglich. Die tiefe Anerkennungsquote gegenüber Staatsangehörigen gewisser Länder rechtfertige es nicht, keine Überstellungen mehr vorzunehmen. Betroffene Personen könnten gegen einen negativen Asylentscheid ein wirksames Rechtsmittel einlegen. Zudem seien die Bedingungen in den Aufnahmeund Haftzentren zwar prekär, könnten jedoch nicht als unmenschlich oder entwürdigend qualifiziert werden (E. 6.6.1 und E. 6.6.7). Auf die entsprechenden Erwägungen kann nach wie vor verwiesen werden (vgl. auch Urteile des BVGer E-5108/2021 vom 30. November 2021 E. 5.2, F-4574/2021 vom 26. Oktober 2021

      E. 8.2, D-3934/2021 vom 15. September 2021 E. 8.1 oder D-1/2019 vom

      31. März 2021 E. 7.1.1).

    3. Bulgarien kommt somit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der EMRK, dem Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter

      und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie dem Zusatzprotokoll der FK vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) grundsätzlich nach. Im Weiteren darf davon ausgegangen werden, Bulgarien anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom

      1. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnahmerichtlinie) ergeben.

    4. Mit seinen Vorbringen im vorinstanzlichen Verfahren und den Ausführungen in der Rechtsmitteleingabe vom 30. Dezember 2021 zur unbefriedigenden Situation in der während zehn Tagen bewohnten Unterkunft in Bulgarien sowie dem Verweis auf Berichte verschiedener Organisationen betreffend punktueller Schwachstellen im bulgarischen Asylsystem vermag der Beschwerdeführer die Vermutung der Einhaltung der völkerrechtlichen Pflichten durch Bulgarien nicht umzustossen, respektive keine ernsthaften Hinweise für systemische Mängel im bulgarischen Asylverfahren und den dortigen Aufnahmebedingungen im Sinn von Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz Dublin-III-VO darzutun.

    5. Unter diesen Umständen ist die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 DublinIII-VO nicht gerechtfertigt.

8.

    1. Der Beschwerdeführer fordert mit seinen Vorbringen, wonach seine Unterbringung und Verpflegung in Bulgarien unzureichend gewesen sei und er als afghanischer Staatsangehöriger in Bulgarien nicht mit einem rechtsstaatlichen Asylverfahren ohne Gefahr einer Kettenabschiebung rechnen könne, die Anwendung der Ermessensklausel von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO respektive der – das Selbsteintrittsrecht im Landesrecht konkretisierenden – Bestimmung von Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311).

    2. Gemäss der Souveränitätsklausel von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung

      zuständig ist. Dieses sogenannte Selbsteintrittsrecht wird im Landesrecht durch Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 konkretisiert, gemäss dem das SEM das Asylgesuch aus humanitären Gründen auch dann behandeln kann, wenn dafür gemäss Dublin-III-VO ein anderer Staat zuständig wäre. Der Entscheid über den Selbsteintritt liegt im pflichtgemässen Ermessen der Behörde. Ein einklagbarer Anspruch auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts besteht jedoch dann, wenn sich die Überstellung der asylsuchenden Person in den an sich zuständigen Mitgliedstaat als unzulässig im Sinne der EMRK oder einer anderen die Schweiz bindenden, völkerrechtlichen Bestimmung erweist. Diesfalls muss die Vorinstanz die Souveränitätsklausel anwenden und das Asylgesuch in der Schweiz behandeln (vgl. BVGE 2015/9 E. 8.2.1).

    3. Die bulgarischen Behörden liessen das Ersuchen des SEM um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers vom 2. Dezember 2021 unbeantwortet und erklärten sich damit implizit als zur Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens zuständig. Der Beschwerdeführer hatte am

      1. Oktober 2021 in Bulgarien um Asyl ersucht und wurde nur einen Monat später, am 26. November 2021, vom Grenzwachkorps D. beim Versuch der illegalen Einreise in die Schweiz angehalten. Es erscheint unwahrscheinlich, dass das Asylgesuch in Bulgarien in dieser kurzen Zeitspanne inhaltlich geprüft und das dortige Asylverfahren bereits abgeschlossen worden ist. Auch die Ausführungen des Beschwerdeführers in der Beschwerde vom 30. Dezember 2021, wonach im Rahmen des bulgarischen Asylverfahrens erst eine Anhörung zu den Fluchtgründen stattgefunden und er nach einem zehntägigen Aufenthalt in einer Sammelunterkunft ein Dokument erhalten habe, laut dem er sich während der folgenden drei Monate in Bulgarien hätte frei bewegen können, lassen nicht auf ein beendetes Verfahren schliessen. Im Übrigen könnte der Beschwerdeführer bei Vorliegen eines negativen Asylund Wegweisungsentscheids den Rechtsweg beschreiten.

      Jedenfalls besteht vorliegend kein Grund zur Annahme, die bulgarischen Behörden würden dem Beschwerdeführer nach einer Überstellung den Zugang zum Asylrespektive einem allfälligen Wiederaufnahmeverfahren unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie verweigern. Aus der tiefen Gutheissungsquote für asylsuchende Personen aus Afghanistan lässt sich, entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung, nicht ableiten, seine Überstellung nach Bulgarien würde zu einer Kettenabschiebung führen beziehungsweise das dortige Asylverfahren würde nicht kor-

      rekt durchgeführt werden oder die bulgarischen Behörden würden in seinem Fall den Grundsatz des Non-Refoulement missachten und ihn zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem sein Leib, sein Leben oder seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem er Gefahr laufen würde, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (vgl. das Referenzurteil F-7195/2018 vom 11. Februar 2020

      E. 6.6.7 und E. 7.2.2). Gegen einen allfälligen negativen erstinstanzlichen Asylentscheid steht in Bulgarien ein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung. Im Übrigen stellen auch ein definitiver Entscheid über ein Asylgesuch und die Wegweisung in das Heimatland für sich genommen noch keine Verletzung des Non-Refoulement-Prinzips dar (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 8.5.3.3).

    4. Es sind auch keine konkreten Hinweise für die Annahme gegeben, Bulgarien würde dem Beschwerdeführer dauerhaft die ihm gemäss Aufnahmerichtlinie zustehenden minimalen Lebensbedingungen vorenthalten. Es darf davon ausgegangen werden, dass der Zugang zu einer Asylunterkunft, zu Nahrungsmitteln und zu medizinischer Grundversorgung für den Beschwerdeführer nach einer Überstellung nach Bulgarien gewährleistet ist. Bei einer allfälligen vorübergehenden Einschränkung könnte er sich nötigenfalls an die zuständigen Behörden vor Ort wenden und die ihm zustehenden Aufnahmebedingungen auf dem Rechtsweg einfordern (vgl. Art. 26 Aufnahmerichtlinie). Sollte er sich künftig von Behördenvertretern oder Drittpersonen ungerecht oder rechtswidrig behandelt fühlen, hat er ebenfalls die Möglichkeit, sich – allenfalls mit Unterstützung der vor Ort tätigen karitativen Organisationen – an die zuständigen Stellen zu wenden. Schliesslich liegen auch aus medizinischer Sicht keine Hindernisse vor, die gegen eine Überstellung sprechen würden. Der Beschwerdeführer gab anlässlich des Dublin-Gesprächs vom 16. Dezember 2021 zu Protokoll, gesund zu sein, und weder aus der Rechtsmitteleingabe vom 30. Dezember 2021 noch aus den übrigen Akten ergeben sich Hinweise auf aktuell bestehende, behandlungsbedürftige gesundheitliche Probleme. Im Übrigen verfügt Bulgarien über eine ausreichende medizinische Infrastruktur und die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Antragstellern die erforderliche medizinische Versorgung, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst, zugänglich zu machen (Art. 19 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie); Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen ist die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe (einschliesslich nötigenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung) zu gewähren (Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie). Es darf somit davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer in

      Bulgarien bei Bedarf adäquate Unterstützung zukommt. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass es sich bei der COVID-19-Pandemie um ein bloss temporäres Vollzugshindernis handelt, welchem im Rahmen der Vollzugsmodalitäten Rechnung zu tragen ist.

    5. Der Vorinstanz kommt bei der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 Ermessen zu (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 f.) und den Akten sind keine Hinweise auf eine gesetzeswidrige Ermessensausübung (vgl. Art. 106 Abs. 1 Bst. a AsylG) durch das SEM zu entnehmen. Das Bundesverwaltungsgericht enthält sich unter diesen Umständen weiterer Ausführungen zur Frage eines Selbsteintritts.

    6. Nach dem Gesagten besteht kein Grund für eine Anwendung der Ermessensklauseln von Art. 17 Dublin-III-VO und an dieser Stelle bleibt nochmals festzuhalten, dass die Dublin-III-VO den Schutzsuchenden kein Recht einräumt, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. BVGE 2010/45 E. 8.3). Bulgarien bleibt somit zuständiger Mitgliedstaat gemäss Dublin-III-VO und ist verpflichtet, den Beschwerdeführer wiederaufzunehmen.

    7. Das SEM ist demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Da der Beschwerdeführer nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung ist, wurde die Überstellung nach Bulgarien in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32 Bst. a AsylV 1).

    8. Unter diesen Umständen sind allfällige Vollzugshindernisse gemäss Art. 83 Abs. 3 und 4 AIG (SR 142.20) nicht mehr zu prüfen, da das Fehlen von solchen bereits Voraussetzung des Nichteintretensentscheids gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG ist (vgl. BVGE 2015/18 E. 5.2 m.w.H.).

9.

Die Beschwerde ist aufgrund des Gesagten abzuweisen und die Verfügung des SEM zu bestätigen.

10.

Mit vorliegendem Urteil ist das Beschwerdeverfahren abgeschlossen, weshalb sich die Anträge auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und auf Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses als gegenstandslos erweisen. Der vorsorglich angeordnete Vollzugsstopp fällt dahin.

11.

    1. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ist abzuweisen, da die Begehren – wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt – als aussichtslos zu bezeichnen waren, weshalb die Voraussetzungen von Art. 65 Abs. 1 VwVG nicht erfüllt sind.

    2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750.– (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird abgewiesen.

3.

Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:

Daniela Brüschweiler Susanne Burgherr

Versand:

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